Seminarempfehlung der TREND-Redaktion

LA CLASSE OPERAIA VA IN PARADISO
Der Operaismus: Eine Theorie der Praxis des
Klassenkampfes oder triumphalistischer Proletkult?
03/06

trend
onlinezeitung

Veranstaltung und Seminar der gruppe k-21
am 31.03. und 01.04.06 in Frankfurt am Main
mit Felix Kurz, einem Übersetzer des Buchs
„Den Himmel stürmen. Eine Theoriegeschichte des Operaismus.“

In der Ära nach Marx setzte sich innerhalb eines großen Teils der Linken und der institutionalisierten Arbeiterbewegung eine spezifische Lesart des Marxschen Werks durch, die sich wie folgt zusammenfassen lässt: Der Kapitalismus ist seiner Natur nach ein krisenhaftes System. Mit naturwüchsiger Notwendigkeit verschärfen sich die Krisen. An einem bestimmten Punkt werden die Produktionsverhältnisse zu einer Fessel für die Entwicklung der Produktivkräfte. In dieser Situation kommt es zum Zusammenbruch des Kapitalismus. Es schlägt die Stunde der sozialistischen Revolution.  

Innerhalb der dominanten Sektoren der Arbeiterbewegung verkam solch ein „Marxismus“ zu einem quasi naturwissenschaftlichen System. Gesellschaftliche Entwicklungen wurden aus einer mystischen Eigengesetzlichkeit des Kapitalismus abgeleitet, in der es für handelnde gesellschaftliche Akteure keinen Platz gibt. Sie gelten lediglich als Objekte übergeordneter historischer Prozesse. 

Es war auch das Verdienst einer marxistischen Strömung in Italien, Anfang der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, des sogenannten „Operaismus“, Alternativen zu einem Marxismus im Gewand einer geschichtsdeterministischen Heilslehre zu entwickeln.  

Auf der Basis einer Wiederaneignung der Marxschen Theorie, insbesondere des „Kapitals“ und der „Grundrisse“, wurde um die Zeitschrift "Quaderni rossi", zunächst innerhalb der traditionellen „Arbeiterorganisationen“ (PSI, PCI), später dann außerhalb, in der Zeitschrift "Classe operaia", eine scharfe Kritik am traditionellen Parteimarxismus geübt. Dabei legte der Operaismus, dessen führende Protagonisten Raniero Panzieri, Romano Alquati, Mario Tronti und Toni Negri waren, das Hauptaugenmerk auf den Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit in der Sphäre der Produktion.  

Im operaistischen Konzept werden Krisen und Transformationsprozesse nicht aus einer Eigengesetzlichkeit des Kapitals heraus erklärt. Stattdessen werden der fortdauernde Konflikt zwischen den Versuchen des Kapitals, die ArbeiterInnen immer stärker unter das Kapitalverhältnis zu subsumieren und die proletarische Gegenwehr gegen diese Angriffe an die erste Stelle gesetzt. Somit wurden z.B. Veränderungen im Produktionsprozess und der Arbeitsorganisation nicht als bloße Ergebnisse kapitalistischer Profitinteressen verstanden, sondern als Versuche, dem Widerstand der ArbeiterInnen mittels neuer disziplinierender Produktionsmethoden und technischer Rationalisierungen zu begegnen. Damit wurde auch die Vorstellung von einer neutralen "technischen Rationalität" in der Produktionssphäre, die in den traditionellen „sozialistischen und kommunistischen“ Parteien weit verbreitet war zurück gewiesen. 

Daher genügte es dem Operaismus nicht, sich mit einem abstrakten Begriff von Klasse zufrieden zu geben. Es ging ihm darum zu analysieren, wie sich die Klasse konkret auf der Produktionsebene zusammensetzt. Dies eröffnete die Möglichkeit zu verstehen, wie das Kapital über bestimmte Formen der Arbeitsorganisation und der Anwendung der Maschinerie versucht, die Ausbeutungsverhältnisse zu forcieren. Aber auch um herauszufinden, wie die ArbeiterInnen daraus eigene subversive Formen der Kooperation entwickeln, um sich dem kapitalistischen Kommando in der Produktion entgegen zu stellen. In diesem Zusammenhang ist der Begriff der „Klassenzusammensetzung“ im operaistischen Konzept von zentraler Bedeutung. 

