MODELLE DER
MATERIALISTISCHEN DIALEKTIK

BEITRÁGE DER BOCHUMER DIALEKTIK-ARBEITSGEMEINSCHAFT

herausgegeben von
HEINZ KIMMERLE

03/07

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KAPITEL VI
G. LUKACS UND K. KORSCH
Heinrich Dannemann, Rüdiger Erdbrügge
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A. ZUM GEGENWÄRTIGEN DISKUSSIONSSTAND: HEGEL-EPIGONEN ODER PROTAGONISTEN EINER NEUEN LINKEN

Von Anbeginn waren Lukacs' „Geschichte und Klassenbewußtsein" (= „GuK") und Korschs „Marxismus und Philosophie" (= „MuPh") umstrittene Bücher. Als Lukács sein Buch 1923 veröffentlichte, sahen die einen (z.B. Ernst Bloch, J. Revai und K. Korsch) darin das Symptom einer umfassenden Renaissance der marxistischen Dialektik. Andere, die außerordentlich einflußreiche Positionen innerhalb der kommunistischen Bewegung einnahmen, erhoben zunächst ebenso energisch wie pauschal den Vorwurf des „Revisionismus" oder „Idealismus." Sinovjev, Deborin, Rudas, die „Pravda" und die „Rote Fahne" reagierten auf Lukács' Kritik der Abbildtheorie und seine Polemik gegen Engels allergisch: „Wie das alles freilich noch orthodoxer Marxismus sein soll, ist uns, gelinde gesagt, schleierhaft!"(1) Nach der Phase scharfen Polemisierens übte man sich in der Kunst des Totschweigens. - Ganz ähnlich erging es Korsch, dessen Buch man der Einfachheit halber mit „GuK" identifizierte. Korsch wurde von den Lukács-Kritikern ohne viel Federlesens als dessen „Schüler" apostrophiert.

Seit etwa 1930 wurde es außerordentlich still um „GuK" und „MuPh" - eine Folge von Stalinismus und Faschismus. Korsch, der 1926 aus der KPD ausgeschlossen wurde, gelang es in seinen späteren Schriften nicht, die fruchtbaren Ansätze von „MuPh" zu einer umfassenden Theorie über das Verhältnis von Theorie und Praxis weiterzuentwickeln. In den letzten Jahren seines Lebens distanzierte sich Korsch weitgehend von der Marxschen Theorie. Lukács übte Selbstkritik in Sachen „GuK" und wandte sich der Ausarbeitung seiner Realismus-Konzeption bzw. ideologiekritischen Studien über die theoretischen Vorläufer des Faschismus zu.

Hatten sich jahrzehntelang nur einige wenige mit „GuK" und „MuPh" beschäftigt - hier wären vor allem L. Goldmann, L. Kofler, M. Merleau-Ponty und I. Fetscher zu nennen -, so änderte sich dies radikal mit dem Aufkommen der „Neuen Linken" in den 6oer Jahren. Lukács' und Korschs Schriften aus den Jahren 1920-1930 wurden in der westlichen Welt „massenhaft" rezipiert und für die Legitimationsbedürfnisse der Neuen Linken umfunktionalisiert.(2) Im SDS wurden Lukács' Thesen zur Organisationsfrage diskutiert; sein frühes Verdikt gegen den Parlamentarismus(3) wurde zur theoretischen Fundamentierung der APO verwandt. Kritisiert wurde die Parteikonzeption von „GuK" als Legitimation des Leninschen Organisationsmodells.(4)

Die Verdinglichungstheorie von Georg Lukács hat das Bewußtsein nicht weniger Anhänger der Neuen Linken mitgeprägt. Dieser Einfluß ist spürbar von H. J. Krahl bis hin zu den Studien des Berliner „Projekts Klassenanalyse" bzw. der „Projektgruppe: Entwicklung des Marxschen Systems" um J. Bischoff.(5) Meist wurde Lukács' Verdinglichungstheorie freilich in modifizierter und verwässerter Form rezipiert: die „Frankfurter Schule" übernahm viele Grundzüge der Lukácsschen Theorie und benutzte sie bei ihren sehr wirksam gewordenen Analysen der spätkapitalistischen „eindimensionalen Gesellschaft."(6)

Die Dialektik-Konzeptionen von Lukács und Korsch wurden und werden sehr unterschiedlich beurteilt. Vereinfachend lassen sich zwei Interpretationsrichtungen ausmachen:

(1) Korsch und Lukács - vor allem der letztere -werden als Hegel-Epigonen aufgefaßt, was ihnen natürlich sofort den Vorwurf des Idealismus einträgt.(7) Besonders einflußreich ist z.Zt Althussers These, Lukács, Korsch und Gramsci seien prominente Vertreter einer ideologischen Verzerrung des Marxismus, die als „humanistisch" oder „historizistisch" zu charakterisieren ist.(8)

(2) Im Umkreis der „Frankfurter Schule" findet eine positive Rezeption von Lukács' Modell einer historischen Dialektik statt - meist implizit (Adorno, Marcuse), selten explizit (A. Schmidt, J. Ritsert). Diese Autoren charakterisieren die dialektische Methode in Lukácsscher Manier vom Begriff der Totalität her und teilen grundsätzlich Lukács' Kritik an Engels' Dialektik-Verständnis, zumal an dessen Modell der Naturdialektik. Daß diese Schule die strukturalistische Kritik an Lukács nicht akzeptiert, wird niemanden verwundern. Ihre Kritik setzt an einer anderen Stelle an: sie verwerfen Lukács' Vorstellung einer möglichen Einheit von Subjekt und Objekt und betonen - meist außerordentlich emphatisch - die letztendliche Äußerlichkeit von Subjekt und Objekt bzw. die Notwendigkeit einer „negativen" Dialektik.

Korsch stand lange Zeit im Schatten von Lukács, und das hat sich bis heute nicht grundlegend geändert. Immerhin ist zu notieren, daß Korsch - von O. Negt u.a. - Lukács präferiert wird, weil er bestimmte idealistische Mytheme Lukács' vermieden habe.(9) Vor allem wird Korschs Kritik der Widerspiegelungstheorie und sein Versuch einer dialektischen Verhältnisbestimmung von Theorie und Praxis gewürdigt. Es ist aber auffällig, daß Korschs anregendes, doch wenig expliziertes Dialektik-Konzept zur Grundlage einer umfassenden und kohärenten Theorie theoretischer Praxis nicht recht geeignet erscheint.(10)

Noch ein Wort zu den Autoren von „GuK" bzw. „MuPh" und zum Stellenwert der hier von uns berücksichtigten Schriften im Gesamtwerk von Lukács und Korsch. Bei Korsch liegen die Dinge eher einfach. Wir berücksichtigen primär Korschs Schriften aus den Jahren 1920-1930 und darüber hinaus noch seine Marx-Monographie und die kurze Studie über „Die dialektische Methode im .Kapital'."(11) Somit können wir die relevanten Schriften von Korsch zu unserem Thema erfassen.

Dies ist im Falle von Georg Lukács nicht möglich. Die Schriften, die wir hier berücksichtigen können, stellen nur einen Ausschnitt aus Lukács' Gesamtwerk dar.(12) Die vormarxistische Schriften Lukács', in denen er lebensphilosophische, neukantianische, neuhegelianische und Max Webersche Positionen zu eigenwilligen Synthesen verarbeitet, müssen hier ausgeklammert werden.(13)

Überdies müssen wir auf eine Analyse der Dialektik-Konzeption von Lukács in den Schriften nach 1930 verzichten. Wir begnügen uns mit einigen schematischen Hinweisen: Nach der Selbstkritik in Sachen „GuK" vertritt Lukács eine modifizierte Widerspiegelungstheorie.(14) Sein theoretisches Hauptinteresse gilt weiterhin der Entfremdungs-ProbIematik - das zeigt ganz deutlich sein Hegel-Buch; in dieser Schrift betont er die Differenz der Marxschen Problembehandlung gegenüber der Hegeischen weitaus stärker als in „GuK."(15) In seinen Spätwerken - „Die Eigenart des Ästhetischen" und „Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins"(16) - versucht Lukács den Zusammenhang der wichtigsten gesellschaftlichen Praxisformen zu analysieren, indem er das Verhältnis von Alltagsleben - Wissenschaft - Kunst untersucht. Lukács beschreibt den Prozeß der Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Praxis, die Funktion der so entstehenden neuartigen Objektivationssysteme und die Chancen, die aus diesem Prozeß resultierenden Entfremdungserscheinungen zurückzunehmen.(17) Die Arbeit faßt er dabei als das - sich innerhalb bestimmter Grenzen entwickelnde- Modell gesellschaftlicher Praxis auf.

An der „Ontologie" wird das komplizierte Miteinander von Kontinuität und Bruch in Lukács' Lebenswerk deutlich. Sehr vereinfacht können wir dies so zusammenfassen: Einerseits hält Lukács an der strikten Unterscheidung von Naturdialektik und Geschichtsdialektik fest,(18) andererseits entfernt er sich von der in „GuK" auf die Spitze getriebenen Gegenwartsorientierung und Historisierung der Marxschen Dialektik in Richtung auf eine relativ abstrakte Dialektik des gesellschaftlichen Seins. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese Differenz nicht zuletzt Ausdruck des Unterschieds zwischen der revolutionären Situation nach 1917 und der keineswegs revolutionären Lage der entwickelten kapitalistischen Ländern in unseren Tagen ist.

