Bericht vom WASG-Länderrat in Frankenthal
Zur Diskussion über Parteibildungsprozess und die bundesweite Urabstimmung

von Peter Köster, Leonie Blume, Wolfgang Marschall und Heino Berg
03/06

trend
onlinezeitung
Anwesend: 44 Stimmberechtigte, davon 11 aus dem BuVo, 33 aus den Ländern
Gäste (mit Rederecht): u.a. H. Meves, Peter Vetter, Janine Wissler

Tagesordnung:
1. Parteibildungsprozess
2. Programmatische Entwicklung
3. Bericht Bundestagsfraktion
4. Bundesparteitag
5. Anträge

„Der WASG-Länderrat, das höchste Gremium zwischen den Parteitagen, hatte hinter verschlossenen Türen getagt.“ (FR 6.3.) Die Presse war also nicht anwesend. Der ursprünglich angekündigte Auftritt von Lafontaine fand „wegen Abstimmungsproblemen mit seinem Büro“ nicht statt.

Der Bundesvorstand hatte dem Länderrat keine einzige Beschlussvorlage unterbreitet.
Grundlage der Beratungen waren daher ein Antrag aus Mecklenburg-Vorpommern, ein Dringlichkeitsantrag aus Schleswig-Holstein sowie ein Initiativ-Antrag von 16 Länderratsdelegierten aus Anlass der Forderung von Bodo Ramelow, den Berliner Landesverband aufzulösen.

Der Bericht von Klaus Ernst zum Parteibildungsprozess begann mit der Behauptung, der Länderrat habe auf seiner Sitzung in Markkleeberg das Kooperationsabkommen beschlossen, da er dem „wortgleichen Leitantrag des BuVo“ zustimmt habe. Dort sei die Absicht bekundet worden, konkurrierende Landeskandidaturen zu verhindern. Der Diskussionsprozess über die Parteibildung sei nicht mehr in Bezug auf das Ziel „ergebnisoffen“, sondern nur hinsichtlich der Frage, „ob die Vereinigung funktionieren kann“.

Angesichts der Probleme, die durch die Beschlüsse der LV Berlin und MV entstanden seien und auf die sich Presse gierig gestürzt habe, hätten 3 Landesverbände eine bundesweite Urabstimmung beschlossen, um deutlich zu machen, dass die Mehrheit der Mitglieder für die „Fortsetzung des Diskussionsprozesses“ sei. Die Urabstimmung sei auch nötig, weil der bevorstehende Bundesparteitag und seine Delegierten die Mehrheitsverhältnisse der Partei nicht repräsentierten. Die Urabstimmung liefere jedoch nur ein Meinungsbild. Der Bundesvorstand werde anschließend bekannt geben, wie es zu interpretieren sei und welche Konsequenzen daraus gezogenwerden müssten.

Am Ende der Diskussion mit der LPDS sei eine weitere Urabstimmung nötig.

Die WASG sei durch die Debatten über Berlin „in die Defensive“ geraten, nach dem rasanten Mitgliederzuwachs hätte die Partei in der letzten Zeit Mitglieder verloren.

Dann berichtete Biggi Ostmeier aus der gemeinsamen Steuerungsgruppe. Die Diskussion dort verlaufe sehr konstruktiv, allerdings würden die WASG-Mitglieder darin schlechter vorbereitet sein als die LPDS-Seite.

Aus der Debatte über diese Berichte:

Peter Köster aus Bremen betonte, dass es in der Diskussion über die Berliner Abgeordnetenhauswahlen um die Glaubwürdigkeit der WASG insgesamt gehe, die längerfristig entscheidend sei für einen wirklichen Erfolg des Projekts einer Vereinigten Partei. Da sich die Berliner LPDS keinen Millimeter bewegt habe, sei die eigenständige Kandidatur unvermeidlich geworden.
Der bundesweite Urabstimmungstext wiederhole im Grunde nur eine Frage, die bereits in der vorherigen UA beantwortet worden sei. Nicht das Ziel einer Vereinigung der Linken sei umstritten, sondern die Frage, auf welcher Grundlage sie realisiert werden könne.

