Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe
 
 
von
Max Beer

03/07

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IV. DEUTSCHLANDS SOZIALE ERHEBUNG (1516—1535)   Zur Kapitelübersicht

1. Die erste deutsche Revolution

Die zwei Jahrzehnte 1516—1535, in welchen vier große Bewegungen: Reformation (Luther), Reichseinheitspläne (Sickingen), Bauernkrieg (Florian Geyer, Thomas Münzer), Kommunismus und Täufertum (Sebastian Franck, Jan von Leyden) den deutschen Boden so mächtig aufwühlten, bilden die erste revolutionäre Periode in der Geschichte des deutschen Volkes(1). Keine dieser vier Bewegungen allein ist imstande, die Bedeutung jener zwei Jahrzehnte zu erschöpfen. Nur wenn man sie im Zusammenhang betrachtet, zeigt sich die Größe des Strebens jener Zeit. Von Wittenberg bis Basel und Innsbruck, von Tirol und Schwaben bis Holland glühte das revolutionäre Feuer im Geiste der deutschen Stämme. Die religiösen, nationalpolitischen und sozial wirtschaftlichen Auffassungen und Betätigungen wurden den radikalsten Prüfungen unterworfen. Die Ritterschaft, die niedere Geistlichkeit, die Gelehrten, das Bürgertum, die Bauernschaft, die ärmeren Elemente in Stadt und Land wurden oppositionell und formulierten — je nach ihren Interessen und Idealen — ihre religiösen und sozialökonomischen Thesen und Artikel und entwarfen ihre Programme. Deutschland befand sich im Schmelztiegel; es machte seine erste Revolution durch. Im Mittelpunkt der sozialökonomischen Kämpfe stand damals die Bauernschaft, wie in der zweiten deutschen Revolution 1848 das Bürgerrum und in der dritten deutschen Revolution 1918 die lohnarbeitende Klasse.

Eröffnet wurde die erste revolutionäre Periode durch Luther. Sein Anfang war viel versprechend. 1516 gab er unter dem Titel „Theologia Teutsch" das Manuskript eines älteren deutschen Mystikers heraus; die Schrift, in deutscher Sprache abgefaßt, ist eine gemäßigte mystisch-pantheistisch-kommunistische Abhandlung, deren Bedeutung Luther kaum erfaßte; sie zog ihn nur an wegen ihrer Sprache und ihrer innigen Frömmigkeit. Die Herausgabe dieser Schrift ist nur ein Symptom, daß Luther sich in Gärung befand. Seine wirkliche Mission begann mit dem Anschlagen der 95 Thesen in Wittenberg am 31. Oktober 1517. Sie lag einzig und allein auf kirchenreformerischem und nationaldeutschem Boden und bildete nur einen kleinen Teil der ersten deutschen Revolution. Wir kommen später darauf zurück. Wichtiger für uns, die wir über Sozialismus und soziale Kämpfe schreiben, ist der Umstand, daß das Auftreten Luthers, so wenig Sozialrevolutionär es an sich sein konnte, allen sozialreformerischen Funken, die unter der Asche glimmten, freien Luftzug verschaffte, der sie zu Flammen entfachte. Flugschriften und Programmentwürfe für gründliche Reform der Reichsverfassung und des Wirtschaftslebens erschienen und wurden verbreitet, Versuche zu deren gewaltsamer Verwirklichung wurden gemacht; Prophetien über einen bevorstehenden geschichtlichen Wendepunkt weckten die Phantasie weiter Volkskreise; seit 1519 lebten große Teile der Nation in Spannung und Unruhe, als wäre eine katastrophale Neuordnung der Dinge nahe.

Daß aus diesen ungeheueren Wehen einer großen Nation nur eine bruchstückartige, gemütsarme, kirchliche Reformation entsprang, ist ein Stück der deutschen Tragik.

Wenden wir uns unserer eigentlichen Aufgabe zu und sehen wir Ursprung und Verlauf des Bauernkrieges und des kommunistischen Täufertums.

2. Wirtschaft und Politik.

Im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert gehörten die deutschen Lande zu den reichsten der Christenheit. Die Quellen des deutschen Nationalreichtums waren die Mineralschätze des Bodens, der Gewerbefleiß der Handwerker, der Unternehmungsgeist und die Regsamkeit der Kaufmannschaft, die unermüdliche Arbeit der Bauern. Der Harz, Sachsen, Böhmen, Steiermark, Tirol lieferten Silber, Gold, Eisen, Blei, Kupfer und Salz. In den Bergwerken, Hütten und Werkstätten schafften kundige Hände und Köpfe mit allen Mitteln der Arbeitstechnik ihrer Zeit. Verbesserungen alter Produktionsprozesse und Erfindungen neuer Arbeitsmethoden — darunter die berühmteste und revolutionärste: die des Buchdrucks — begründeten den Ruhm von Nürnberg, Straßburg und Basel. Und süd- und norddeutsche Kaufleute hatten seit dem dreizehnten Jahrhundert genug Erfahrungen und Kapital gesammelt, um ihre Unternehmungen dem wachsenden Weltverkehr, den geänderten Handelsstraßen und den überseeischen Entdeckungen der Portugiesen und Spanier anzupassen.

Schon im dreizehnten Jahrhundert hatten Nürnberger, Augsburger und Ulmer Kaufleute angefangen, die levantinisch-italienische Einfuhr von Venedig und Genua aus nach dem Nordwesten Deutschlands und nach Flandern weiterzuleiten. Norddeutsche Kaufleute, in der mächtigen Organisation der Hanse organisiert, waren die Herrscher des Ostseehandels von Lübeck bis Nowgorod gewesen. Die Tätigkeit der Hanse hatte jedoch bei Beginn der neuen Zeit eine viel geringere Bedeutung als die der süddeutschen Kaufleute, erstens, weil diese sich immer mehr mit der heimischen Produktion verbanden, während die norddeutschen Kaufleute sich auf den Handel beschränkt hatten; zweitens, weil die süddeutschen Kaufleute, im Verkehr mit dem gewerbereichen, handels- und finanztechnisch hochentwickelten Norditalien, viel gelernt hatten, während die Hanseaten im Verkehr mit der Ostsee nur auf Kolonial- und Rohstoffgebiete stießen, die noch der Kultur harrten. Die größere Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit der Süddeutschen zeigte sich bei der Übertragung des Handelsverkehrs vom Mittelländischen Meer nach dem Atlantischen Ozean und der Nordsee. Das Vorrücken der Osmanen, das zum Fall von Konstantinopel (1453) und schließlich zur Stillegung des mittelländischen Handelsverkehrs führte, zwang die Völker, nach neuen Verkehrswegen zwischen Europa und Asien zu suchen. Die Folgen waren: Umschiffung Afrikas, Entdeckung Amerikas und materieller Aufschwung Portugals, der Niederlande und Englands; Lissabon, Antwerpen und London wurden zu Mittelpunkten des Welthandels, während Spanien, das durch seinen Klerikalismus und seine Inquisition (Torquemada und Arbues) die wirtschaftlichen Kräfte abtötete oder vertrieb, nur politisch sich aufschwang und um die Wende zum sechzehnten Jahrhundert unter der Regierung Ferdinands des Katholischen (1479—1516) und der Isabella zur ersten Weltmacht wurde. Da Ferdinand durch Heiraten und Verträge mit der habsburgischen Hausmacht — also mit den deutschen Kaisern — verbunden war, so kam es, daß nach seinem Tode (1516) die spanische Krone und drei Jahre später auch die deutsche Kaiserkrone seinem Enkel Karl zufiel, der als spanischer König sich Karl I. nannte und als deutscher Kaiser unter dem Namen Karl V. bekannt ist. Er regierte vom Jahre 1519—1556 und erlebte den Frühkapitalismus in Süddeutschland (Fugger, Welser), die deutsche Reformation, die deutsche Einheitsbewegung, den deutschen Bauernkrieg, den Aufschwung und den Niedergang des kommunistischen Täufertums — kurz, die erste deutsche sozialökonomische, politische und geistige Revolution. Zu dieser Revolution trug die süddeutsche Kaufmannschaft unbewußt sehr viel bei; sie nutzte die Ausweitung des deutsch-spanischen Weltverkehrs finanziell und produktiv voll aus. Unter den großen Augsburger und Nürnberger Geschäftshäusern traten die der Fugger und Welser besonders hervor. Die deutsche Montanindustrie, spanische und ungarische Bergwerke, der Handel mit Lissabon und Antwerpen, die Finanzoperationen mit Kaiser Karl V. befanden sich in ihren Händen. Und neben ihnen betätigten sich zahlreiche süddeutsche Handelsgesellschaften am Metall- und Kolonialhandel, bemächtigten sich kapitalistisch der Kleingewerbe, trieben Leih- und Wuchergeschäfte. Das städtische Leben Süd- und Mitteldeutschlands beherrscht die Kultur der gesamten deutschen Lande der neueren Zeit. Aber dieses städtische Leben geriet immer mehr in einen Gegensatz zur Morallehre der Kirchenväter und des kirchlichen (kanonischen) Rechts, zur ganzen Wirtschaftsauffassung des Urchristentums. Diese Lehren hatten vornehmlich die persönliche produktive Arbeit, die landwirtschaftliche und handwerksmäßige Beschäftigung zur Grundlage; sie verpönten Handel und Geldgeschäfte, Wucher und übermäßige Profite, und überhaupt die Hingabe des Christenmenschen an den Reichtumserwerb. Das mittelalterliche Gewissen geriet in einen Gegensatz zum Frühkapitalismus: das christliche Sittengesetz und das christliche Tun waren nicht mehr in Einklang zu bringen. Wie schwer wurde es dem Christen an der Wende des Mittelalters zur neueren Zeit seine Werke im Geiste der christlichen Überlieferung einzurichten, oder durch Werke selig zu werden!