B. KURZER HINWEIS ZUM PRAKTISCH-POLITISCHEN KONTEXT

Die in diesem Kapitel dargestellten Dialektik-Konzeptionen von G. Lukács und K. Korsch lassen sich nur dann angemessen darstellen, wenn man sie in ihren konkreten historischen Bezügen sichtbar macht.(19) Dies kann hier nur sehr verkürzt geschehen. Lukács und Korsch gehören u.E. der antirevisionistischen kommunistischen Bewegung der Zeit nach dem i. Weltkrieg an; beide gelten als „linke Kommunisten." An der Aktualität der proletarischen Revolution besteht für sie bis in die Mitte der 20er Jahre kein Zweifel. Durch die Oktoberrevolution und den marxistisch-leninistischen Bruch mit der Strategie und Praxis der Parteien der II. Internationale wird - für Lukács stets, für Korsch in den frühen zwanziger Jahren - eine neue Qualität der proletarischen Bewegung repräsentiert. Der hier vollzogene praktische Bruch mit der Sozialdemokratie, der besonders durch R. Luxemburg und Lenin ermöglicht worden ist, bildet das revolutionäre Paradigma, auf das sich die Theorieansätze unserer Autoren beziehen.

Das heißt: Lukács und Korsch wollen einen theoretischen Bruch mit dem Revisionismus der II. Internationale herbeiführen helfen, dessen Gründlichkeit der revolutionären Situation nach 1917 adäquat sein soll. Exemplarisch läßt sich die Marxismusauffassung der II. Internationale anhand einer knappen Vergegenwärtigung des Kautskyschen Typs der „Orthodoxie" wiedergeben :

1. Die Marxsche Theorie wird von Kautsky als Evolutionstheorie gedeutet.(20) Kautskys Ansicht nach stellt sich Marx' materialistische Geschichtsauffassung die Aufgabe, „zu untersuchen, ob die Entwicklung der Gesellschaft mit der der tierischen und pflanzlichen Arten nicht innerlich zusammenhänge, so daß die Geschichte der Menschheit nur einen Spezialfall der Geschichte der Lebewesen bildet."(21) Gesellschaftliche Veränderung stellt sich Kautsky anhand jenes Modells der „Anpassung" vor, das Darwin bei der Darstellung der Naturevolution erfolgreich verwandt hatte.(22) Daß Kautsky, der in allen Entwicklungen stets nur Modifikationen des „gemeinsame(n) Gesetz(es), dem menschliche wie tierische und pflanzliche Entwickelung unterworfen ist,"(23) sieht, Geschichte nicht als Prozeß revolutionärer Umbrüche erfassen kann, ist evident.

2. Der These vom letztlich gemeinsamen Bewegungsgesetz von Natur und Geschichte entspricht Kautskys Methode. Anders als Marx sieht er „in der Entwicklungsgeschichte der Arten von den Protozoen bis zu den Menschenaffen den Schlüssel" für die theoretische Rekonstruktion der Geschichte auch der Klassengesellschaften.(24)

3. Um die Entwicklung vom Einfachen (der Vergangenheit) zum Komplizierten (zur Gegenwart) als Modifikation des allgemeinen Gesetzes von Natur und Gesellschaft zu erfassen, bedarf es der Dialektik nicht. Kautsky sieht die Marxsche Theorie wesentlich als empirische (positive) Wissenschaft.(25) Daß Kautsky, stets um den Schein der Orthodoxie bemüht, den Begriff „Dialektik" weiterhin verwendet, hat Legitimationsfunktionen. Faktisch ist bei ihm der Begriff Dialektik zu einer nichtssagenden, eigentlich entbehrlichen Leerformel geworden.

Kautskys Vorstellung vom Status der Marxschen Theorie als empirischer Wissenschaft entspricht es, daß er keine notwendige Verbindung von Marxismus und proletarischem Klassenkampf anerkennen will. Für ihn ist die materialistische Geschichtstheorie „als rein wissenschaftliche Lehre keineswegs an das Proletariat gebunden"; sie hängt mit ihm nur zusammen, weil sie „in ihrer Nutzanwendung heute proletarischen Interessen dient" und mithin der Arbeiterklasse „sympathisch" ist.(26) Bezeichnend für die Oberflächlichkeit von Kautskys Beschreibung der Marxschen Theorie als positiver Wissenschaft ist seine Meinung, die Gesellschaftstheorie Marx' sei mit mancherlei Philosophien kombinierbar (z.B. mit der Machs und Avenarius'), weil sie als strenge Wissenschaft das Theoriefeld der Philosophie gar nicht besetze.(27)

Neben Kautskys „Orthodoxie" bildet der an Kant anschließende Austro-marxismus (hier besonders Max Adler) einen weiteren gemeinsamen theoretischen Kontrahenten für Korsch und Lukács. Wesentliches Defizit dieses Theorietyps ist für Korsch und Lukács das Leugnen einer Realdialektik, die mit den kantischen Ansätzen inkompatibel ist. Diese transzendentalphilosophische Position gerät in Kollision mit der Marxschen Theorie, wenn sie mit der Realdialektik auch die Dialektik der Geschichte negiert.

Den sich als Gegner verstehenden Varianten des Marxismus, Kautskys „orthodoxem Marxismus" und dem neukantianischen Austromarxismus, ist eines gemeinsam: Kautskys Umdeutung des Marxismus zum monolithischen Objektivismus, der letztlich nur ein alles beherrschendes Bewegungsgesetz kennt, und die „marxistische" Rezeption transzendentalphilosophischer Ansätze eliminieren mit der Marxschen Dialektik vor allem dessen Weise, Praxis als Vermittlung zwischen dem Objektiven (objektiven Bewegungsgesetzen, Tendenzen) und dem Subjektiven (Interessen, Intentionen) zu denken.

Aus diesem Zusammenhang heraus wird verständlich, daß der projektierte Bruch mit dem Revisionismus der II. Internationale für Lukács und Korsch bei der Reaktualisierung der dialektischen Methode als dem signifikantesten Merkmal der Marxschen Wissenschaft ansetzen muß.(28) Ein Bewußtmachen des Stellenwertes von Dialektik macht zugleich einen Rekurs auf die Hegelsche Dialektik unumgänglich. Lukács' und Korschs Schriften verstehen sich als Versuch, „die Frage der dialektischen Methode - als lebendige und aktuelle Frage - zum Gegenstand einer Diskussion zu machen."(29)

Im folgenden stellten wir die Dialektik-Konzeptionen von Lukács und Korsch getrennt dar, weil sie keineswegs eine einfache Einheit bilden.

C. G. Lukács' DIALEKTIK-KONZEPTION

I. Zur theoretischen Grundkonzeption von „Geschichte und Klassenbewußtsein"

Die Denksysteme, gegen welche Lukács zu einem eigenen Ansatz finden will, zeichneten sich, wie oben gezeigt wurde, durch eine Unverbundenheit der subjektiven und objektiven Sphäre aus, Subjekt und Objekt verblieben in bloßer Unmittelbarkeit. Dem Objektivismus der II. Internationale war es unmöglich, objektive Gesetzmäßigkeit mit subjektiver Intention zu vermitteln; umgekehrt war es Problem allen nachkantianischen Denkens, eine umfassende Vermittlung zwischen subjektiver Erkenntnisaktivität und den Erkenntnisgegenständen herzustellen. Die Wirkung solch dualistischer Konzeptionen eines Subjekt-Objekt-Verhältnisses war in gleicher Weise die Unmöglichkeit einer an Wirklichkeitserkenntnis ausgerichteten Praxis: „Die praktische Gefahr einer jeden solchen dualistischen Auffassung zeigt sich darin, daß das richtungsgebende Moment für die Handlungen verloren geht."(30) Nach Lukács läßt sich also revisionistische Theoriebildung, die unverträglich ist mit dem Marxschen Entwurf einer Theorie als Ausdruck und Anleitung revolutionären Handelns, in ihrer Tiefenstruktur auf eine Unvermittelheit von Subjekt und Objekt zurückführen.

Dagegen gilt es nach Lukács eine lebendige Subjekt-Objekt-Einheit zu stellen, in der beide Sphären über vielfache Durchgänge miteinander vermittelt sind. Lukács bezeichnet ein Denken, das seine Gegenstände in der Unmittelbarkeit beläßt, sie in ihrer bloßen Vereinzelung und Unveränderbarkeit zeigt, als verdinglicht. Dialektisches Denken durchbricht diese Unmittelbarkeit und zeigt die Gegenstände seines Denkens als aufgehoben in einer prozessualen Totalität. Erst der Aufweis einer Subjekt-Objekt-Einheit, einer Totalität, ermöglicht eine Theorie-Praxis-Einheit, in der starre, verdinglichte Formen verflüssigt werden und mithin für eine revolutionäre Praxis über-formbar werden. Diese grundsätzliche Konnotation Dualität/Unmöglichkeit von revolutionärer Praxis und Totalität/Bedingung für revolutionäre Praxis ist signifikant für Lukács' Dialektikverständnis, indem es schwerpunktmäßig um das Aufzeigen dialektischer Einheiten geht. In dieser Weise ist Lukács' Projekt zu verstehen, den Marxismus als „revolutionäre Dialektik" wiederzuentdecken, indem die Bestimmungen aufgefunden werden, „die die Theorie, die dialektische Methode zum Vehikel der Revolution machen."(31)

Für sein Projekt, die Marxsche Methode herauszuarbeiten, die Lukács als dialektisch-revolutionär bestimmt hat, hält er es für unerläßlich, auf Hegel zurückzugehen. Marx selbst hat seine Beziehung zu Hegel nicht wirklich geklärt. Lukács muß, will er die methodische Relevanz Hegels erweisen, ohne in einen neuerlichen Dualismus von Methode und Gegenstand zu verfallen, bei Hegel und Marx zugleich eine analoge Methode und einen (zumindest partiell) gemeinsamen Gegenstand, ein ähnlich gelagertes Projekt aufzeigen.

Lukács erblickt Hegels wesentliche Leistung darin, daß er „die Gegenständlichkeitsformen der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer Doppeltheit, in ihrem Widerspruch erfaßt hat: als Momente eines Prozesses, in dem der Mensch (...) in der Entäußerung zu sich kommt, zum Punkt, wo die Widersprüche seines Daseins auf die Spitze getrieben sind und die objektive Möglichkeit des Umschlagens der Aufhebung der Widersprüche selbst produzieren."(32) Dieser Begriff der Gegenwart, der nach Lukács dialektisch zu nennen ist, weil er in seiner Widersprüchlichkeit zugleich als Resultat und Ausgangspunkt in einer Einheit gezeigt wird, ist deshalb brauchbar, weil er einen unvermittelten, verdinglichten Wirklichkeitsbegriff auflöst. Schon in seiner Hegeischen Fassung erweist sich die Gegenwart als einheitliches, komplexes Feld von Vermittlungen bzw. Durchgängen: jede Entäußerung bzw. Verdinglichung kann in ihrer zeitlichen Dimension als „unmittelbar gegebene Daseinsform der Gegenwart" und als „Übergangsform zu ihrer Selbstüberwindung im historischen Prozeß"(33) begriffen werden.

