Betrieb & Gewerkschaft
Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen
Betriebsratwahlen bei Daimler Chrysler


von Pit Wuhrer
03/06

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In den nächsten Wochen werden in fast allen Unternehmen die Betriebsräte gewählt. Meist stehen die Ergebnisse schon vorher fest. Nicht so im DaimlerChrysler-Stammwerk Stuttgart-Untertürkheim. Dort tobt ein heftiger Wahlkampf, bei dem es um mehr geht als ein paar Betriebsratsposten.

Wenn nicht alle ohnehin von dem Termin wüssten, könnte man die Donnerstagsrunde fast ein konspiratives Treffen nennen - so versteckt liegt der Sitzungsraum im Hintergebäude der Mettinger Kneipe Mosquito, so unwirtlich kalt ist es manchmal in dem Nebenzimmer und so ernsthaft wird hier mitunter diskutiert. Aber geheim ist an den Treffen nichts. Es darf kommen, wer mitmachen will. Außerdem werden die Ergebnisse einmal im Monat gleich 7000-fach an die Kollegen verteilt. Und schließlich: Hier sitzen ganz normale Arbeiter und Angestellte des DaimlerChrysler-Werks von Stuttgart-Untertürkheim.

Leute wie Tom Adler zum Beispiel, der seit 1984 als gewählter Betriebsrat die Interessen der Beschäftigten im Achsen- und Gießerei-Betrieb Mettingen vertritt und sich selbst als "Fossil" bezeichnet. Oder Serkan Senol, gewerkschaftlicher Vertrauensmann in "Klein-Vietnam", wie man in Mettingen die Gießerei nennt, weil dort in Staub und Hitze zehn Kilo schwere Bremsscheiben durch die Gegend zu wuchten sind: Ein Automann aus dem Effeff, der die Schaltgeschwindigkeit aller Getriebe bis auf die Hundertstel Sekunde genau hersagen kann. Oder Georg Rapp, Entwicklungsingenieur im Motorenwerk Untertürkheim und Ersatz-Betriebsrat, der durch einen mutigen Arbeitsgerichtsprozess viel für die Beschäftigten von DaimlerChrysler (DC) und die IG Metall erreicht hat, seit ein paar Monaten aber von den meisten Betriebsratsmitgliedern geschnitten wird.

Auch Mate Dosen sitzt dabei, ein Betriebsrat der Gießerei-Arbeiter von Mettingen, der eher ruhig und bedächtig argumentiert, aber aus der IG Metall ausgeschlossen wurde, weil er mit anderen vor Jahren die von der Betriebsratsmehrheit betriebene Sozialpartnerschaft nicht länger hinnehmen wollte und eine eigene Betriebszeitung gründete. Schließlich Markus Messing, ebenfalls Betriebsrat, ebenfalls zuständig für "Klein-Vietnam", aber im Unterschied zu Mate Dosen einer, der auch Vorgesetzte mal am Hemd packen kann. Bis vor kurzem schaute auch Gisela Schmid vorbei, früher zuständig für die Schwerbehinderten, denen das DC-Management und die Betriebsratsspitze über ein Jahr lang die ihnen zustehende Betriebsversammlung verweigerte, wie sie sagt. Das Management, weil es an Belegschaftsversammlungen ohnehin kein Interesse hat - und die IG-Metall-Betriebsratsspitze um den Vorsitzenden Helmut Lense, weil ihr - so Schmid - Treffen, bei denen auch andere Meinungen Gehör finden könnten, nicht genehm sind. Gisela Schmid hat "nach Mobbing ohne Ende und zwar von allen Seiten" Ende 2005 gekündigt und eine Abfindung akzeptiert.