3. Soziale Folgen.

Die Folgen des frühkapitalistischen Aufschwunges der deutschen Lande waren zahlreich und mannigfach. Die Ausweitung des Gesichtskreises, das Wachsen des nationalen Wohlstandes, das allgemeine Hasten und Jagen nach Erwerb und Reichtum weckten bei den arbeitenden Massen das Verlangen nach größerer Freiheit und Gleichheit, nach einem größeren Anteil an den guten Dingen der Erde. Alle Volksschichten, die sich benachteiligt oder bedrückt wähnten, wurden von Unzufriedenheit ergriffen. Um so mehr als die Klassenspaltung der Gesellschaft schroffer und der Druck auf die unteren Schichten schärfer wurde. Die Kluft zwischen den grundbesitzenden Patriziern, den Großkaufleuten, den Monopolisten, den reichgewordenen „Verlegern" (den Geldgebern der Gewerbetreibenden) und der grundbesitzenden und gewerbetreibenden Geistlichkeit einerseits und den kleinen Handwerkern, Ackerbauern und dem Proletariat (den verarmten Handwerkern und Bauern, beschäftigungslosen Rittern und Landsknechten) andererseits, wurde tiefer, der Gegensatz ausgeprägter und zugespitzter. Hinzu kamen die wachsenden Kosten der Lebenshaltung und die sich fortgesetzt mehrenden Steuern, Abgaben und Gebühren an Stadt und Kirche. Infolge der Vermehrung der Edelmetalle — also der Zahlungsmittel — sowie durch die vielen Monopole trat eine allgemeine Preissteigerung der Lebensmittel ein, unter der die minderbemittelten und ' proletarischen Schichten am meisten litten. Die Steuern wuchsen, da — infolge des Zerfalls und der Kraftlosigkeit des Reiches und der zunehmenden Demoralisierung des Rittertums — die Städte gezwungen wurden, immer größere Ausgaben für die Unterhaltung eines militärischen Schutzes zu machen. Und die Kirche forderte und erhielt zahlreiche Gebühren bei Taufen, Eheschließungen, Todesfällen, Ablässen, und sie mußte sehr bedeutende Summen sammeln und jährlich nach Rom abliefern. In einer Zeit, wo die Unzufriedenheit weite Kreise des Volkes ergriff, mußte der jährliche, bedeutende Goldtribut Deutschlands an die Kurie zum Gegenstand einer heftigen Agitation werden und die Unzufriedenheit steigern.

Besonders scharf empfanden die Bauern die Folgen : der wirtschaftlichen Umwälzung. Als Erzeuger von Nahrungsmitteln und Rohstoffen für die wachsende städtische Bevölkerung hätten die Bauern, wenn sie frei waren, am nationalen Reichtum in hohem Maße teilnehmen können, aber das Hörigkeitsverhältnis, in welchem sie zu den Grundherren standen, hinderte sie daran. Sie mußten den Herren entrichten: den „großen" Zehnten vom Korn, den „kleinen" Zehnten vom Vieh, oft noch die dritte Garbe; außerdem muß- ! ten sie ihnen Fronden leisten: unbezahlte Dienste mit Hand und Gespann; schließlich mußten sie ihnen noch eine Art Erbschaftssteuer beim Absterben des Familienvaters entrichten: den sogenannten Tododer Sterbfall. Angesichts der Preissteigerung der Nahrungsmittel und der Wertsteigerung des Grund und Bodens erinnerten sich die Bauern noch daran, daß die Gutsherren sich einen Teil der Weiden und Wiesen der Dorfgemeinschaft aneigneten und obendrein die Jagd in den Wäldern und den Fischfang in den Gewässern für sich monopolisierten. Denn auch der Adel wurde seit dem vierzehnten Jahrhundert vom geldwirtschaftlichen Erwerbssinn erfaßt und drückte auf die Hörigen. Alle Spuren des kanonischen Rechts wurden ausgelöscht, ebenso des alten germanischen Gemeinschaftsrechts; an deren Stelle trat das römische Recht, auf Grund dessen die den Dorfgemeinden gehörigen Allmenden dem Landesherrn zugesprochen und die zinspflichtigen Bauern als Leibeigene des Herrn betrachtet wurden.

Eine soziale Gärung von großer Stärke und weitem Umfang setzte ein, in der — von unserem Standpunkte gesehen — drei Hauptströmungen zu unterscheiden sind: eine war bäuerlich-sozialreformerisch, die zweite proletarisch-kommunistisch, die dritte war bürgerlich-kirchenreformatorisch. Parallel lief eine vierte Strömung, die nationalpolitische Ziele hatte: Herstellung der Reichseinheit unter einem deutschen Kaiser; ihr Programm ist in der Flugschrift „Teutscher Nation Notdurft" (1523) niedergelegt; die Träger dieser Strömung waren die Ritterschaft (der verarmte Kleinadel), die Bauernschaft und ein Teil des Bürgertums; ihre Gegner waren — wie 1848 — die Landesfürsten, der hohe Adel. Wir können jedoch auf die nationalpolitische Bewegung nicht eingehen, da sie außerhalb des Rahmens unserer Arbeit liegt. Bleiben wir bei den sozialistischen Strömungen und sozialen Kämpfen.

Die Bauern verlangten die Unantastbarkeit der Dorfgemeinschaft, demokratische Verwaltung in Kirche und Gemeinde, persönliche Freiheit. Die Proletarier und die im Gedankenkreise des Urchristentums lebenden Theologen forderten den Kommunismus und standen auf Seite der Bauern. Ihr extremer Ausdruck war das Täufertum (Wiedertäufertum).

Die Bourgeoisie verlangte — kurz gesagt — eine Anpassung des Christentums an die individualistischen Interessen und die hieraus entspringende individualistische Ethik, ferner die Loslösung von der Universalkirche und die Herstellung einer nationalen Kirche. Auf Grund der jahrhundertelangen christlichen Tradition wußte sie wohl, daß das neuentstandene Erwerbsleben, daß das Wuchern, Monopolisieren und Ausbeuten sündhaft sei, aber sie fühlte, daß sie gegenüber den neuen wirtschaftlichen Kräften ohnmächtig sei, nach urchristlicher Ethik und kanonischem Recht zu leben und nach den Werken selig zu werden. Sie fühlte sich moralisch sehr unbehaglich. In Zeiten der wirtschaftlichen Krisen und sozialen Aufstände stach ihr besonders in die Augen der Reichtum und die finanzielle und gewerbliche Konkurrenz der Kirchen und Klöster, der Goldtribut an Rom, und sie schrieb diesen Umständen einen großen Teil des sozialen Übels zu. Schließlich war sie eine der Vertreterinnen des nationalen Gedankens in Deutschland und stellte sich schon aus diesem Grunde in Opposition gegen das Papsttum. Schon zu Zeiten Ludwigs des Bayern waren die Städte gegen das Papsttum und für ein nationales Kaisertum. Der geistige Ausdruck der bürgerlichen Gärung war die lutherische Reformation.