In der Besetzung des Hegelschen Gegenwartsbegriffes zeigt sich Lukács' Verständnis von Dialektik als Auflösung von Verdinglichung (von starren Gegensätzen, Dualismen) durch das Verfahren der Vermittlung. In diesem Begriff der Gegenwart wird das unmittelbar Gegebene, das den Ausgangspunkt des Denkens bildet, zugleich in seiner Vermitteltheit, als Resultat, berücksichtigt; Unmittelbarkeit und Vermitteltheit bilden eine Einheit, indem sie sich als Momente einer prozessualen Gegenständlichkeitsform erweisen.

Die Fruchtbarkeit von Hegels Methode erschöpft sich für Lukács nicht darin, die unmittelbar gegebene Wirklichkeit in ihrem zeitlichen, diachronen Aspekt als Durchgangspunkt eines historischen Vermittlungsprozesses zu zeigen, sondern allein sie ist auch „zur Erkenntnis der Totalität befähigt."(34) Während das vorhegelsche bürgerliche Denken auch unter dem systematischen Aspekt in einer dualistischen Konzeption von Einzelnem und Allgemeinem stecken blieb, hat Hegel mit seiner Unterscheidung von Existenz und Wirklichkeit jede Unvermitteltheit von Einzelnem und Ganzem als Defizit abstrakten Denkens erkannt. Im Rekurs auf Hegels Lösungsweg zeigt Lukács, daß das Verhältnis von Einzelnem und Ganzem als Verhältnis von Moment und Totalität, d.h. als komplizierte Einheit, zu fassen ist, wobei „im einzelnem Moment die Möglichkeit steckt, aus ihm heraus die ganze inhaltliche Fülle der Totalität zu entwickeln."(35) Das Einzelne wird dialektisch erfaßt, indem es in seiner Unmittelbarkeit - als scheinbar isoliertes Phänomen - zugleich als Durchgangspunkt zur Totalität erfaßt wird. Zwischen Einzelnem und Ganzem besteht eine Wechselbeziehung: eine Veränderung der Momente verändert das Ganze, wie umgekehrt eine Veränderung des Ganzen auch eine Veränderung der Teilmomente nach sich zieht. Die dialektische Totalitätskonzeption bewahrt sich dadurch vor den Abstraktionen einer Theoriebildung, die Allgemeines nicht als konkretes Allgemeines erfaßt, die letzlich nicht Geschichte denken kann.

Nachdem die Gegenwart mit ihren Bedeutungskomponenten Unmittelbarkeit und Vermitteltheit als aufgehoben in der Einheit des Geschichtsprozesses und das Einzelne als aufgehoben in einer strukturierten Einheit bzw. als Moment der Genesis aufgezeigt wurden, dürfen nun auch diese beiden Einheiten nicht unvermittelt bleiben. Geschichte und Genesis, d.h. die Ableitung von Begriffen aus Begriffen in einer an Hegels „Logik" orientierten Darstellungsweise, sind in ihrer Einheit als prozessuale Totalität zu erweisen. Nachdem die Dualismen von Unmittelbarkeit und Prozeß bzw. Einzelnem und Ganzem aufgelöst worden sind, muß der Dualismus von Logik und Geschichte als überwindbar erwiesen werden, wenn nicht Geschichte und Logik der Totalität zu einer Dualität auf höherer Ebene führen sollen. Lukács nennt folgende Bedingungen zur Lösung des Problems: „Daß Genesis und Geschichte zusammenfallen oder genauer gesagt bloß Momente desselben Prozesses sind, ist nur dann möglich, wenn einerseits sämtliche Kategorien, in denen sich das menschliche Dasein aufbaut, als Bestimmungen dieses Daseins selbst (...) erscheinen, andererseits wenn ihre Abfolge, ihr Zusammenhang und ihre Verknüpfung sich als Momente des historischen Prozesses selbst, als struktive Charakteristik der Gegenwart zeigen."(36) Die Einheit von Genesis und Geschichte ergibt sich also immer dann, wenn es gelingt, die Gegenwart als gegliederte Totalität und als Prozeß zu fassen. Mit dem Werden der Gegenwart werden auch ihre Bestimmungen; aber das Werden der Gegenwart ist eben deren dynamische Struktur selbst.

Indem sich die Dualismen der Unmittelbarkeit als Durchgänge auf eine höhere Einheit, auf eine Prozeßtotalität, erweisen, sind sie zugleich überformbar geworden. Das heißt vor allem: es wird das Wesen verändernder revolutionärer Praxis faßbar. Indem der unmittelbar gegebene Dualismus von Subjektivität und Objektivität in der demonstrierten Art und Weise überformbar ist, wird der praxisnegierende Objektivismus überwunden und es wird gezeigt, wie es möglich ist, „den subjektiven Willen, Wunsch oder Entschluß dem objektiven Sachzusammenhänge der Tatsachen aufzuzwingen."(37)

Wenn Hegel trotz seiner fundamentalen methodischen Bedeutung letzlich doch dem bürgerlichen Denken verhaftet bleibt, so deshalb, weil er die entscheidende Dualität von Theorie und Praxis nicht zu überwinden vermochte. Hegels Theorie bleibt im wesentlichen rein kontemplatives Erkennen der Gegenwart: Er bleibt mit seiner Kritik entweder vor der Gegenwart stehen (Versöhnung mit der Gegenwart als dem Ende der Geschichte) oder er führt die weitertreibende dialektische Bewegung in den rein kontemplativen Sphären zum formellen Stillstand (absoluter Geist). Den entscheidenden Bruch mit diesem Zug Hegeischen Denkens vollzog Marx nach Lukács in seinen „Thesen über Feuerbach," in denen er für die Dialektik die Dimension menschlicher Praxis gewann. Diese nun praktische Kritik der bürgerlichen Gesellschaft ist aber abhängig vom Aufweis des Standpunktes, von dem aus sich die Totalität gesellschaftlicher Zustände einholen läßt. Das ist nur vom Standpunkt des Proletariats möglich, es übernimmt die Funktion des Hegelschen identischen Subjekt - Objekts, weil seine Klassenlage nur in der Erkenntnis der ganzen Gesellschaft begreifbar wird und weil für das Proletariat gilt: „Es kann aber seine eigenen Lebensbedingungen nicht aufheben, ohne alle unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft (...) aufzuheben."(38)

Erst diese Wendung in eine Dialektik der proletarisch-revolutionären Praxis, erlaubt es, letzte Dualitäten zu überwinden. Verdinglichungen auch in ihrer elementarsten Ausprägung aufzulösen: die Entgegensetzung von Denken und Sein, die Antinomien in der Erkenntnistheorie. In einer Engführung seiner Motive zeigt Lukacs Praxis, das ist für ihn die Prozessualität von Wahrheit, als Zentrum seines Denkens: „Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage."(39) Nachdem Lukács die Wirklichkeit als Prozeß gezeigt hat, kann das Einbringen der Wirklichkeit nicht als einmaliger Akt begriffen werden. Das bedeutet einen Bruch mit jeder Art von Abbildtheorie. Abbildlichkeit nimmt sowohl das Denken als auch seinen Gegenstand in dessen Unmittelbarkeit als fertig an; das ist unvereinbar mit

einer Auffassung der Wirklichkeit als eines Gesamtkomplexes. Es muß die dualistische Gegenüberstellung von Denken und Sein überwunden werden. Gegen Engels formuliert Lukacs seinen antidualistischen Prozeßbegriff: „Denken und Sein sind also nicht in dem Sinne identisch, daß sie einander entsprechen, einander abbilden, daß sie miteinander parallellaufen oder .zusammenfallen ..., sondern ihre Identität besteht darin, daß sie Momente eines und desselben real-geschichtlichen dialektischen Prozesses sind."(40) Die Praxis zeigt sich als Ort der Einheit für Genesis und Geschichte, zugleich als Zentrum von Prozessualität überhaupt. Die Gegenwart als Ort der Praxis zeigt, wie Tendenzen der Realität bewußt in eine Zukunft überführt werden können; in diesem Zusammenhang sind „sämtliche Kategorienprobleme als Probleme der sich umwälzenden geschichtlichen Wirklichkeit aufzufassen und darzustellen."(41) Die Zukunft herbeizuführen, ist in einer Prozeßhaftigkeit ernstnehmenden Philosophie einziges Wahrheitskriterium, Wahrheit wird zur Wahrheit des Werdens.

Für das Proletariat ist das Eintreten für die Zukunft immer zugleich auf die Totalität ausgerichtet. Proletarische Praxis ist deshalb „wahre" Praxis; sie löst die historische Unmittelbarkeit auf und leistet auch die Vermittlung zur Totalität als Prozeß. In der proletarischen Praxis findet sich mithin all das, was an dialektischen Durchgängen aufgewiesen wurde in seiner Einheit wieder. Hier wird aus einer abstrakten Möglichkeit eine konkrete Wirklichkeit.(42)

2. Lukács' Interpretation der dialektischen Methode im "Kapital"

Die Marxsche Basiskonzeption, deren Lukacssche Deutung wir bisher rekonstruiert haben, besitzt nach „GuK" keine Gültigkeit unabhängig von der Praktizierung der dialektischen Methode im „Kapital." Marx' Methode, die wichtigsten Kategorien materialistischer Dialektik erhalten erst hier ihren Sinn und ihre Begründung. Daß der Zusammenhang von Unmittelbarkeit und Vermittlung bzw. die Totalitätskategorie entscheidende Elemente der Dialektik sind, ergibt erst bei der Darstellung bzw. Ableitung der kapitalistischen „Bewegungsgesetze." Lukacs betont - und durch diese Einsicht in die theoretisch-praktische Funktion des „Kapital" hebt er sich deutlich von Korsch ab -, daß die Marxsche Theorie ihre Funktionen für die Praxis der Arbeiterbewegung erst erfüllen kann, wenn sie die spezifische Organisation der gesellschaftlichen Praxis im Kapitalismus systematisch aufdeckt und kritisiert.