Es ist ein bunter Haufen also, der sich da wöchentlich im Mosquito - nur ein paar hundert Meter vom DC-Werk entfernt - trifft. Die Redakteure der Betriebszeitung Alternative eint vor allem eines: Sie wollen nicht, dass die DC-Konzernleitung mit den Beschäftigten weiter Schlitten fährt, die Rendite auf Kosten der Belegschaften hochschraubt, Personal abbaut, Arbeitszeiten verlängert und Löhne kürzt. Und um dem Widerstand von unten eine Stimme zu geben, publizieren sie seit Anfang 2005 ihre eigene Zeitung, in der all jene Fragen gestellt werden, für die sie nach eigenem Bekunden in der offiziellen IG-Metall-Werkszeitung Scheibenwischer keinen Platz mehr haben.

Vor vollendete Tatsachen gestellt:
"Zukunftssicherung 2012"


Die Wut vieler in der Belegschaft und die Kritik der Freizeit-Redakteure richtet sich größtenteils auf das Abkommen, das im Sommer 2004 die DC-Unternehmensleitung, der Gesamtsbetriebsrat und die IG Metall unterzeichnet hatten. Die Führung des hochprofitablen Konzerns setzte damals den Belegschaften in den deutschen Werken das Messer auf die Brust: Entweder ihr akzeptiert einen Personalkostenabbau in Höhe von 500 Millionen Euro - oder ein Teil der Produktion wird an andere Standorte verlegt. Auf diese Erpressung reagierten Mitte Juli 2004 rund 60.000 DC-Beschäftigte mit Streik. Rund 2.000 Arbeiter des Werkteils Mettingen blockierten zwei Stunden lang sogar die B 10, eine autobahnähnliche Zufahrt nach Stuttgart. Einen solchen Protest hatte es in der IG-Metall-Hochburg von Baden-Württemberg schon lange nicht mehr gegeben. Der Widerstand war breit, das Ergebnis des Protests enttäuschend: In Geheimverhandlungen ging der Gesamtbetriebsrat um die IG-Metall-Vertreter Erich Klemm (Werk Sindelfingen) und Helmut Lense (Werk Untertürkheim), die auch im Aufsichtsrat des Konzern sitzen, auf das Junktim ein. Die Konzernspitze verzichtete in dem als "Zukunftssicherung 2012" bezeichneten Beschäftigungspakt auf betriebsbedingte Kündigungen. Im Gegenzug bewilligte der Gesamtbetriebsrat längere Arbeitszeiten für die so genannten Dienstleister (etwa in der Kantine), einen Lohnverzicht für alle und einen um 20 Prozent niedrigeren Einstiegslohn für alle Neueingestellten.

Dieses Ergebnis, sagen die Kritiker von der Alternative, hätte man nie hinnehmen dürfen, angesichts der großen Proteste sei mehr drin gewesen. Und man hätte sich auch kaum abgefunden, wäre die Betriebsratsspitze mit ihrem Kompromiss sofort zu den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten gegangen. "Doch die Basis" - sagt Tom Adler - "wurde vor vollendete Tatsachen gestellt." Die mangelnde Demokratie bei der betrieblichen Interessenvertretung war da schon Thema im Werk Untertürkheim. Bereits im September 2003 hatten 64 Untertürkheimer Vertrauensleute und Betriebsräte in einem offenen Brief an die zuständigen Verwaltungsstellen der IG Metall (IGM) in Stuttgart und Esslingen die Defizite kritisiert. Die Betriebsratsführung würde ohne Rücksprache und Zustimmung der Vertrauensleute Abmachungen mit der Geschäftsleitung treffen, habe Beschlüsse missachtet und lade kaum noch zu Versammlungen ein, hieß es in dem Schreiben.