Zu diesen Schlussfolgerungen kam der Operaismus vor dem Hintergrund eines Italiens, das seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts von starken Umwälzungsprozessen in der Produktion gekennzeichnet war. So war der Norden des Landes einem massiven Industrialisierungsschub unterworfen, der von ebenso starken technischen "Rationalisierungsprozessen" begleitet wurde. Im Zuge dieser Veränderungen wurden die ArbeiterInnen immer mehr zum bloßen Anhängsel der Maschinerie.

Der Operaismus beobachtete in diesen Entwicklungen das Auftauchen einer neuen zentralen Figur: Des un- oder angelernten Massenarbeiters. Dessen entfremdetes Verhältnis zum Produktionsprozess ließ keine positive Identifikation mit der Arbeit zu. Vielmehr, so die operaistische Hypothese, die auf Untersuchungen der Produktionsprozesse in den Fabriken in Norditalien basierte, richtete sich dessen Widerstand unmittelbar gegen seine Existenz als Lohnarbeiter. Damit stand er im Zentrum der kommenden Klassenkämpfe. Diese Annahme sollte sich bestätigen als Ende der sechziger Jahre ein neuerlicher internationaler Kampfzyklus auch Italien erfasste. Dabei kam es zu wilden Streiks, Sabotageakten und zu anderen proletarischen Widerstandsformen, die sich direkt gegen die Despotie der Lohnarbeit richteten. 

Bei unserer Diskussionsveranstaltung und dem darauf folgenden Seminar wollen wir die Elemente des Operaismus herausarbeiten, die auch heute noch für eine praktische Kritik des Kapitalismus, mit dem Ziel diesen aufzuheben, brauchbar sein können. Gleichzeitig wollen wir auch die Grenzen der operaistischen Theorie ausloten. Denn dessen Stärke, die Marxsche Einsicht ernst zu nehmen, wonach die Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen ist, war auch eine seiner Schwächen. So wurde von einigen OperaistInnen der Kapitalismus auf ein reines Machtverhältnis reduziert, in dem für komplexere ideologische Mechanismen der Vermittlung kein Platz mehr war. In seiner extremsten Ausprägung drückt sich dies in triumphalistischen Konstruktionen aus, denen zufolge sich das Kapital auf einer ständigen Flucht vor der Arbeiterklasse befindet. Alle weiteren Elemente und Krisenursachen bleiben dabei ausgeblendet.  

Um diese Fragen zu diskutieren haben wir, die gruppe k-21, als Gastreferenten Felix Kurz aus Berlin eingeladen. Er ist Mitübersetzer des Buchs "Den Himmel stürmen", mit dem zum ersten Mal auf Deutsch eine umfassende Darstellung der Theoriegeschichte des Operaismus vorliegt. Er wird es bei der Abendveranstaltung am Freitag (31.03.06) vorstellen und darüber hinaus Thesen zum gegenwärtigen Gebrauchswert und zur Kritik des Operaismus formulieren. 

Im Anschluss daran wollen wir am Samstag (01.04.06) im Rahmen eines halbtägigen Seminars wesentliche Aspekte der operaistischen Theorie in drei Themenblöcken kritisch diskutieren.

Abendveranstaltung:

Der Operaismus: Eine Theorie der Praxis des Klassenkampfes oder triumphalistischer Proletkult? Freitag, 31.03.06, 20:00 Uhr, RMB-Infoladen, Hamburger Allee 35, Frankfurt am Main (Bockenheim)

Seminar:

Samstag, 01.04.06, 14:30 – 20:30 Uhr, ebenfalls im RMB-Infoladen
Themenblöcke:
1. Maschinerie und Klassenkampf. Kommunismus bedeutet nicht mehr „Freizeit“, sondern ein anderes Leben und eine andere Form der Arbeit.
2. Klassenkampf als Modernisierer des Kapitals oder als Motor des Kommunismus?
3. Ist der Operaismus noch zu retten? Oder brauchen wir eine neue Theorie der Kämpfe und des antagonistischen Bruchs mit Kapital und Staat?

Buch: Wright, Steve 2005: Den Himmel stürmen. Eine Theoriegeschichte des Operaismus. Verlag: Assoziation A, 260 S., 18.00 €

Texte: Auf unserer Website veröffentlichen wir Texte, auf die wir uns bei der Veranstaltung und dem Seminar beziehen werden.

gruppe k-21
k21@free.de