Offener Brief an die junge Welt und ihre Leserschaft 
vom 14. März 2006
 
03/06

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Wir sind AutorInnen der jungen Welt. Wir kommen aus unterschiedlichen Spektren der Linken und vertreten in manchen Fragen divergierende Standpunkte. Dennoch haben wir uns entschlossen, diese kurze gemeinsame Intervention zu verfassen. 

Die Blattlinie der jungen Welt folgt an vielen Punkten einer antiimperialistischen Hauptfeind USA-und -Israel-Linie. 

In letzter Zeit ergehen sich Kommentatoren der jW in einer unerträglichen Verniedlichung des offen antisemitischen Staatschefs des Iran, was nicht selten wie eine Legitimation dessen Politik wirkt. So kommt Werner Pirker zu Ahmadi-Nejads Holocaust-Leugnereien auf den Einfall, dass dieser möglicherweise "wenig Ahnung von europäischer Geschichte zu haben" scheine (jW vom 16.12.05), und findet, dass dessen Anti-Israel-Tiraden in irgendeiner Form eine Spielart von legitimem Antizionismus sei (jW vom 29.10.05). Wir fragen uns, wie man in Zukunft ähnlichen "Überlegungen" von Neonazis argumentativ entgegen treten will. Diese Relativierung der deutschen Massenmordgeschichte und Ignoranz gegenüber Antisemitismus verbieten sich für eine linke Zeitung von selbst, ganz abgesehen davon, dass dieses Regime jede fortschrittliche linke Opposition mörderisch unterdrückt.

Wir sind mit dieser inhaltlichen Ausrichtung, die sich in einer derart vereinfachenden Position ausdrückt, wonach der Feind-meines-Feindes-irgendwie-auch-mein-Freund-sei, nicht einverstanden. Ebenso entschieden wie wir den Kriegsplänen gegen den Iran entgegentreten, lehnen wir ein Kleinschreiben eines virulenten und aggressiven Antisemitismus ab.

Gerhard Hanloser alias Walter Hanser (Freiburg) / Markus Mohr (Hamburg) / Matthias Reichelt (Berlin) / Franz Schandl (Wien) / Ralf Streck (Donostia) / Maike Dimar und Michael Liebler (Nürnberg) 

Editorische Anmerkungen

Diesen Brief erhielten wir am 14.3.2006 von den VerfasserInnen zugeschickt.