Der Unmut über das Abkommen vom Sommer 2004 führte die Kritiker der Betriebsratsmehrheit zusammen. "Ich habe in den letzten 20 Jahren noch nie so viel Empörung erlebt", erinnert sich Adler. So gründete er mit anderen IGM-Basisvertretern eine lose Gruppe, die seit Anfang 2005 die meist vier Seiten umfassende Alternative herausgibt. Und Missstände, über die zu berichten sich lohnt, gibt es genug: Über Kameraüberwachung am Arbeitsplatz, über Eingriffe der Chefs in die Urlaubsplanung (die Werksleitung will Ferienarbeiter einsparen), über die Arbeitsverhältnisse in der Kantine und das schwindende Angebot dort, über schikanöse Abteilungsleiter, über die Umweltpolitik des Konzerns, über die falsche Modellpolitik und die völlig überzogenen Planziffern. Es wird angesprochen, dass bald nur noch 80 Prozent der Auszubildenden übernommen werden sollen, dass die Aktionäre Milliarden-Dividenden erhalten und wie groß der Druck in einzelnen Bereichen geworden ist, weil es dort an Personal mangelt. Alles Themen, die man im Scheibenwischer vergeblich sucht.

Besonders empört hat die Alternative-Redakteure der Beschluss der Konzernleitung im Vorjahr, 8.500 Arbeitsplätze in der Produktion abzubauen. "Wir haben hier nicht zuviel Leute, sondern zu wenig", sagt beispielsweise Mate Dosen, "und trotzdem sind Personalleiter durch die Gießerei gezogen, um den Kollegen eine Abfindung aufzuschwatzen". Dass die im Aufsichtsrat vertretene IGM-Betriebsratsführung den Abbau im Grundsatz akzeptierte und die dafür vorgesehene Abfindungssumme in Höhe von 950 Millionen Euro bewilligte, ist für ihn "ein Skandal". Wo bleibt da die Interessenvertretung? Die Gruppe entwarf ein Gegenkonzept: Mit den 950 Millionen könne zwei Jahre lang in allen deutschen Werken eine Arbeitszeitverkürzung um zwei Stunden finanziert werden, argumentiert die Alternative. Das sichere Arbeitsplätze und bewahre das angeschlagene deutsche Sozialversicherungssystem vor neuen Beitragslücken. Für die Abfindung der 6.000 Verwaltungsangestellten, deren Jobs die Firma jetzt streichen will, hat die Konzernleitung sogar rund zwei Milliarden Euro bereit gestellt.

Dieser Vorschlag kam bei der Untertürkheimer Betriebsratsführung jedoch genauso schlecht an wie andere Vorstöße der sechs kritischen Betriebsräte, von denen die Alternative unterstützt wird. Um den Job-Abbau abzufedern, hatte die IGM vor Ort eine neue Kampagne lanciert: "Arbeit finden statt abfinden". Die Idee dabei, ausgegliederte und an Fremdfirmen vergebene Jobs zurückzuholen. Die Linken im Betrieb halten diesen Ansatz jedoch für zu kurz gegriffen. Es gehe nicht darum, nur DC-Arbeitsplätze zu erhalten, man müsse auch über den Tellerrand hinausblicken, sagen sie. Ihr Vorschlag, eine öffentlich wirksame Kampagne gegen die Niedriglöhne von Leiharbeitern im DC zu führen und Partnerschaften mit den Belegschaften der Fremdfirmen einzugehen, fand jedoch keine Mehrheit.

Die Stimmung kocht hoch, viele Nerven liegen blank

Wer vertritt am besten die Interessen der Beschäftigten? Die "Ko-Manager", wie Tom Adler all jene nennt, die "auf einen Kuschelkurs mit dem Vorstand setzen" und in den vergangenen zehn Jahren im DC-Aufsichtsrat fast allen Entscheidungen der Konzernleitung zustimmten? Oder "die politischen Abenteurer", die mit "populistischen Sprüchen" wie: "Gemeinsam vors Tor!" für Aufruhr sorgen? So nämlich charakterisiert die IGM-Betriebszeitung Scheibenwischer die Opposition.

