Die Lehren des Februar 1934

von der Liga der sozialistischen Revolution

03/08

trend
onlinezeitung

Die Niederlage des österreichischen Proletariats im Februar 1934 vor dem Austrofaschismus zeigte die Unmöglichkeit eines "friedlichen Hinüberwachsens" zum Sozialismus. Die Eroberung der Macht durch den Stimmzettel erwies sich als tragischer Irrtum.

Obwohl die Sozialdemokratie 1930 mit 42 Prozent die stimmenstärkste Partei war, konnte sie die Angriffe auf die Arbeiterinnenklasse und den aufsteigenden Faschismus nicht verhindern. Während Otto Bauer 1924 noch feststellte: "Die Zahlen beweisen es: wir können in wenigen Jahren mit dem Stimmzettel die Mehrheit und damit die Macht in der Republik, die Herrschaft über die Republik erobern!"(1), wurde er durch die tatsächliche Entwicklung gründlich widerlegt. Die Politik der Sozialdemokratie führte das Proletariat nicht zur Macht, sondern in die Kälte des Februars.

Nie wieder Bürgerkrieg! Nie wieder Faschismus! Gräben zuschütten und sich die Hände reichen! Das sind die zentralen Lehren, die die offizielle Geschichtsschreibung aus den Februarereignissen zieht.

Der tatsächliche Verlauf der Geschichte hat jedoch gerade das Gegenteil bewiesen: Bürgerkrieg oder kampflose Kapitulation vor dem Faschismus - vor diese Entscheidung war die Arbeiterinnenklasse gestellt. Ein kleiner Teil des Proletariats hat sich nicht wegen, sondern trotz und gegen die Führung der Sozialdemokratie dem Kampf gestellt Der Großteil der Arbeiterinnen und Arbeiter hat sich, irregeleitet durch die Politik 'ihrer' Partei, demoralisiert durch das ewige Zurückweichen und Abwarten, passiv verhalten.

Es ist wohl blankester Zynismus wenn Otto Bauer rückblickend auf die Februarereignisse feststellte "Diejenigen Arbeiter, die an der Streikbewegung nicht teilgenommen haben, werden es jetzt furchtbar erfahren, wie eine triumphierende Reaktion Proletarier behandelt, die sie in geschichtlicher Stunde als kampfunfähig erkannt hat."(2)

Der Fehler der Arbeiterinnen, die in der Zwischenkriegszeit immer wieder ihren Kampfwillen und ihre Kampfbereitschaft unter Beweis gestellt haben, lag vor allem darin, dass sie der Sozialdemokratie ihr Vertrauen schenkten - der Partei, die sie ständig vom Kampf abhielt, mit dem Argument, dass die Zeit noch nicht reif sei. bis es schließlich zu spät war.

Um eine Wiederholung der Geschichte zu vermeiden, müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre eigene Lehre aus der Februarniederlage vor 60 Jahren ziehen. Gegenseitiges Verzeihen, Gräben zuschütten, das ist wohl die ungeeigneteste Methode aus der Vergangenheit zu lernen. Die historischen Ereignisse haben es bewiesen, um mit Otto Bauer zu sprechen, wie die Bourgeoisie die Proletarierinnen und ihre Organisationen behandelt, die sie als kampfunfähig erkannt hat.

 
Jänner 1918 bis Februar 1934
 
Der Grundstein für die Februarniederlage wurde bereits 1918 gelegt Die Oktoberrevolution hatte in Österreich ein Echo gefunden. Die Arbeiterinnenklasse stand einer schwachen Bourgeoisie gegenüber. Die Verhinderung der Machtübernahme durch das Proletariat und die Wiederherstellung der Herrschaft des Kapitals in Form einer bürgerlichen Demokratie waren das "Verdienst" der Austromarxistlnnen. Laut dem Sozialdemokraten Jacques Hannak hätte es nicht einmal 24 Stunden bedurft, um das russische Beispiel zu wiederholen, "so überwältigend war die Macht der Arbeiterklasse und so deroutiert waren alle übrigen Kräfte der Gesellschaft."(3)

Die österreichische Sozialdemokratie hat immer wieder betont, dass sie 1918/19 ohne Schwierigkeiten die Macht hätte ergreifen können. Die Partei fühlte sich jedoch dazu berufen, die Massen vor dem angeblichen Scheitern der Revolution zu bewahren. Ihre Skepsis begründete sie mit der außenpolitischen Konstellation und der ökonomischen Lebensunfähigkeit Österreichs.

