Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Die französische Afrikapolitik
Chiracs letzter Gipfel ging zu Ende. Der Neokolonialismus geht weiter

03/07

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onlinezeitung

Hat die Altersweisheit bei ihm schon eingesetzt? Erstaunlich kritisch sind die Sätze aus dem Munde des französischen Präsidenten Jacques Chirac, die das jetzt noch für einige Wochen amtierende Staatsoberhaupt gegenüber einem Biographen – dem ehemaligen Mitterrand-Verehrer - Pierre Péan aussprach. Im Februar wurden sie nun einem breiteren Publikum bekannt. Über die Einwohner des afrikanischen Kontinents sagt Chirac im Tonfall moralischer Empörung: „Nachdem man ihnen ihre Kultur geraubt hat, hat man ihnen ihre Ressourcen und ihre Bodenschätze gestohlen und sich dabei der örtlichen Arbeitskräfte bedient. Man hat ihnen alles weggenommen und immer wieder erklärt, sie taugten zu nichts. Und jetzt kommt die neueste Etappe: Man zieht ihre Intelligenzschicht an Universitäten ins Ausland ab, und sagt denen, die dort bleiben: ‚Diese Neger taugen wirklich zu nichts.’“
 

Von unserem Autor

 

 

 

 

 

 

 

 


Das Frankreich der Reaktion
Neofaschismus und
modernisierter Konservatismus

ca. 180 S., mit Abb., Br., 14,90
Erscheint im März bei Pahl-Rugenstein

Nicht wenige Beobachter ziehen eine direkte  Verbindung zum Konzept der selektiven Einwanderung von Eliten und hochqualifizierten Arbeitskräften, die Chiracs Innenminister und möglicher Nachfolger Nicolas Sarkozy – ganz im Sinne der auf EU-Ebene verfolgten Politik – organisieren möchte. Dass solche Sätze aus dem Munde eines Jacques Chirac kommen, entbehrt ansonsten nicht der Pikanterie. Hat der Mann doch als Präsident das ursprünglich „Museum für primitive Kunst“ getaufte Musée Branly lanciert, das im Sommer 2006 in Paris eröffnet wurde und viele geraubte Kulturgüter aus Afrika zeigt, und langjährige Freundschaften zu afrikanischen Diktatoren und hyperkorrupten Präsidenten gepflegt.  

Am 15. Februar wurde Chirac in Cannes, auf jener Promenade, wo alljährlich das berühmte Filmfestival stattfindet, die „Palme de la Françafric“ verliehen. Der Begriff bedeutet eine Abwandlung des dereinst von dem verstorbenen Schriftsteller und Vorsitzenden der Solidaritätsvereinigung Survie, François-Xavier Verschave, geschaffenen Wortgeschöpfs „Françafrique“. Die Variante, die auf „fric“ (Zaster) endet, bezeichnet die gewaltigen Korruptionsnetzwerke im Zusammenhang mit der Ausplünderung Afrikas, in die wesentliche Teile der französischen Politik und Wirtschaft verwickelt sind. Eines der bekanntesten Grobvermögen Frankreichs, jenes des auf allen Kanälen als „Kämpfer fûr die Demokratie und gegen den Faschismus“ präsenten linksliberal-konformistischen Fernsehphilosophen Bernard-Henri Lévy, wurde von dessen Vater durch Raubbau an Tropenhölzern in der Côte d’Ivoire und in Kamerun angehäuft. In Cannes erhielt, unter dem wachsamen Auge zahlreicher Polizisten und in einem Regen falscher Geldscheine, die Erdölfirma Total-Fina - die de facto mehrere afrikanische Präsidenten in Ländern wie Kamerun und Congo-Brazzaville ins Amt gebracht hat – die Auszeichnung als „beste Ausbeuterfirma der Françafric“. Jacques Chirac erhielt den Preis des „besten Freundes der Diktatoren“. An der satirischen Zeremonie nahmen mehrere hundert Personen teil, nachdem zwei Tage zuvor rund 1.500 Menschen in Paris gegen die französische Afrikapolitik demonstriert hatten. 