Die Reformation kann erstens als der Versuch be- i trachtet werden, die moralische Krise zu überwinden, in welche weite Kreise des Bürgertums gerieten als Folge des Widerspruches zwischen patristisch-kanonischer Tradition und neuer Wirtschaft, zwischen mittelalterlich-christlichem Gewissen und überhandnehmender wirtschaftlicher Selbstsucht; das Zeitalter der Reformation fühlte sich moralisch gar nicht wohl. Eine ähnliche Krise machten im Zeitalter Jesu die jüdischen Mittelschichten in Palästina durch; geistig unter pharisäischem Einflüsse stehend, meinten sie der Krise beikommen zu können durch die Strenge und die Vervielfältigung der Gebote und Verbote, durch eine bis ins kleinste gehende religiös-rituelle Gesetzlichkeit; die Zahl der Gesetze wurde unübersehbar, ihre Last erdrückend, so daß sie das Gefühl der moralischen Ohnmacht des Menschen noch vertieften. In dieser Krise verwarf Paulus, der als fanatischer Pharisäer die Last der Gesetzlichkeit besonders schmerzhaft empfunden hatte, den ganzen jüdischen Legalismus mit seinem lähmenden Sündenbewußtsein, er zerbrach die Krücken, auf die er sich in seiner Schwäche gestützt hatte, und warf sich vor der geistigen Erscheinung Jesu nieder, um aus der Größe des Gekreuzigten, aus seinem versöhnenden Opfer, aus der göttlichen Gnade neue Kraft und Freiheit und Menschenwürde zu ziehen. Das deutsche Bürgertum fand seinen Paulus in Martin Luther, der jedoch als derber, urwüchsiger Germane, an den Grenzen der Zivilisation lebend, nur einen Teil der paulinischen, von der Ethik und Mystik einer reichen Kultur gesättigten Seele zu erfassen vermochte. Zweitens war die Reformation ein Versuch, eine nationale Kirche zu schaffen, um vom Papsttum loszukommen; aber auch hier wurde nur Stückarbeit geleistet. Luther stand in nationaler Beziehung tief unter Sickingen und Hütten: er war zufrieden mit dem Landesfürstentum, wo jene ein nationales Kaiserreich erstrebten. Mit dieser sehr knappen, bruchstückartigen Charakteristik der Reformation müssen wir uns hier begnügen, denn das Thema unseres Buches ist nicht die Geschichte des Christentums, sondern des Kommunismus. Wir wenden uns also dem Bauernkriege und den Wiedertäufern zu.

4. Vorläufer des Bauernkrieges.

Zwei Jahre nach dem Abschluß der Hussitenkriege, also im Jahre 1438, zeigten sich die ersten ernsten Symptome der sozialen Gärung in der deutschen Bauernschaft. Unter dem Titel „Reformatio Sigismundi" (Reformprogramm des Kaisers Sigismund) wurde 1438 eine Schrift in Umlauf gesetzt, in der die Beschwerden und die Forderungen der deutschen Bauern formuliert waren. Sie steht theoretisch auf dem Boden des sozialen Denkens des Mittelalters. Das Programm verlangt die Beseitigung der Leibeigenschaft, die Rückerstattung der durch Adel und Kirche den Dorfgemeinschaften entzogenen Wälder, Wiesen und Gewässer, Abschaffung der Handelsgesellschaften und Zünfte, die die Volksmassen ausbeuten. Begründet wird das Programm durch Schlußfolgerungen aus der Bibel, daß das letzte Zeitalter angebrochen sei, in welchem die Armen und die Niedrigen erhöht und die Reichen und die Hohen erniedrigt werden sollen. Der Einfluß der Wycliffiten und Taboriten ist in diesem Dokument deutlich sichtbar. Selbstredend wäre Kaiser Sigismund, der die Kreuzheere gegen die Hussiten aufgeboten hatte, der letzte gewesen, ein derartiges Reformprogramm aufzustellen, aber ein Kaisername hatte noch immer große Anziehungskraft und konnte der Agitation förderlich sein. Ungefähr vier Jahrzehnte später (1476) machte sich der Hirtenjunge Hans Böhaim, genannt der Pauker von Niklashausen, in der Gegend von Würzburg bemerkbar durch seine öffentlichen Reden über das herannahende Zeitalter der Gleichheit. Tausende Bauern kamen zu ihm, um seine Reden zu hören; schließlich wurde die Aufregung so groß, daß der Erzbischof von Mainz ihn als Ketzer verfolgen und dem Flammentode überliefern ließ. 1493 entstand im Elsaß die geheime Bauernorganisation „Bundschuh", um an Stelle des Menschenrechts „das göttliche Recht" (oder das Naturrecht) zu setzen und das arbeitende Volk von den Lasten zu befreien. Der Bund wurde entdeckt und seine Führer hingerichtet. 1514 entstand in Württemberg „der arme Konrad", ein Bund der Bauern und städtischen Proletarier, gegen Adel und Patriziat gerichtet. Auch dieser Bund wurde teils durch Treulosigkeit der Herren, teils durch Übermacht der Waffen vernichtet.

Gleichzeitig mit der Entstehung einer Sozialrevolutionären Bewegung unter den Bauern machte sich unter den Handwerkern in den Städten eine urchristlich-kommunistische Gärung bemerkbar. Aufstände dieses Charakters fanden statt in Erfurt 1509, Ulm und Schwäbisch-Hall 1511—12, Braunschweig und Köln 1513. Die städtischen Prediger, der niederen und schlechtbesoldeten Geistlichkeit angehörend und den ärmeren Volksschichten entstammend, suchten Heilung für die sozialen Gebrechen in der Bibel, in der mosaischen Boden- und Sozialgesetzgebung, oder im Evangelium, in der Gütergemeinschaft der ersten Christen. Die Prädikanten waren die geistigen Vermittler zwischen den theoretischen Kommunisten und • Sozialreformern und den arbeitenden Klassen in Land und Stadt — zum großen Ärger der Patrizier, der reichen Bürger, des hohen Adels und der Kirchenreformatoren wie Luther, Melanchthon usw. Der Rothenburger Stadtschreiber Thomas Zweifel hinterließ uns eine Lamentation über diese Vorgänge:

„Und also kam das heilig Evangelium und Gottswort in ein großen ergerlichen und schedlichen Misverstand... Also wann man predigt von christlicher ' und brüderlicher Liebe,... so wollte das gemain Volk, es sollten alle Dinge gemain, auch kain oberkeit, herrschaft oder junkerschaft sei, ainer als vil als der ander, soll einer dem andern schuldig sein zu leyhen, aber kainer solches wiederzugeben und zu bezahlen, fordern oder begehren" (Käser, Politische und soziale Bewegung im deutschen Bürgertum, Seite 219. Stuttgart 1899).

Und wenn die Herrschaften sich dagegen wehrten, so wagte es das gemeine Volk, die Obrigkeiten zu beschuldigen, sie „wollten das Gottswort nit lassen predigen".

5. Kommunistische und sozial reformerische Strömungen in Humanismus, absterbender Scholastik und Täuferbewegung.

Der Ausgang des Mittelalters und der Beginn der neueren Zeit — also die Jahrhunderte der west- und mitteleuropäischen Bauernkriege — werden durch drei geistige Bewegungen gekennzeichnet, die das europäische Fühlen, Denken und Wollen tief beeinflußten. Diese Bewegungen waren: die Renaissance (Wiedergeburt der antiken Kunst und Poesie)(2), der • Humanismus (die Aufnahme des systematischen Studiums griechischer und lateinischer Sprache und Literatur), die Reformation (die nationale Kirchenreform). Die Renaissance und der Humanismus hatten zur Folge, daß neben der antikatholischen Kritik das antike Fühlen und Denken, das freiere Forschen, die Autorität der Vernunft zu bedeutenden Faktoren im Leben wurden. Was das Mittelalter von den Griechen und Lateinern wußte, wurde der kirchlichen Autorität untergeordnet und zu ihrer Dienerin gemacht. Hingegen wurde seit dem vierzehnten Jahrhundert die Antike als eine selbständige geistige Macht verehrt und zum Bildungsziel gemacht. Insbesondere wurden die Schätze der griechischen Literatur in der Ursprache den italienischen, deutschen ' (holländischen), englischen und französischen Gelehrten zugänglich gemacht durch gebildete Griechen, die vor dem siegreichen Vormarsch der Türken sich nach Italien flüchteten und in Florenz, dem Mittelpunkte der wirtschaftlichen und geistigen Kultur des Landes, ihren Sitz aufschlugen und die Kenntnis ihrer Sprache verbreiteten. Thomas a Kempis (geb. 1380, gest. 1471) sandte sechs seiner tüchtigsten Schüler nach Florenz, um das Griechische zu erlernen; die Brüder des gemeinsamen Lebens widmeten in ihren Schulen dem Humanismus große Aufmerksamkeit.

