Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Jean-Marie Le Pen auf der Suche nach dem „revolutionären Votum“ (für ihn)

03/07

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Von wem stammt diese irre anmutende Formulierung? „Würde er heute leben, dann würde Karl Marx dazu aufrufen, Le Pen zu wählen.“ Ausgesprochen bei einer Pressekonferenz am 6. Februar 2007. Nun, versuchen wir zu raten: Horst Mahler? Nein, falsch getippt. Das wäre ihm zwar zuzutrauen, aber der ehemalige 68er setzt eher auf die deutsche NPD. Vorlieben für die französische Politik sind bei ihm zur Stunde nicht bekannt, und Sympathiewerbung im Ausland hat er bisher eher in Teheran als in Paris probiert. Noch ein Versuch: Justus Wertmüller?

Auch daneben. Der Ideologe der neokonservativ-antitotalitären und verschrobenen Sekte der „Bahamas“ (Kernstück der so genannten „Antideutschen“, aus den Trümmern der westdeutschen Linken der 80er Jahre hervorgegangen) attestierte zwar Jean-Marie Le Pen in einem Artikel von 2003 „vernünftige Einwände gegen die ungebremste Islamisierung“ französischer Unterschichtsviertel. Auch hielt er ihm zugute, so wörtlich, eine „Kritik an einer irre gewordenen Gesellschaft“ vorgetragen zu haben, wenngleich „auf widerwärtigem Niveau“. (Also merke: Das Irresein liegt bei der Gesellschaft, die Kritik daran bei Le Pen, nur über Geschmack und Niveau lässt sich streiten; Quelle: „Bahamas“ Nr. 42.)

Von unserem Autor

 

 

 

 

 

 

 


Das Frankreich der Reaktion
Neofaschismus und
modernisierter Konservatismus

ca. 180 S., mit Abb., Br., 14,90
Erscheint im März bei Pahl-Rugenstein

Allerdings hat der sich selbst immer noch missbräuchlich „Kommunist“ schimpfende Herr, bei dem längst so einige Sicherungen durchgebrannt sind, bislang noch nicht die Idee gehabt, Karl Marx mit Jean-Marie Le Pen in Verbindung zu bringen. Und bislang würde er wohl auch nicht zur Stimmabgabe für den rechtsextremen Franzosen aufrufen – nicht nur, weil er in Berlin statt in Frankreich wohnt, sondern auch, weil ihm doch das Niveau von Le Pens Auslassungen noch missfällt. Zu rabaukenhaft, zu plebeiisch, und es kann eben auch nicht jeder ein solches fein formulierendes Genie wie Wertmüller selbst sein – wo kämen wir denn da hin.

Aber nicht nur die deutsche Ex-Linke hat ihre Monster und solche Gestalten wie Horst Mahler oder Justus Wertmüller, den Antisemiten und den philosemitischen Rassisten, hervorgebracht. Auch einige französische frühere Linke drehen ordentlich am Rad. Und mit diesen Worten wäre er auch schon treffend eingeführt: Alain Soral.