Nun liefert „GuK" keine mikrologische Rekonstruktion des „Kapital." Lukacs versucht, die im „Kapital" praktizierte Methode in ihren verallgemeinerbaren Momenten herauszuarbeiten. Das „Kapital" versteht Lukacs als Theorie bzw. „Selbstbewußtsein" der bürgerlichen Gesellschaft.(43) Wie der gesamte historische Materialismus (auch dessen Basis-Uberbau-Theorem) sind die Kategorien und dialektischen Ableitungen des „Kapital" nur gültig für ihren historisch-begrenzten Gegenstand. Es liegt die Relevanz der Methode des „Kapital" gerade in ihrer strikten Orientierung auf einen konkreten Gegenstand. Um die bürgerliche Gesellschaft rekonstruieren zu können, ist es nötig, die bestimmte, konkrete Unmittelbarkeit als Ausgangspunkt zu nehmen, d.h. die Erscheinungsformen, in denen sich der Kapitalismus im bürgerlichen bzw. proletarischen Alltagsbewußtsein repräsentiert.(44) Die Erscheinungsformen der bürgerlichen Gesellschaft verlangen von einer Theorie, die nicht nur die Oberfläche des Gegebenen reproduzieren will, ein spezifisches Ableitungsverfahren der unmittelbar erfaßbaren Gegenständlichkeitsformen. Marx hat im Kapitel über den „Fetischcharakter der Ware"(45) gezeigt, daß sich „gesellschaftliche Verhältnisse" in der Wertform als „Verhältnisse von Sachen" darstellen. Die Ausführungen über den Fetischcharakter deutet Lukacs nicht als einen Exkurs sondern als den theoretischen Grundgedanken des „Kapital"; er stellt die These auf, „daß das Kapitel über den Fetischcharakter der Ware den ganzen historischen Materialismus, die ganze Selbsterkenntnis des Proletariats als Erkenntnis der kapitalistischen Gesellschaft ... in sich verbirgt."(46)

Das ist so, weil nach Lukacs die ganze kapitalistische Gesellschaft geformt ist durch das Phänomen der Verdinglichung. Unter Verdinglichung versteht Lukacs, daß in der bürgerlichen Gesellschaft ein strikter Dualismus zwischen den Subjekten (den Produzenten) und den gesellschaftlichen Objektivationen (den Produktionsmitteln, den Institutionen usw.), die sich zu einer „zweiten Natur" verselbständigt haben und dominieren, existiert.(47) Der Dualismus von Subjektivität und Objektivität ist nach Lukacs der zentrale Widerspruch des Kapitalismus, der in verschiedenen Erscheinungsformen auftreten kann: als Widerspruch von Freiheit und Notwendigkeit, Intention und Resultat, partiell-rationaler Planung und Irrationalität des Ganzen, Sein und Bewußtsein, Bedürfnissen und gesellschaftlicher Funktion. Die dualistisch-antagonistische Verdinglichungsstruktur wird durch die kapitalistische Warenproduktion produziert und reproduziert: Verdinglichung ist mithin kein Werturteil, dem der Kapitalismus vor dem Maßstab eines vom Philosophen konstruierten Begriffs des „menschlichen Wesens" verfällt, sondern wesentliches Implikat einer spezifischen Organisation gesellschaftlichen Produzierens.

Marx' besondere Leistung besteht darin, daß er den Ideologien provozierenden Schein der kapitalistischen Erscheinungsformen destruiert. Dieser besteht darin, daß sich die verdinglichten Gesellschaftsformen als der Natur der Sachen angemessene Verhältnisse drapieren - man denke etwa an die Mysterien der trinitarischen Formel.(48) Gegen diese scheinbare Natürlichkeit bürgerlicher Gesellschaftsformen macht Marx die Historizität der gegebenen Gegenständlichkeitsformen geltend, indem er die vorgefundene Unmittelbarkeit in ihren immer schon gegebenen Vermittlungen erklärt. Diese Vermittlung geschieht dadurch, daß Marx (a) jedes scheinbar isolierte Einzelne als Moment einer Totalität, einer Produktionsweise, erweist und (b) die Spezifik jedes scheinbar naturhaften Einzelphänomen« konkret berücksichtigt, indem es als Teil einer Prozeßtotalität fungiert. Wie Lukács das Verfahren der Vermittlung im „Kapital" deutet, ist also näher zu erläutern anhand seines Totalitätsbegriffs und seiner Konzeption von Logik und Geschichte.

Die Grenzen nichtdialektischer Theoriebildung, v.a. die des Empirismus und der Transzendentalphilosophie, sprengt Marx durch sein Verfahren dialektischer Ableitung. Er geht bei der Darstellung der Bewegungsgesetze der kapitalistischen Warenproduktion aus von der Ware, wie sie unmittelbar erscheint, um danach deren Formbestimmtheit näher zu untersuchen. Die Wertform erweist sich als geeigneter und notwendiger Ausgangspunkt zur Rekonstruktion der gesamten kapitalistischen Gesellschaft. Denn: sie stellt abstrakt bzw. „keimhaft" die entscheidenden Formbestimmtheiten dieser Gesellschaft dar; und die konkreteren Formen (z.B. die Kapitalform) können systematisch nur aus der Wertform abgeleitet werden. Nach Lukács ergibt die Durchführung der Ableitungen den Nachweis der Einheitlichkeit aller Formbestimmtheiten der kapitalistischen Warenproduktion. Sie sind allesamt Formen einer fundamentalen Abstraktion: wie in der Geldform der Tauschwert eine selbständige Gestalt gegenüber dem Gebrauchswert erhält, so sind alle übrigen sich im Ableitungsgang ergebenden Formen Formbestimmtheiten, die einer Gesellschaft entsprechen bzw. eine Gesellschaft ermöglichen, in der die abstrakte Form gesellschaftlichen Reichtums, das Kapital, sich verselbständigt hat und die Logik der materiellen Produktion bestimmt.

Wir können festhalten: Lukács' spezifische Fassung des Totalitätsbegriffes besteht darin, daß er gesellschaftliche Totalität als Organisation heterogener Praxisformen nach einem homogenisierenden Muster (der Warenform) begreift. Die abstrakte, quantifizierende Form der Ware findet Lukács auch außerhalb der Wirtschaft wieder in der formal-rationalen Organisation der modernen Bürokratie, des bürgerlichen Staates und vor allem in den Lebensformen des kapitalistischen Alltags. Die kapitalistische Produktionsweise ist nach Lukács' Ansicht die bislang einzige Gesellschaftsformation, die eine solche strenge Einheit bildet, während sich die vorkapitalistischen Gesellschaften nicht zu einer komplizierten Einheit (mit einer übergreifenden Formbestimmtheit) strukturieren.(49)

Für Lukács und alle an ihn anknüpfenden Theoretiker ist die Dialektik vor allem die Methode, die die Historizität eines Gegenstandes erfassen kann. Wie wir schon oben gesehen haben, vertritt Lukács keineswegs einen schlichten „Historizismus," der die logische Ableitung als Abbildung der empirisch-historischen Abfolge begreift.(50) Schon er verweist exemplarisch darauf, daß Marx bei der dialektischen Ableitung dem „Industriekapital" systematische Priorität vor dem „Handelskapital" einräumt, obgleich dieses historisch früher wirksam geworden ist.(51) Diese Abweichung vom empirischen Gesichts verlauf ist erforderlich gerade für das Erfassen der Historizität des Phänomens. Nur durch die Einordnung des jeweiligen Phänomens in den Gesamtzusammenhang der Produktionsweise, der wiederum als konkrete Einheit der besonderen Phänomene sich bewähren muß, ist historische Erkenntnis möglich. Liegt in Lukács' Forderung nach dem Zusammenfallen von Genesis, d.h. dialektischer Ableitung von Begriffen aus Begriffen, und Geschichte also offenkundig kein historischer Empirismus vor, so ist zu fragen, was der Sinn seiner Emphase der Geschichtlichkeit ist.

Ein Gegenstand ist nach Lukács als geschichtlicher erwiesen, wenn er als Moment eines Gesamtzusammenhanges und dieser als Produkt darstellbar ist. Geschichtlichkeit in diesem emphatischen Sinne ist allererst mit dem Kapitalismus gegeben, der die Welt der Menschen zu einer komplizierten, antagonistischen, aber zusammenhängenden Einheit hat werden lassen, die nach einer ausschließlich durch gesellschaftliche Praxis konstituierten Logik, nämlich die der kapitalistischen Warenproduktion, verläuft. Die Prozessualität, von der die Marxsche Theorie spricht, differiert vom Werden in der Natur. Es ist eine Prozeßtotalität, die sich durch eine dualistische Subjekt-Objekt-Relation und deren Transzendierung zu einer neuen Subjekt-Objekt-Relation, in der die Subjektivität dominiert, konstituiert.

