Marx, Luhmann, Kritische Gesellschaftstheorie
Ein Gespräch mit dem Soziologen Dr. Hanno Pahl
Teil
2

von Hans-Peter Büttner

03/08

trend
onlinezeitung

Teil 2 des in TREND 02/2008 veröffentlichten Interviews

7. Frage: Zunächst einmal würde ich Deinen Ausführungen und auch Michael Heinrichs Grundgedanken zustimmen. Es ist unbestreitbar, dass der Kapitalismus einerseits beständig neue Verwertungsräume (neue Märkte, billige Arbeitskräfte, die Staatsverschuldung als Vermögensbildung und privatisierte Staatsleistungen) zu schaffen vermag und sich andererseits mit ungeheurer Dynamik re-konfiguriert und re-kombiniert im Rahmen bestehender und neuer Institutionen. Auch der Zusammenbruch von tausend Hedge-Fonds könnte bestimmt im Rahmen dieser ungemein flexiblen Reproduktions-Struktur verarbeitet werden (wenn auch sicherlich zu ungeheuren "Humankosten"!). Und dennoch halte ich Michael Heinrich für genauso einseitig und falsch wie Robert Kurz. Es entbehrt ja nicht einer gewissen Ironie, dass Heinrichs Aufsatz "Profit ohne Ende" direkt am Vorabend einer sich ständig erweiternden Krise des Kreditsystems veröffentlicht wurde. Heinrich argumentiert eigentlich wie ein neoklassischer Angebotstheoretiker, dem niedrige Löhne schon reichen zur Proklamierung einer "goldenen Zukunft" des Kapitalismus. Dass der exorbitante Konsum z.B. der US-Konsumenten eigentlich weitgehend von den Chinesen bezahlt wird, denen je nach Kurs des Dollars ihre eigenen Forderungen wegbrechen, wirft ein zaghaftes Licht auf die Fragilität der erweiterten Reproduktion des Weltkapitals und der Probleme transnationaler Verflechtungen. Die Konkurrenz um optimale Verwertungsbedingungen für das Kapital hat ja gerade dazu geführt, dass die Massenkaufkraft eine prekäre Größe geworden ist, genauso auch in Deutschland. Doch letztlich sehe ich die einzig treibende Kraft zu einer Veränderung auch hier nicht in "objektiven Krisentendenzen". Heinrich macht m.E. die Rechnung ohne den Wirt, genauer ohne die Menschen. Er jongliert nur ökonomische Größen, über die man freilich streiten kann. Für mich ist viel entscheidender die Art und Weise, wie sich die Menschen, deren lebendige Arbeitskraft ja in letzter Instanz das Kapital "nährt", zu dieser Dynamik verhalten. Das Kapital ist nämlich nach Marx nichts anderes als menschliche Arbeitskraft in einer verdinglichten, "vergewaltigten" Form, die ihre eigene Erniedrigung und Unterwerfung perpetuiert. Diese Form der Gewalt produziert ständig neue Widersprüche, denn mit der Ausweitung des Kapitalverhältnisses wird auch der Konflikt zwischen den lebendigen, sinnlichen Bedürfnissen der Menschen und ihrer "Verwurstung" für den systemischen Selbstzweck erweitert. Mit der immer realeren Möglichkeit der Befreiung steigt der Druck zur immer bedingungsloseren Selbstunterwerfung unter eine immer absurdere, inhumanere Veranstaltung. Und genau hier sehe ich die Grenzen des Kapitalverhältnisses: Es bricht sich am lebendigen Menschen, am "Nein" zu der Zumutung, an sinnlichen und intellektuellen Bedürfnissen, die nicht mehr re-integrierbar sind, und die das Kapital nur noch bekämpfen kann. Ab einem gewissen Punkt muß es dann aber meiner Meinung nach nahezu alle Menschen bekämpfen, denn der große "Schwachpunkt" dieser ewigen Wiederholung des immer Neuen ist der Mensch. Und auf dieser Ebene gibt es keine Prognosen, sondern nur lebendige Tätigkeit und den täglichen Kampf mit den Institutionen. In weiten Teilen Lateinamerikas ist dieser Kampf längst bewußte Realität, wenn diese Kämpfe natürlich auch nicht friktionslos stattfinden und auch jederzeit scheitern können. Sie zeigen aber, dass Millionen Menschen in den Mühlen des Kapitals nicht zermahlen werden wollen. Sollten wir deutsche Marxisten es ihnen verübeln und ihrem Kampf mit Wertkritik oder klugen Hinweisen auf Chavez' "Linksnationalismus" oder Raffael Correas Anleihen beim christlichen Gedankengut begegnen? Wie anders sollte denn der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" beginnen als durch Widersprüche und Fehler, aber auch Hoffnung, Solidarität und Mut? 