Er stellte dann folgenden Initiativantrag von 16 Länderratsdelegierten vor:

„Der Länderrat weist die Forderung von Bodo Ramelow und anderen führenden Vertreter der Linkspartei.PDS, den Berliner Landesverband der WASG wegen seiner eventuellen Entscheidung für einen eigenständigen Wahlantritt mit administrativen oder finanziellen Mitteln unter Druck zu setzen und des Sektierertums zu bezichtigen, als Anmaßung und Gefährdung der Diskussion über eine gemeinsame Parteineugründung zurück.

Die geplante Urabstimmung vor dem Parteitag schafft keine Klärung der Probleme des Parteibildungsprozesses und darf nicht für solche Ausgrenzungen missbraucht werden.“


Der Antrag wurde von folgenden Delegierten eingebracht:
L. Blume (Hessen), L. Redler und S. Mülller(Berlin), H. Berg und P. Köster (Bremen), L.G. Beutin und W. Marschall (Schleswig-Holstein), M. Hundert und M. Hauser (Sachsen), P. Zühlke (Mecklenburg-Vorpommern), H.Ehinger, B.Ostmeyer, D. Ludewig (BaWü), N. Hackbusch und Z. Masudi (Hamburg).

Marc Mulia (NRW) kündigte an, er werde bei der Urabstimmung mit Ja stimmen, sich damit aber gegen Privatisierungen und Sozialabbau und für einen eigenständigen Antritt der Berliner WASG aussprechen.

Stefan Müller (Berlin) betonte, dass sich die eigenständige Kandidatur der Berliner nicht gegen die LPDS richte, sondern gegen die SPD, die den Sozialabbau vorantreibe. Solange dies von der LPDS in der Regierungsverantwortung mitgetragen werde, könne man ihre Liste nicht unterstützen.

Lucy Redler (Berlin) wies darauf hin, dass der Leitantrag des BuVo zum BPT auf die bisherigen Bedingungen der WASG an eine Regierungsbeteiligung (also das Nein zu Privatisierung und Sozialabbau) verzichte. Sie sei nicht dafür, dass die Linke ewig in der Opposition bleibe, bestehe aber auf einem Politikwechsel, anstatt die Politik des Kleineren Übels mitzutragen. Redler ging kritisch auf eine Pressemitteilung aller ostdeutscher Vorstände der Linkspartei von Anfang März ein, in der diese ihren Willen bekundeten, auch in anderen Ländern Regierungsbeteiligungen mit der SPD anzustreben und sich positiv auf Berlin und MV bezogen.

Leonie Blume (Hessen) wie darauf hin, dass in der bisherigen Form der Parteibildung die sozialen Bewegungen nur ungenügend berücksichtigt werden. Das ursprünglich geplante Vorhaben, die Steuerungsgruppe zu 1/3 aus Unabhängigen zu besetzen, sei nicht umgesetzt worden.

Heino Berg (Bremen) erläuterte, warum sich 8 Landesvorstände gegen die geplante Urabstimmung ausgesprochen haben. Ein Ja zur Fortsetzung der Diskussion mit der LPDS werde schon jetzt als Zustimmung zu einer bedingungslosen Fusion und zum Kooperationsabkommen III interpretiert. Damit werde das Entscheidungsrecht der Landesverbände über Landeslisten und die Beratung des kommenden Parteitags unterlaufen. K. Ernst habe die Anmaßungen von B. Ramelow nicht zurückgewiesen, sondern eine Auflösung des Berliner Landesverbandes offen gelassen.

Thomas Händel wandte sich gegen Diffamierungen des Bundesvorstands bzw. einzelner seiner Mitglieder. Er habe das Ultimatum von B. Ramelow in der Presse zurückgewiesen.

Mehrere Delegierte bzw. Gäste aus Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg beklagten allgemein, der öffentliche Streit sei im Wahlkampf, der ansonsten gut verlaufe, hinderlich.

Thies Gleiss (BuVo) meinte, sozialistische Ziele als solche seien als Leitidee laut Meinungsumfragen in der Bevölkerung inzwischen mehrheitsfähig. Die Bundesurabstimmung lehnte er ab, weil ihre Botschaft, also ein bloßes „weiter so!“ ebenso unattraktiv wie überflüssig“ sei.