Alain Soral, ein politischer Geisterfahrer an der Seite Le Pens

Schon seit anderthalb Jahren werden die Le Pens – der bald 79jährige Vater ebenso wie Marine, die 38jährige Tochter und mögliche Nachfolgerin an der Parteispitze – von einem skandalumwitterten Schriftsteller namens Alain Soral beraten. Anfang Februar 2007 ist er nun hochoffiziell ihrem Wahlkampfstab beigetreten. Der Romancier, Jahrgang 1958, der vor allem durch seine antifeministischen, provokatorischen und teilweisepornographischen Schriften auffiel, gehörte bis in die frühen neunziger Jahre der französischen KP an. 1993 trat er aus der Partei aus. Danach ging er auf Abstand zur Linken, die in seinen Augen nicht mehr glaubwürdig den Wunsch nach radikaler sozialer Veränderung verkörpern konnte. Den Niedergang der KP vor allem in den Banlieues beschrieb er in einem 2002 erschienenen Buch (Jusqu’où on va descendre. Abécédaire de la bêtise ambiante, also „Bis wohin wir herabsinken werden. ABC der umgebenden Dummheit“) und führte ihn dabei vor allem auf die Immigration zurück. Letztere habe zu einem Austausch der altansässigen Arbeiterschaft durch eine subproletarische und multinationale Bevölkerung geführt. Faktoren wie die Veränderung der Arbeitsverhältnisse selbst blendet Soral dabei völlig aus. Ebenso wie die Tatsache, dass auch zu Zeiten rauchender Fabrikschlote in den Banlieues -– die damals noch Arbeitervorstädte und von Industrieansiedlungen geprägt waren -– deren Bevölkerung bereits zu einem Gutteil aus Einwanderern bestand.

Neben der Einwanderung als angebliche Ursache des Niedergangs für den Parteikommunismus bekämpft Soral vor allem die „Feminisierung“ der Gesellschaft, die er in seinem zweiten zentralen Buch als „antidemokratisches Komplott“ darzulegen versucht. Alles in allem verkörpert Soral die Gedankenwelt einer politisch desorientierten Fraktion der Arbeiterschaft, die durch die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 15 Jahre völlig in die Defensive geraten ist. Und die sich sowohl aufgrund des Wegfalls sozialer Garantien und aufgrund der neoliberalen Umwälzungen, als auch aufgrund gesellschaftlicher Modernisierungserscheinungen (Selbstbewusstsein  der aufwachsenden zweiten bzw. dritten Immigrantengeneration und der jungen Frauen u.ä.) nicht mehr zurecht findet, sondern mit dem Rücken an der Wand wähnt. Der Wegfall traditioneller Industriearbeitertätigkeiten in der Produktion und der Platz der Frauen in der Arbeitswelt hindern diesen Typus von „Proleten“ daran, ihren an Muskelkraft und „Arbeitsethos“ gekoppelten Produzentenstolz auszuleben. Für jenen Teil der Arbeiterschaft, der seinen eigenen Platz in der Gesellschaft vor allem darüber (statt über kollektive Solidarität, die aus der Stellung im Produktionsprozess erwuchs) definierte, muss dies in der Tat verwirrend und niederschmetternd wirken. Bei einem Typen wie Soral, der auch eine „Soziologie des Anbaggerns“ (Sociologie du dragueur) verfasst hat, können daraus Kastrationsängste, eine Form von Sozialneid gegen Einwanderer mit anderem kulturellem Backgroud und sonstige Komplexe emporwachsen.

Das „missing link“ zwischen Dieudonné und Le Pen

Jetzt betreibt Soral also Wahlkampf für Le Pen. (Vgl. zu seiner Pressekonferenz: http://tempsreel.nouvelobs.com ) Der Schriftsteller hat sich bereits in den letzten anderthalb Jahren als Bindeglied zwischen dem ebenfalls ex-linken Theatermacher Dieudonné M’bala – der unter seinem Vor- und Künstlernamen bekannt und persönlich mit Alain Soral befreundet ist – und Jean-Marie Le Pen betätigt. Der schwarze Franzose Dieudonné hat sich seit circa 2004 nach rechts zu radikalisieren begonnen, nachdem er in der Öffentlichkeit durch judenfeindliche Äuberungen aufgefallen war. Am Anfang motivierte ihn dabei vor allem eine Form von „Opferkonkurrenz“ – durch die Erinnerung an die Shoah monopolisierten die Juden den Opferstatus, und angeblich deshalb schweige man zu den Verbrechen der Sklaverei und des Kolonialismus. Nachdem Dieudonné jedoch wegen seiner Ausfälle unter Druck geraten war, hat er sich seither in ein paranoides antisemitisches Weltbild hineinzusteigern begonnen: Aufgrund einer Art Verschwörung würde er in den Medien zum Schweigen gebracht. Seit einem halben Jahr hat Dieudonné sich jetzt offen an Le Pen angenähert. Die Grundlage dafür ist eine Mischung aus punktueller ideologischer Gemeinsamkeit, einem Gefühl der „Solidarität unter Verfolgten und Verfemten“ – die Dieudonné ausgerufen hat -, Lust an der Provokation und Sucht nach Publicity. Jean-Marie Le Pen ist zurückhaltender bei der Annäherung als Dieudonné, da Teile seiner Basis ihm gemeinsame Fotos mit dem Schwarzen, früheren Le Pen-Gegner und ehemaligen Antirassisten übel nehmen könnten.