Antwort: Okay, da haben wir uns wohl ein bisschen missverstanden. Ich wollte mit dem Verweis auf Michael Heinrich nicht ins gegenteilige Extrem fallen und sagen dass dem Kapitalismus auf jeden Fall eine "goldene Zukunft" bevorsteht. Ich wollte darauf hinaus, dass wir qua Systemanalyse des Kapitals wie Marx sie geleistet hat weder das eine noch das andere theoretisch deduzieren können, also weder eine Notwendigkeit des Zusammenbruchs noch eine Bestandsgarantie. Den "Kapitallogik"-Diskursen wohnt da manchmal eine gewisse Tendenz zur hermetischen Geschlossen inne, man sollte sich aber darüber im Klaren sein dass Bestandsfragen System und Umwelt zu berücksichtigen haben. Natürlich lassen sich aus der Struktur der Kapitalakkumulation als Theorie des Systems bestimmte Tendenzen abdestillieren in welcher Weise die Ökonomie Perturbationen in ihrer Umwelt auslöst. Selbst wenn sich z.B. keine Theorie absoluter Verelendung daraus ergibt, so kann man etwa danach fragen, welche Formen von "Lebensweltpathologien" durch die Ökonomie erzeugt werden. Für die Metropolen wäre für die letzten Jahrzehnte etwa an den rasanten Anstieg depressiver Erkrankungen zu denken, da wäre es durchaus denkbar dass dort Grenzwerte erreicht werden durch die dem Kapitalismus sein "Humankapital" wegbricht. Andererseits hat ja die bisherige Entwicklung der Moderne gezeigt, dass auch die psychische Disposition der Menschen ziemlich variabel ist.
Noch zu Deinen Ausführungen über die derzeitigen kapitalismuskritischen Bewegungen in Südamerika und deren Kritik seitens vieler Linker bzw. kritischer Theoretiker/Innen in den Metropolen: Ich finde es eher problematisch - im wertkritischen Diskurs ist das Gang und Gäbe - aus der Kritik der politischen Ökonomie unmittelbar Bewertungsmassstäbe für
historisch-konkrete politische Bewegungen abzuleiten ohne sich für die jeweilige empirische Situation sonderlich zu interessieren. Vielleicht sagen die Theoretiker hier mehr über sich selbst und ihre Vergangenheit als über die Bewegungen die sie zu beschreiben vorgeben. Ein gewisses Recht würde ich der Kritik dort geben, wo sie als Korrektiv zu Teilen der klassischen Soli-Bewegung auftritt, denn es war ja in der westlichen Linken mal üblich so ziemlich jede antikapitalistische Bewegung - nicht nur in der "dritten Welt" - für progressiv und unterstützungswürdig zu halten. Und da waren dann auch so Vereine wie die PKK oder die IRA dabei.
Das ist übrigens auch ein Grund warum ich mich mit der Theorie sozialer Systeme beschäftige, nämlich um Inspirationen zu erhalten wie sich ausserökonomische Sachverhalte bzw. Kopplungen von Ökonomie und anderen gesellschaftlichen Sphären theoriegeleitet beschreiben lassen, zu denen sich bei Marx keine oder jedenfalls keine befriedigenden Antworten finden lassen. Ich hab in meiner Dissertation da eine programmatische Aussage von Dirk Baecker zitiert, die sich hier ganz gut anbringen lässt:

"Wir brauchen eine Gesellschaftstheorie des Geldes, die darüber Auskunft
gibt, welche Rolle die drei Geldfunktionen bei der Ausdifferenzierung zum
einen des Geldes und zum anderen anderer Medien der Kommunikation spielen. Wir müssen wissen, wie Einheit und Differenz von Tauschen, Rechnen und Sparen das Wirtschaften ebenso wie das Herrschen und Protestieren, Erkennen und Widerlegen, Anklagen, Verteidigen und Richten , Lieben und Abkühlen, Erziehen und Erwachsenwerden , Glauben und Bezweifeln sowie das Machen und Beurteilen von Kunst erleichtern und erschweren." [Baecker, Dirk (2003) Geldfunktionen und Medienkonkurrenz. In: Baecker, Dirk (Hg.): Viele Gelder. Berlin: Kadmos, S. 12–30., S. 16]

Man muss da nicht die systemtheoretischen Prämissen oder Kategorien übernehmen, aber man kann sich sensibilisieren lassen was für Fragen eine kritische Theorie der Gesellschaft überhaupt zu stellen und zu beantworten hätte. 

8. Frage: Ich kann Dir da sehr gut folgen, aber dieses "innen" und "außen" der ökonomischen Sphäre mit anderen Sphären, die über andere Kommunikationsmedien verfügen, erscheint mir problematisch. Dirk Baecker spricht in seinem Zitat davon, dass die Geldfunktionen anderen Handlungssphären ihre Kommunikation "erleichtern oder erschweren". Mir erscheint eher, dass die marktförmige Ausrichtung anderer Sphären diese zutiefst affiziert und gerade dem Geldnexus unterwirft. Ich verweise da mal auf Walter Benjamins eindrucksvollen Aufsatz "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" mit Bezug auf die von Baecker erwähnte Kunst-Sphäre. Damit möchte ich übrigens nicht die prinzipiell interessante Fragestellung Baeckers desavouieren, aber ich sehe da eben so eine gewissermaßen friedfertige Begrenzung der Geldform auf ihre Funktion im ökonomischen System durchschimmern, wobei dann eben noch gefragt wird, welche „Auswirkungen“ auf "benachbarte", "gekoppelte" Systeme bestehen. M.E. kommt man da sehr schnell in die Gefahr, äußerlich miteinander zu vermitteln, was längst von der Logik des ökonomischen Systems zutiefst durchdrungen ist. 

