Debatte über die ideologischen Grundlagen
einer linken Partei in Kosova

Agon Hamza: "Die Arbeiter sind die Opfer der Privatisierung"

von Max Brym
03/06

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Am 22. Februar schrieb Agon Hamza einen Artikel zu den „ideologischen Grundlagen“ linker Politik in Kosova in der Zeitung Koha Ditore. Hamza knüpft in seinem Beitrag an den Artikel von Besnik Pula an, der einige Tage vorher in dieser Zeitung, die Prämissen linker Politik in Kosova zu beschreiben versuchte. Auslöser für diese Debatte war die Teilnahme von Hashim Thaci an einem Kongreß der „Sozialistischen Internationale“ (Vereinigung von sozialdemokratischen Parteien) in Athen. Seit diesem Besuch bezeichnet sich die PDK als „sozialdemokratische Partei der Mitte“ und die LDK als „konservative Partei der Mitte“. Bereits Besnik Pula machte sich in seinem Artikel die Mühe diese Eigenbezeichnung als inhaltsleer zu charakterisieren. Pula stellte die Frage, ob mit dem „Bezug auf das sozialdemokratische Zentrum die Richtung von Karl Kautsky im Gegensatz zu Rosa Luxemburg und im formalen Gegensatz zur Richtung um Eduard Bernstein vor dem ersten Weltkrieg“ gemeint sei. Pula verneinte dies und unterstellte der PDK „leere Floskeln“ zu verwenden. Dennoch begrüßen sowohl Pula wie Hamza, die dadurch ausgelöste Debatte über „linke Politik“ in Kosova. Der neue Artikel von Agon Hamza vertieft die Fragestellung nach einer wirklich linken Politik, die Pula aufgeworfen hatte. Zunächst beschäftigt sich Hamza mit den Begriffen Ideologie, Macht und Ziele.

Ideologie, Macht und Ziele

Nach Hamza bestimmt die Ideologie die Basis einer politischen Partei und damit ihre Ziele. Die Organisation ist für Hamza nur ein Mittel um ihre Ziele zu verwirklichen. Ohne das Streben nach realer politischer Macht kann keine linke Partei ihre Ziele verwirklichen. In Anlehnung an Max Weber stellt Hamza allerdings das Problem zur Debatte, „dass die politische Macht von den Idealen weg zur Durchsetzung egomanischer Neigungen und zur autoritären Staatsführung degenerieren könnte“. Die negative Variante ist für Hamza ein Bruch mit dem „Selbstverständnis linker Politik“. Für das heutige Kosova mit Blick auf die Parteienlandschaft diagnostiziert Hamza: „Die politische Szene Kosovas hat keine ideologisch-wissenschaftlich unterlegte Orientierung. Ihre Selbstbezeichnungen sind nur verbaler Natur“. Dieser Zustand ist für Hamza unerträglich, er fordert dringlich die Schaffung einer linken Partei in Kosova.

Warum eine linke Partei?

Für den Autor erfordert die gesellschaftliche Realität in Kosova radikale linke Perspektiven. Eine Linke hat nach Hamza die Aufgabe, die gesellschaftlichen Probleme aufzugreifen, Antworten zu geben und Ziele zu formulieren. Hamza beschreibt die Lage folgendermaßen: „Die kosovarische Ökonomie ist Bestandteil der spätkapitalistischen Weltrealität. In Kosova ist der freie Markt ohne soziale Absicherung gegeben. Ideologisch dominiert der Neoliberalismus mit seinen Versprechungen. Die Privatisierung der Industrie hat die Arbeiter zu Opfern des Neoliberalismus gemacht. Die Entindustrialisierung Kosovas hat die Arbeiterklasse schwer getroffen. Offiziell sind über 50% der Menschen ohne Arbeit.“ Für Hamza sind die offiziellen Gewerkschaften mit ihrer Führung mitverantwortlich für diese Katastrophe. Hamza kritisiert die „Gewerkschaftsbürokratie“ wegen ihrer Teilnahme und Zustimmung zum Privatisierungsprozess. Hamza unterstellt der Gewerkschaftsführung „nirgendwo Arbeiterinteressen zu verteidigen“. Scharf kritisiert Hamza die Ignoranz gegenüber „den 16% völlig verarmten in Kosova, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen“. Hamza stellt sich eine linke Partei auf prinzipiell antikapitalistischer Basis vor, die überall die Interessen der Unterdrückten und Beleidigten vertritt. Die Basis ist für Hamza ein Bündnis zwischen Arbeitern und Studenten. Denn der Neoliberalismus ruiniert in Kosova das öffentliche Bildungssystem, wohingegen immer mehr Privatschulen für Begüterte entstehen, in denen verwertbares fragmentiertes Fachidiotentum gezüchtet wird. Hamza denkt in seinem Artikel über den Kapitalismus hinaus, er fordert eine breite Debatte über eine andere Gesellschaft.