Otto Bauer beschrieb die Aufgabe der Sozialdemokratie folgendermaßen:

"Breite Massen sahen diese Gefahren nicht. Die Sozialdemokratie musste sie sehen und hat sie gesehen. So war der Sozialdemokratie eine doppelte Aufgabe gestellt: Einerseits die gewaltige revolutionäre Gärung im Proletariat, die tiefe Erschütterung der ganzen kapitalistischen Gesellschaftsordnung auszunützen, um dem Proletariat möglichst starke und dauerhafte Machtpositionen im Staat und in den Gemeinden, in den Fabriken, in den Kasernen und in den Schulen zu erobern. andererseits zu verhindern, dass sich diese revolutionäre Gärung bis zum offenen Bürgerkrieg, bis zum offenen Zusammenstoß mit der Übermacht des Ententeimperialismus weiterentwickelt und damit die Hungerkatastrophe, die Invasion, die Konterrevolution herbeiführt."(4)

Die Sozialdemokratie hat nur eine der beiden Aufgaben erfüllt, es gelang ihr, den revolutionären Elan der Massen zu bremsen und die Revolution abzuwürgen. Die eroberten Machtpositionen gab sie Stück für Stück der, dank ihrer Hilfe, wieder erstarkenden Bourgeoisie kampflos preis.


Otto Bauers Weg zur (Ohn)Macht

"Stimmzettel oder Bürgerkrieg", wie sollte das österreichische Proletariat die Macht erobern? Otto Bauer gab folgende Antwort:

"In Österreich hat das Proletariat keine Aussicht, im Bürgerkrieg gewaltsam seine Diktatur aufzurichten. Österreich ist militärisch viel schwächer als seine reaktionären Nachbarstaaten und die Hauptzentren der Kraft des österreichischen Proletariats liegen sehr nahe einer militärisch ungeschützten Grenze. Hier hätte jeder Bürgerkrieg die bewaffnete Intervention des Auslandes zur Folge. Er würde enden nicht mit der Diktatur des Proletariats, sondern mit der Diktatur ausländischer Besatzungskommanden.

Dagegen ist in Österreich, wo die Reaktion viel weniger vollständig als in allen anderen Ländern Mittel- und Westeuropas die bewaffnete Macht in der Hand hat, die Aussicht, mit den Mitteln der Demokratie die Staatsmacht für die Arbeiterklasse zu erobern, größer, als in fast allen anderen Ländern."(1)

"Aber wenn nicht ganz außerordentliche Ereignisse die friedliche Entwicklung des Landes unterbrechen, dann wird die Arbeiterklasse in Österreich binnen wenigen Jahren mit den gesetzlichen Mitteln der Demokratie die Macht erobern und in den gesetzlichen Formen der Demokratie die Macht ausüben können "(1)

Diese Argumentation zu Ende geführt, bedeutet, dass das Proletariat so oder so, auf die Machtübernahme verzichten hätte müssen. Für die Bourgeoisie ist nicht wichtig, auf welchem Wege die Arbeiterinnenklasse die Macht erobert, sondern die Machteroberung an sich wird sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen. Und dagegen muss sich das Proletariat wappnen. Stattdessen schläferte die Sozialdemokratie die Kampfkraft der Arbeiterinnen mit demokratischen Träumen von Stimmzetteln ein.

Auch das Argument der ungünstigen außenpolitischen Machtkonstellation sticht nicht. Die internationale Situation war 1919 günstiger denn je. Es gab das revolutionäre Russland, die Räterepublik in Ungarn und Bayern, instabile Situation in Deutschland, Massenbewegungen und Streiks in vielen europäischen Ländern. Ein sowjetisches Österreich hätte ein mächtiger Stimulator der internationalen revolutionären Bewegung sein können Stattdessen zog es die Sozialdemokratie vor, die Errichtungen von Räterepubliken an Österreichs Grenzen in Worten, jedoch nicht mit Taten zu unterstützen, um dann letzten Endes deren Scheitern als Rechtfertigung der eigenen Verhinderungspolitik heranzuziehen. Trotzki hat diese Politik treffend charakterisiert: "Der österreichische Marxist ist unerschöpfbar, wenn es sich um das Ausfindigmachen von Ursachen handelt, welche die Initiative hindern und die revolutionäre Aktion erschweren Der österreichische Marxismus ist eine gelehrte und gespreizte Theorie der Passivität und der Kapitulation."(5)

 
"Demokratie und Waffengewalt"
 
Die Bourgeosie begann, unbeeindruckt vom pazifistischen Geschwafel der Sozialdemokratie, ihre Privatarmeen, die Heimwehr und Frontkämpfer aufzurüsten. 1923 kam es zu den ersten Zusammenstössen zwischen den Arbeiterinnen und Wehrverbänden der Bourgeoisie, die bereits Todesopfer auf Seiten der Arbeiterinnen forderten.