Antwort: Also ich suche die Auseinandersetzung mit der Systemtheorie nicht um definitive Antworten zu finden, mir geht es eigentlich darum, die eigenen theoretischen Maximen mal einer gehörigen Irritation auszusetzen, überhaupt ein Gespür für die zwangsläufige Kontingenz theoretischer Beschreibungen zu gewinnen - bei aller Härte des Gegenstands.  Du vermutest eine gewisse Äusserlichkeit auf Seiten der systemtheoretischen Beschreibung einander sich wechselseitig irritierender Systeme und hältst dem die These einer totalen Vermittlung/Durchdringung aller sozialen Sachverhalte durch die Ökonomie entgegen. Man müsste sich sicher einmal grundlegend über dieses Vermittlungskonzept verständigen, das vor allem im Zuge der Rezeption von Adornos Totalitätsbegriff einen so prominenten Stellenwert erlangt hat, das mir aber in der Tendenz oft zu subsumtionslogisch gearbeitet ist. Ich denke hier etwa an Wolfgang Pohrts schon etwas älteres Buch "Theorie des Gebrauchswerts", in dem der Prozess reeller Subsumtion mit Blick auf die Gebrauchswerteigenschaften der kapitalistisch produzierten Waren im Fokus steht. Sozusagen die Bewegung von einem noch unschuldigen, vorkapitalistischen Gebrauchswert zu einer in Gänze durch Verwertungsimperative bestimmten Gebrauchswertstruktur. Pohrt sieht dann also im Ergebnis einen zur Totalität ausgefalteten Kapitalismus der kein Aussen mehr kennt, also einen reinen Immanenzzusammenhang. Ähnlich hat auch der Stefan Breuer argumentiert, etwa in dem Band über "Aspekte totaler
Vergesellschaftung".
Ich würde sagen: Natürlich gibt es diese Bewegungen, es ist aber die Frage, ob damit schon alles gesagt ist und vor allem ob solche Theoriemuster nicht zu gradlinig gebaut sind. Also: Ist man sensibel genug für Brüche, Widersprüche und Kontingenzen innerhalb der Fortentwicklung der modernen Gesellschaft wenn man subsumtionslogisch vorgeht? Ich habe da schon Zweifel.
Und ich finde es auch nicht sonderlich ertragreich - auch das eine recht verbreitete Tendenz innerhalb der Kritischen Theorie - ausserökonomische Sphären auf dem Wege von Analogieschlüssen zur Bewegung des Kapitals zu beschreiben.
Aus diesem Grunde finde ich es zunächst mal nachdenkenswert, wenn sich bei Luhmann Aussagen finden wie die einer Einheit von Universalität und Spezifikation bezüglich der diversen "Wertsphären" der modernen Gesellschaft. Also diese Wertsphären oder Funktionssysteme (Wirtschaft, Recht, Wissenschaft etc.) sind nicht im Sinne eines Setzkastens als schön nebeneinander angeordnete Bereiche zu denken, sondern sie haben alle einen unmittelbaren und absoluten Gesellschaftsbezug: Das Moment der
Vermittlung/Durchdringung findest Du in der Systemtheorie im Argument der Universalität der jeweiligen Leitdifferenzen: Zahlen/Nicht-Zahlen, Wahrheit/Nicht-Wahrheit etc., Tertium non datur, da wird alles abschattiert oder desartikuliert was nicht in dieser zweiwertigen Kontextur statt hat. Nur gibt es eben Luhmann zufolge eine nicht auf eine Differenz rückführbare Pluralität solcher Leitdifferenzen, und deswegen werden die jeweiligen Universalitätsansprüche eines Codes an denen aller anderen "gebrochen". Seelenheil und politische Ämter - das war das Standardbeispiel bei Luhmann - sind heute, im Unterschied zur Zeit noch nicht voll durchgesetzter funktionaler Differenzierung in der frühen Moderne, nicht mehr käuflich. Natürlich müssen Politik und Religion finanziert werden - wie fast alles
andere auch - aber mit einer Kausaldetermination durch Ökonomie hat man es sicher nicht zu tun.  
Wie gesagt: Das sind für mich keine Wahrheiten sondern Anregungen, die ich für sinnvoll erachte wenn es darum geht, eine Gesellschaftstheorie neu zu schreiben, die auf der Kritik der politischen Ökonomie basiert, aber sich darin natürlich nicht erschöpfen darf. Vielleicht noch kurz zu dem von Dir erwähnten Text von Walter Benjamin zum "Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit". Daran ist ja nicht nur interessant wie Benjamin modernen Industriekapitalismus und Kunstproduktion engführt, sondern es zeichnet ihn meines Erachtens auch aus dass er sich nicht eindeutig festlegt was davon zu halten ist. Denn es ist ja keinesfalls so dass Benjamin den vorkapitalistischen Zustand der Kunst - also alles was bei ihm unter dem Label der "Aura" läuft - einfach affirmiert und dessen Verschwinden dann einseitig kulturkritisch bedauern würde. Das wäre bloss die oben skizzierte Position von Gebrauchswertapotheose. Sondern es zeichnet Benjamin aus, dass er die Medienumbrüche in der Kunst seiner Zeit - also vor allem Fotografie und Film - auch nach emanzipatorischen Potenzialen abklopft. 

