WASG Berlin beschließt eigenständigen Antritt zur Abgeordnetenhauswahl und spricht sich weiterhin für die Neubildung einer Linkspartei aus.

von Siemen Dallmann, Stefan Müller, Lucy Redler, Rouzbeh Taheri
03/06

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Am vergangenen Wochenende hat der 4. Landesparteitag der WASG Berlin nach mehrstündiger Debatte, an der sich über ein Drittel der rund 130 Delegierten beteiligen, für einen eigenständigen Antritt zu den Abgeordnetenhauswahlen am 17. September 2006 votiert. 91 Delegierten stimmten dem Leitantrag des Landesvorstandes zu, 39 dagegen und vier enthielten sich.

Die Berliner L.PDS ist in den vergangenen Monaten keinen Millimeter den Forderungen der WASG entgegengekommen: Rückkehr in den Kommunalen Arbeitgeberverband und Übernahme des Tarifvertrages öffentlicher Dienst für Berlin, Rücknahme der Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich der vergangenen Jahre, keine weiteren Privatisierungen, Stopp des Stellenabbaus, Entwicklung von Alternativen zu Ein-Euro-Jobs. Wir haben die L.PDS aufgefordert, einen Kurswechsel einzuleiten und den Widerspruch zwischen linkem Anspruch und realer Politik in der Landesregierung aufzulösen. Ein solcher Aufbruch in Worten und Taten wäre für uns Grundlage eines gemeinsamen Wahlantritts gewesen.


Doch weder in den Debatten der vergangenen Monate noch auf den gemeinsamen öffentlichen Foren der vergangenen Woche hat sich die L.PDS bewegt. Alle Aussagen der L.PDS, über die Koalition mit der Berliner SPD nachzudenken, wurden am Wochenende vom Landesvorsitzenden Klaus Lederer für nichtig erklärt: „Ohne uns soll keine Regierungsbildung möglich sein.“ Zugleich wurde Harald Wolf, der nie einen Zweifel an einer weiteren Koalition mit der SPD gelassen hat, zum Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahlen nominiert.


Statt auf Regierungsbeteiligung, in der wir lediglich ausführendes Organ einer neoliberalen Bundesregierung sein können, setzen wir auf parlamentarische und außerparlamentarische Opposition. Wir stehen dabei auf der Basis des Gründungsprogramms der WASG: „An einer Regierung in Land oder Bund werden wir uns nur dann beteiligen, wenn dies zu einem grundlegenden Politikwechsel in Richtung unserer Forderungen führt.“ (Gründungsprogramm der Bundes-WASG).

Der Beschluss unseres Landesparteitages wird zwischen dem 28. Februar und dem 7. März den 850 Mitgliedern des Berliner Landesverbandes zur Urabstimmung vorgelegt. Findet sich eine Mehrheit für den eigenständigen Wahlantritt, wovon wir ausgehen, wird die WASG Berlin auf ihrem 5. und 6. Landesparteitag am 22. und 23. April 2006 ihre Landesliste aufstellen und ihr Wahlprogramm verabschieden.

Für eine neue Linkspartei

Der Landesvorstand bedauert es sehr, dass die Berliner L.PDS mit ihrer uneinsichtigen Politik und dem Wunsch nach Fortsetzung der Koalition mit der Berliner SPD den bundesweiten Neuformierungsprozess der Linken gefährdet. Auch haben wir kein Verständnis dafür, dass Bodo Ramelow nun die Berliner L.PDS auffordert, die Gespräche mit uns einzustellen. Wir selber werden weiter dafür kämpfen, dass es zur Bildung einer neuen linken Partei in der Bundesrepublik auf antineoliberaler Grundlage kommt. Im beschlossenen Leitantrag heißt es: „Wir treten für die Neuformierung einer bundesweiten Linkspartei unter Einschluss der Linkspartei.PDS, anderer Linker und Kräften der außerparlamentarischen, sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen ein.“ Wir stehen mit dieser Position auf dem Boden des Bundesparteitages vom Juli 2005 in Kassel und der anschließend durchgeführten Urabstimmung. Wir sehen dabei, wie oben dargestellt, Regierungsbeteiligungen – zumal mit der neoliberal gewendeten Sozialdemokratie – als Hindernis. „Zur Verantwortung linker Politik in Berlin gehört, dass nicht Lösungskompetenz vorgespiegelt wird, wo kapitalistische Verhältnisse eine politische, zumal eine stadtpolitische Lösung gar nicht zu lassen. Eine Übernahme von ‚Regierungsverantwortung’, wo ein tatsächlicher Einfluss auf die Entwicklung gar nicht besteht, ist in höchstem Maße verantwortungslos. Denn auf diesem Wege wird die Suche nach wirklichen Lösungen blockiert und die Verarmung nicht gemildert, sondern nur regierbar gemacht. Die Kraft eines ehrlichen und solidarischen "Nein", die eine gesellschaftliche Auseinandersetzung erzwingt, ist dagegen verantwortlich und konstruktiv.“ (Leitantrag) In diesem Sinne wird bei einem erfolgreichen Wahlantritt auch unsere Abgeordnetenhausfraktion agieren.


Das in den vergangenen Tagen immer wieder hervorgebrachte Argument, wir würden mit einem Wahlantritt den Status unserer Bundestagsfraktion gefährden, ist nicht stichhaltig. Die WASGMitglieder im Bundestag sind auf den Listen der L.PDS in den Bundestag eingezogen und nicht als eigenständige Partei. Selbst Bodo Ramelow führt dies in seinem heutigen Interview im Tagesspiegel nicht mehr als Bedrohung an.


Der Landesvorstand ist von der herablassenden Haltung des geschäftsführenden Bundesvorstandes der WASG enttäuscht. Statt die Delegierten unseres Parteitages als „politisch Kurzsichtig“ zu bezeichnen, hätte sich der Bundesvorstand besser an der Debatte auf dem Parteitag beteiligen sollen. Offenbar konnte der Bundesvorstand den real existierenden Widerspruch – selber die Regierungspolitik des Berliner Senats massiv zu kritisieren, zugleich aber keine Lösung für den Konflikt bereit zu halten – nicht auflösen. So entzog sich der geschäftsführende Bundesvorstand trotz Einladung der Diskussion auf unserem Landesparteitag. Wir stimmen mit dem Bundesvorstand aber darin überein, dass die Neubildung der Linken nicht aufzuhalten ist. Das ist auch nicht unser Ziel! Wir werden mit einer Abgeordnetenhausfraktion die Inhalte der WASG, nämlich - eine Interessenvertretung der lohnabhängig Beschäftigten, der Erwerbslosen, der sozial Schwachen zu sein, - für eine linke Sammlungsbewegung und politischen Pluralismus in der neuen Partei einzutreten, - und einen starken Bezug zu den sozialen Bewegungen und außerparlamentarischen Initiativen zu haben, in den Vereinigungsprozess der Linken mit materiellen Ressourcen und gewonnenem politischen Gewicht einbringen. Wir stimmen dem Bundesvorstand zu, dass „die Formierung einer neuen politischen Linken mitten in einer gesellschaftlichen Krisen- und Umbruchkonstellation ... nicht widerspruchsund konfliktfrei“ sei. Das bedeutet aber auch, Konflikte aushalten zu können, ohne gleich das eigentliche Ziel in Frage zu stellen. Hierzu sind wir und der Bundesvorstand aufgefordert.
 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien am 1.3. 2006 auf der Website: www.Linkspartei-Debatte.de