Die Widersprüche des gesellschaftlichen Seins sind objektive Widersprüche - aber die eines besonderen Typs. Sie sind hervorgebrachte Widersprüche, die an Leistungen von Subjekten gebunden sind. Als solche unterscheiden sie sich von Widersprachen, die in der Natur auftauchen und die Rede von einer Naturdialektik - im Sinne einer objektiven Bewegungsdialektik - als plausibel erscheinen lassen. „Damit ergibt sich die Notwendigkeit der methodischen Trennung der bloß objektiven Bewegungsdialektik der Natur von der geschichtlichen Dialektik, in der auch das Subjekt in die dialektische Wechselbeziehung einbezogen ist.(52) Wenn Engels die materialistische Dialektik am Beispiel von Naturvorgängen demonstriert (z.B. den Umschlag von Quantität in Qualität), so hat er nach Lukács noch keine das Wesentliche treffende Exemplifizierung geleistet. Der Umschlag von Quantität in Qualität vollzieht sich in der Gesellschaft dadurch, daß scheinbar rein objektive Veränderungen auch Veränderungen für die Subjekte bedeuten. Indem so der Zusammenhang von gesellschaftlicher Objektivität und Subjektivität sichtbar wird, verändert sich - mehr oder weniger umfassend - die Beziehung der Subjekte zur Gesellschaft. So bewirken die quantitativen Variationen der Ausbeutung einen qualitativen Umschwung, indem sie über die Veränderung des Bewußtseins der Arbeiterklasse eine - mehr oder weniger umfassende - Modifikation des Verhältnisses der Arbeiter zu ihrer Umwelt veranlassen und damit in den kapitalistischen Widerspruch, den Dualismus von Subjektivität und Objektivität, das Element der Transzendierung einfügen.

Die Marxsche Dialektik ist also nach Lukács auf das Problem des Dualismus von Subjekt und Objekt orientiert. Wenn Marx im „Kapital" die moderne Warenproduktion als System der verselbständigten und dominierenden Objektivationen aus einer bestimmten Verfaßtheit gesellschaftlicher Praxis erklärt, so geschieht dies nicht in der Manier der Feuerbachschen Religionskritik. Marx geht nicht davon aus, daß es ein ursprüngliches menschliches Wesen gibt, das in einer Phase entfremdeter Objektivationen seine Potenzen entfaltet, um diese schließlich zu reintegrieren. Es gibt für Marx nach Lukács stets nur Subjekt-Objekt-Relationen, das eine ist gleich-ursprünglich wie das andere. Der Geschichtsprozeß kann daher nicht als Entfaltung einer ursprünglichen Subjektivität gedacht werden, er beinhaltet vielmehr die Entwicklung von Subjekt-Objekt-Relationen, in denen die Objektivationen dominieren, zu einem Subjekt-Objekt-Verhältnis, in dem die Subjektivität zum ausschlaggebenden Faktor wird.

Paradigma der neuen Subjektivität ist die revolutionäre Klassenpraxis des Proletariats. Ist diese definiert als eine Form von Subjektivität, die als dominierender Faktor in der Subjekt-Objekt-Relation füngiert, so kann die proletarische Klassenpraxis nicht deterministisch verstanden werden. Weil Lukács die proletarische Revolution nicht mehr als naturwüchsigen Prozeß interpretiert, wird für ihn das Problem der Bildung proletarischen Klassenbewußtseins das Problem der marxistischen Revolutionstheorie. Wie „GuK." den Lernprozeß des proletarischen Klassenbewußtseins im einzelnen darstellt, können wir hier nicht näher erörtern. Es ist aber festzuhalten, daß Lukács die Bewußtwerdung als „objektive Möglichkeit"(53) der Zuspitzung des kapitalistischen Dualismus im Alltagsleben des Proletariats deutet: der Proletarier erfährt die Trennung von Subjektivität und Objektivität als Spaltung seiner eigenen Person und besitzt daher eine privilegierte Position in Bezug auf die Erkenntnis der Struktur der bürgerlichen Gesellschaft.

Weil das Klassenbewußtsein aber nur die objektive Möglichkeit des proletarischen Lebens darstellt, ist die aktive Politik einer Partei nötig, deren Hauptaufgabe die Veränderung proletarischer Lebensformen - und dabei die permanente Selbsterziehung der Parteimitglieder - ist.

Lukács' Modell der Dialektik schließt natürlich vor allem eine deterministische Interpretation der Marxschen Überbau-Theorie aus.diedem Überbau bloß eine passive Reflex-Funktion zuspricht. Die abbildtheoretische Gegenüberstellung von „Wirklichkeit" bzw. „Sein" und „Denken" entspricht dem Typ bürgerlicher Philosophie und Wissenschaft. Gerade an der dualistischen Struktur bürgerlichen Denkens läßt sich aber der Zusammenhang von Basis und Überbau nachweisen: das dualistisch-antinomische Denken ist Moment der dualistischen Verfassung der bürgerlichen Gesamtgesellschaft, d.h. ein praktisch-wirksamer, freilich nicht dominierender Bestandteil der Wirklichkeit der bürgerlichen Gesellschaft. Ist also bereits das bürgerliche Denken „als Wirklichkeitsform, als Moment des Gesamtprozesses"(54) aufzufassen, so wird eine deterministische Überbau-Theorie vollends ideologisch, wenn sie die Grundlage für eine Bestimmung des proletarischen Klassenbewußtseins abgibt. Dieses Bewußtsein ist in keiner Weise ein passives Epiphänomen, seine Inhalte sind nicht bloße Abbildungen des Gegebenen. „Das, was das Bewußtsein des Proletariats .abbildet,' ist ... das aus dem dialektischen Widerspruch der kapitalistischen Entwicklung entspringende Positive und Neue."(55) Dieses Novum ist aber nicht die gegebene Voraussetzung des Denkens, sondern es „wird - nicht ohne Zutun des Denkens."(56)

3. Kritik an Lukács als Aufweis der Bedingungen für eine positive Rezeption

In „GuK" manifestiert sich ein emphatischer Begriff der Gegenwart als des Orts revolutionärer Praxis, es ist aber darin zugleich eine universalgeschichtliche Konzeption enthalten. Lukács mythologisiert das Proletariat zu der Klasse, die eine vollständige Harmonie von gesellschaftlicher Subjektivität und Objektivität herbeizuführen berufen ist. Identisches Subjekt-Objekt der Geschichte kann das Proletariat nur sein, wenn die Dualität von Vergangenheit und Gegenwart vollständig aufhebbar ist und wenn die Natur, mit der auch nach Lukács eine Totalvermittlung in absehbarer Zeit ausgeschlossen ist, aus dem System gesellschaftlichen Handelns praktisch eliminiert ist. Daß Lukács hier einem fragwürdigen Hegelianismus verfällt, daß er eine eschatologische Einschätzung des Proletariats vornimmt, daß er den Zusammenhang von Natur und Gesellschaft weitgehend ignoriert, ist in der Lukács-Literatur bereits hinreichend oft konstatiert worden und bedarf keiner Rekapitulation. U.E. ist die Frage interessanter, ob Lukács' Deutung der Subjekt-Objekt-Relation als des Kerns der materialistischen Dialektik sinnvoll ist.(57) Diese komplizierte Frage kann im folgenden natürlich nur andeutungsweise behandelt werden.

1. Lukács sieht in der Marxschen Dialektik die theoretische Reproduktion der bürgerlichen Gesellschaft, die zugleich das Ende der „Vorgeschichte" markieren soll. Die Dualismen, von denen nach Lukács das Marxsche Werk handelt und die er ihres naturgesetzlichen Scheins beraubt hat, sind historisch entstandene und vergehende Formen gesellschaftlicher Organisation. Mit dem Verschwinden dieser Dualismen wird eine andere Dialektik nötig werden. War es sinnvoll, die dialektische Rekonstruktion der kapitalistischen Widerspreche auf das Problem des Dualismus von Subjekt-Objekt zu orientieren, war der Nachweis der Historizität der Verdinglichung der Leitfaden des „Kapital," so bildet den Gegenstand der „neuen" Dialektik -soweit man diese bereits antizipieren kann - vor allem das Problem der Subjekt-Subjckt-Beziehungen und danach das der Vermittlung von Mensch und Natur.(58)

2. Lukács betont als eigentliche Leistung der Dialektik deren Fähigkeit, geschichtliche Dualismen in eine Prozeßtotalität zu überführen. Wenn Lukács schreibt: „Die Herrschaft der Kategorie der Totalität ist der Träger des revolutionären Prinzips in der Wissenschaft,"(59) so ist dabei seine Deutung der Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft vorausgesetzt. Weil Lukács in dem Dualismus von Subjektivität und Objektivität den einen und letzten Widerspruch der bürgerlichen Gesellschaft sieht, ist für ihn das Verfahren der Vermittlung des Unmittelbaren, das wir oben näher erläutert haben, das Novum der Marxschen Theorie.

3. Lukács' Dialektik-Konzeption steht und fällt mit seiner Verdinglichungstheorie. Nur wenn sich die Mannigfaltigkeit der Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft auf den einen Widerspruch von Subjektivität und Objektivität zurückführen läßt, nur wenn die sozialistische Revolution sich als Dominanzwechsel in der Beziehung von Subjekt und Objekt realiter erweist, nur wenn ein geschichtsphilosophischer Begriff von Subjektivität -Lukács verwendet diesen für das Proletariat als Klasse - nicht mit Notwendigkeit ein ideologischer Begriff ist, nur wenn Praxis nicht als subjektlose Relation von Handlungselementen, sondern als Subjekt-Objekt-Vermittlung aufzufassen ist, läßt sich diese Theorie aufrechterhalten. Ob diese Voraussetzungen unterstellt werden können oder nicht, ist - wie der Autor von „GuK" betonen würde - heute nicht anders als im Rahmen einer Analyse des Spätkapitalismus möglich.(60)

4. Die Dialektik-Konzeption von G. Lukács wendet sich pointiert gegen naturalistische Theorien von Geschichte. Gesellschaft ist für Lukács kein sich selbst regelnder Automat, in den die Menschen als Funktionselemente eingefügt sind. Sie kann sich unter der Voraussetzung einer bestimmten Subjekt-Objekt-Relation dem Typ eines Automaten annähern - aber noch der Kapitalismus bleibt Produkt von Subjekten, die freilich von einer gesellschaftlichen Objektivität dominiert werden und sich deren verdinglichter Form anpassen müssen. Aber gerade hier erweist sich die Abhängigkeit des gesellschaftlichen Objektivationensystems von Subjektivität: nur wenn die gesellschaftliche Subjektivität und Intersubjektivität in einer bestimmten Form existiert, kann es eine entsprechende Gestalt der Objektivationen geben. Das „Kapital" und die gesamte Theorie von Marx ist der Versuch zu zeigen, daß der Kapitalismus eine bestimmte Weise von Subjektivität formt, die die Voraussetzung der Reproduktion der Gesellschaft als Kapitalismus bildet, aber diese wegen der Widersprüchlichkeit der kapitalistischen Warenproduktion nicht perpetuieren kann und daher die objektive Möglichkeit einer neuen Subjektivität konstituiert.