9. Frage: Du hattest oben bereits angedeutet, dass Du es für geboten hältst, neben Geld/Kapital als automatischem Subjekt bzw. zentraler gesellschaftlicher Vermittlungsinstanz die mediale Verfasstheit des Sozialen stärker zu  thematisieren. Eben beim Rekurs auf Benjamin ist das Wort "Medienumbruch"  gefallen. Kannst Du erläutern wo Du Verbindungen siehst zwischen Marx und der Medientheorie bzw. was hier unter einem "Medium" sinnvoll verstanden werden kann? 

Antwort: Da kommt wieder einiges zusammen. Zunächst kurz eine nur ganz fragmentarische und auch eher deskriptive Antwort auf die zweite Teilfrage, also: Was ist überhaupt unter "Medien" zu verstehen? Das ist ein weites Feld und es ist einer der Standardkritikpunkte am medientheoretischen Diskurs, dass man dort den eigenen Gegenstandsbereich nicht gerade präzise benennen kann. Um es einmal ganz breit zu machen: Der Medientheoretiker Mike Sandbothe hat folgende Klassifikation vorgenommen: (1.)Sinnliche Wahrnehmungsmedien (Raum, Zeit, Sinne), (2.) Semiotische Informations- und Kommunikationsmedien (Körper, Sprache, Schrift, Bild, Musik, Tanz, Theater), (3.) Technische Verbreitungs-, Verarbeitungs- und Speichermedien (Stimme, Buchdruck, Fotografie, Telefon, Film, Radio, Fernsehen, Computer, Internet). Darin ist noch nicht das eingeschlossen was bei Luhmann als Erfolgsmedien bzw. als symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien fungiert (also Geld, Macht, Wahrheit etc.), aber jedenfalls: Es zeigt sich dass es um ganz heterogene, teils disparate Sachverhalte geht. Ich möchte die Frage der Einheit dieser Phänomene erstmal nicht erschöpfend behandeln, nur soviel: Im Grunde geht es immer um die Frage der Strukturprägekraft der Medien. Um eine sicher etwas holprige Analogie aufzumachen: So wie Marx von der Nicht-Neutralität des Geldes spricht und der Schulökonomie eine Geldvergessenheit attestiert, so geht vertritt die Medientheorie die These einer Nicht-Neutralität all dieser Medien und wirft den "Menschenwissenschaften", also den Geistes- und Sozialwissenschaften, eine grundsätzliche Medienvergessenheit vor. Man kann das sicher als Erweiterung der linguistischen Wende begreifen: Die Fixierung auf Bewusstseinsphänomene (Subjekt-Objekt) wird zunächst ersetzt durch eine Hinwendung zur Sprache (Subjekt-Subjekt-Objekt), und jetzt eben durch eine allgemeine Hinwendung zu Medien. Epistemologisch könnte man das auch so zuspitzen (wieder ganz lax!): Wissen/Erkenntnis wird weder auf transzendentes Bewusstsein zurückgeführt, wie im Idealismus, noch auf gesellschaftliches Sein wie in materialistischen Theorieprogrammen, sondern dieses zweistellige Arrangement erfährt eine logische Anreicherung durch einen „dazwischenliegenden“ dritten Pol.   

Noch etwas anderes: Die verbreitete Medienvergessenheit der "Menschenwissenschaften", das ist ganz interessant, scheint dabei selbst noch mal durch Medieneigenschaften indiziert: Sybille Krämer hat hervorgehoben dass sich die meisten Medien gerade dadurch auszeichnen, dass sie "im Verborgenen" operieren, gleichsam als Bedingungen der Möglichkeit verschiedenster Kopplungen von Mensch, Natur und Sozialität, dass sie aber als Bedingungen operativ gar nicht in Erscheinung treten: Wir hören nicht Luftschwingungen sondern Wörter, wir lesen nicht Buchstaben sondern eine Geschichte etc. Medien sind der blinde Fleck im Mediengebrauch. Es müsste m.E. ausgelotet werden, welche Stellung solchen Phänomenen im Kontext einer Theorie der Gesellschaft überhaupt zukommt.