Dieudonné dürfte zwar heute nur bei einem sehr geringen Teil der zwei Millionen französischen Staatsbürger, die schwarzer Hautfarbe sind, Anklang finden. Aber er trägt dazu bei, in migrantischen und sozial marginalisierten Bevölkerungsteilen politische Verwirrung zu stiften.

„Kandidat aller Unzufriedenen“

Auf Anraten von Alain Soral hin umwirbt Le Pen nun das „revolutionäre Votum“ in den Sozialghettos der französischen Banlieues. Da sich beobachten lässt, dass die Frustration gegen Polizeigewalt und rassistische Diskriminierungspraxis sich stark personifiziert auf den konservativen Kandidaten und Innenminister Sarkozy fokussiert hat, versucht Le Pen sich seinerseits als den „Kandidaten aller Unzufriedenen“ anzubiedern  - und zwar inzwischen auch den Franzosen migrantischer Herkunft. Das ist zwar insofern total widersprüchlich, da das am Wochenende des 24./25. Februar publizierte Wahlprogramm Le Pens weiterhin die „Kosten der Einwanderung“ für alle sozialen Probleme verantwortlich macht, eine „Umkehrung der Migrationsströme“ – von Frankreich weg, in Richtung Rückkehr in die Herkunftsländer -  propagiert und zudem alle unbefristeten in befristete Aufenthaltsgenehmigungen verwandeln möchte. Zudem sollen sowohl migrantische Lohnabhängige als auch ihre Arbeitgeber erhöhte Sozialbeiträge abführen und Sozialwohnungen künftig nur für französische Staatsbürger reserviert werden.

Dennoch vervielfacht Le Pen zugleich die Gesten an die Adresse einer möglichen migrantischen Wählerschaft. In der vorletzten Woche besuchte er einen Friedhof in der Picardie, wo ehemalige chinesische „Kulis“ beerdigt liegen, die im Ersten Weltkrieg den Armee der französisch-britischen Entente dienten. Neu ist es zwar nicht, dass Le Pen auch „Waffenbrüder“ unterschiedlicher Hautfarbe, die in militärischen Konflikten – vor allem in den Kolonialkriegen – mit dem Gewehr auf Seiten Frankreichs kämpften, mitunter in die „nationale Gemeinschaft“ einbezieht. Dies ist die koloniale Prägung seines Rassismus, was bei jüngeren Kadern der extremen Rechten wie etwa Bruno Mégret - die eher an ein „rein weibes“ Frankreich glauben wollen – auch früher schon Widerspruch hervorrief. Aber dass Le Pen symbolisch auch „Kulis“ ehrt, die 1918 in der Armee die Pferde fütterten und die Züge entluden, ist nicht nur für ihn neu. Man hat es im Wahlkampf auch bei keinem anderen Kandidaten gesehen. Zudem legt Le Pen Wert darauf, zu betonen, dass er zwar jegliche Neueinwanderung nach Frankreich unterbinden und viele hier lebende Einwanderer zurückschicken möchte – dass er aber nicht die Einwanderer persönlich für die „katastrophale Immigrationspolitik“ verantwortlich mache, sondern die „antinationalen Lobbies“, die dahinter stünden.