Ein Präsident nimmt Abschied von seinen Kollegen 

Auf der offiziellen Seite stand der diesjährige Gipfel von Cannes im Zeichen des „Abschieds Chiracs von Afrika und den afrikanischen Präsidenten“. Ein Grobteil der Medien, von der Spezialistenzeitschrift Jeune Afrique bis zum rechten Wirtschaftsmagazin Valeurs actuelles, schrieb fast gleichlautend: „Eine Ära in den französisch-afrikanischen Beziehungen geht zu Ende“. Aufgeworfen wird damit gleichzeitig die Frage, was nach dem 6. Mai 2007 kommen wird, wenn der Nachfolger oder die Nachfolgerin Chiracs gewählt sein wird. Jeune Afrique untersucht die Vorhaben der beiden aussichtsreichsten Kandidaten auf das höchste Staatsamt.  

Bei Nicolas Sarkozy sieht die Revue eher Kontinuität zum bisherigen Wirken Frankreichs in Aussicht: Der konservative Politiker habe bereits einen Kandidaten für die Spitze der „afrikanischen Zelle“ in Aussicht, die bisher unter Ausschluss der parlamentarischen Kontrolle und der Öffentlichkeit den französischen Einfluss auf dem Kontinent wahrte. Auch habe er zu seiner Antrittsrede als Präsidentschaftsbewerber, am 14. Januar in Paris, die Präsidententochter Pascaline Bongo eingeladen. Sie vertrat Omar Bongo, der seit dem Jahr 1967 ohne Unterbrechung an der Spitze der Republik Gabun steht. Dieser dienstälteste Staatschef der „Françafrique“ kennt nahezu alle Geheimnisse der politischen Klasse in Paris – die er seinerseits mit seinem Wissen bedrohen kann, sollte es einmal eng für ihn werden - und hat nicht wenige Wahlkämpfe in Frankreich finanziert. Er steht im Zentrum der Korruptionsnetzwerke des früheren Elf-Konzerns, jetzt Total-Fina, in den afrikanischen Ölstaaten.  

Von der (rechts)sozialdemokratischen Kandidatin Ségolène Royal erwartet die Zeitschrift dagegen gewisse Veränderungen, da sie sich unter anderem gegen die Fortexistenz der „afrikanischen Zelle“ ausspricht. Tatsächlich hat Royal, die als Novizin in Sachen Aubenpolitik gilt - internationale Themen gehören eher zu ihren Schwächen – sich im Dezember in der linkschristlichen Zeitschrift Témoignage Chrétien für eine parlamentarische Kontrolle über die französische Afrikapolitik und für die Veröffentlichung der bisher geheim gehaltenen Texte von Militär- und Beistandsabkommen ausgesprochen. Ferner möchte Royal garantieren, dass 5 Prozent der staatlichen Entwicklungshilfe Frankreichs künftig durch NGOs verteilt wird. Den Text soll ein Teil ihrer Umgebung, in Eile und ohne gröbere Rücksprache (um nicht noch „rechtzeitig“ zur Ordnung gerufen zu werden), also quasi an den aubenpolitischen Entscheidungsträgern der französischen Sozialdemokratie vorbei, in die Zeitschrift gehievt haben.   Vielleicht könnte damit wenigstens ein bisschen Licht ins Dunkel der fransösischen Politik gegenüber dem postkolonialen „Hinterhof“ in Afrika gebracht werden. 

Radikale Änderungen sind auch in diesem Falle wohl nicht zu erwarten, eher eine Veränderung im politischen Stil. Denn während Chiracs „Kooperationsministerin“ Brigitte Girardin noch im Februar 2007 in Le Monde verkündete, dass „die Françafrique zwar einmal bestanden hat, aber schon lange nicht mehr existiert“, hat sich gerade in allerjüngster Zeit eine gegenläufige Tendenz gezeigt. Demnach legt die französische Politik wieder eine verstärkte Neigung zu aktiver, auch militärischer Einmischung in Afrika an den Tag. „Frankreich möchte wieder der Gendarm des Kontinents werden“ schrieb die zweiwöchentlich in Cotonou (Bénin) erscheinende, länderübergreifende Zeitung ‚Continental’ jüngst. Seit den Militärinterventionen von 1978 im damaligen Zaire und 1983 im Tschad habe Frankreich nicht mehr so stark militärisch in Afrika eingegriffen wie in jüngster Zeit.  

Der Gendarm des Kontinents... 

So setzte Paris vor einem Vierteljahr eigene Truppen ein, um eine Rebellionsbewegung in der Zentalafrikanischen Republik niederzukämpfen. Am 27. und 30. November 2006 eröffneten französische Mirage-Kampfflugzeuge aus der Luft das Feuer auf Rebellentruppen der Union des forces démocratiques pour le rassemblement. Im April 2006 hatten französische Militärs auch im benachbarten Tschad eine Rebellion niederzuschlagen geholfen.