Die Proletarierlnnen erkannten nun, dass bloße Demonstrationen und Aufmärsche nicht mehr genügten. Aufgrund des Druckes der Basis entschloss sich die Partei zur Gründung des Republikanischen Schutzbundes. Denn "... es war besser, die von der Reaktion herausgefordertren Leidenschaften sich nicht selbst zu überlassen, sondern in die Disziplin einer straffen Organisation umzugießen."(3) Die Sozialdemokratie schuf jedoch diese Organisation nicht, um die Kampfkraft des Proletariats zu stärken Der Schutzbund hatte vor allem die Funktion, den Drohgebärden der Partei gegen die Bourgeoisie allein durch seine Existenz mehr Nachdruck zu verleihen. Außerdem erfüllte er den Zweck, den der Sozialdemokratie unheimlichen Kampfgeist der Arbeiterinnen zu beschwichtigen "Der Republikanische Schutzbund wirkte also nicht nur abkühlend auf die Kampfeslust des Gegners, sondern auch beruhigend auf die eigenen Anhänger. Seine Gründung hatte eher mäßigende Tendenzen. Wäre auf der Gegenseite der gleiche Wille zur Mäßigung vorhanden gewesen, so wä're der soziale Friede rasch wiederhergestellt und gewahrt worden." (3)

Auch Otto Bauer und die Sozialdemokratie konnten sich den Fragen nicht verschließen, die die Realität aufwarf. "Aber wird die Großbourgeoisie untätig zusehen, wie unser friedliches Wachstum ihre Herrschaft sprengt? Wird sie uns nicht mit Gewalt den Stimmzettel zu entreißen versuchen, ehe der Stimmzettel uns die Gewalt im Staate überantwortet? Wird sie die demokratische Republik nicht zu stürzen versuchen, ehe sie sie in unsere Hände fallen lässt?"1)

Die Bourgeoisie hatte auf diesen Fragen in der Praxis bereits die Antworten gegeben. Sie scheute sich nicht davor, denn legalen Boden zu verlassen, um ihre Herrschaft und Profite zu sichern.

Und wer sollte den Sturz der demokratischen Republik durch die Bourgeoisie verhindern? Diese Aufgabe wies Otto Bauer ausgerechnet der Armee zu; "Wir können uns nicht der Waffen unserer Soldaten bedienen, um die Macht zu erobern. Nein, die Macht müssen wir mit dem Stimmzettel erobern. Aber die Waffen unserer Soldaten sollen uns davor schützen, dass eine Konterrevolution uns den Stimmzettel in dem Augenblick aus der Hand reißt, in dem er uns zur Macht führen kann "(1)

Auf Grund dessen haben die Austromarxistlnnen unter anderem auch den Aufbau der bürgerlichen Armee bejaht, die dann 1934 auf die Arbeiterinnenklasse geschossen hat.

 
"Wenn.....dann aber"

Die Frage der Gewaltanwendung, die Frage wie die Macht zu erobern sei, spielte eine zentrale Rolle in der Diskussion am Linzer Parteitag 1926. Der Parteitag sprach sich eindeutig dafür aus, "die demokratischen Kampfmittel auszunützen, um die Mehrheit des Volkes unter der Führung der Arbeiterklasse zu sammeln und daduch die Klassenherrschaft der Bourgeoisie zu stürzen, der Arbeiterklasse die Herrschaft in der demokratischen Republik zu erobern."(6)

Wenn es der Bourgeoisie jedoch gelänge, die Demokratie zu sprengen, dann könnte die Arbeiterklasse die Staatsmacht nur noch im Bürgerkrieg erobern. Wenn sich die Bourgeoisie dem Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung widersetzten sollte, dann wäre die Arbeiterklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen. Gegen die Angriffe zahlreicher Genossinnen hat Otto Bauer den rein defensiven Charakter der Gewaltanwendung betont und verteidigt: Denn Gewalt heißt Bürgerkrieg. Wir wollen diesen Weg des Blutvergießens, des Krieges nicht! Nur der Gegner kann uns dazu zwingen.

Das Linzer Programm legte das Proletariat in Ketten Es durfte keine Gewalt anwenden, nicht gegen die Reaktion kämpfen, solange es noch die Kraft und Stärke dazu besaß. Es gestand der Bourgeoisie zu, sich den für sie günstigsten Zeitpunkt zu wählen, um dem Proletariat den entscheidenden Schlag zu versetzen.