Sowohl eine Zeitschrift für afrikanischstämmige Schwarze in Frankreich (‚Africa International’, Ausgabe vom Januar 2007) als auch die neue französisch-marokkanische Hochglanzzeitschrift ‚Le Courrier de l’Atlas’ (Nummer vom Februar 2007) widmeten jüngst dem scheinbaren Werben Jean-Marie Le Pens um „ihre“ Bevölkerungsgruppen längere Artikel. Beide kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass nur kleinere Ränder der schwarzen bzw. maghrebinischstämmigen Bevölkerung in Frankreich sich tatsächlich von den Schalmeienklängen Jean-Marie Le Pens anziehen lieben. Im ‚Courrier de l’Atlas’ stellt der französisch-jüdische Publizist und Rechtsextremismusspezialist Jean-Yves Camus fest, dass jeweils 4 bis 5 Prozent der französischen Moslems und der französischen Juden für Le Pen stimmen. Das war allerdings auch früher schon so, nicht erst seit Le Pens neuestem Diskurs. Ein kleiner Teil der in Frankreich lebenden Araber schwenkte wegen Le Pens Pro-Irak-Position im Jahr 1991 auf seine Seite ein. Und ein ebenso kleiner Teil der französischen Juden ist schon seit dem Algerienkrieg und dem französisch-britisch-israelischen Überfall auf Ägypten 1956 - in Frankreich als „Suezexpedition“ bekannt - positiv zu Le Pen eingestellt: Le Pen war als freiwillig dienender Offizier in Suez dabei. Und da er damals schon als Abgeordneter der „Poujadisten“ –- einer kleinbürgerlichen Anti-Steuer-Protestbewegung mit antisemitischen Untertönen -- im Parlament sab, war er hinreichend prominent.

Dass Jean-Marie Le Pen damit ein Einbruch in migrantische Wählerschichten gelingen würde, ist – jedenfalls als Massenphänomen – absolut nicht zu vermuten. Aber zwei Effekte wird er möglicherweise erzielen. Erstens hat die Tatsache, dass bestimmte Ränder auch in minoritären Bevölkerungsgruppen – verkörpert durch Dieudonné – plötzlich Le Pen zu unterstützen scheinen, ihn in den Augen seiner potenziellen „weiben“  Wählerschaft noch stärker „entdiabolisiert“. Wenn selbst ein schwarzer „Mischling“ wie Dieudonné ihm Recht zu geben scheint – wer wird da noch seinen Wählern Rassismus vorwerfen können? „Das System zum Explodieren bringen“?

„Das System zum Explodieren bringen“?

Zum Zweiten hat sich bei einigen jungen Wählern in den Banlieues zumindest die Haltung durchgesetzt, dass man jedenfalls in einem – derzeit äuberst hypothetischen – Stichwahlgang „Sarkozy gegen Le Pen“ eher für den Zweiteren als für den Erstgenannten stimmen werde. Dies hört man derzeit jedenfalls des öfteren.  Begründet wird es in der Regel damit, dass von Le Pen nur Sprüche kämen, während Sarkozy konkrete Verantwortung für das Handeln der Polizei trage und deswegen schlimmer sei. Dieudonné seinerseits fügt hinzu, er glaube nicht länger, dass Le Pen Rassist sei; falls dies aber der Fall sei, dann ziehe er „den ehrlich auftretenden Rassisten gegenüber den verkniffenen Rassisten“ im bürgerlichen Lager vor. Zudem sind viele junge Wähler der Auffassung, dass im Falle eines Wahlsieges Le Pens dieser ohnehin nicht reagieren könne – mangels Mehrheit im Parlament, wo zur Zeit kein einziger Abgeordneter des FN sitzt -, dies aber unzählige Demonstrationen wie 2002 auslösen würde. Dann, so hört man, würde es wenigstens mal anständig knallen, und „das System würde explodieren“.