In diesem Zusammenhang ist Lukács' berühmt gewordene Kritik der Engelsschen Naturdialektik zu verstehen. Entgegen weitverbreiteten Mißverständnissen verwirft Lukács durchaus nicht pauschal die Möglichkeit einer Naturdialektik.(61) Er insisitiert „nur" darauf, daß die Marxsche Dialektik der menschlichen Geschichte, die Subjekt-Objekt-Relationen zum Gegenstand hat, von der „bloß objektiven Bewegungsdialektik der Natur"(62) unterschieden wird. Der Versuch, dialektische Strukturen, die bei der Rekonstruktion der Gesellschaft entwickelt worden sind, auch in der Natur aufzufinden, führt sehr leicht dazu, einen sehr abstrakten, Heterogenes unzulässig homogenisierenden Dialektik-Begriff zu entwickeln, in dem nicht mehr alle wesentlichen Bestimmungen der Geschichtsdialektik enthalten sind. Wird gar die Geschichtsdialektik nach dem Modell einer objektiven Bewegungsdialektik konzipiert, so ergibt sich der Determinismus der II. Internationale, der die Funktion der Subjektivität im Geschichtsprozeß nicht mehr bestimmen kann, der sich in seiner Tiefenstruktur vom Typus des bürgerlichen Denkens nicht unterscheidet.

D. K. KORSCHS DIALEKTIK-KONZEPTION

1. Das Projekt von „Marxismus und Philosophie" (1923)

Das Leitmotiv von Korschs „Marxismus und Philosophie" (und seiner übrigen Schriften aus den 20er Jahren) ist das Problem der Wiedergewinnung des Marxschen Konzepts der Einheit von Theorie und Praxis. Korsch polemisiert gegen die Theoretiker der II. Internationale, die die Marxsche Theorie evolutionstheoretisch umstilisierten und den Zusammenhang von Theorie und Praxis verwässert oder negiert hatten. Ob Mehring, der revolutionäre Protagonist des theoretischen Marxismus in der deutschen Sozialdemokratie der Vorkriegszeit, Theorieformen wie Religion und Philosophie als „eine Art Aberglauben" apostrophiert (63) oder ob Hilferding die Marxsche Theorie als reine Wissenschaft ohne „Anweisung zu praktischem Verhalten"(64) verstanden wissen will, stets wird Theorie nicht selbst als eine praktische Frage behandelt. Gegen die „Marxisten" der II. Internationale will Korsch Marx' Selbstbestimmung seiner Theorie mobilisieren: Die theoretischen Sätze der Kommunisten „sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung."(65)

Um die Marxsche Theorie als Ausdruck des proletarischen Klassenkampfes richtig verstehen zu können, hält Korsch die Reaktualisierung der Dialektik für notwendig. Nur so kann s.E. die bürgerliche Weise der Theoriebildung überwunden werden und nicht durch eine Betonung des Materialismus. Wie Korsch gegen Lenin und marxistisch-leninistische Philosophen der 2oer Jahre (z.B. gegen Deborin) bemerkt, ist nämlich „als die herrschende Grundrichtung in der bürgerlichen Philosophie, Natur- und Geisteswissenschaft auch heute noch ... jene Richtung anzusprechen, die nicht von einer idealistischen, sondern vielmehr von einer naturwissenschaftlich gefärbten materialistischen Anschauung ausgeht."(66)

Wir können also wichtige Gemeinsamkeiten zwischen Korschs und Lukács' Projekten feststellen: beide wollen das revolutionäre Wesen materialistischer Dialektik zur Kritik der II. Internationale mobilisieren und betonen dabei den Zusammenhang von Theorie und Praxis. Sie fordern ferner beide ein kritisches Studium der Hegeischen Dialektik, um von hierher Marx' Methode besser verstehen zu können.

2. Korschs Bestimmung des „rationellen Kerns" der Hegeischen Dialektik

Korschs Polemik gilt einer naiv-realistischen Bewußtseinstheorie, „jenem naiven Realismus, mit dem der sog. gesunde Menschenverstand, dieser 'ärgste Metaphysiker,' und mit ihm auch die gewöhnliche, positive Wissenschaft der bürgerlichen Gesellschaft zwischen dem Bewußtsein und seinem Gegenstand eine scharfe Trennungslinie ziehen."(67) Zu kritisieren ist solch . eine Bewußtseinstheorie, weil sie die praktische Funktion der Theorie vergißt. Indem Theorie als - wissenschaftlichen Standards genügende - Wiedergabe (Abbildung) von objektiven Bewegungsabläufen verstanden wird, verkümmert Theorie zur bewußtseinsmäßigen Verdopplung naturwüchsiger, determinierter Abläufe.

Hegels Verdienst besteht laut Korsch in der Überwindung einer „(dualistisch) metaphysischen Auffassung des Verhältnisses von Bewußtsein und Wirklichkeit."(68) Hegels Dialektik erfaßt hingegen das „Zusammenfallen von Bewußtsein und Wirklichkeit.(69) Nach Hegel ist nämlich Theorie (Philosophie) nicht Abbildung von Wirklichkeit sondern selbst Wirklichkeit. Hegels Formel, die Philosophie sei „ihre Zeit in Gedanken erfaßt,"(70) ist nach Korschs Meinung Ausdruck des vorwärtsweisenden Teils der Hegelschen Philosophie. Sie besagt, daß die Theorie Moment der Wirklichkeit selbst ist. Das Verhältnis von Theorie und Wirklichkeit ist demnach nicht das letztlich äußerliche Verhältnis zweier Heterogenitäten, sondern die dialektische Beziehung von Moment und Totalität.

Im einzelnen hat Hegel nach Korschs Darstellung folgende wichtigen Bestimmungen der Dialektik gegeben: (1) „Schon Hegel hatte gelehrt, daß die (philosophisch-wissenschaftliche) Methode nicht eine bloße Form des Denkens ist, der es gleichgültig wäre, auf welchen Inhalt sie angewendet wird."(71) Diese Zuordnung ergibt sich laut Korsch aus der Zuordnung von Geschichte und Theorie: wenn die Theorie ihre Zeit in Gedanken erfassen soll, so kann sie dies nur dann, wenn ihre Kategorien sich durch den Bezug auf den konkreten Gegenstand konstituieren. (2) Korsch sieht in Hegel den vormarxistischen Denker der Geschichte. Hegel habe nämlich „das .Absolute' aus dem Sein sowohl des ,Geistes' als auch der 'Materie' endgültig verbannt und in die dialektische Bewegung der ,Idee' verlegt."(72) Sein Konzept der „Selbstbewegung der Idee"73 bricht mit einer statischen Ontologie und einer ebenso statischen Bewußtseinstheorie, für die Sein und Denken Dualismen sind. (73) Schließlich finden sich bei Hegel Ansätze, die praktische Funktion der Theorie zu bestimmen. Laut Korsch besteht diese bei Hegel darin, „die Vernunft als selbstbewußten Geist mit der Vernunft als vorhandener Wirklichkeit zu versöhnen."(74)

Wir glauben, daß wir damit die Grundzüge der Korschschen Hegel-Rezeption zwar nicht detailliert aber doch sachlich umfassend wiedergegeben haben. Es fällt auf, daß sich Korsch mit den angeführten durchaus allgemeinen Bestimmungen der dialektischen Methode zufriedengibt. Wie die dialektische Entwicklung bzw. Ableitung der Begriffe bei Hegel konkret aussieht, welch ein Widerspruchsbegriff dabei verwandt wird, all dies wird bei Korsch nicht näher diskutiert. Ihn beeindruckt, daß Hegel den Zusammenhang von Theorie und Wirklichkeit aufgewiesen hat. Indem er die Dimension der Geschichte für das Denken gewinnt und die praktische Funktion von Theorie zu bestimmen sucht, wird er zum Vorläufer der Marxschen Theorie.

Marx konserviert nach Korsch die positiven Züge der Hegeischen Dialektik, die in der Bestimmung vom „Zusammenfallen von Theorie und Wirklichkeit" ihr Zentrum haben sollen. Marx' Innovation besteht (!) darin, die „Hegelsche Dialektik von ihrer letzten mystifizierenden Hülle zu befreien, in der dialektischen .Selbstbewegung der Idee' die darunter verborgene wirkliche geschichtliche Bewegung zu entdecken und diese revolutionäre geschichtliche Bewegung als das einzige jetzt noch übrigbleibende .Absolute' zu proklamieren."(75) Neben und in engem Zusammenhang mit der Marxschen Entdeckung der materiellen Praxis als der Realbasis des Gesamtprozesses nennt Korsch Marx' Überwindung des letzlich kontemplativen Status der Hegeischen Theorie als wesentliches Novum. Während Hegel die Aufgabe der Philosophie im Begreifen dessen, was ist, erblickt,(76) ist die materialistische „proletarische" Dialektik wesentlich Kritik. Nur so kann die Marxsche Theorie ihre Hauptdifferenz zu Hegel realisieren, die darin besteht, „daß die .proletarische Dialektik' Marxens eben diejenige Form ist, in der die revolutionäre Klassenbewegung des Proletariats ihren angemessenen theoretischen Ausdruck findet."(77)

3. Korschs Versuch einer Bestimmung der Marxschen Dialektik

Um die Dialektik, das entscheidende Symptom der Marxschen Methode, zu erläutern, bezieht sich Korsch intensiv auf die Marxschen Schriften vor 1848 (vor allem auf „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung,"78 auf die Feuerbach-Thesen79 und das „Kommunistische Manifest.(80) Marx hat in der „Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie" das Verhältnis von Theorie und Praxis reflektiert. In der Terminologie dieser frühen Schrift(81) macht Marx darauf aufmerksam, daß die „theoretische Partei" die Philosophie nicht verwirklichen könne, ohne sie praktisch aufzuheben, und daß die „praktische Partei" die Philosophie nicht aufheben könne, ohne sie theoretisch aufzuheben.(82) Korsch sieht hier eine materialistische Bewußtseinstheorie angelegt, die auch die Frage der Theorie als praktische, wirkliche Probleme anerkennt.(83) Von hierher läßt sich s.E. die Marxsche Theorie begreifen: „Theoretische Kritik und praktische Umwälzung, und zwar diese beiden als untrennbar zusammenhängende Aktionen ... - in diesem Worte ist das Prinzip der neuen, materialistisch-dialektischen Methode ... von Marx und Engels in der präzisesten Form ausgesprochen."(84) Korsch insistiert also mit Recht darauf, daß die Marxsche Theorie und Philosophie wesentlich „geistige Aktionen gegen die Bewußtseinsformen der bisherigen bürgerlichen Gesellschaft"(85) sind, wobei die „geistige Aktion" ein eigenständiger Bestandteil der umfassenden revolutionären Praxis ist, die sich aus ökonomischen, politischen und „geistigen" Aktionen zusammensetzt. Diese deutliche Bestimmung der Theorie als „Aktion" muß als aktualisierbare Wahrheit des Korschschen Marxismus gedeutet werden.

