Texte zum 8. März Texte zur Frauenbefreiung

Strategien zur Frauenbefreiung
03/06

trend
onlinezeitung
Frauen sind heute sichtbarer als jemals zuvor. Frauen sind solide Streikende, wie wir letztes Jahr während der Streikwelle in Österreich gesehen haben. Frauen sind prominente SprecherInnen bei den Sozialforen, denken wir an Arundhati Roy, Vandana Shiva, Susan George und andere. Noch entscheidender ist aber,dass viele junge Frauen Führung in der antikapitalistischen und in der Antikriegsbewegung übernehmen. Vor allem junge Schülerinnen gingen am 15.Februar 2003 gegen den Irak-Krieg auf die Straße, die Demonstration zum ersten Jahrestag des Irak-Krieges am 20.März wurde von jungen Frauen der muslimischen Jugend Österreich angeführt. In welcher Weise können wir auf dieser guten Entwicklung aufbauen?Welche Strategien zur Frauenbefreiung sind am Erfolg versprechendsten?

„Feminismus ist ein Muss!“,damit endet und beginnt die Erklärung des feministischen Forums zum Austrian Social Forum (ASF)2003 in Hallein und 2004 in Linz. Aber was ist Feminismus? In der Erklärung von Hallein heißt es:„Feminismus bedeutet den grundlegenden Auftrag,die Unterdrückung und Verdrängung von Frauen aufzuzeigen und zu verändern.“Und das ist es in der Tat,was die meisten AktivistInnen unter Feminismus verstehen:der Kampf gegen Frauenunterdrückung. JedeR der/die die Welt verändern will,muss auf der Seite dieser AktivistInnen stehen.Allerdings verbergen sich hinter diesem sehr weitgefassten Verständnis von Feminismus eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Vorstellungen,wie man Frauenbefreiung tatsächlich erreichen kann.

Befreiung der Wenigen?

Viele vertreten die Sichtweise, dass Frauenbefreiung im Rahmen der bestehenden Verhältnisse möglich ist. Sie betonen in erster Linie die Frauenfrage als eine Frage der richtigen Ideen und des richtigen Bewusstseins –sowohl für Männer als auch für Frauen! Wie es in einem Arbeitskreis während des 2.ASF in Linz diskutiert wurde besteht die dringlichste Aufgabe darin, aufzuklären ,was Feminismus ist.„Feminismus muss wieder gesehen werden als gelebte Praxis und politisches Mittel der Erkenntnis und Gesellschaftskritik “,heißt es in der Halleiner Erklärung. ies muss sich in allen Bereichen ausdrücken, z.B.in einer konsequenten Sprachregelung. Das Problem besteht hier nicht darin, Gesellschaftskritik zu üben,sondern darin, sie losgelöst von den materiellen, ökonomischen Verhältnissen zu sehen.Dies bestimmt aber die Strategie des Handelns. So wurde beim ASF öfters geäußert, man müsse zunächst die Frauenfrage lösen, danach könne man die „Klassenfrage “ angehen. D.h. konkret,den Kampf um Frauenbefreiung als völlig abgetrennt vom ökonomischen Kampf zu sehen. Man kann z.B. die Präsidentschaftskanditatur einer Benita Ferrero-Waldner als Fortschritt für Frauen feiern, ohne sich damit auseinanderzusetzen, welche materiellen Konsequenzen Ferrero-Waldners Politik für die Mehrheit der Frauen in Österreich besitzt. Dieser Ansatzpunkt schlägt sich nieder im sogenannten „neuen Feminismus “.Dieser vermittelt das Bild einer erfolgreichen Karrierefrau, die gut verdient, Arbeit und Kinder unter einen Hut bringt, eine phantastische Geliebte ist und sich überdies im „feministischen Diskurs “auskennt.So feiert die (ehemalige) Ikone der Feministinnen, Alice Schwarzer, die „neue Lässigkeit “: „Jetzt machen Frauen eigene Karriere und eigenes Geld. “Die Botschaft dahinter ist klar. Frauen können es schaffen, wenn sie nur wollen.Condolezza Rice oder Hilary Clinton werden als Heldinnen gefeiert. Schaffen Frauen es nicht, st es ihr individuelles Problem. Bestenfalls werden noch unterstützende Massnahmen, wie Quoten und „Halbe-Halbe “ gefordert, um den Männern zumindest einen Teil der Macht zu entreißen. Der „neue Feminismus “hat allerdings mit der Lebenswirklichkeit der überwältigenden Mehrheit von Frauen rein gar nichts zu tun! 47-52% aller Beschäftigten sind Frauen, aber nur 3,2% sind im Top-Management beschäftigt. Der Weg aus der materiellen und ideologischen Unterdrückung im Rahmen des Systems steht nur wenigen Frauen offen. Demzufolge fragte auch eine Gewerkschafterin beim ASF zu Recht:„Was heißt jetzt Feminismus eigentlich für die durchschnittliche Arbeiterin?“ Frauenunterdrückung manifestiert sich auf vielerlei Weise. Dies ist aber nicht in erster Linie ein Produkt falscher Ideen oder falschen Bewusstseins, die durch einen „Diskurs “ausgeräumt werden können. Hinter Frauenunterdrückung steht eine ökonomische Basis,die auch „Frauenzusammenhänge “ strukturiert,d.h.sie in Klassen mit unterschiedlichen Interessen teilt. Wir wollen nicht die Befreiung einiger Frauen, sondern die Befreiung aller Frauen!