Das Absterben des Mittelalters bedeutete unter anderem auch das Hinscheiden der Scholastik und ihrer philosophischen Autorität: Aristoteles. An die Stelle der Scholastik trat das freie Forschen, das steigende Ansehen der Vernunft; an die Stelle des Aristoteles trat Plato, der sowohl wegen seiner sprachlichen Schönheiten wie seines religionsphilosophischen Gedankenreichtums und edlen Schwungs seines Geistes zum Lieblingsschriftsteller der Humanisten wurde. In Florenz wurde eine platonische Akademie gegründet, die auch von ausländischen Lernbegierigen besucht wurde. Dank der neu erfundenen Buchdruckerkunst lernte man in West- und Mitteleuropa die Schätze der antiken Geistesarbeit kennen, worunter Platos „Politeia" (Republik) und „Nomoi" (Gesetze) die sozialkritisch veranlagten Humanisten mit dem Kommunismus bekannt machten. Zwei der bekanntesten Humanisten, Erasmus von Rotterdam (geb. 1467, gest. 1536) und der Engländer Thomas Morus (geb. 1480, hingerichtet 1535), standen dem Kommunismus sympathisch gegenüber. Morus ist der Verfasser der „Utopia" (1516), von der wir später ausführlich sprechen werden; Erasmus, dessen Ansehen und Einfluß sehr erheblich waren, führte die Theologen zurück zum griechischen Urtext des Neuen Testaments und der Kirchenväter; in seiner Exegese (Bibelauslegung) gab er eine im Geiste Platos, der Stoa und der ethischen Theorie Ciceros gehaltene Erklärung der Lehren Jesu. Aus der Theologie machte er vor allem eine soziale Moralphilosophie. Ein Christ, meinte er, solle kein Eigentum besitzen, denn alles, was ihm an irdischen Gütern zufalle, verdanke er Gott, der nicht einem Einzelmenschen, sondern allen Menschen gemeinsam die Güter dieser Welt verliehen habe (Opera, Leyden 1705—06, Band IX, S. 1070). Als Morus seine kommunistische „Utopia" veröffentlichte, beeilte sich Erasmus, seinem humanistischen Freunde Ulrich von Hütten hierüber zu berichten. Die Schweizer Humanisten veranstalteten in Basel 1518 eine zweite Auflage der „Utopia" und 1524 eine deutsche Übersetzung. So lebhaft war das Interesse für den Kommunismus und so groß war ihr Eifer, kommunistische Ideen unter den Handwerkern zu verbreiten.

Man darf die allgemeine Regel aufstellen, daß diejenigen Humanisten, die der katholischen Kirche treu blieben, mit dem Kommunismus oder mindestens mit einer gründlichen sozialethischen Reform der Gesellschaft sympathisierten und auf das Seligwerden durch Werke großes Gewicht legten, während die lutherisch-kirchenreformatorischen Humanisten antikommunistisch, sozialkonservativ und kleinbürgerlich waren, so insbesondere Melanchthon, der bedeutendste lateinische und griechische Gelehrte in Wittenberg. Er gab sich große Mühe, die kommunistisch-naturrechtlichen Stellen der lateinischen Literatur und der Patristik sowie die kommunistischen Verse des Neuen Testaments hinwegzudisputieren. In dieser Beziehung stand ihm der privatwirtschaftliche Aristoteles höher als die jerusalemische Urgemeinde, als Ambrosius und Chrysostomus (Melanchthon, Opera 1854, Corpus Reformationis V, Band XVI, Seite 549 ff.). Die Reformation ging, wie bereits bemerkt, aus der moralischen Krise der ernsten bürgerlichen Elemente unmittelbar hervor; alles Proletarisch-Kommunistische oder Urchristlich-Naturrechtliche war ihr deshalb instinktiv zuwider. Luther konnte den Jakobusbrief und die Apokalypse nicht ausstehen, da diese teils proletarisch, teils chiliastisch sind (vgl. oben, Teil II, Mittelalter S. 133) und auf Werke und Taten als Heilsfaktoren Gewicht legen. Auch die absterbende Scholastik, soweit sie von Occams Geist beherrscht war, hinterließ kommunistische Einflüsse im deutschen Denken. Gabriel Biel (gest. 1495), Professor der Theologie in Tübingen,  lehrte, daß das Sondereigentum eine Folge des Sündenfalls sei; ebenso hielt er fest an der naturrechtlichen Auffassung von der ursprünglichen Gleichheit aller Menschen.

Nachhaltiger und folgenschwerer waren die Einflüsse der kommunistischen Täuferbewegung, die gleichzeitig mit den Anfangsstadien des kirchen-reformatorischen Wirkens Luthers und mit der Sozialrevolutionären Bauernbewegung entstand und aus • humanistisch-kommunistischen und urchristlich-patriachstischen Quellen ihre theoretische Kraft zog. Sie entstand in Thüringen, Sachsen, der Schweiz und verbreitete sich nach Süddeutschland, Österreich, Mähren usw. Sie ist in der Geschichte als die Wiedertäuferbewegung bekannt, da ihre Anhänger das Taufen der Säuglinge für ungültig hielten und das Taufen der Erwachsenen — nach dem Muster Johannis des Täufers — verlangten als Zeichen des Eintritts in die christliche Gemeinschaft. Übrigens war das Taufen nur ein Symbol; wesentlich für uns an dieser Bewegung war ihr biblischer Kommunismus. In ihr wirkten die Überlieferungen der ganzen mittelalterlichen Ketzerbewegung nach, die wir schon früher (Teil II) behandelt haben. Ihre Anhänger meinten es ernst mit der neutestamentlichen Sozialethik, sie bemühten sich, die Bergpredigt zu verwirklichen, zum apostolischen Zeitalter zurückzukehren und das Gottesreich einzuleiten. Die übergroße Mehrheit ihrer Anhänger gehörte dem Handwerkerstand an, ihre Führer waren vielfach humanistisch und theologisch gebildete Männer. Alle anerkannten das Prinzip der Gütergemeinschaft, wenn auch über dessen Verwirklichung wie überhaupt über viele Einzelheiten keine Einigkeit herrschte. Bemerkenswert ist die Meinungsverschiedenheit über die Taktik, die die Bewegung in zwei Lager spaltete: die schweizerischen Täufer mit ihren Führern Hans Denk, Konrad Grebel, Felix Manz, Balthasar Hubmeier verwarfen alle Gewalt und allen staatlichen Zwang, während manche der deutschen Täufer, die in der Atmosphäre des sich vorbereitenden Bauernkrieges lebten, für die Anwendung aller Mittel waren, so besonders Thomas Münzer, während die ihm sozialreformerisch verwandten Karlstadt und Sebastian Franck friedliche Gelehrtennaturen waren. Den schweizerischen wie den deutschen Täufern und Kommunisten standen die Kirchenreformatoren Luther, Zwingli und Calvin gleich feindlich gegenüber.

