Ein Brief mit Folgen (Unterstreichungen von red. trend)

Christian Klar schreibt an die
Rosa-Luxemburg-Konferenz

03/07

trend
onlinezeitung

Liebe Freunde,

das Thema der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz "Das geht anders" bedeutet - so verstehe ich es - vor allem die Würdigung der Inspiration, die seit einiger Zeit von verschiedenen Ländern Lateinamerikas ausgeht. Dort wird nach zwei Jahrzehnten sozial vernichtender Rezepte der internationalen Besitzerklasse endlich den Rechten der Massen wieder Geltung gegeben und darüber hinaus an einer Perspektive gearbeitet.

Aber wie sieht das in Europa aus? Von hier aus rollt weiter dieses imperiale Bündnis, das sich ermächtigt, jedes Land der Erde, das sich seiner Zurichtung für die aktuelle Neuverteilung der Profite widersetzt, aus dem Himmel herab zu züchtigen und seine ganze gesellschaftliche Daseinsform in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Die propagandistische Vorarbeit leisten dabei Regierungen und große professionelle PR-Agenturen, die Ideologien verbreiten, mit denen alles verherrlicht wird, was den Menschen darauf reduziert, benutzt zu werden.

Trotzdem gilt hier ebenso: "Das geht anders". Wo sollte sonst die Kraft zu kämpfen herkommen? Die spezielle Sache dürfte sein, dass die in Europa ökonomisch gerade abstürzenden großen Gesellschaftsbereiche den chauvinistischen "Rettern" entrissen werden. Sonst wird es nicht möglich sein, die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen.

Es muss immer wieder betont werden: Schließlich ist die Welt geschichtlich reif dafür, dass die zukünftigen Neugeborenen in ein Leben treten können, das die volle Förderung aller ihrer menschlichen Potentiale bereithalten kann und die Gespenster der Entfremdung von des Menschen gesellschaftlicher Bestimmung vertrieben sind.

Quelle: "Junge Welt" vom 15. Januar 2007

Drei exemplarische Reaktionen

Wolfgang Kraushaar laut Tagesspiegel vom 26.2.07

Der um eine Begnadigung beim Bundespräsidenten
bittende ehemalige RAF-Terrorist Christian Klar hat mit einem
Grußwort für die Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin Zweifel geweckt,
ob er sich tatsächlich von den Zielen der ehemaligen Terrorgruppe
entfernt hat. Der RAF-Experte Wolfgang Kraushaar vom Hamburger
Institut für Sozialforschung verglich den Text in einem Gespräch mit
dem Tagesspiegel mit jenen früheren Kommandoerklärungen, die die RAF
nach Attentaten veröffentlicht hatte. Kraushaar sagte, das sei "der
Sound, der in den 80er Jahren nach den Mordanschlägen auf Beckurts,
von Braunmühl und Herrhausen zu hören war"
.
Der zu fünfmal lebenslang verurteilte Klar hatte sich erstmals seit
mehr als fünf Jahren wieder öffentlich zu Wort gemeldet. In einem auf
der Rosa-Luxemburg- Konferenz Mitte Januar vom ehemaligen
PDS-Bundestagsabgeordneten Heinrich Fink verlesenen Text kritisierte
Klar die aktuellen Zustände in Europa in äußerst scharfem,
unversöhnlichem Ton. Er äußerte dabei die Hoffnung, dass die Zeit
jetzt gekommen sei, "die Niederlage der Pläne des Kapitals zu
vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen".
Klars Anwalt Heinz-Jürgen Schneider spielte die Brisanz des Textes
herunter. Für das laufende Verfahren, bei dem der Ex-Terrorist hofft,
noch in diesem Jahr auf dem Gnadenweg freizukommen, spiele das
Grußwort keine Rolle. Schneider sagte dem Tagesspiegel, so wie Klar
das formuliere "würde jeder Attac-Aktivist auch sprechen".
Der RAF-Experte Kraushaar mutmaßt dagegen, dass Klar "vielleicht
seine letzte Chance auf Begnadigung durch den Bundespräsidenten
verspielt haben könnte". Klars "Botschaft" stelle nichts anders dar,
"als ein Bekenntnis zum antiimperialistischen Kampf". Kraushaar
erinnerte daran, dass es in den 80er Jahren ein "überaus praktisches
Bündnis zwischen Linksterrorismus und SED" gegeben habe, "die
sogenannte RAF-Stasi-Connection"
. Insofern komme "ein Schulterschluss
zwischen einem RAF-Hardliner wie Klar und Betonköpfen der PDS
vielleicht gar nicht so überraschend.