Der Feind im Bett?

Eng verwandt mit der Vorstellung, man könne Frauenbefreiung im Rahmen der bestehenden Verhältnisse erreichen sind autonome Strategien. Diese gehen davon aus, dass ein gemeinsamer Kampf von Frauen und Männern um ein Ende der Frauenunterdrückung nicht möglich ist. Die praktische Konsequenz liegt in der Schaffung von autonomen Frauenräumen, von autonomen Aktionsformen,z.B. eigenen Demonstrationen, frei von patriarchaler Dominanz und allen Unterdrückungsmechanismen, die dieser zugrunde liegen.Nun ist es nicht unbedingt falsch, Frauenräume, wie z.B.bei den Sozialforen einzufordern, damit Frauen sich untereinander austauschen und sich freier ausdrücken können. Problematisch wird es dann, wenn die Abtrennung von Frauen in autonome Bereiche,Foren und Aktionsformen zur Strategie erhoben wird. Denn Grundlage dieser Spielart von Feminismus, wie auch der oben beschriebenen, bildet die Vorstellung, dass Frauenunterdrückung in der Dominanz der Männer liegt (Patriarchatstheorie), alle Männer real von Frauenunterdrückung pro ?tieren und es Frauenunterdrückung schon immer gegeben hat. Folglich liegt natürlich im wesentlichen „der Feind im Bett “,ein gemeinsamer Kampf mit Männern um Frauenbefreiung ist nicht möglich. Frauen müssen sich daher zusammenschließen und soviele Räume erobern, wie möglich. Allerdings sind eine ganze Reihe von Widersprüchen mit dieser Strategie verbunden. Wenn männliche Dominanz die Ursache von Frauenunterdrückung ist, wie erklärt man dann die dramatische Änderung der Stellung der Frauen in der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten? Wenn es Frauenunterdrückung aufgrund männlicher Dominanz immer schon gegeben hat, kann man dann Frauenbefreiung überhaupt jemals erreichen? Wenn wir ehrlich sind, sehen die wenigsten Frauen eine Perspektive, „dem Feind im Bett “durch Ausgrenzung der Männer aus politischen und anderen Lebensbereichen zu entkommen. Und letztlich verschleiert auch der autonome Ansatz die Tatsache, dass die Lebensrealität von Frauen durch Klassengegensätze bestimmt ist.

Die Befreiung aller!

Im Gegensatz dazu sehen wir Frauenunterdrückung nicht als Produkt unverrückbarer Männerdominanz, sondern von gesellschaftlichen, materiellen Ursachen. Im Kapitalismus wurzelt die Frauenunterdrückung im Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privatisierter Reproduktion der Arbeitskraft. Für den Kapitalismus ist die Familie unentbehrlich, um die Kosten für die Aufzucht der nächsten ArbeiterInnengeneration und die Versorgung von Alten und Kranken zu tragen. Diese Reproduktionsarbeiten werden von Frauen geleistet, weil deren Arbeitskraft meist geringer entlohnt wird als die ihrer männlichen Partner – die meisten Chefs (egal ob männlich oder weiblich) befürchten Pro ?tverluste durch Schwangerschaften in der Belegschaft. Mit jeder Kürzung von sozialen Leistungen wird die Familie als Auffangbecken für Kinder, Alte und Kranke wichtiger und Frauen werden immer stärker dazu aufgefordert, diese Fürsorge zu übernehmen.