6. Sebastian Franck und Thomas Münzer.

Franck (geb. 1500 in Donauwörth, gest. in Basel 1542) war ein jüngerer Zeitgenosse Münzers. Der Unterschied im Alter betrug etwa zehn oder zwölf Jahre. Beide waren Theologen, wurden vorerst von Luthers Auftreten begeistert, dann aber vom Dogmatismus und von der kleinbürgerlichen Beschränktheit Luthers abgestoßen, und gingen ihre eigenen Wege. Münzer wurde Revolutionsführer, Franck kommunistischer, sozialethischer und religiös-mystischer Schriftsteller und Geschichtsschreiber. 1528 legte Franck sein Amt als Pfarrer nieder, ernährte sich von seiner Hände Arbeit teils als Buchdrucker, teils als Seifensieder und schrieb Bücher. Sein kommunistisches Bekenntnis legte er in seinen „Paradoxa" (1534), dem bedeutendsten seiner Werke, nieder. Die „Paradoxa" offenbaren eine umfassende Belesenheit in den Kirchenvätern und in den Schriften der deutschen Mystik. Er erklärt vorerst die Bedeutung des Wortes Paradoxon. Dieses Wort „heißt ein Ausspruch, der gewiß und wahr ist, den aber die ganze Welt und was nach Menschenweise lebt, nichts weniger als wahr hält". Derartige Paradoxa gibt es 280. Der 153. behandelt den Kommunismus unter der Überschrift: „Das Gemeine ist rein, das Dein und Mein ist unrein." Franck wendet sich gegen die gewöhnliche Auffassung, daß das Gemeine unrein sei, daß gemein sein schlecht bedeute. Unsere Sprache wurde so verbürgerlicht, daß man den Begriff „gemein", der ursprünglich das gemeinschaftliche Leben des Volkes bezeichnete, mit „schlecht", „sittlich unedel" und „niedrig" verwechselte. Gegen diese Verwechslung wendet sich Franck in seinem Paradoxon und sagt: „Wir sollten wohl alle Dinge gemein haben, wie gemeinnen Sonnenschein, Luft, Regen, Schnee und Wasser, wie Clemens (Epist. 5) anzeigt... Der gemeine Gott hat von Anfang seiner Art nach alle i Dinge gemeinsam, rein und frei gemacht. Darum ist ' denn allein das Gemeinsame und Gemeinnützige, wie Gott allein, rein, und das Eigene, Eigennutz und Eigentum hat noch heute einen bösen Klang in aller Menschen Ohren, denen noch natürlich innewohnt und durch den Finger Gottes eingeschrieben ist in ihr Herz, daß alle Dinge gemein und unzerteilt sein sollten... Das Gemeine, was sie (die Welt) unrein schilt, achtet Gott allein für rein. Das Eigene, was sie, wider ihr eigenes Gewissen, für rein hält, das achtet Gott allein für unrein. Wäre nicht eigener Wille, bezeugt die Teutsche Theologie (Kap. 51), so wäre kein Eigentum und keine Hölle... Daher hat der Heilige Geist in der ersten Kirche, in seiner reinen Gemeinde, alle Dinge gemein gehabt (Apostelgeschichte 2, 4), weshalb sie denn Communio, das ist eine Gemein Gottes, genannt ward. Es läßt sich schätzen, als habe dieser Zustand noch gewährt zur Zeit (der Kirchenväter) Klemens und Terrullian. Lies Tertullian Adversus genles, de disciplina Christianorum(3) (2, 9) und Adversus Marcionem, de lapsu primi hominis(4). Lies Clemens (Epist. 5). Jedoch achte ich, daß kein strenges Gebot dagewesen sei und frei in ihr Willkür gesetzt sei, wie man bei Paulus (2. Korintherbrief 8, 9) in Kollekten abnehmen kann, da er niemandem ein Gesetz geben will. Denn da sie unter die Heiden verstreut worden sind, die nicht mit ihnen Gemeinschaft haben wollten, sondern ihr Eigenes, hat der Heilige Geist den Christen, achte ich, auch ihr Eigenes zugelassen, doch so, daß sie es ohne Eigentum besitzen, als besaßen sie es nicht, und daß sie nichts Eigenes oder Verborgenes haben für ihre notdürftigen Brüder... Christen aber gegen Christen sollen billigerweise nichts Eigenes haben... auf daß eine Gleichheit sei und alles gemeinsam sei und gleich zugehe (2. Kor. 8)... Wieviel edler ein Ding sei, je gemeiner, und wieviel gemeiner es sei, je edler es ist, lies Tauler (4. Predigt nach Ostern, im zweiten Teil seiner Predigt, S. 259). Da findest du, daß das Eigene und Eigentum wider die Natur und das Wesen seiner Schaffung ist(5)." An den großen Kämpfen seiner Zeit hat Franck nicht teilgenommen. Er lebte seiner Arbeit und seinen Büchern, deren er mehr als ein Dutzend verfaßte.

Von ganz anderem Temperament war Thomas Münzer. Ein Stürmer und Dränger, ein Mann der Tat und der Revolution. Immer mit den empörten Massen gegen die Herrschenden und Besitzenden, gegen die sanftlebenden Reformer. Er war klein von Statur, von dunkler Gesichtsfarbe und schwarzem Haar, feurigem Blick und derber, volkstümlicher Beredsamkeit, kein Parteimann, sondern anarchistisch veranlagt, ein selbständiger, rücksichtsloser Charakter, seinen inneren Eingebungen folgend, und kühn bis zur Verwegenheit. Er wurde in Stolberg (Harz) geboren, erhielt eine gute Erziehung, studierte Theologie in Leipzig (1506) und Frankfurt, lebte einige Zeit in Halle, wurde 1519 in Leipzig mit Martin Luther bekannt, als Karlstadt mit Eck öffentlich disputierte. Von Luthers Auftreten hingerissen, wirkte Münzer vorerst für die Reformation, erhielt — auf Luthers Empfehlung — eine Kaplanstelle in Zwickau, wo er aber mit täuferischen Handwerkern — den Zwickauer Schwärmern — in Berührung kam und sich ihnen anschloß. Die Berührung mit den täuferisch-kommunistischen Handwerkern und Arbeitern im Jahre 1520/21 war entscheidend für die Zukunft Münzers. Er wandte sich der Mystik zu, las Teutsch Theologia, Taulers Schriften, Joachim von Floris Kommentar zu Jeremia, ging weit über die Reformation hinaus und vertrat hinfort die Forderung auf gründliche Reform der ganzen Gesellschaft durch den religiös-mystischen Kommunismus. Luther appellierte vom Papsttum an das biblische Wort, Münzer appellierte ausgehend von der Sozialkritik der Bergpredigt an die kommunistischen Tendenzen des Ur-Christentums. Daß eine solche Tendenz zum Kampf gegen die Kirche führen muß, haben wir bereits an vielen Beispielen gesehen. Denn immer ist „der eigentliche Entstehungsgrund der religiösen Ideologie... der Unterdrückungskampf der herrschenden Klassen"(6).

Nach diesem Wendepunkt im Geistesleben Münzers mußte der Bruch mit Luther unvermeidlich eintreten. Die vier, fünf Jahre, die Münzer noch zu leben hatte, waren voll von Unruhe, Fährnissen und Kampf. Er verlor seine Predigerstelle in Zwickau, : zog nach Prag, dann nach Nordhausen und fand für einige Zeit einen Ruhepunkt in Auslädt (einem Marktflecken im Mansfeldischen), wo er seine gottes-dienstlichen Reformen und seine kommunistische Agitation mit Eifer betrieb. Seine gegen die Fürsten, Herrschenden und Reichen gerichteten Predigten fanden starken Anklang bei der bäuerlich-bergmännischen Bevölkerung. Thüringen und das Mansfeldische waren hinfort das eigentliche Agitationsgebiet Münzers. Sein Einfluß wurde so groß, daß die von Luther scharfgemachten sächsischen Fürsten es nicht wagten, Gewaltmaßregeln gegen den kommunistischen Rebellenführer zu ergreifen.

Der sich im Südwesten Deutschlands vorbereitende Bauernkrieg warf seine Wellen auch nach Thüringen, wo die arbeitende Bevölkerung ungeduldig wurde und nach Taten verlangte. Münzer mahnte zur Geduld, ' organisierte aber eine geheime Verbindung „wider die, so das Evangelium verfolgen" — das Evangelium ' des Kommunismus. Münzer schöpfte seine kommunistischen Ideen nicht nur aus der Bibel, den Kirchenvätern und den Mystikern, sondern auch aus Platos „Politeia". In einer seiner Predigten meinte er: „Ja, es ist dennoch ein feiner Glaube, er wird noch viel Gutes anrichten. Er wird wohl ein subtiles Volk anrichten, wie Platon, der Philosophus, spekuliert hat." 1524 verkündete er seiner Gemeinde, daß eine Veränderung der Welt bevorstehe, wonach die Gewalt an das gemeine Volk fallen werde. Dieser Glaube, der damals in Deutschland weit verbreitet, und so mancher religiös veranlagte Fürst teilte im stillen diesen Glauben. Es war entschieden eine revolutionäre Zeit.

Nachdem Münzer das Mansfeidische Gebiet bearbeitet hatte, zog er nach Mühlhausen in Thüringen, einer kleinen, gewerbefleißigen und wohlhabenden Reichsstadt, wo seit 1523 der kleinbürgerlich-demokratische Prediger Heinrich Pfeiffer die unteren Volksschichten gegen die Ratsherren: „die Ehrbarkeit" und den hohen Klerus in Bewegung setzte, so daß die Patrizier gezwungen wurden, die Stadtverwaltung zu demokratisieren. Münzer fand also hier einen bereits aufgewühlten Boden, aber ein Brief Luthers an den Rat hatte dort zur Folge, daß Münzer und Pfeiffer das Predigen verboten wurde. Sie zogen dann zuerst nach Bebra, wo sie beim Täufer Hans Hut Aufnahme fanden. Münzer trennte sich von seinem Kollegen, reiste nach Nürnberg, um seine Polemik gegen Luther zu veröffentlichen, dann weilte er an der deutsch-schweizerischen Grenze, wo er mit den Täufern verkehrte und auch die Gelegenheit hatte, die ersten Zuckungen des Bauernkrieges zu beobachten; im Hegau, in der Nähe der Schweiz, waren die Bauern bereits im Sommer 1524 in die Revolution eingetreten. Auf seiner Rückreise nach Mühlhausen weilte Münzer in Süddeutschland, predigte über die alttestamentliche Agrarreform (Jubeljahr) und wurde von allem, was er dort sah, in der Überzeugung bestärkt, daß die allgemeine Erhebung der ländlichen und städtischen Arbeitermassen nicht mehr aufzuhalten sei. Er beeilte sich, nach seinem alten Agitationsgebiete zurückzukehren, um die Thüringer und Mansfelder in die Revolutionsarmee einzureihen und sich an deren Spitze zu stellen.