Jüngst wurden die französischen Truppen im Senegal und in der Côte d’Ivoire mobilisierungsbereit gehalten, als im Janur und Februar in der Republik Guinea ein Generalstreik und soziale Massenkämpfe stattfanden. Von Toulon aus lief während des sozialen Konflikts, dessen zeitweise gewaltsame Niederschlagung mindestens 115 Tote kostete, das französische Kriegsschiff ‚Sirocco’ in Richtung Guinea aus, „um im Bedarfsfall bedrohte westliche Staatsbürger zu retten“. Doch die Streikenden waren erfolgreich, und ihr Ausstand führte am 25. Februar zur Einsetzung einer Übergangsregierung unter dem Ex-Diplomaten Lansana Kouyaté. Zum militärischen Eingreifen der Grobmächte kam es letztlich nicht, während sowohl die USA als auch Frankreich, Russland und Japan ökonomisch massiv präsent sind und an der Ausplünderung des Landes – die durch die Protestbewegung angeprangert wurde – teilhaben. 

...trotz relativen Niedergangs der französischen Rolle 

Schon 1996 und 1997 hatten französische Truppen den damaligen Präsidenten Ange-Félix Patassé vor einer Rebellion in Schutz genommen und dabei die Aufständischen aktiv bekämpft.Die französische Armee bombardierte 1996 sogar Stadtviertel der Hauptstadt Bangui. Aber danach sollte eigentlich Schluss sein mit solchen direkten Interventionen in die Innenpolitik des Landes in der geographischen Mitte Afrikas. Kaum war die neue sozialistische Regierung unter Lionel Jospin im Amt, verkündete sie im Juli 1997 eine Verringerung der französischen Truppenzahl auf dem Kontinent, von vorher 8.360 auf rund 5.000 Mann.

Das sah damals nach einem Bruch mit dem Neokolonialismus der Vorgängerregierungen aus, war es aber nicht. Auch die konservativen Amtsvorgänger der Jospin-Regierung hatten bereits ähnliche Pläne geschmiedet. Im Hintergrund des Truppenabbaus in Zentralafrika stand nicht der Verzicht auf Einflussnahme im bisherigen (neo-)kolonialen « Hinterhof » Frankreichs – sondern die Unlust, sich von lokalen Regimen für die Regelung ihrer innenpolitischen Schwierigkeiten « instrumentalisieren » zu lassen.

Knapp zehn Jahre später scheint Frankreich am Ausgangspunkt zurück. Die Anzahl französischer Soldaten auf dem afrikanischen Kontinent beträgt heute 11.000. Inzwischen stehen sie auch wieder, auf längere Dauer, in der ZAR : Anfang 2003 wurden dort zweihundert französische Soldaten stationiert, im November dieses Jahres kamen weitere einhundert hinzu. Sofern ihre Truppenstärke nicht ausreicht, können sie jederzeit durch das Einfliegen von Verstärkung aus dem Nachbarland Tschad aufgestockt werden. Und auch im Tschad selbst, wo mehrere Rebellenbewegungen gegen das Regime in N’Djamena kämpfen, wird Frankreich sich militärisch stärker engagieren. Premierminister Dominique de Villepin weilte dort am 30. November für einige Stunden zu einem Kurzbesuch. Der Pariser Presse zufolge versprach er dabei dem seit 16 Jahren diktatorisch regierenden Staatschef Idriss Déby zusätzliche militärische Ausrüstung - Maschinengewehre, Geländefahrzeuge - und, wo nötig, ein Eingreifen der in N’Djamena stationierten Mirage-Kampfflugzeuge. Gerechtfertigt wird das Eingreifen an der Seite teilweise übler Regime mit der Notwendigkeit, eine weitere Destabilisierung des Dreiecks aus Sudan, Tschad und Zentralafrikanischer Republik zu verhindern. Die „ethnischne“ Konflikte im Tschad und der Bürgerkrieg in der westsudanesischen Provinz Darfur dürften sich nicht zum regionalen Flächenbrand ausweiten. 