Um damit zur anderen Teilfrage zu kommen, den Verbindungslinien zwischen Marx und der Medientheorie: Man kann recht pauschal sagen, dass im Gros medientheoretischer Ansätze die Genese der modernen Gesellschaft festgemacht wird an der Erfindung und Durchsetzung des Buchdrucks (und den damit gestifteten Veränderungen), und nicht – wie dies von Marx aus suggeriert ist – an der Verselbständigung des Werts respektive der Ausdifferenzierung der kapitalistischen Ökonomie. Und da hätte man sich grundsätzlich zu fragen wie das zu relationieren ist. Das Grundschema in vielen Medientheorien mutet auf den ersten Blick an wie ein auf Medien getrimmter historischer Materialismus: soziale Evolution wird massgeblich festmacht an den jeweils zur Verfügung stehenden Verbreitungsmedien (Sprache, Schrift, Buchdruck, Computer). Aber hinter einer auf den ersten Blick ostentativ zur Schau gestellten Formelhaftigkeit ("technisch-mediale Apriori", "Medien bestimmen unsere Lage"), die anmutet wie Marxens unsägliche „Zusammenfassung“ der materialistischen Geschichtstheorie im Vorwort von „Zur Kritik der politischen Ökonomie“, ist die Argumentationsweise im Einzelnen dann doch wesentlich differenzierter. Es geht der Medientheorie weniger um eine Teleologie als um eine Archäologie der Gesellschaft, also nicht um eine gerichtete Abfolge verschiedener Leitmedien, sondern um deren Überlagerung. Das muss hier jetzt aber nicht präzise ausbuchstabiert werden.

Nur soviel bezüglich einer Theorie der Moderne: Bei Marx haben wir den allgemeinen Begriff des Kapitals bzw. die kapitalistische Produktionsweise in ihrem idealen Durchschnitt dargestellt, das wird immer als eine Art „Einheitskonzept“ zur Bestimmung der modernen Gesellschaft gelesen. Und das ist ja auch richtig, etwa um darauf zu verweisen, dass unter „industriellem Kapitalismus“ im Sinne der Kritik der politischen Ökonomie nicht Industriegesellschaft im Sinne der Soziologie verstanden werden darf, und man dann auch nicht umstandslos schlussfolgern kann: die Industriegesellschaft wandelt sich jetzt zu einer Wissensgesellschaft. Diese heute so beliebte wie omnipräsente Diagnose bezieht sich im Grunde genommen - ausser in den avanciertesten Varianten - nur auf den Inhalt von Arbeit/Vergesellschaftung, argumentiert aber völlig formblind. Dann erscheint die Ersetzung tayloristischer Organisationsmethoden durch Gruppenarbeit etc. schon gleich als Übergang zu einem postkapitalistischen Vergesellschaftungsmodus, und das ist natürlich ein grotesker Unsinn. Insofern ist es richtig und sinnvoll darauf zu beharren, dass sich der Formzusammenhang ökonomischer Kategorialität, den Marx analysiert hat, bis heute durchhält.

Trotzdem – oder auch deswegen - würde ich sagen: Die medientheoretische Unterscheidung einer „buchdruckbestimmten Moderne“ (Gutenberg-Galaxis) von einer gerade im Entstehen begriffenen „computerbestimmten Moderne“ (Turing-Galaxis) sollte man nicht vorschnell beiseite schieben, sie ist nämlich keinesfalls deckungsgleich mit der soziologischen Unterscheidung von Industriegesellschaft und Wissensgesellschaft.  

10. Frage: Mir scheint, dass die von Dir in aller Kürze vorgestellte Medientheorie zwei Bereiche miteinander koppelt: Technik und Kommunikation (Sprache). Wenn wir von "Medien" sprechen, denn sprechen wir offensichtlich von Medien der sprachförmigen Verständigung, der Intersubjektivität, aber auch Medien, mit denen wir uns sinnlich-gegenständlich auf Natur beziehen. Beides wiederum läßt sich bestenfalls analytisch trennen, in der Realität ist die uns sinnlich entgegentretende Umwelt bereits begrifflich, symbolhaft erschlossen und mit (sozialem) Sinn belegt.

Die Frage, die sich mir nun aufdrängt ist, ob es überhaupt sinnvolle Kriterien gibt, verschiedene Techniken (oder Kommunikationsformen) zu einem einheitlichen Medium zusammenzufassen, und somit ein "Zerfransen" der medialen Vielfalt in beliebig viele Medien zu verhindern - denn ich kann Dir sehr schnell jede nur denkbare Technik zum „Medium“ erklären, was dann das Problem der Einheit in der Vielfalt aufwirft. Ferner, Du hast das ja letztlich schon selber angedeutet, kann auch die Medientheorie nicht darüber hinweggehen, dass bestimmte Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise die Struktur der Medien selbst prägen und somit der medialen Verfasstheit nicht äußerlich gegenüber stehen.  