Stefan Wirner 28.2.2007 in der Jungle World vom 28.2.2007

Über einen Monat alt ist eine Grußbotschaft des ehemaligen RAF-Mitglieds Christian Klar an die alljährlich stattfindende so genannte Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin. Aber erst jetzt macht das Traktat Furore und schafft es sogar bis in die Tagesschau.

Klar würdigte in seinem Schreiben die »Inspiration, die seit einiger Zeit von verschiedenen Ländern Lateinamerikas ausgeht«, und kritisierte das »imperiale Bündnis« in Europa, »das sich ermächtigt, jedes Land der Erde, das sich seiner Zurichtung für die aktuelle Neuverteilung der Profite widersetzt, aus dem Himmel herab zu züchtigen«. Die Aufgabe bestehe darin, die »abstürzenden großen Gesellschaftsbereiche den chauvinistischen ›Rettern‹« zu entreißen, um »die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden«. Der übliche Antiimp-Quatsch also, vorgetragen in einem Stilmix aus Botho Strauß und Robert Kurz.

Für die Experten des Rechtsstaats allerdings eine wunderbare Vorlage. Der Großdenker Wolfgang Kraushaar analysierte: »Es ist im Grunde genommen so etwas wie eine Reformulierung eines politischen Überbaus für das, was die RAF ausgemacht hat.« Zwar sei vom bewaffneten Kampf keine Rede, »aber es ist die Rede davon, dass das Koordinatensystem, in dem dieser bewaffnete Kampf angesiedelt gewesen ist, nach wie vor richtig sei«. Mal sehen, wie Klars Brief im »Koordinatensystem« von Horst Köhler ankommt. Denn bei ihm liegt derzeit Klars Gnadengesuch.

Elmar Altvater von Attac Deutschland am 1.3. 2007

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac weist die Versuche zurück, in der Diskussion um eine Begnadigung von RAF-Mitglied Christian Klar Kritik am Kapitalismus grundsätzlich unter Gewaltverdacht zu stellen. 'Attac hat mit den Praktiken der RAF nichts zu tun, aber selbstverständlich ist es legitim, ja sogar notwendig, den Kapitalismus zu kritisieren' sagte Professor Elmar Altvater, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates von Attac und Autor des Buches 'Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik'.

Attac ist in den vergangenen Tagen wiederholt mit dem Grußwort von Christian Klar auf der Rosa-Luxemburg Konferenz im Januar dieses Jahres in Verbindung gebracht worden.

'Nur wer sich in der besten aller möglichen Welten wähnt, wird eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus für veraltet und überflüssig halten', sagte der Politikwissenschaftler zu der Debatte.

Selbst Vizekanzler Franz Müntefering kritisiere die so genannten Heuschrecken und deren zerstörerische Praktiken. Und es sei auch kein Hindernis für die kürzliche Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Marburg an den früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt gewesen, dass dieser wiederholt den Raubtierkapitalismus in der Wochenzeitung 'Die Zeit' gegeißelt hat. Nicht nur in den Entwicklungsländern lasse sich beobachten, wie die Orientierung am Maximalprofit Armut und soziale Spaltung produziere, wie die Privatisierung öffentlicher Güter, etwa in der Versorgung mit Trinkwasser, Millionen von Menschen in Not bringt. Elmar Altvater:

'Die weltweite Durchsetzung des neoliberalen Leitbildes hat unsere Welt kälter gemacht. Es stößt inzwischen auf breiten Widerstand, auch von Regierungen, zum Beispiel in Lateinamerika'.

Altvater bezeichnete die Entscheidung des baden-württembergischen Justizministers Ulrich Goll (FDP), Christian Klar wegen seiner kapitalismuskritischen Äußerungen keine Haftlockerungen zu gewähren, als vordemokratisch und mit einem liberalen Verständnis von Politik nicht vereinbar. Die Forderung zahlreicher Politiker, Christian Klar müsse auf Grund seiner Gesinnung lebenslang hinter Gittern bleiben, sei mit dem Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung nicht vereinbar.

'Ob ein Mensch aus der Haft entlassen wird oder nicht, darf in einem Rechtsstaat nicht von seiner politischen Überzeugung abhängig gemacht werden', sagte Elmar Altvater. Entscheidend müsse allein sein, ob von dem Inhaftierten weiterhin eine Gefahr für andere Menschen ausgehe.