Theoretische Aktion bzw. Teil der revolutionären proletarischen Praxis kann die Marxsche Theorie nur sein, weil sie - schon im „Manifest" - „eine alle Gebiete des gesellschaftlichen Lebens als Totalität erfassende Theorie der sozialen Revolution" darstellt.(86) Nur als kritische Theorie der kapitalistischen Totalität (als einer Einheit von gesellschaftlichem Sein und Bewußtsein), nicht als ökonomische Einzelwissenschaft, kann der Marxismus zur Theorie der proletarischen Revolution avancieren. Korsch gibt keine genaueren Erklärungen, wie Marx die dialektische Darstellung der kapitalistischen Bewegungsgesetze gelingt. Er begnügt sich mit dem Hinweis, daß Marx das Hegeische Konzept der Form-lnhalt-Identität rezipiert und weiterentwickelt. Diese historische Konkretheit der Marxschen Methode entspricht der - laut Korsch - zu konstatierenden Grundbestimmung der Marxschen Theorie als Ausdruck der proletarischen Revolutionsbewegung.(87)

Korschs Schriften der 20er Jahre verraten wenig Interesse an der Logik des „Kapital." Die bislang bezeichneten Spezifika der materialistischen Dialektik sind nach Korsch bereits in den Marxschen Frühschriften - mehr oder weniger umfassend - präsent.(88) Gleichwohl versucht Korsch in „MuPh" noch das das Marxsche Spätwerk als Fortschritt zu erweisen.(89) Das „Kapital" ist s.E. die Vervollkommung der materialistisch-dialektischen Kritik der bürgerlichen Gesellschaft, die bereits in den Frühschriften als Kritik der ganzen bürgerlichen Sozietät angelegt ist. Im „Kapital" zeigt Marx konkret und in entwickelter Form, „daß sowohl alle Rechtsverhältnisse und Staatsformen als auch alle gesellschaftlichen Bewußtseinsformen nicht aus sich selbst ... zu begreifen sind, sondern vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln."(90)

Die überraschende und enttäuschende Tatsache, daß Korsch das Marxsche Spätwerk nur in einer überaus abstrakten Weise rekonstruiert, gilt es zu erklären. U.E. liegt ein wichtiger Grund darin, daß Korsch das Verhältnis der Frühschriften zum Spätwerk letzlich als einfache Einheit bzw. Kontinuität deutet. Daß das „Kapital" - mit seiner systematischen Darstellung der Logik der kapitalistischen Produktionsweise (91) - das entscheidende Paradigma der Marxschen Dialektik ist, wird von Korsch bei seinem Versuch einer Rekonstruktion der Marxschen Methode nicht zur Geltung gebracht.

Überdies kündigt sich bereits in den Korschschen Schriften der 20er Jahre eine problematische Eigenart von dessen Theorieverständnis an. Korsch sieht schon in „MuPh" das "Kapital" partiell als defizitäre Theorieform an: es ist s. E. Ausdruck einer relativ ruhigen Phase des Klassenkampfes. Die Funktion des „Kapital", die Mechanismen der kapitalistischen Produktionsweise im Allgemeinen zu erhellen, wird von Korsch nicht wirklich reflektiert. Dieser Mangel erweist sich als folgenreich für Korschs an sich interessanten Versuch, die Marxsche Methode „auf die gesamte Geschichte des Marxismus" selbst anzuwenden.(92) Korsch wendet sich richtig dagegen, die Entwicklung der Marxschen Theorie(93) bzw. die des Revisionismus ideengeschichtlich bzw. wissenschaftsintern zu beschreiben. Er möchte den historischen Materialismus zur Geltung bringen, indem er die Theorie als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse deuten will. So interpretiert er die Marxschen Schriften vor 1848 und v.a. das „Kommunistische Manifest" als theoretische Entsprechungen der politisch-revolutionären Situation vor 1848,(94) als „unmittelbar revolutionären Kommunismus.(95) Im „Kapital" manifestiert sich nach Korsch der Zusammenhang von Theorie und Praxis weniger deutlich, aber auch hier findet Korsch noch eine Theorie revolutionärer Praxis. „Die Veränderung besteht nur darin, daß in der späteren Phase die verschiedenen Bestandteile dieses Ganzen (d.h. des Ganzen der sozialen Revolution, d.V.), Ökonomie, Politik, Ideologie-wissenschaftliche Theorie und gesellschaftliche Praxis, weiter auseinandertreten. (96) Daß im „Kapital" der Zusammenhang von Theorie und Praxis nur in vermittelterer Form als im „Manifest" auftritt, begreift Korsch als Ausdruck des geringeren Niveaus der Klassenauseinandersetzungen nach 1848.

Korschs hier sehr komprimiert dargelegte „dialektische" Auffassung der Konnexion von Bewußtseinsformen und materieller bzw. politischer Praxis bescheidet sich offenkundig damit, eine eher oberflächliche Phänomenologie der politischen Praxis (des Entwicklungsgrads des Klassenkampfes) zur Erklärung einer ihr entsprechenden Bewußtseinsform heranzuziehen. Die „Oberflächlichkeit" Korschs hat ihren systematischen Grund u.E. darin, daß er die politische Praxis selbst nur in ihren Erscheinungsformen, nicht in ihren komplizierten Vermittlungen zur materiellen Produktion zur Kenntnis nimmt.(97)

4. Kritik an Korsch: Fortdauernde Aktualität und problematische Entwicklung

Korsch hat, wie gegenwärtig nicht selten hervorgehoben wird, sich von der problematischen Lukácsschen Auffassung des Proletariats als des identischen Subjekt-Objekts der Geschichte bzw. von dessen universalgeschichtlichen Hypostasierungen freigehalten. Freilich hat Korsch kein Äquivalent zu dem Lukacsschen Versuch einer Rekonstruktion des „Kapital" anzubieten. Das heißt aber doch, daß Korsch die Marxsche Methode in ihrem praktischen Vollzug kaum studiert hat und sich also mit einer abstrakten Darstellung der materialistischen Dialektik begnügt. Die Konsequenz der praktisch ausgebliebenen „Kapital'-Rezeption haben wir gesehen: Korsch kann die aktuelle politische Praxis des Proletariats selbst nur abstrakt erfassen, d.h. ohne deren Ableitung aus der Logik kapitalistischen Produzierens.(98)

Korschs auch heute noch aktuelles Projekt, den Marxschen Theorietyp nicht wissenschaftsintern sondern aus der Beziehung zur proletarischen Praxis zu erfassen, um so zu einer genauen Bestimmung der Funktion und Struktur „geistiger Aktionen" zu gelangen, ist aber damit von ihm selbst nicht befriedigend durchgeführt worden. Die späteren Schriften Korschs bringen in den angeführten Problempunkten keinen Fortschritt.(99) Korschs später Versuch, die dialektische Methode des „Kapital" zu bestimmen, ist noch problematischer als sein Ansatz in „MuPh." Der „späte" Korsch hebt als Zentrum der Marxschen Methode im „Kapital" deren „streng erfahrungswissenschaftliche Haupttendenz" hervor.(100) Dagegen scheint ihm Marx' Gebrauch der Begriffe „Widerspruch" bzw. „Quantität - Qualität -Umschlag" „vom Standpunkt des modernen, besonders an der Mathematik und den exakten Naturwissenschaften geschulten Denkens (wenig d.V.) befriedigende Lösungen des hier vorliegenden Problems" darzustellen.(101) Dieser noch mehr „gleichnishafte" Gebrauch verweist nach Korsch auf das Vorhandensein entscheidender Probleme, die auf ihre „streng erfahrungswissenschaftliche" Lösung warten.(102)

ANMERKUNGEN

1) Duncker, Ein neues Buch über den Marxismus.

2) Im folgenden beschränken wir uns auf einige äußerst schematische Bemerkungen zur Lukacs- und Korschen-Rezeption in der BRD.

3) Lukács, Zur Frage des Parlamentarismus.

4) Vgl. Krahl, Konstitution und Klassenkampf 199 ff.

5) a.a.O., 31 ff; Autorenkollektiv, Georg Lukács.

6) Coletti, Marxismus als Soziologie, S. 80-81; Grenz, Adornos Philosophie in Grundbegriffen.

7) Vgl. neuerdings de la Vega, Ideologie als Utopie. ' Vgl. Althusser, Das Kapital lesen, vol. i, 157 ff.

9) Vgl. die Beiträge von Negt, Buckmiller und Marramao in: C. Pozzolli, Jahrbuch Arbeiterbewegung, Band i.