Antwort: Die Frage der Einheit der Medien würde ich eher runterkochen wollen. Ich bin mir nicht einmal sicher ob sie sich aus der Sache selbst ergibt oder aus wissenschaftsorganisatorischen „Constraints“. Zum ersten Punkt: Man könnte vermuten dass die Absolutsetzung einer medientheoretischen Position mit der Diagnose zu tun hat, wonach heute mit dem Code digitaler Medien eine Art Universalmedium emergiert ist, eines, das alle anderen (Verbreitungs)Medien zu simulieren und zu integrieren in der Lage ist (Schrift, Bilder, Töne). Kittler beispielsweise spricht vom „totalen Medienverbund“ als Stigma der Jetztzeit (die letzte Formulierung ist von mir). Das ist theoriearchitektonisch betrachtet eine Kulminationspunktfigur wie man sie vielfach antrifft: Etwa bei Marx wenn er in der „Deutschen Ideologie“ den Kapitalismus als strukturellen Höhepunkt einer sozialevolutionär sich steigernden Verkehrung beschreibt oder bei Luhmann, der den Computer auch unter der Frage behandelt, ob durch ihn ein totaler Medienverbund realisiert wird und dann fragt ob „nun erst recht die blinde Geschlossenheit des Systems gesellschaftlicher Kommunikation“ – also die Ausgangslage seiner Theorie – „zur Realität“ werde (Gesellschaft der Gesellschaft, S.308). Zum zweiten Punkt, den wissenschaftsorganisatorischen „Constraints“: Wenn man Lehrstühle für Medientheorie schafft dann folgt daraus wohl unmittelbar die Gefahr der Reifikation, dann wird aus einer Forschungsperspektive unter der Hand die Suche nach einer im Objektbereich selbst liegenden Einheit. Das kann sinnvoll sein, etwa wenn man beim Geld nach der Einheit seiner Funktionen fragt (in der Wirtschaftswissenschaft das Anathema!), aber es scheint mir im Falle der Medien vielleicht ein Irrweg zu sein.

Vielleicht müsste man ganz grundsätzlich ansetzen und könnte dann die Vermutung anstellen: Das disziplinenkonstituierende Diktum der Soziologie, Soziales nur aus Sozialem erklären zu wollen (Durkheim), das sich vermutlich selbst einer ganz bestimmten historischen Situation verdankt (nämlich dem Übergang zur modernen Gesellschaft), erhält heute eine Umakzentuierung: Nach dem vorläufigen Ende der sozialen Utopien (etwa: „Kommunismus“) verlagern sich kollektive Wunschkonstellationen auf aussersoziales Terrain: Es geht nicht mehr so sehr um eine soziale Kollektivierung der Folgekosten von Modernisierung (Versicherungssysteme, Umverteilung des Mehrprodukts), sondern vielmehr um eine Heilssuche in aussersozialem Terrain: Karin Knorr Cetina benennt unter dem Label des „Postsozialen“ stärker objektzentrierte Formen der Selbstbindung, an die Stelle sozialer Utopien treten solche die auf Technik abstellen: Man kann hier an die Transhumanismus-Bewegung denken oder an die feministischen Cyborg-Theorien (Donna Haraway), Denkbewegungen, die sicher mehr auf Lacan und Deleuze/Guattari rekurrieren als auf Marx. Dort geht es um „Life Enhancement“ eben nicht mehr durch Manipulation der Sozialität, sondern durch die technische Manipulation von Körper und Geist.

Nur denke ich auch hier: Es geht historisch betrachtet nicht um ein lineares Ablösen von Sozialität durch Technik, sondern um die historisch wandelbaren Konstellationen von Sozialität und Technik. Das geht genau in die Richtung Deiner Forderung, dass man Medien/Technik nicht als der kapitalistischen Produktionsweise äusserlich denken sollte. Oder theoriearchitektonisch ausgedrückt: Eine Gesellschaftstheorie, die sich in Verlängerung Adornos als Konstitutionstheorie versteht, kann sich disziplingestifteten Parzellierungstendenzen nicht umstandslos anschliessen: Gesellschaft durch Soziales zu erklären ist eines, Gesellschaft durch Mediales/Technik zu erklären ein anderes, aber beides wäre eben auch miteinander zu relationieren.

Bei Marx lassen sich dazu durchaus Überlegungen finden. Während er in der „Deutschen Ideologie“ noch dazu neigt, einer mehr oder minder autonomen Technikentwicklung das Wort zu reden (Produktivkräfte), die er dann recht äusserlich in Beziehung setzt zu jeweiligen Produktionsverhältnissen (Soziales), findet sich im Zuge der Niederschrift der Grundrisse ein anderer Ansatz: Marx begreift die evoluierenden Produktivkräfte der Arbeit (Technik) in den Grundrissen nicht länger als Resultate einer selbstläuferisch und autonom gedachten Technikentwicklung, sondern bestimmt sie als nicht-intentionales Resultat des spezifisch kapitalistischen Zwangs zur kontinuierlichen Restrukturierung des Produktionsprozesses qua Erhöhung des relativen Mehrwerts. Technikentwicklung wird also erklärt durch Soziales. Die für den modernen Kapitalismus typische verallgemeinerte Konkurrenz nötigt alle Einzelkapitalien dazu, den eigenen Produktionsprozess stetig zu rationalisieren, um Profit und Extraprofit auch für die Zukunft zu sichern. Als nicht-intendiertes Resultat steigt die Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit. Der hierbei in Anschlag gebrachte „Kopplungsbegriff“ von Sozialität und Technik lautet „capital fixe“. Ausgefaltet wird dieser Gedanke dann im ersten Band des „Kapital“ bei der Diskussion von Kooperation, Manufaktur und grosser Industrie.