"Wenn ... dann aber", das war die Maxime der austromarxistischen Politik: Leere Drohungen gegenüber der Bourgeoisie und revolutionäre Phrasen zur Beschwichtigung des Proletariats, dem jedoch nie Taten folgten.

Otto Leichter, der am linken Flügel der Sozialdemokratie stand, fasste die "Eigenheiten der sozialdemokratischen Politik" treffend zusammen:: "Zuerst den äußersten Widerstand anzudrohen, aber schließlich doch zu verhandeln und in einer - freilich geänderten - Situation einen großen Teil dessen zuzugestehen, um dessentwillen man vorher den entscheidenden Widerstand angekündigt hat."(7)

 
Juli 1927
 
Am 30. Jänner 1927 wurden in Schattendorf im Burgenland ein Invalide und ein Kind von Heimwehrbanden ermordet. Die Arbeiterinnenklasse hatte zwei weitere Todesopfer zu beklagen. Der Schattendorfer-Prozeß endete mit einem Freispruch für die Mörder. Dieses Schandurteil führte zu spontanen Streiks und Demonstrationen seitens der Arbeiterinnenschaft. Der Justizpalast, als Symbol der verhassten Klassenjustiz, wurde in Brand gesteckt. Die Polizei schoss in die aufgebrachte Menge.

Was war die Antwort der Sozialdemokratie auf den Angriff der Bourgeoisie? Ein Koalitions-Angebot an die Regierung, die die Arbeiterinnen zusammenschießen ließ und die Abwürgung des Generalstreiks. Um Auseinandersetzungen zu verhindern, gab die Sozialdemokratie den Drohungen der Heimwehren, den Generalstreik mit Waffen aufzulösen, klein bei. Der Streik wurde bedingungslos abgebrochen. Und dies, obwohl nach ihren eigenen Aussagen, die Arbeiterinnenklasse damals noch stark genug gewesen wäre, um aus der Auseinandersetzung mit der Bourgeoisie siegreich hervorzugehen. Doch das hätte Bürgerkrieg bedeutet, und den galt es ja um jeden Preis zu vermeiden.

Die Juliereignisse haben gezeigt, dass die Sozialdemokratie dem Vormarsch der Reaktion außer radikalen Worten nichts entgegenzusetzen hatte. Die Zeit der Reformen war vorbei und die Bourgeoisie konnte und wollte der Arbeiterinnenklasse keine Zugeständnisse mehr machen. Sie fühlte sich nun stark genug, um zum Angriff überzugehen. Die reformistische Taktik, durch Machtdemonstrationen bessere Verhandlungsergebnisse zu erzielen, war unter den veränderten Bedingungen wirkungslos geworden. Während die Bourgeoisie Taten setzte, blieb Verhandeln statt Handeln weiterhin die Leitlinie sozialdemokratischer Politik.

Die spontane Erhebung drückte die Unzufriedenheit der Massen mit der Politik der Parteiführung aus. Es wurden jedoch keine eigenen Strukturen gebildet um den Kampf weiterzutreiben. So gelang es der Sozialdemokratie immer wieder, die Arbeiterinnenklasse zu demobilisieren und sie von einer Niederlage in die andere zu treiben.

Die Parteiführung beantwortete die seit den Juliereignissen 1927 zunehmende reaktionäre und antidemokratische Offensive der Bourgeoisie mit der wiederholten Aufforderung zur "inneren Abrüstung". Sie war bereit, die Arbeiterinnenklasse zu entwaffnen, wenn die Bourgeoisie ihrerseits die paramilitärischen Verbände auflösen würde. Und das, obwohl das Vorgehen der Wiener Polizei im Juli 1927 gezeigt hatte, dass der Einfluss der Sozialdemokratie im Staatsapparat bereits weitestgehend zerstört und jener gegen die Arbeiterinnenklasse einsetzbar war.

"Die Parole der inneren Abrüstung übersteigt in ihrer reaktionären Gemeinheit alles, was wir von den Sozialdemokraten bisher gehört haben Angesichts des bewaffneten bürgerlichen Staates flehen diese Herren die Regierung an, die Arbeiter zu entwaffnen.