So hatte ein schwarzer Rapper, „Rost“, im Oktober 2006 verkündet, im Falle eines Duells Sarkozy/Le Pen würde er sich gegen Sarkozy und also für Le Pen entscheiden. Allerdings darf man daraus auch wieder keine Zustimmung zum FN-Chef ableiten, was hemmungslos übertrieben wäre. Am vorletzten Donnerstag hat Rust mit einer Delegation von Rappern und Trabantenstadt-Jugendlichen auch Jean-Marie Le Pen getroffen. Die junge Truppe hatte allerdings verlangt, alle Kandidaten und Kandidaten zur Präsidentschaftswahl zu treffen, um ihnen Fragen vorzulegen. Und so konnte sie auch Jean-Marie Le Pen ihre Fragen stellen, da dieser den Termin eilig akzeptiert hatte. Die Stimmung war dabei freilich eher getrübt. Rost, der ein T-Shirt mit der Aufschrei „Dieses Frankreich gehört auch uns“ trug, und seine Truppe hatten Le Pen auch Fragen nach seiner „faschistoiden Partei“ und nach seinen Ausfällen wie etwa dem unappetitlichen Wortspiel „Durafour-Crématoire“ gestellt. „Durafour-Crématoire“ war ein berüchtigtes öffentliches Wortspiel Le Pens im Jahr 1988: Durafour ist der Name eines damaligen jüdischstämmigen liberal-konservativen Ministers, und „four-crématoire“ bedeutet nichts anderes als „Verbrennungsofen“.

Als Rost dann auch noch eine Frage nach Kindern, die mit ihren Eltern in Abschiebehaftanstalten sitzen und aus Frankreich „entfernt“ werden sollen, und nach dem Wahlrecht für Immigranten aufwarf, war der Zapfen ab. „Ich hatte den Eindruck, dass Le Pen das Schicksal dieser Kinder total gleichgültig war“ erklärte Rost am Ausgang des Treffens. Eine politische Liebeserklärung blieb also aus.

Dennoch ist diese Art von blinder und bewusstloser Pseudo-Polarisierungsstrategie gefährlich, zumal wenn keinerlei organisierte Gegenmacht gegen die Rechte im Falle eines Wahlsieges vorhanden ist.  Allerdings ist auch der Einfluss Jean-Marie Le Pens zum heutigen Zeitpunkt, genau wie der der beiden anderen „groben“ Kandidaten, ein pures Medienprodukt, und nicht das Ergebnis einer in den Stadtvierteln und Betrieben präsenten, durchstrukturierten „Bewegung“. Nur noch über rund 10.000 Mitglieder soll der FN laut dem Politologen Erwan Lecoeur verfügen - nachdem das Vorgehen Le Pens gegen Kader, die seinem Machtanspruch gefährlich hätten werden können, bedeutende Aderlässe für den Mitgliederbestand der Partei hervorrief. Vor der groben Parteispaltung von Anfang 1999 besab der FN noch, gerichtlich festgestellt, 42.000 Mitglieder.

Damals versuchte die extreme Rechte noch, eigene „Gewerkschaften“ zu gründen und tendenziell die Strabe zu erobern. Was Le Pen heute in der französischen Gesellschaft darstellt, verdankt er dagegen zum Grobteil dem Fernsehen, ähnlich wie Ségolène Royal und Nicolas Sarkozy. Und dass der Rechtsextreme im Alleingang gegen alle anderen politischen Kräfte - in schroffer Opposition gegen das konservative Lager und nicht im Zusammenwirken mit Teilen von ihm - gewinnen könnte, scheint zum Glück vollkommen auSgeschlossen.  
 
Le Pen vor den Wahlen: Hätten sie mal ‚ne Unterschrift, bitte?