Während dies noch einigermassen bekannt sein dürfte – wenn es auch methodologisch meist nicht adäquat rezipiert wurde – ist ein zweiter Strang, den es bei Marx auch noch gibt, kaum zur Kenntnis genommen worden. McLuhan hat Marx einmal dafür kritisiert – wohl eben mit Blick auf den bekannten ersten Band des „Kapital“ -, sich auf das Maschinenparadigma fixiert zu haben und dabei die Telegraphie als die eigentliche kommunikationstechnische Revolution „vergessen“ zu haben. Aber das hat nun wirklich nichts mit Marxens Defiziten zu tun, sondern mit den Defiziten der Rezipienten, die Bände zwei und drei vom „Kapital“ zur Kenntnis zu nehmen. Das habe ich auch gerade wieder bei Norbert Bolz gelesen, der Marx einen „Produktionsfetischisten“ nennt (Am Ende der Gutenberg-Galaxis, S.98). Der Witz ist, dass Marx der Telegraphie sehr wohl eine Schlüsselstellung zuweist, sie fungiert als eine Art Äquivalent zur Maschinerie auf der Ebene der Zirkulation. Im dritten Band wird entsprechend notiert: „Das Hauptmittel zur Verkürzung der Zirkulationszeit [des Kapitals] sind verbesserte Kommunikationen“. Der „ganze Erdball wird umspannt von Telegraphendrähten“ (MEW25: 81). Auch hier ist wieder der Witz: Marx betrachtet die Telegraphie als Effekt vom Sozialem: Sie ist ein Mittel zur Verkürzung der Zirkulationszeit, ganz so wie das Papiergeld ein Mittel zu dessen Verbilligung ist.  

Und für beide Fälle, für Maschinerie wie für Telegraphie, gilt eben auch, dass es sich nicht um ein für alle mal gültige/adäquate Medien der kapitalistischen Ökonomie handelt, denn Adäquatheitsrelationen zwischen Technik und Sozialem sind selbst historisch variabel. Auch das hat Marx schon in den Grundrissen ausgesprochen, wenn es – im Zuge der Diskussion der Maschinerie heisst – dass, „soweit das Capital fixe in seinem Dasein als bestimmter Gebrauchswert festgebannt“ ist, es gerade „nicht dem Begriff des Kapitals [entspricht], das als Wert gleichgültig gegen jede bestimmte Form des Gebrauchswerts [ist] und jede derselben als gleichgültige Inkarnation annehmen oder abstreifen kann“ (MEW42: 594). Das heisst im Klartext: Weder Maschinerie noch Telegraphie sind bei Marx als Endpunkte gedacht, die basale Unruhe der Kapitalverwertung, der masslose Anspruch auf Wertvergrösserung, verkörpert sich immer nur momenthaft/phasenhaft in konkreten Medien der Kommunikation respektive der Metabolik.

Eine mögliche medientheoretische Perspektive, die sich von Marx aus auftut, wäre, danach zu fragen, wie Einheit und Differenz von Produktion und Zirkulation sich re-arrangieren, wenn davon ausgegangen werden kann, dass mit dem Computer eine Technik emergiert ist, die sozusagen eine Einheit von Maschinerie und Telegraphie auf technischer Basis herstellt und so die durch den Wert gestiftete Einheit nochmals medial verdoppelt. Das wäre die These vom totalen Medienverbund, wie sie die Kritik der politischen Ökonomie zu diskutieren hätte. Zukunftsmusik?    

11. Frage: Zum Abschluß möchte ich die Frage aufwerfen, wie aus Deiner Sicht die
Institutionen und normativen Bezugspunkte einer vernünftigen und humanen Gesellschaftsordnung aussehen könnten und sollten. Nach dem groß proklamierten "Ende der Geschichte" Anfang der neunziger Jahre dürfte spätestens mit dem (demokratisch legitimierten) Comeback der sozialistischen Bewegungen u.a. im bolivarianischen Venezuela und der globalen Diskussion eines basisdemokratischen, bedürfnisorientierten
"Sozialismus des 21. Jahrhunderts" eine auch für kritische Theoretiker bedenkenswerte Dynamik entstanden sein. Natürlich können die revolutionären Bewegungen in Venezuela oder Bolivien nicht unmittelbar Maßstab für das Handeln im kapitalistischen Zentrum sein, aber sie zeigen doch an, dass das Bedürfnis nach einer umfassenden Veränderung der gesellschaftlichen Produktionsweise die Bedürfnisse vieler Millionen Menschen ausdrückt.
Gleichzeitig zeichnen sich gewaltige Krisenpotentiale auf dem überakkumulierten und über gigantische Verschuldungsketten gefährdeten Weltmarkt ab, die soziale Polarisierung steigt und der alte Imperialismus meldet sich wieder zurück in Gestalt "humanitärer
Menschenrechtsinterventionen". Hat eine solche Gesellschaftsordnung eine Zukunft? Was könnte und sollte nach ihr kommen?