Neue Konkurrenz

Welche Interesse Paris in Afrika verfolgt, ist leicht zu überblicken. Die verbliebenen Reste des französischen Grobmachtstatus hängen unter anderem an der Bereitschaft afrikanischer Präsidialregime, in der UN-Vollversammlung – wenn nötig – en bloc zusammen mit den offiziellen Vertretern Frankreichs abzustimmen. Der Zugriff auf Rohstoffe ist zumindest in den Erdölstaaten nach wie vor von hoher Bedeutung. Neben den USA, die seit den neunziger Jahren verstärkt auf den afrikanischen Kontinent drängen, ist Frankreich nun auch noch ein neuer mächtiger Konkurrent erwachsen, in Gestalt der VR China. Diese macht einen wachsenden Bedarf an Rohölimporten für ihre expandierende Industrieproduktion geltend. Im Sudan ist Peking bereits sehr präsent, und die dortigen Ausfuhren machen bereits 10 Prozent der chinesischen Importe beim Erdöl aus.

Doch dadurch kommt auch das Spiel durcheinander, das die in Afrika präsenten Grobmächte in den letzten zehn Jahren geführt hatten, und erwachsen neuartige Rivalitäten. Mitte der neunziger Jahre war die französische Präsenz zunächst unter Druck der erstarkenden US-amerikanischen Konkurrenz geraten. Aber in der Ära der eher « multilateral » orientierten Clinton-Administration zeichnete sich ein Kompromiss ab. An einer multinational gestalteten Konfliktregelung bzw. Krisenbewältigung, deren Schirmherrschaft teilweise die Afrikanische Union (AU) übernehmen würde, sollten die westlichen Grobmächte eher im Hintergrund teilnehmen. Auch in Paris war man ganz froh oder erleichtert darüber, und man sprach von einer « Selbstverwaltung der afrikanischen Krisen » : Ohne den eigenen wirtschaftlichen Einfluss aufzugeben, wäre man nicht mehr so direkt verantwortlich für die Stabilität der lokalen Regime. Die Stabilisierung von Staaten, in denen oftmals ein Clan oder eine Ethnie alle Macht usurpiert hat wie im Tschad, erwies sich oft als schwieriges Unterfangen. Zudem lieben die USA unter dem neuen Präsidenten Bush nach 2000 zunächst Afrika eher links liegen, bevor sie ab 2003 ein Comeback unter ihrer eigenen Flagge im Namen des « Antiterrorkrieges » erfuhren : Es galt nun, ein Einsickern des Netzwerks Al-Qaïda in die Sahelzone zu verhindern, etwa durch Einrichtung von Militärstützpunkten.              

Aus diesen Gründen klammert Paris sich an seine herkömmlichen Machtpositionen in Afrika. Einer Lösung der Konflikte im zentralen Ostafrika kommt der Kontinent damit bisher nicht näher. Ein von Paris eingefädeltes Treffen zwischen den Präsidenten der drei Nachbarländer Tschad, Sudan und Zentralafrikanische Republik am Rande des Gipfels in Cannes brachte kaum greifbare Ergebnisse. Augenzeugen zufolge sollen die drei Staatschefs vor allem Beleidigungen ausgetauscht haben. Eine gemeinsame Erklärung, die am Ende des anderthalbstündigen Treffens angenommen wurde, versichert jedoch, dass die drei Regime künftig nicht mehr bewaffnete Bewegungen in den Nachbarländer zur Destabilisierung ihrer jeweiligen Rivalen unterstützen wollen.  

Angela Merkel in Cannes: Sprungbrett nach Afrika 

Dennoch akzeptiert Paris eine gewisse Multilateralisierung der Beziehungen zu Afrika, insbesondere weil es mit der Verwaltung von Krisenfolgen und humanitären Katastrophen künftig nicht „allein gelassen“ werden möchte. Als amtierende EU-Ratspräsidentin nahm auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Gipfel in Cannes teil, wo 51 von 53 afrikanischen Ländern durch Delegationen vertreten waren, davon 33 sogar mit ihren Staatsoberhäuptern.  

Kanzlerin Merkel war es dort vor allem ein sichtbares Anliegen, den afrikanischen Präsidenten einzuschärfen, sie hätten eine Mitverantwortung bei der Bewältigung von „Migrationsströmen“. Künftig soll ein Grobteil der Auswanderungswilligen gar nicht mehr bis nach Europa gelangen können. Unter aktiver Mitwirkung der örtlichen Staaten und Regime sollen sie durch einen Mix aus wirtschaftlicher Unterstützung in Gestalt der Ansiedlung von Unternehmen, Zwangsmabnahmen und Abschreckung auf dem afrikanischen Kontinent „fixiert“ werden. Darin dürften sich die reichen Länder unter sich ausnahmsweise völlig einig sein.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Text am 3.3.2007 vom Autor.