Alle (Präsidentschafts-)Wahljahre wieder, geht das gleiche Theater wieder los. Ähnlich wie im Frühjahr 2002, hat Jean-Marie Le Pen auch in diesem Jahr wieder Schwierigkeiten, die zu einer Kandidatur erforderlichen Unterschriften zusammenzubringen. Um zur Präsidentschaftswahl antreten zu können, benötigt ein/e Bewerber/in mindestens 500 Unterstützungsunterschriften von Bürgermeistern, Bezirks-, Regional-, nationalen oder Europaparlamentariern. Seit der Spaltung des Front National (FN) 1999, die die Partei damals die Hälfte ihrer zuvor circa 300 Mandatsträger kostete, und später infolge der Wahlrechtsreform von 2003/04 verfügt die Le Pen-Formation heute über weniger Regionalparlamentarier als früher. Bürgermeister und Bezirksparlamentarier weist sie aufgrund des, für ihre Bestimmung geltenden, Mehrheitswahlrechts ohnehin nur in geringer Zahl bis gar keine auf.

Auf einer Pressekonferenz am 1. März erklärte Jean-Marie Le Pen, ihm fehlten derzeit noch gut 100 Unterstützungsunterschriften, um antreten zu können. Vor kurzem hatte seine Umgebung noch getönt, der FN-Chef sei inzwischen bei 450 Unterschriften angekommen -- aber anscheinend sind einige der Bürgermeister, die ihm zuvor ihre “Patenschaft” (so der offizielle Titel) versprochen hatten, doch noch abgesprungen. Seit Ende Februar wurde den Mandatsträgern, bei denen die Kandidaten in den vergangenen Monaten Vorab-Versprechungen gesammelt hatten, nun das offizielle Formular durch die Behörden zugestellt. Bis zum Freitag, 16. März haben sie nun Zeit, um ihre Unterschrift beim Verfassungsgericht (Conseil constitutionnel) einzureichen. Danach wird sich definitiv entscheiden, wer zur Wahl antreten kann. Und wer nicht!

In den Reihen der konservativen Regierungspartei UMP beginnt sich Unruhe darüber auszubreiten, was passiert, falls Jean-Marie Le Pen je aus Mangel an Unterstützungsunterschriften nicht antreten könnte. Denn für diesen Fall befürchten sie, dass Le Pen sich (u.U. sogar durch einen zynischen Wahlaufruf für die Linksopposition, “um richtig Chaos zu stiften”) an den jetzt Regierenden “rächen” könnte. Damit hat er die UMP bereits bedroht, begleitet von der Forderung, die Regierung solle die Anomymität der Unterstützungsunterschriften anordnen. Letztere werden bisher (durch Veröffentlichung der ersten 500 im Amtsblatt bzw. Gesetzesanzeiger, sowie durch Aushang sämtlicher “Wahlpaten” in den Räumen des Verfassungsgerichts) publik gemacht. So mancher Bürgermeister einer kleinen Kommune, der 2008 gern wiedergewählt werden möchte, dürfte aus diesem Grunde zögern, bevor er bei Le Pen unterschreibt.