Antwort: Du sprichst schon an was ich sagen würde: Dass die revolutionären Bewegungen in Lateinamerika vermutlich nicht unmittelbar einen Massstab liefern können für eine praktische Perspektive in den Zentren. Und trotzdem sehe ich dem schon mit einem gewissen Wohlwollen entgegen. Ich finde einerseits gut dass die demokratische Frage nun ganz praktisch mitläuft. Das ist ja ein Stück weit ein blinder Fleck bei Marx. Qua Formanalyse ergibt sich vor allem der Herrschaftscharakter demokratischer politischer Institutionen, ihre "Passförmigkeit" gegenüber der kapitalistischen Ökonomie. Aber das
beantwortet ja noch nicht unmittelbar die Frage nach einem möglichen normativen Wert demokratischer Verkehrsformen darüber hinaus. Das sollte man schon ernst nehmen, da bin ich dann ausnahmsweise sogar mal "Habermasianer". Es gibt bei Marx keine positive Theorie kultureller Rationalisierung (das wird bei ihm unnötig enggeführt auf mögliche Potenzen kapitalistisch induzierter Produktivkraftentwicklung), aber dass es auf diesem Feld Lernprozesse gibt scheint mir empirisch evident zu sein, und insofern wird hier auch eine Baustelle für weitere Theoriearbeit markiert.

Deshalb finde ich den "Laborcharakter" der lateinamerikanischen Bewegungen ganz gut, also dass nicht von einem Masterplan zum Sozialismus ausgegangen wird, sondern politische Interventionen in gesellschaftliche Entwicklungen als offener Prozess gedacht werden. Was tagespolitische Geschehnisse betrifft bekomme ich schon des Öfteren Bauchschmerzen bei diversen Verlautbarungen von Chavez, ich würde persönlich ganz sicher gegenüber iranischen Klerikalen und ähnlichen Kandidaten keine offenen Avancen machen. Aber - und das hatten wir schon mal - werttheoretisch oder formtheoretisch lassen sich solche Geschichten sicherlich nicht zureichend erfassen. Demokratische Verkehrsformen scheinen mir schon einen Eigenwert zu besitzen, allein um einen Rückfall in feudale Verhältnisse samt den diesen eigenen persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen zu vermeiden, aber auch um die Gesellschaft mit einem gewissen Grad an Kontingenz auszustatten.  
 
Ich denke es ist an dieser Stelle notwenig, dass wir das Marxsche "Bilderverbot" hinter uns lassen: Mögliche postkapitalistische Vergesellschaftungsformen müssen diskursiv ausgemalt werden, auch wenn man sich bei dem Ganzen darüber klar sein muss, dass heutige Utopien in ihrem konkreten Gehalt immer durch jene Erfahrungen affiziert sind, die wir im "Hier und Jetzt" machen, also als "bürgerliche Subjekte". Na und? Was auf diesen Feldern konkret läuft - das muss ich gestehen - kriege ich nur am Rande mit, man muss ja eine ziemliche Ökonomie des Lesens betreiben, kann längst nicht alles aufnehmen was eigentlich dessen würdig wäre. Ich denke hier z.B. - neben vielen anderen Ansätzen die zu diskutieren wären - an Paul Cockshotts und Allin Cottrells Arbeiten zu einer computergestützten Planwirtschaft. Das wird ja mittlerweile auch im deutschen Sprachraum zur Kenntnis genommen.

Auch wenn ich mich in meiner Arbeit ganz dezidiert auf eine Analyse des Ist-Zustandes fokussiere scheint mir jegliche Art von formtheoretischem Negativismus fehl am Platze. Die Zukunft ist und bleibt offen. Ein Glück.

 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten von Hans-Peter Büttner zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.

Dieses Gespräch führte Hans-Peter Büttner mit dem Soziologen Dr. Hanno Pahl, Jg. 1974, 2003 - 2006 Mitarbeiter am Institut für Weltgesellschaft der Universität Bielefeld, seit Anfang 2007 Forschungsassistent am Universitären Forschungsschwerpunkt Ethik an der Universität Zürich. Hanno Pahl hat in seiner Dissertation "Die Emergenz des Monetären. Wirtschaft und Finanzsphäre bei Marx und Luhmann" den Umriss zu einer soziologischen Theorie des Geldes als Alternative zum neoklassischen Mainstream formuliert. Die Dissertation erscheint im Frühjahr im Campus-Verlag unter dem Titel "Das Geld in der modernen Wirtschaft. Marx und Luhmann im Vergleich". Im Gespräch erläutert Hanno Pahl seine Überlegungen zur Marxschen Ökonomiekritik und ihrer sinnvollen Ergänzung durch die Luhmannsche Systemtheorie.