Der Konflikt hat zuletzt an Schärfe gewonnen. Denn bis zum 14. März entscheiden die 22.000 DC-Beschäftigten von Untertürkheim über ihren 45-köpfigen Betriebsrat. Die Oppositionellen hätten als überzeugte Gewerkschafter gern auf der IGM-Liste kandidiert - aber sie wollten die vom IGM-Vertrauensleutekörper fest geklopften Kriterien nicht erfüllen: Sie hätten auf eigene Publikationen verzichten und gegenüber der Belegschaft stets die Mehrheitsmeinung vertreten müssen. Und so kandieren nun IGM-Mitglieder gegen IGM-Mitglieder.

Die Stimmung kocht hoch, viele Nerven liegen blank - so blank sogar, dass der Betriebsratsvorsitzende Helmut Lense ein zuerst zugesagtes Interview wieder absagte. Man könne sich nach der Wahl unterhalten, ließ er ausrichten, wenn sich die "Aufregung gelegt" habe. Dabei hätte er näher begründen können, weshalb er das Abkommen von 2004 für einen "Glücksgriff" hält, wie es im Scheibenwischer stand, und weshalb in den IGM-Blättern die Kritiker seiner Betriebsratspolitik als Lügner, als Spalter, als "zutiefst naiv oder absolut skrupellos", als "zynisch und menschenverachtend" und als "politische Abenteurer" mit einem "zutiefst vulgär-marxistischen Weltbild" bezeichnet werden.

Auch die Alternative scheut die Polemik keineswegs. In ihrer Kritik der Betriebsratspolitik werden auch die Namen der Verantwortlichen genannt, und der von Helmut Lense taucht häufig auf. "Aber es geht nicht um Personen, es geht um den Ansatz", sagt Tom Adler. "Außerdem haben wir die Stimmung nicht erzeugt, das können wir mit unserem Blättle auch gar nicht. Wir greifen nur auf, was da ist."

Den Chef der IGM-Verwaltungsstelle Esslingen nervt das "Theater" - wie der den Konflikt nennt - schon lange. Der Streit koste enorm viel Zeit, sagt Sieghard Bender, und zudem gerate dabei der "Klassenfeind" aus dem Blickfeld. "Mettingen war immer ein Kampfbetrieb", sagt er. "Die frühere Maschinenfabrik war der erste Betrieb im Königreich Württemberg, in dem die Belegschaft den Zehn-Stunden-Tag durchgesetzt hat. Und er war einer der wenigen Betriebe, die bei der großen Auseinandersetzung 1973, als es um die Alterssicherung ging, voll durchstreikten." Jetzt aber seien wegen des "Theaters" gerade mal 70 Prozent der Mettinger Arbeiter in der Gewerkschaft. Das stimmt. Aber im DC-Motorenwerk Untertürkheim, wo das "Theater" keine so große Rolle spielt, ist nur die Hälfte der Beschäftigten organisiert.

Und was hält Bender von einem Gewerkschaftsausschluss, der allen droht, die gegen die offizielle IGM-Betriebsratsliste antreten? Den würde er nicht gutheißen, sagt er: "Ein Ausschluss löst die Probleme nicht". Er käme in diesem Fall ja auch einem Treppenwitz der Geschichte gleich. Denn in Untertürkheim wurde er schon mal verhängt. Ende der sechziger Jahre hatten die beiden aufmüpfigen Daimler-Arbeiter Willi Hoss und Hermann Mühleisen gegen die damaligen Betriebsratsfürsten kandidiert. Sie wurden in den Betriebsrat gewählt, brachten die Betriebszeitung Plakat heraus, gewannen bei nachfolgenden Wahlen bis zu 40 Prozent der Stimmen - und wurden wie alle anderen, die auf ihrer Liste kandidierten, aus der IG Metall ausgeschlossen. 1990 revidierte der IGM-Vorstand diese Fehlentscheidung. Die Betriebsräte der Plakat-Gruppe hätten nur die Interessen der Mitglieder im Auge gehabt, hieß es zur Begründung. Georg Rapp und Tom Adler waren damals schon dabei.

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien ist eine Spiegelung von
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