7. Der Bauernkrieg und die zwölf Artikel.

Im März 1525 war die revolutionäre Bewegung tatsächlich allgemein. Vom Allgäu bis zum Harz, vom Wasgau bis nach Böhmen hinein traten haufenweise die Bauern, die städtischen Arbeiter und viele Kleinbürger in den Kampf teils für Demokratie und Agrarreform, teils für Kommunismus. Die eigentlichen Revolutionstruppen bildeten die Bauern, deren Aktionsprogramm bekanntlich aus zwölf Artikeln bestand, die in ihren wesentlichen Teilen folgenden Wortlaut hatten(7)

„Der erst Artickel.

Zum ersten ist unser diemüttig bytt und beger, auch unser aller will und maynung, das wir fürohin ge-walt und macht wollen haben, ain gantze gemain sol ain Pfarer selbs erwälen und kiesen. Auch gewalt i haben den selbigen wider zu entsetzen, wann er sich * ungepürlich hieldt. Der selbig erwält Pfarrer sol uns ' das hailig Evangeli lauter und klar predigen ohne allen menschliche zusatz, lehr und gebot, dann uns den wahren glaube stets verkündigen; geyt uns Got ain ursach um sein Gnad zu bitten, uns den selbigen wahre glauben einbylden und in uns bestatten. Denn wann sein gnad in uns nit eingebyldet wirdt, so bley-ben wir stets fleysch un blut, das dann nichts nutz ist, wie klärlich in der geschrifft stat, das wir allain durch den wahren glauben zu Got kommen kinten, und allayn durch seyn barmherzigkeit sälig müssen werden. Darumb ist uns ain söllicher vorgeer und Pfarrer von nötten und in dieser gestalt in d'geschrifft gegrindt.

Der ander Artickel.

Zum ändern nach dem der recht Zehat2 auffgesetzt ist im Alten Testament und im Neuen als erfüldt, nichts destminder wollen wir den rechten Korn zehat gern geben. Doch wie sich gebührt: demnach man sol in Got geben, und den seynen mitayle, gebürt es ainem Pfarrer so klar das wort Gots verkindt, seyen wir des willen hinfüro disen zehat, unser kirch Bropst so dann ain gemain setzt. Sollen einsammeln und eynnemen, davon einem Pfarrer, so von ainer gantzen gemain erwält wirdt, seyn zymlich genügsam auff-enthalt geben, ihm und den seynen, und was über bleybt sol man (armen dürfftigen, so im selbe dorff vorhanden seynd) mittailen, nach gestalt der sach und erkenntnis ainer gemain; was über bleybt sol man behalten, ob man Raysen müsst von lands und wegen. Darmit man kain landts Steuer durf auf den armen man legen... Den klaynen zehat wollen mir gar nit geben, denn Got der herr hat das vich frey dem menschen beschaffen, das wir für ein unzym-lich zehat schetzen, den die menschen erdicht haben. Darumb wollen wir ihn nit weyther geben.

Der drit Artickel.

Zum dritten, ist der brauch byssher gewesen das sie uns für ihr aigen leut gehalten haben, welches zu erbarmen ist, angesehen das uns Christus all mitt seynem kostparlichen plutvergüssen erlösst und er-kaufft hat, den hirten alswohl als den höchsten, kain ausgenommen. Darumb erfindt sich mit der geschryfft das wir frey seyen und wollen sein. Nit das wir gar frey wollen seyn und kain oberkait haben wollen, lernt uns Got nit. Wir sollen in gespotten leben, nit in freyem fleyschlichen mutwilen, sondern Got lieben, ihn als unsern Herrn in unseren nächsten erkennen, und alles das thon, so wyr auch gern hetten, das uns Got am abendmal gepotten hat zu ainer letz...

Der viert Artickel.

Zum vierten ist bissher im brauch gewesen, dass kain armer man nit gewalt gehabt hatt, willpret ge-fligel oder fisch in fliessenden Wasser nit zu fachen zugelassen werde, welches uns ganz unzymlich und unbrüderlich dunckt, sonder aigennützig und dem wort Gotz nit gemess sein... Als Got der herr den menschen erschuf, hat er ihm gewalt geben über alle thier, über den fogel im lufft und über den Fisch im Wasser...

Der fünft Artickel.

Zum fünften seyen wir auch beschwert der holtzung halber, denn unsere herrschaften haben ihnen die höltzer alle allain angeaignet, und wann der arme man was bedarff muss ers umb zway geldt kauffen. Ist unser Maynung: was für höltzer seyen... sollen ayner gantzen gemain wider anhaim fallen...

Der sechst Artickel.

Zum sechsten ist unser hart beschwerung der dtenste halber, welche von tag zu tag gemehrt werden und taglich zunehmen. Wir begeren das man ain zimlich einsehen darein thu, uns dermaßen nit so hart beschweren, sonder uns gnedig hier ihnen ansehen, wie unser Eltern gedient haben allain laut des wort Gots.

Der sybent Artickel.

Zum sibenden daß wir hinfüro uns ain herrschaft nit weyter wolle lassen beschweren, sonder wie's ain herrschaft zymlicher weis' ainem verleiht, also sol er's besitzen, laut der ainigung des herrn und bauren. Der herr soll ihn nit weiter zwyngen noch dryngen, mer dienst noch anders von ihm umbsonst begeren... Ob aber dem herren dienst von nötten weren, sol ihm der bauer willig und gehorsam für ander sein, doch zu stund und zeyt, dass dem bauren nit zu nach-teil dien, und ihm umb aynen zymlichen Pffenning dienst thun.

Der achtet Artickel.

Zum achten sey wir beschwert, und der vil, so guter inne haben, darf die selbigen guter die gült(8) nit ertragen kinten und die Bauern das jähr darauff erübiessen und verderben, das die herrschaft die-selbigen guter Erberleut besichtigen lassen, und nach der billigkayt ain gylt erschöpft, damit der baur sein arbait nit umbsunst thue, denn ain yeglicher tag-wercker ist seyns Ions wirdig.

Der neundt Artickel.

Zum neunten seyen wyr beschwert! der grossen frefel(9), so man stets neu Satzung macht, nit dass man uns strafft nach gestalt der sach, sondern zu zeyten aus grossem neyd, und zu zeyten aus grossem gunst. Ist unser maynung, uns bey aller geschriebener straff straffen, darnach die sach gehandelt ist und nit nach gunst.

Der zehent Artickel.

Zum zehenden seyen wir beschwert, dass etlich haben sich zugeaignet wisen, dergleichen ecker, die einer gemain zugeherendt. Dieselbigen werden wir wider zu unseren gemainen landen nehmen, es sei denn sach das man's redlich erkaufft het, sol man sich gütlich und briederlich mit eynander vergleychen nach gestalt der sach.

Der aylfft Artickel.

Zum aylften wollen wir den brauch genandt den todtfall gantz und gar abthun haben. Denn nimmer leiden noch gestatten, das man witwen waisen das ihr wider Got und eeren, also schentlich nemen berauben sol...

Beschluss.

Zum zwelften ist unser beschluss und endtlyche maynung, wann ainer oder mer Artickel alhie ge-steldt (so den wort Gotes nit gemess weren)... wol man uns mit dem wort Gots für unzymlich anzaigen, wolt wir darvon abston, wann man's uns mit grundt der schrifft erklert..."(10) '

Die zwölf Artikel oder Beschwerden und Beschlüsse der deutschen Bauernschaft sind mit großer Gewandtheit abgefaßt; klug, taktvoll, ehrerbietig und prinzipienfest. Es ist eine Bauernschaft, die sich ihrer Würde, ihrer Rechte und Pflichten bewußt ist. Sie verlangte: demokratische Kirchenverwaltung; Beseitigung hierarchischer Willkür und biblisch nicht begründeter Abgaben; Freiheit der Person oder Abschaffung der Leibeigenschaft; Wiederherstellung der Gemeinschaftsrechte an Wald und Gewässern; Herabsetzung der Frondienste auf das in alten Zeiten festgesetzte Maß; für alle übrigen Dienste soll sie „mit ziemlichem Pfennig" bezahlt werden. Sie verlangte ferner eine mäßige, erschwingliche Grundsteuer; Abschaffung aller willkürlichen Strafen und Herstellung unparteiischer Rechtspflege; schließlich Wiederherstellung der Unantastbarkeit der Dorfgemeinschaft, Rückerstattung der ihr vom Adel geraubten Äcker und Wiesen.