Rainer Spilker (BuVo) sagte, dass der LV NRW die Berliner nur für den Fall zum Verzicht auf eine Kandidatur aufgerufen habe, dass sich die LPDS gegen Privatisierungen und Sozialabbau ausspreche.
Da dies nicht geschehen sei, müsse man die Entscheidung der Berliner respektieren, ohne mit Ausgrenzungen oder mit „Finanz- oder Liebesentzug“ zu drohen.

Philip Zühlke (Mecklenburg-Vorpommern) betonte, in MV sei man nicht gegen eine gemeinsame Linkspartei, wohl aber gegen eine Vereinigung von oben. Die WASG wolle in MV nicht gegen die LPDS antreten, sondern durch eigene Kandidatur die vielen Nichtwähler erreichen. Die Landesverbände müssten selbst über Kandidaturen entscheiden können.

Janine Wissler (Gast aus Hessen) sagte, dass der Streit mit der LPDS notwendig sei, dass er aber nicht öffentlich ausgetragen werden dürfe. Die Option, nicht gemeinsam mit der LPDS anzutreten, stehe nicht zur Verfügung. Im hessischen Kommunalwahlkampf mache man gute Erfahrungen mit den bestehenden Listenverbindungen.

Helge Meves (Gast aus Berlin) antwortete auf Leonie Blume, dass sich die Berliner WASG durch ihre Politik wichtige Bündnispartner aus sozialen Bewegungen verspielt habe, z.B. DIDF.

Axel Troost
(BuVo) sagte, dass man nur an Regierungen teilnehmen könne, wenn sie das WASG-Programm umsetzen würden. Die Forderung nach einer anderen Steuer- und Investitionspolitik seien in Landesregierungen aber ohnehin nicht durchsetzbar. Deshalb müsse man überlegen, ob man Bedingungen an Regierungseintritte auf Landesebene, die diese Änderungen zur Voraussetzung hätten, nicht fallen lassen kann. Die Kündigung des Tarifvertrags durch den Berliner Senat sei möglicherweise nicht zu kritisieren, weil niemand sagen könne, ob dadurch nicht noch schlimmere Angriffe verhindert worden seien.

Klaus Ernst betonte in seiner Antwort, dass man Glaubwürdigkeit nicht nur eigenständigen Antritt, sondern nur durch die Kritik an der LPDS-Senatspolitik verteidigen könne. Glaubwürdig seien nicht die Berliner, wenn sie eigenständig antreten würden, sondern die Gewerkschafter, die die WASG gegründet hätten und sich von der Sozialdemokratie abgewendet hätten.
Ansonsten würden möglicherweise Berliner WASG-Mitglieder auf der PDS-Liste kandidieren – und dann sei unklar, ob der BuVo die Liste des eigenen Landesverbandes oder die der LPDS unterstützen werde.

Am Ende der Generaldebatte wurde der Antrag auf sofortige Abstimmung über den Initiativ-Antrag zu dem Ramelow-Ultimatum gestellt. Außerdem übernahmen die Antragsteller den Vorschlag zur getrennten Abstimmung über den 1. und 2. Satz der Resolution.

Der erste Satz wurde mit 21 zu 13 zu 4 angenommen.
Der zweite Satz mit 18 zu 20 Stimmen abgelehnt.

T.O. 2. und 3.:

Bericht Axel Troost zum Programm
Im Juni ist eine Konferenz geplant zum Programm der neuen Partei und im Herbst soll wahrscheinlich ein Kongress dazu stattfinden. Es fand keine Diskussion zum Eckpunktepapier statt, sondern die WASG-Gruppen wurden aufgefordert, den Entwurf vor Ort zu diskutieren.


Bericht aus der Bundestagsfraktion: Inge Höger-Neuling
Die Fraktion hat bisher 263 Initiativen gestartet, wovon kaum eine an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Wichtige Themen bisher: BND-Affäre, Afghanistaneinsatz (durch die Initiative der WASG sei die Linkspartei nach links gerückt in dieser Frage), Hartz IV (Linksfraktion hat die wahrscheinlich größte öffentliche Anhörung bisher überhaupt von 400 Vertretern von Verbänden und sozialen Bewegungen zu Hartz IV durchgeführt) und die Frage von 8 € Mindestlohn, zu der die Fraktion und hoffentlich beide Parteien eine Kampagne führen werden.
Höger-Neuling betonte die Wichtigkeit des außerparlamentarischen Widerstands, nur so könne ausreichend Druck für die Initiativen im BT geschaffen werden.