10) Ähnliches gilt u.E. auch für Korschs politische Schriften und deren basisdemokratische Ansätze.

11) Korsch, Karl Marx; Korsch, Die dialektische Methode im „Kapital."

12) Neben „Geschichte und Klassenbewußtsein" berücksichtigen wir vor allem folgende Schriften Lukacs': Lenin. Studie über den Zusammenhang seiner Gedanken; Moses Hess und die Probleme der idealistischen Dialektik; ferner die Rezensionen zu N. Bucharin, Theorie des historischen Materialismus und Die neue Ausgabe von Lassalles Briefen.

13) Ansätze zur Erforschung des Lukácsschen Frühwerks bieten die Arbeiten von Apitzsch. Goldmann, Kammlcr und die Studien der „Budapester Schule" (Heller, Feher, Markus, Radnoti).

14) Vgl. Lukács, Die Erkenntnistheorie Lenins und die Probleme der modernen Philosophie, S. 127-160.

15) Vgl. Lukács, „Der junge Hegel." GL W, vol. 7,656 ff. Lukács kritisiert nach 1930, daß er in „GuK" unter dem Terminus „Verdinglichung" Heterogenes zusammenfaßte, nämlich Vergegenständlichung und Entfremdung.

16) Bisher sind drei Kapitel der Ontotogie erschienen: „Hegels echte und falsche Ontolo-gie"; „Ontologie - Marx"; „Ontologie - Arbeit."

17) Vgl. v.a. Lukács, „Die Eigenart des Ästhetischen." GLW, vol. n, S. 33-252 und vol. 12, S. 267-329. A. Heller, wohl Lukács' bedeutendste direkte Schülerin, versucht die Anregungen der „Ästhetik" weiterzuentwickeln in ihrem Buch über Das Alltagsleben und in einem weitgespannten Projekt zur Sozialanthropologie.

18) Vgl. etwa die Engels-Kritik in Lukacs, „Hegels echte und falsche Ontologie," 48 ff.

19) Eine materialistische Ableitung der Lukácsschen oder der Korschschen Konzeption soll damit natürlich noch nicht geleistet sein.

20) Lukács, Der Triumph Bernsteins, S. 591.

21) Kautsky, Die materialistische Geschichtsauffassung, vol. 2, S. 630.

22) Korsch, Die materialistische Geschichtsauffassung (1930), S. 35.

23) Kautsky, Die materialistische Geschichtsauffassung, vol. 2, S. 630. 2* Korsch, Die materialistische Geschichtsauffassung, S. 32.

25) Das Nicht-Verstehen der Marxschen Dialektik verbindet Kautsky mit Bernstein und dem Austromarxismus.

26 Kautsky, Die materialistische Geschichtsauffassung, vol. 2, S. 68l.

27) a.a.O., vol. 1,26 ff.

28) Lukács, GuK, S. 5-11.

29) a.a.O.,S. li.

30) a.a.O., S. 37.

31) a.a.O., S. 14.

32) Lukács, Moses Hess, S. 676.

33) a.a.O., S. 677.

34) Lukács, GuK, S. 186.

35) a.a.O., S. 187.

36) a.a.O., S. 175.

37) a.a.O., S. 37.

38) a.a.O., S. 34-35

39) Lukács zitiert die 2. Feuerbach-These GuK, S. 217.

40) Lukács, GuK, S. 224.

41) a.a.O., S. 223 n.

42) a.a.O., S. 224.

43) a.a.O., S. 235.

44) a.a.O., S. 165-166.

45) Vgl. Marx, „Das Kapital," Bd. i. MEW, vol. 23, 85 ff.

46) Lukács, GuK, S. 186.

47 Vgl. Lukács, GuK, S. 97-98.

48) Vgl. Marx, „Das Kapital," Bd. 3. MEW, vol. 25,822 ff.

49) Vgl. Lukács, GuK, 66 ff.

50) Das unterstellt Althusser, Das Kapital lesen, 157 ff. *

51) Vgl. Lukács, GuK, S. 200-201.

52) Lukács, GuK, S. 226-227.

53) Vgl. Lukács, GuK, S. 85, S. 228 und passim. Das „objektiv mögliche" Klassenbewußtsein kann nicht empirisch konstatiert werden, es wird vom revolutionären Theoretiker, dessen Theorie stets Ausdruck der revolutionären Klassenpraxis des Proletariats ist, in der Weise der „Zurechnung" ermittelt. Vgl. Lukács, GuK, 57 ff.

54) Lukács, GuK, S. 222.

55) a.a.O.,S. 224.

56) a.a.O., S. 223.

57) L. Goldmann hat u. W. als einziger ernsthaft einen solchen Versuch unternommen.

58) Vgl. Lukács, GuK, S. 225.

59) Lukács, GuK, S. 39.

60) Zur Kritik des strukturalistischen Praxis-Begriffs vgl. A. Honneth, Geschichte und Interaktionsverhältnisse, 405 ff.

61) Uns erscheint es notwendig, die bekannte Fußnote GuK, S. 17, in der Lukács Engels' „Darstellung der Dialektik" kritisiert im Licht der präziseren Ausführungen GuK, 225 ff zu verstehen, auf die wir uns im Text beziehen. Eine vergleichende philologische Darstellung beider Textstellen möchten wir an dieser Stelle nicht versuchen.

62) Lukács, GuK, S. 226.

63) Korsch, Marxismus und Philosophie, (= MuPh), 74 ff.

64)"Korsch, MuPh, S. 102.

65) Marx, „Manifest der Kommunistischen Partei." MEW, vol. 13, S. 475.

66) Korsch, Der gegenwärtige Stand des Problems ,MuPh'," S. 59.

67) Korsch, MuPh.S. 126.

68) a.a.O., S. 127.

69) a.a.O., S. 128 und passim.

70) Hegel, „Grundlinien der Philosophie des Rechts." Werke in zwanzig Bänden, vol. 7, S.26.Zitiert: Korsch, MuPh,S. 85. ' .

71) Korsch, MuPh.S. 129.

72) Korsch, Der gegenwärtige Stand, S. 6l.

73) Ebenda.

74) Korsch, MuPh, S. 115.

75 Korsch, Der gegenwärtige Stand, S. 6l.

76 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 26. Zitiert: Korsch MuPh, S. 133.

77) Korsch, Die Marxsche Dialektik, (März 1923), S. 168.

78) Korsch, MuPh, passim.

79) Vgl. Korsch, Der Standpunkt der materialistischen Geschichtsauffassung (1922), S. 152.

80 Vgl. Korsch, MuPh, S. 98 und passim.

81) Vgl. Marx, „Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie. Einleitung." MEW, vol. l, S. 383-384

82) Vgl. Korsch, MuPh, S. 114.

83) a.a.O., S. 112: „Für den modernen dialektischen Materialismus ist es wesentlich, daß er solche geistigen Gebilde, wie die Philosophie und jede andere Ideologie, vor allem einmal als Wirklichkeiten theoretisch auffaßt und praktisch behandelt."

84) Korsch, MuPh, S. 133-134.

85) a.a.O., S. 136.

86) a.a.O., S. 110.

87) Das so zu gewinnende historische Selbstverständnis der materialistischen Dialektik impliziert auch eine historische Selbstbegrenzung des Marxschen Theorietyps. Vgl. Korsch, Über materialistische Dialektik (\ 924) S. 131.

88) Vgl. Korsch, MuPh, S. 98.

89) a.a.O., 123 ff.

90) a.a.O., S. 124.

91) Dies ist eine sehr vereinfachende und nur für unseren Zusammenhang bnuchtwn Bestimmung.

92) Korsch, MuPh, S. 97.

93 Korsch nennt in MuPh als Hauptetappen der Marxschen Theorie-Entwicklung den Zeitraum vor und nach 1848. Vgl. MuPh, S. 98-99.

94) a.a.O., S. 91-91.

95) a.a.O., S. 99.

96) a.a.O., S. 100.

97) Die Abstraktheit der Analyse entwertet auch Korschs interessanten Versuch einer Kritik von Lenins „Materialismus und Empiriokrizismus." Korsch liest Lenins Schrift als Reproduktion des dualistischen Materialismus des 18. Jahrhunderts; eine Reproduktion, die für die theoretischen Klassenkämpfe im relativ unentwickelten Rußland relevant werden konnte, deren positive Bedeutung aber sehr begrenzt ist. Vgl. Korsch, Der gegenwärtige Stand S. 57 ff.

98) Autorenkollektiv, Karl Korsch.

99) Wir sehen in der weiteren Entwicklung von Korsch eine Parallelität von dessen Entfremdung von der kommunistischen Bewegung und der Marxschen Theorie. Hatte er noch in seinem Marx-Buch eine „Kapital"-Lesart in der von GuK vorgczeichneten Intcr-pretationsrichtung vorgelegt (vgl. Korsch, Karl Marx S. 101), so rückt er insgesamt in seiner Entwicklung nach 1930 von dem Versuch einer Rekonstruktion der Marxschen Dialektik ab und tendiert zu einer Thcorieauffassung auf der Basis eines weiterentwickeltcn Empirismus. Schon 1931 hatte Korsch die Marxsche Theorie als eine „Tatsache der Vergangenheit" bezeichnet (Korsch, Krise des Marxismus, S. 172), weil sie nicht mehr den adäquaten Ausdruck der Arbeiterbewegung darstelle, sondern in einer eher äußerlichen Beziehung zu den wirklichen Klassenauseinandersetzungen stehe. Korschs Abrücken von der Marxschen Theorie entspricht also wieder genau seiner Auffassung des Verhältnisses von Theorie und Praxis als einer unmittelbaren Ausdrucksbeziehung.

100) Korsch, Die dialektische Methode im „Kapital," S. 178.

101) Ebenda.

102) Ebenda.

Editorische Anmerkung

Der Aufsatz ist das 6. Kapitel des Buches: Modelle der materialistischen Dialektik - Beitráge der Bochumer Dialektikarbeitsgemeinschaft, hrg. von Heinz Kimmerle, Den Haag 1978, S. 135-160

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