Der Verlauf des deutschen Bauernkrieges war dem des englischen ähnlich. Zu Anfang Mai 1525 waren die Erfolge der Revolution sehr erheblich. Die Bauern wurden jedoch teils durch Unterhandlungen verraten, teils waren sie durch mangelhafte Organisation oder durch Uneinigkeit und das Fehlen einer Oberleitung nicht imstande, den Endsieg zu erringen. Die einzeln kämpfenden Bauernhaufen wurden nacheinander geschlagen. Der Hauptfeind der bäuerlichen Revolution war Bayern. Im Herbst 1525 war die deutsche Bauernbewegung erdrückt. Daß Luther die Fürsten und die Obrigkeiten gegen die sich erhobenen Bauern in leidenschaftlichster, unchristlicher Weise scharf gemacht hatte, war selbstverständlich. Ihm fehlte die überquellende Menschenliebe, die durchdringende sittliche Kultur des Heidenapostels Paulus oder auch nur irgendeines der großen deutschen Mystiker.

Und dann kam der Rachezug gegen die Besiegten. „Überall da", schreibt ein patriotischer Historiker, „wo die Bauern mit Gewalt unterlegen waren, wurden sie nunmehr mit Skorpionen statt mit Ruten gezüchtigt; die Greuel des Aufruhrs wurden zehnfach überboten von den Greueln einer über alle Begriffe entmenschten .Reaktion ... Die Zahl der getöteten Bauern wird auf 130000 beziffert. Die Anführer, soweit sie nicht entflohen, wurden unter Martern getötet(11); viele Bauern wurden des Landes verwiesen... Der deutsche Edelmann behauptete das Feld, und die Bauernschaft hatte noch Jahrhunderte ihr Joch weiter zu tragen. Kein Wunder, wenn das Volk — ähnlich wie nach der Niederlage der Revolution von 1905 viele russische Sozialrevolutionäre — in nihilistischen Pessimismus verfiel und die sächsischen Bauern Luther höhnten: „Was predigt der lose Pfaff von Gott? Wer weiß, was Gott ist, ob auch ein Gott ist?" (Egelhaff, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Berlin 1903, S. 245—48.) Die revolutionären Konsequenzen aus der Niederlage zu ziehen fehlte wie nach 1848 und 1871 die Organisation.

8. Niederwerfung der Wiedertäufer: Schlußakt der Revolution.

Siegreiche herrschende Klassen machen immer ganze Arbeit; sie nutzen ihren Erfolg gründlich aus, und je größer die Gefahr war, in der sie sich befanden, desto rücksichtsloser nehmen sie die Verfolgung der Besiegten auf. Nachdem die Bauern-gefahr vorüber war, begann der Vernichtungszug gegen die Täuferbewegung. Verbrennen, Enthaupten, Ertränken waren die Todesstrafen von Tausenden täuferischen Kommunisten. In den österreichischen Erblanden, in den deutschen Gauen, in den schweizerischen Kantonen, in holländischen Städten erlitten die Täufer in den Jahren 1527—1536 das Schicksal der mittelalterlichen Katharer. Auch die friedlichen Täufer, die stillen kommunistischen Gemeinden wurden nicht geschont; Gefängnis, Landesverweisung, Beschlagnahme des Vermögens und gewaltsamer Tod forderten zahlreiche Opfer. Heitern Sinnes, stark und standhaft gingen sie in den Tod. Nirgends setzten sie ihren Verfolgern Widerstand entgegen, außer in Münster (1534—35), wo holländische und niederdeutsche Täufer einen letzten verzweifelten Versuch machten, sich mit der Waffe in der Hand ihres Lebens zu wehren.

Wie in so vielen deutschen Städten im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert kämpften auch in Münster die minderbemittelten zünftigen Handwerker gegen den patrizischen Stadtrat, die geistliche Oberherrschaft und die gewerbliche Konkurrenz der Klosterarbeit. Der Bauernaufstand 1525 fand in Münster einen Widerhall, und es entstand eine rebellische Bewegung, die der Rat und die örtliche Geistlichkeit durch Zugeständnisse beruhigte, aber der Kölner Erzbischof griff ein und stellte den alten Zustand wieder her. Dieser Eingriff, der die Zugeständnisse beseitigte, verstärkte nur die antiklerikalen Stimmungen, und im Jahre 1531 wurde Münster evangelisch. An die Spitze der evangelischen Bewegung stellte sich der Kaplan Bernt Rothmann, ein aus der Schule Melanchthons hervorgegangener humanistisch gebildeter Theologe, um den sich alle unzufriedenen Bürger, Handwerker und Arbeiter sammelten. Zu dieser wirtschaftlich-religiös-munizipalen Gärung kam das täuferische Element hinzu, das durch Zuwanderungen aus dem Jülichschen und aus Holland verstärkt wurde. Die holländischen Täufer, der Bäcker Jan Mathys aus Haarlem und der Schneider Johann Bockelson von Leyden (letzterer war deutscher Abkunft), ausgezeichnet durch Beredsamkeit und Führertalent, übernahmen bald die Leitung. Unter den Einheimischen ragte der Tuchhändler Bernhard Knipperdolling hervor, der mit den holländischen Täufern zusammenging. Bald erhielten die Täufer die Oberhand, worauf der Bischof von Münster gegen sie mobil machte und sie im Februar 1534 mit Krieg überzog. Vorerst gelang es den Täufern, die bischöflichen Truppen teils zu vertreiben, teils zum Abzug zu bewegen, aber der Bischof ließ nicht locker und betrieb eine regelrechte Belagerung der Stadt. Inzwischen sollte ein neuer Stadtrat gewählt werden. Die Täufer gingen aus der Wahl siegreich hervor und übernahmen die Verwaltung Münsters. Es galt nunmehr, Krieg zu führen und zugleich die täuferischen Grundsätze soweit als möglich durchzuführen. Wie diese Aufgaben gelöst wurden, darüber liegen nur gegnerische Berichte vor. Auch in dieser Beziehung teilen die Münsterer Wiedertäufer das Schicksal der Katharer: man kennt sie nur aus den Bildern, die ihre Gegner und Ankläger von ihnen gezeichnet und gemalt haben; Voreingenommenheit und Unverstand waren Pinsel und Palette(12).

Nachdem die Täufer durch ihren Wahlsieg zur Macht gelangt waren, übernahmen ihre Führer Jan Mathys, Johann von Leyden, Knipperdolling und Krechting die Leitung. Um die Stadt, die im Kriege mit dem bischöflichen Heer lag, gegen Verräter zu schützen, wurden die bekannten antitäuferischen Elemente aus Münster verwiesen. Hierdurch wurde zweierlei erreicht: Säuberung der Stadt vom inneren Feind und Ersparnisse an Lebensmitteln. Da trotzdem noch Gegner der Täufer in der Stadt geblieben waren, die im Einverständnis mit dem Feinde zu handeln versuchten, wurden sie hingerichtet. Zwei Notwendigkeiten jeder proletarischen Revolution, Diktatur und Terror gegen den Terror der Unterdrücker, hatten also die Führer der Münsterischen „Kommune" bereits erkannt. Alles Geld, Gold und Silber der Einwohner wurde teils freiwillig, teils durch Verordnung dem Stadtsäckel übergeben; die Ladenbesitzer wurden durch Zureden und durch den Hinweis auf das Evangelium veranlaßt, ihren Kram aufzugeben und mit Handel und Schacher nichts zu tun zu haben. Handwerk und Ackerbau wurden geehrt und gefördert. Die Armen erhielten ihren Lebensunterhalt aus öffentlichen Mitteln. Gemeinsame Mahlzeiten, gewürzt durch Vorlesungen aus der Bibel, wurden eingerichtet.

Der ausgezeichnete deutsch-österreichische Dichter Robert Hamerling in seiner epischen Dichtung „König von Sion" läßt Jan von Leyden predigen:

„Ich hab' es erlebt, mit Augen geschauet, Wenn zu den Menschen ich sprach, wie der Geist urplötzlich zuweilen
Über sie kam, und fort sie riß; und seht, so ergreift er Bald nun alle zugleich: dann feiern die Menschen ein Pfingstfest, Eines Empfindens zu sein und eines Gedankens für immer...

Und nur wenn einerlei Wille sie spornt, dann wird entbehrlich der Priester
Und des Richters Gesetz. Dann brauchen wir keinerlei Zwang mehr,
Keinerlei Eigenbesitz, und auch kein Ehegelöbnis. Alles ist dann ein Geist, ein Sinn, ein Leben...