T.O. 4.:

Th. Händel zum Bundesparteitag:

T. Händel begründete die Verschiebung des BPT wegen der Einsprüche von 6 Delegierten gegen Delegierten-Neuwahlen. Man habe die alten Delegierten nach Schiedsgerichtsurteil im Amt bestätigen müssen, aber den Veränderungen in der Mitgliedschaft durch die zusätzliche Wahl von 30 Delegierten Rechnung tragen wollen.

Der Kollege Schneider (Saarland) wies darauf hin, dass bereits der alte Delegierten-Schlüssel fehlerhaft gewesen sei. Bei der Aufstockung der Delegiertenzahlen seien aber die alten Proportionen zugrunde gelegt worden. Daher sei der auf der Basis des neuen BuVo-Vorschlags gewählte BPT immer noch außerordentlich anfechtbar.

Der Länderrat entschied darauf hin nahezu einstimmig, dass der BPT nur aus den für den Dortmunder Parteitag gewählten Delegierten bestehen werde.

Bericht über Amtsenthebung des Kreisvorstandes Hannover (T. Händel):
Da 11 Doppelmitglieder von Sitzungen der WASG ausgeschlossen wurden, gibt es eine rechtliche Auseinandersetzung. Es wurde ein Gericht angerufen, dass nun mit 250.000 € Strafe drohe, wenn die Doppelmitglieder nicht wie andere Mitglieder behandelt würden Die Mitgliedschaft in der WASG würde allein durch Ausschluss oder Tod enden. Um den Kreisverband vor dem finanziellen Ruin zu retten, hätte man in einer Sondersitzung des Buvos beschlossen, dass der Vorstand des Amtes enthoben wird und Rainer Spilker kommissarisch die Aufgaben übernehmen würde, bis eine Lösung gefunden würde. Händel betonte, dass dieses Verfahren rein finanzielle und keine politischen Gründe habe.

T.O. 5: Anträge

1. Der Antrag des MV-Delegierten Christian Jax auf Durchführung einer Bundesurabstimmung vor dem Bundesparteitag, in der die Frage nach einem Ausschluss von konkurrierenden Listen gestellt wird, ist trotz der Unterstützung durch K. Ernst und andere Vertreter der BuVo-Mehrheit mit 14 dafür/19 Stimmen dagegen abgelehnt worden.

Zum Antrag des Landesvorstands Schleswig-Holstein, der den BuVo zur „Respektierung des Berliner Urabstimmungsergebnisses“ auffordert und verlangt, dass „wir uns nur an Regierungen beteiligen (...), wenn sie zu einem grundsätzlichen Politikwechsel in Richtung unserer Forderungen führen“, beantragten Teile des Präsidiums sowie des Bundesvorstands, ihn wegen verspäteter Vorlage nicht zur Beratung und Abstimmung zuzulassen. Dieser GO-Antrag wurde mit 20:20 Stimmen nicht angenommen.
In der Debatte bestritt Björn Radke aus Schleswig-Holstein, dass der Antrag vom Landesvorstand SH verabschiedet wurde, was den Landesvorsitzenden L.G. Beutin zur Abgabe einer persönlichen Erklärung veranlasste, die dies zurückwies.
Der Antrag wurde mit 21:17 Stimmen abgelehnt.

Heino Berg (Bremen)
Peter Köster (Bremen)

Leonie Blume (Hessen)
Wolfgang Marschall (Schleswig-Holstein)

Editorische Anmerkungen

Der Bericht ist eine Spiegelung von
http://www.linkspartei-debatte.de/index.php?name=News&sid=299 

Weitere Artikel dazu
Eindrücke vom Länderrat der WASG vom 6. März 2006
Zum Ergebnis der Urabstimmung und des Landesparteitags