Voraussetzungen für eine linke Partei in Kosova

Hamza, wie vor ihm schon Pula, gehen von der Tatsache aus, dass in Kosova in der Vergangenheit die Linke vom „Titoismus einerseits und vom Enverismus andererseits (Anhänger Enver Hoxhas) dominiert war“. Für Hamza ist es unumgänglich mit dieser Tradition radikal zu brechen. Ebenso lehnt Hamza vehement sozialdemokratische Politik ab. Auf europäischer Ebene sieht Hamza eine tiefe Krise der Linken und ein „Ende des sozialdemokratischen Projekts“. Hamza schreibt: „In Europa wurden aus den sozialdemokratischen Parteien Vereinigungen, die vollständig die Prämissen des Neoliberalismus verinnerlichten und oftmals mit den Konservativen koalieren“. Für Kosova hält Hamza jedes „sozialdemokratische Projekt für Rosstäuscherei, denn die klassische Sozialdemokratie gibt es nicht mehr und wenn es sie gäbe, wäre dieses Projekt für Kosova aufgrund der enormen sozialen Gegensätze ein „unrealistisches Projekt“. Ebenso gibt es für Hamza in Kosova keine Basis für eine bürgerlich liberale Partei. Er begründet dies mit den enormen sozialen Gegensätzen und der fehlenden Tradition des Liberalismus in Kosova. Allerdings gibt es in Kosova nach Hamza eine rechte Tradition und politische Parteien, die in der Tradition des Faschismus stünden. Deshalb hält Hamza den Antifaschismus für ein sehr wichtiges Aufgabengebiet der Linken in Kosova. Von rein moralischem Antifaschismus hält Hamza hingegen wenig. Er betont die Notwendigkeit, die soziale Frage mit dem Kampf gegen Rechts zu verbinden. Hamza zitiert in dem Artikel Max Horkheimer, Horkheimer schrieb: „Wer vom Faschismus spricht und nicht vom Kapitalismus sollte besser schweigen“.

Resümee

Die Autoren Pula und Hamza stehen in enger Verbindung mit den Aktivitäten der LPV (Bewegung für Selbstbestimmung). Auch in dem Artikel von Hamza wird das Recht auf nationale Unabhängigkeit für Kosova eingefordert. Sehr stark wird das aber mit den Interessen aller Arbeiter auf dem Balkan verbunden, die ihren „nationalen Hader“ beenden müssten, um sich leichter um ihre sozialen Belange kümmern zu können. Ohne Akzeptanz des „Selbstbestimmungsrechts“ ist diese neue Verbindung der Arbeiter allerdings nicht zu haben. Die Debatte, die in Kosova in Teilen der Intelligenz und bei Arbeitern läuft ist ein wichtiger und interessanter Faktor. Diese Debatte wird hauptsächlich durch die LPV initiiert. Die LPV verfügt über rund 10.000 Mitglieder in Kosova. Das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Es ist die Funktion einer wirklichen Linken in Europa an den Debatten in Kosova teilzunehmen, denn die Leute suchen den internationalen Meinungsaustausch. Aber genauso wichtig ist es, konkret die LPV in ihrem Kampf gegen jede Form von Kolonialismus und für das Selbstbestimmungsrecht zu unterstützen.

Quellen: Koha Ditore 12.2.06 22.2.06 http://www.vetevendosje.com  http://www.Kosova-Aktuell.de  


 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor am 28.2.2006 zur Verfügung gestellt. Max Brym arbeitet als freier Journalist.