Wohlan denn! Einkehr pfleget in euch und horchet nach innen und
Ob in euch ist der Drang und die Kraft des vergöttlichten Lebens?

Aufbau'n müssen in uns wir, was wir außen zertrümmern
Wecken den Gott in uns, eh' außen wir stürzen die Götzen!
Prüfet euch: denn nur dem Reinen gereicht zum Heile die Freiheit...

... In Sion, da muß sich erfüllen das Wort: Ich erneure
Jegliches Ding! Wie sollt' uns die Luthersche i Lehre genügen?
Halb nur verjüngt sie die Welt, sie ist lau, im Elend
Läßt sie das Volk, zaghaft, und schmeichelt den Fürsten der Erde!"
Im selben Sinne belehrt Jan Mathys aus Haarlem das Volk:
„Seit Jahrtausenden steht", so rief er, „als Greuel und Schrecknis,
Grausiger noch als der Tod, vor den Augen des Edlen die dunkle
Not, hohläugig und bleich, die verdammt zu den Qualen des Hungers
Scharen, von Gott nur gezählt...

Ihr fragt, wie zu lösen die Wirrnis, Und wie zu sühnen nun endlich ein uralt waltendes Unrecht?
Brüder, ich habe gegrübelt mit glühendem Haupte:  der Selbstsucht
Tod ist's, der uns erlöst, selbstlose, begeisterte Liebe...

Kommt denn, Brüder und Schwestern, wofern im Herzen die Lieb' euch
Glüht, kommt freudig, und laßt uns zu leben gemeinsam,
Teilend die Mühen in Sion, und teilend den Lohn, den Genuß auch.
Bringe, was sein er genannt, nun jeder, und hole sich künftig,
Was er bedarf, ein jeder vom Vorrat, allen gemeinsam.
 

Das Leben in Münster sollte im Sinne des Alten und Neuen Testaments eingerichtet werden. Die Gemeinde nannte man das Neue Israel, das Oberhaupt — König, den Rat — die Ältesten der zwölf Stämme, Münster — Neues Jerusalem. Ein Gottesreich auf Erden sollte entstehen. Die Täufer, sich auf das alttestamentliche Recht stützend, führten die Vielehe ein; der Mann durfte mehrere Frauen ehelichen. Auf Ehebruch, außerehelichen Verkehr mit Jungfrauen, Trunkenheit und andere Laster standen strenge Strafen. Man kann sich denken, wie die Einführung der Vielehe auf die Gegner der Wiedertäufer wirken mußte. Sie war ihnen ein Beweis der Zucht- und Sittenlosigkeit der Kommunisten und regte die Gemüter gegen sie auf.

Gegen diese Gemeinde richtete sich der Haß des Bischofs und aller guten Christen. Etwa fünfzehn Monate lang hielten die Täufer unter mannigfachen Abwehrkämpfen gegen eine große Übermacht tapfer stand. Die niederländischen Genossen sammelten zahlreiche Kräfte, um Münster zu entsetzen, aber die holländischen Behörden schlugen alle Hilfsversuche blutig nieder. Erschöpft an Menschen und Lebensmitteln, verraten im Innern der Stadt und hart bedrängt von außen her durch die bischöflichen Landsknechte, fiel Münster Ende Juni 1535. Unverzagt blickte Johann von Leyden auf den Zusammenbruch. Hamerling läßt ihn gedankenvoll sagen:

... „Nach gewaltigen Schlachten", Ruft er, „kämpfen die Geister noch fort der Erschlag'nen im Luftraum — Also berichten die Sagen: so wird der sionische
Kampf auch Weitergekämpft noch in Lüften — ja weitergekämpft
noch in großer Geisterschlacht: und wer weiß, wie zuletzt noch
fällt die Entscheidung? All das Lanzengeklirr, das Schwertergerassel auf
Erden, Eitel Getöse nur ist's; in den Wolken die Kämpfe
der Geister, Sie nur sind es zuletzt, die entscheiden die
Lose der Menschheit."

Beim Fall von Münster fielen Johann von Leyden, Knipperdolling und Krechting in die Hände der Sieger. Nach unsäglichen Martern, die über sechs Monate währten, wurden sie am 22. Januar 1536 den Schindern überliefert:

„Blutrot ist in den Straßen von Münster der Boden,
und blutrot
Wälzt, von Leichen geschwellt, dahin sich durch
Münster der Aafluß. Niedergemetzelt nun sind auf dem Markt die sionischen Streiter
Bis zum letzten. Aus den Häusern schleppt bei den
Haaren der Landsknecht Zitternde Ketzer hervor und durchsticht sie, oder aus
Fenstern
Stürzt er sie lachend hinab in die Spieße der wilden Genossen.
Einhalt tut nach Tagen dem blutigen Morden der Bischof:
Nimmer ohne Gericht soll würgen den Frevler die Rache:
Nein, erst wird er gefoltert: mit glühenden Zangen zerfleischt dann,
Oder verbrannt, wo nicht aufs Rad ihm geflochten die Glieder..."

(Hamerling, König von Sion.)

Und dies war noch nicht der Strafe genug. In Wort und Bild eiferten Christen sodann, das Andenken der Wiedertäufer mit ewigem Schandmal zu brandmarken. Der nachrevolutionäre weiße Terror räumte auch die letzten Spuren der sozialen Ketzerei und Revolution hinweg(13).

9. Epilog.

Die erste deutsche Revolution war zu Ende. Die Herren siegten, und mit ihrem Siege trat Deutschland in eine lange, lange Periode wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Stillstandes und Rückganges ein; die Blüten der städtischen Kultur verwelkten; der Frühkapitalismus blieb eine Episode; die Bauern versanken in Unfreiheit, und in vielen Gegenden wurden sie gelegt, ihrer Gemeinschaften gewaltsam beraubt; die Reformation verknöcherte, — und vielfach zurückgeworfen, bildete sie schließlich eine der Ursachen der Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges, aus welcher Deutschland — das Deutschland der Ottone und der Staufer, das Deutschland der Hanse und der Fugger und Welser — ausgesogen, geschändet, verkrüppelt und zerstückelt hervorging. Aber die Ordnung hatte gesiegt; der Klassenkampf war erstickt, alle Rebellion niedergeschlagen, die deutsche Volkskraft gebrochen. Um Jahrhunderte wurde die deutsche Entwicklung zurückgeworfen.

Anmerkungen

1) Vgl. Friedrich Engels „Der deutsche Bauernkrieg" (1850), Neuauflage, Internationaler Arbeiter-Verlag, Berlin 1930.
2)
Eine eingehendere Würdigung der Renaissance findet der Leser weiter unten: in Abschnitt V.
3)
Gegen die Heiden. Von der Disziplin der Christen.
4) Gegen Marcion. Vom Sündenfall des ersten Menschen
5) Sebastian Franck, Paradoxa. Ausgabe Lehmann-Ziegler, Verlag Diederichs, Jena, Seite 188—191.
6) R. Eildermann, Th. Münzer, Arbeiterliteratur Heft 9, S. 831
7)
Der hier wiedergegebene Wortlaut ist in Rechtschreibung und Satzbau ein wenig modernisiert, um das Verständnis zu erleichtern.
8) Pachtgroschen, Grundsteuer.
9) Strafen.
10) Vollständiger Abdruck von Alfred Götze in „Historische Vierteljahrsschrift", Band 5, Seite 1ff.
11)
Darunter Thomas Münzer; Florian Geyer fiel durch Meuchelmord
12) Daß die Propaganda der Wiedertäufer außerordentlich stark und wirkungsvoll gewesen sein muß, verrät bereits der Aufwand an Schriften zu ihrer Bekämpfung. Das Münsterische Stadtarchiv bewahrt einige Hunderte solcher Pamphlete gegen die Wiedertäufer auf.
13) Literatur: Döllinger, Weissagungsglaube und Prophetentum, in Raumers Hist. Taschenbuch, 1871; Heinrich Werner, Flugschrift Onus ecclesiae etc. Gießen 1901; Kautsky, Vorläufer, Bd. 2, Stuttgart 1909; Herbert Schönebaum, Kommunismus im Reformationszeitalter, Bonn und Leipzig 1919.

 

 

Editorische Anmerkung

Max Beer, Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe, mit Ergänzungen von Dr. Hermann Duncker, S. 278-308

Der Text ist ein OCR-Scan by red. trend vom Erlanger REPRINT (1971) des 1931 erschienenen Buches in der UNIVERSUM-BÜCHEREI FÜR ALLE, Berlin.

Von Hermann Duncker gibt es eine Rezension dieses Buches im Internet bei:
http://www.marxistische-bibliothek.de/duncker43.html