In ihrer Wochenendausgabe vom 3./4. März berichtet die linksliberale Tageszeitung ‘Libération’ über die Beunruhigung bei der konservativen Regierungspartei, unter dem Titel: “Die UMP weib nicht, wie sie Le Pen helfen soll.” Bisher hat die Partei jedenfalls kategorisch ausgeschlossen, Jean-Marie Le Pen eventuelle Gefälligkeitsunterschriften von Bürgermeistern aus ihrem Umfeld zukommen zu lassen: Er möge sich schon alleine abstrampeln. Gleichzeitig berufen sich konservative Politiker darauf, es sei eine “demokratische Anormalität”, wenn ein Kandidat, der schon einmal (2002) bis in die Stichwahl vorgedrungen war, nicht an der Wahl teilnehmen könnte. Tatsächlich würde es kaum legitim wirken, wenn ein Kandidat wie Le Pen allein aufgrund der Nichterfüllung einer administrativen Vorschrift – die noch dazu wirklich einen undemokratischen “Filter” darstellt – von der Wahl ausgeschlossen bliebe. Auch wenn man für ein Verbot der rechtsextremen Partei aus politischen, inhaltlichen Gründen eintreten würde, könnte man doch einen technisch-administrativen Ausschluss aus o.g. Grund für eine schlechte Sache halten. - Inzwischen hat die “rechte Hand” von UMP-Chef Nicolas Sarkozy, sein Berater im Innenministerium Brice Hortefeux, ein öffentliches Signal ausgesandt, das Le Pen vielleicht nutzen könnte. Er betonte in der Presse, eine Unterstützungsunterschrift (die oftmals v.a. zugunsten des politischen Pluralismus abgegeben wird) sei “nicht gleichbedeutend mit einer Unterstützung für den jeweiligen Kandidaten”. Jean-Marie Le Pen beruft sich nun auf diese Aussage, um seinerseits zögernde Bürgermeister mti dem Argument zu überzeugen, sie unterstützten nur seine Möglichkeit zu kandidieren, aber keinesfalls seine Inhalte oder sein Programm.

Unterdessen beschuldigt Jean-Marie Le Pen seinen Rivalen auf der politischen Rechten, die rechtskatholischen Grafen Philippe de Villiers, an seinem Ungemach Schuld zu tragen. Er und seine Leute versuchten, die Bürgermeister zu beeinflussen, damit sie nicht für ihn (Le Pen) unterschrieben. Am vergangenen Freitag bezeichnete Le Pen den nationalkonservativen Grafen offen als den “schwarzen Baron”. Zudem attackierte Le Pen Unbekannte, die sich als Journalisten von Regionalzeitungen ausgäben, um die Bürgermeister vor einer Unterschrift für ihn zu warnen. In den ersten Märztagen hat Jean-Marie Le Pen Strafanzeige gegen de Villiers sowie 15 bis 20 Strafanträge gegen Unbekannt gestellt.

Handelt es sich am Ende nur um Theater, das Le Pen dazu dient, von sich reden zu machen (eine Wirkung, die er 2002 mit seinen Unterschriftproblemen erfolgreich erzielte)? Man könnte es bisweilen beinahe glauben, aber einige Fakten sprechen dagegen. So wurde Le Pens oberster Wahlbeauftragter Fernand de Rachinel vorige Woche dabei ertappt, wie er die Unterstützungsunterschriften von Bürgermeistern mit Geld zu erkaufen versuchte. Der Bürgermeister einer Kommune mit 530 Einwohnern am Ärmelkanal erklärte in ‘Le Parisien’ vom 1. März, er habe von Le Pens Emissär Fernard de Rachinel einen Scheck in Höhe von 1.000 Euro erhalten; und fügte hinzu, im Vorfeld der Wahl von 2002 habe er für Le Pen unterschrieben und im Gegenzug (ungebeten) einen Scheck “für unser Veranstaltungskomitee” über circa 750 Euro – damals noch in französischen Francs ausgestellt -  bekommen. Dieses Mal wolle er aber nicht mehr untezeichnen, dennoch sei ihm ungefragt ein Scheck ins Haus geflattert. De Rachinel hat inzwischen bestätigt, den Scheck – welchen der Bürgermeister (Roger Lechevalier) ihm per Post zurückgeschickt hat – wirklich ausgestellt zu haben, behauptet jedoch, dies habe “mit den Wahlen gar nichts zu tun”. Eine platte Entschuldigung, die kaum als glaubwürdig durchgehen dürfte. Wenn Le Pen und seine Berater solche Risiken (im Hinblick auf ihre Reputation) eingehen, um an die begehrten Unterschriften heranzukommen, spricht dies nicht dafür, dass ihre Schwierigkeiten nur ein inszeniertes Theater darstellen.

 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Text am 4.3.2007 vom Autor.