Der gesamtgesellschaftliche Reichtum war noch nie in der Menschheitsgeschichte so groß wie heute.Frauenbefreiung wäre möglich, wenn ein Teil dieser Ressourcen für die Vergesellschaftung von Kinderversorgung und Hausarbeit verwendet würde. Dieser Reichtum wird heute zwar von der übergroßen Mehrheit produziert, aber kontrolliert von einer kleinen Minderheit,deren Politik der Logik zur Profitsteigerung folgt.Aufgrund der Krisenhaftigkeit dieses Wirtschaftssystems wird die notwendige Sozialisierung der Reproduktion im Kapitalismus nie stattfinden.Nur eine demokratische Planung der Wirtschaft,die sich nach den Bedürfnissen der Mehrheit richtet, kann die Möglichkeit dazu eröffnen. Ein Großteil der weltweiten ArbeiterInnenklasse sind Frauen Mit dem massenhaften Eintritt in die ArbeiterInnenklasse steigen ihre Möglichkeiten zum Kampf gegen Frauenunterdrückung.Der Schlüssel zur Frauenbefreiung liegt nicht im Geschlechterkampf,sondern im Kampf gegen die kapitalistische Klassengesellschaft. Die wahren Pro ?teure von Frauenunterdrückung sind nicht die Männer der ArbeiterInnenklasse, sondern das kapitalistische System. Der sexistische Blödsinn,dass Frauen von einem anderen Planeten kämen,v ergiftet persönliche und sexuelle Beziehungen sowohl für Männer als auch für Frauen. Männer wie Frauen leiden in ArbeiterInnenfamilien unter niedrigen Löhnen und dem Mangel an Kinderbetreuung und sozialen Einrichtungen.

Trotzdem ist es eine Tatsache, dass es spezifische Auswirkungen von Kapitalismus auf Frauen gibt. Diese Auswirkungen sind zwar in ökonomischen Verhältnissen begründet, manifestieren sich aber in verschiedensten Bereichen durch Unterdrückung, Diskrimierung und Gewalt. Deshalb ist der Kampf gegen Sexismus und Frauenunterdrückung ein aktueller Kampf. Wir müssen uns jetzt wehren! Natürlich können wir nicht bei der Symptombekämpfung stehen bleiben. Nur wenn wir die einzelnen Kämpfe gegen Sexismus, Rassismus, Krieg und Ausbeutung zusammenführen und gegen das zugrunde liegende System richten, können wir erfolgreich sein. Der Weg nach vorne für Frauen und Männer ist der gemeinsame Kampf für den Sturz des globalen Kapitalismus und für den Aufbau einer klassenlosen und gerechten Welt ohne Frauenunterdrückung. Die Chancen dazu stehen nicht schlecht, gerade weil Frauen eine militante Rolle in der antikapitalistischen und in der Antikriegsbewegung spielen. Viele ziehen die Schlussfolgerungen, dass die Unterdrückung und die Ausbeutung, der sie ausgesetzt sind, Resultat ein und desselben Systems sind. Die Frauenbewegung in den 70er Jahren war ein großer Schritt nach vorne.Aber mit ihrem Abschwung wurde die „Frauenfrage “zunehmend von der Bewegung als Ganzer abgetrennt.  Persönliche Identitäten, autonome Räume betonten individuelle und kollektive Unterschiede, statt auf die Einheit einer ArbeiterInnenklasse zu setzen, die Angriffen ausgesetzt ist.

Die Bewegung heute ist anders. Die antikapitalistische und antiimperialistische Natur der globalen Bewegung hebt die Politik und ihre Handlungsformen auf ein wesentlich radikaleres Niveau. Die Betonung liegt auf der Einheit gegen Kapital und Krieg. Deswegen können viele junge Aktivistinnen mit den Schlußfolgerungen der klassischen Frauenbewegung nicht so viel anfangen. Heute kämpft unsere Bewegung nicht nur für Gleichheit mit Männern, sondern für die Befreiung der gesamten Menschheit – von Männern und Frauen!!

von Kerstin Andrä Marobela

Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Spiegelung von
http://www.linkswende.org/zeitung/generated/Linkswende_Nr_84/article573.html