Die faschistischen Banden sind jedoch nur Hilfsorgane der Bourgeoisie: heute aufgelassen, können sie zu einem beliebigen Zeitpunkt wieder gesammelt und bewaffnet werden, in noch stärkerem Maße als jetzt. Die Arbeiter aber können von niemanden bewaffnet werden, wenn sie die sozialdemokratische Partei durch den bürgerlichen Staat entwaffnen läßt. Natürlich fürchtet die sozialdemokratische Partei die Waffen der Faschisten. Aber vielleicht noch mehr fürchtet sie die Waffen in den Händen der Arbeiter. Heute fürchtet die Bourgeoisie den Bürgerkrieg, erstens, weil sie über seinen Ausgang nicht sicher ist, zweitens, weil sie keine wirtschaftlichen Erschütterungen wünscht. Die Entwaffnung der Arbeiter sichert die Bourgeoisie vor dem Bürgerkrieg: das steigert bis zum Maximum die Chancen des faschistischen Umsturzes." (8)

Die Forderung nach "innerer Abrüstung" zeigte, dass die Sozialdemokratie nie ernsthaft bereit war, den Entscheidungskampf aufzunehmen. Denn wie hätte die Arbeiterinnenklasse ohne Waffen den Kampf führen sollen? Die Drohung mit dem Bürgerkrieg und mit der Diktatur des Proletariats sollten lediglich die Bourgeoisie abschrecken, das Äußerste zu wagen. Doch mit den leeren Drohungen schreckte sich die Sozialdemokratie spätestens ab 1927 nur noch selbst. Um ja nicht den Bürgerkrieg zu provozieren, wurden allen Aktionen des Proletariats die Spitzen gebrochen und waren somit zur Erfolglosigkeit verdammt. Den realen unmittelbaren Angriffen, hatte die Partei nur die Androhung der Entscheidungsschlacht in unbestimmter Zukunft entgegenzusetzen.

"Was den österreichischen Marxismus auszeichnet, ist die Abscheu vor der revolutionären Aktion und die Angst vor ihr. Der österreichische Marxist ist fähig, eine Unmenge von Tiefsinn in der Erklärung des gestrigen Tages zu entfalten und einen beträchtlichen Wagemut in der Prophezeiung für den morgigen Tag zu zeigen, - aber für den heutigen hat er nie einen großen Gedanken, keine Voraussetzung zu einer großen Aktion." (5)

Die Partei manövrierte die Arbeiterinnenbewegung mit ihrer Politik immer stärker in die Defensive. Die Reaktion holte noch nicht unmittelbar zum entscheidenden Schlag aus. Mit zahlreichen kleinen Angriffen unterhöhlte sie die Positionen der Arbeiterinnenklasse und veränderte das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten. Erst dann schlug sie zu.

Auch die anhaltenden Wahlerfolge konnten über diese Entwicklung nicht hinwegtäuschen. So mußte Otto Bauer am Parteitag 1929 trotz des Zuwachses an Mitgliedern und Stimmen feststellen:

"Aber in demselben Maße, in dem unsere geistige Macht innerhalb des deutschösterreichischen Volkes gewachsen ist, in demselben Maße haben sich die physischen Gewaltverhältnisse zugunsten unserer Gegner verschoben "(9)

 
März 1933

Im März 1933 liquidierte Dollfuß das Parlament und errichtete ein bonapartistisches Regime. Die Stunde X war eingetreten, für die die Sozialdemokratie die Entscheidungsschlacht angekündigt hatte. Die Arbeiterinnenklasse in ganz Österreich war aktionsbereit und wartete auf Anweisungen. Aber umsonst, die Partei war auch jetzt nicht bereit, den Kampf aufzunehmen. Ihren Kampfunwillen begründete sie nun mit der drohenden Nazigefahr, dergegenüber sie die Regierung Dollfuß als kleineres Übel unterstützte. Verhandlungen mit Dollfuß waren die einzigen konkreten Initiativen, die die Partei gegen die Diktatur Dolfuß' setzte.

Die steigende Unzufriedenheit der Basis mit der Politik der Parteiführung spiegelte sich am Parteitag im Oktober 1933 wieder. Es hatte sich eine linke Opposition herausgebildet, die die passive Haltung des Parteivorstandes kritisierte. Der defensiven Taktik des Abwartens des Parteivorstandes stellte sie eine offensive Strategie gegenüber. "Eine Partei die den Kampf will, muß jede Teilaktion vorantreiben, die Front von Woche zu Woche verbreitern, immer größere Massen mobilisieren, die Ruhe und Ordnung mit immer heftigeren Stößen erschüttern und so die Entscheidung herbeiführen." (10) Die Opposition zeigte auf, dass die Parteiführung stattdessen in der Vergangenheit immer wieder schlichtend in die Kämpfe eingegriffen und zu deren Abbruch entscheidend beigetragen habe. Die Partei solle nicht weiterhin passiv Abwarten, sondern zum Angriff übergehen und der Zermürbungstaktik der Regierung mit der Mobilisierung der Arbeiterinnen um ein konkretes Forderungsprogramm antworten.

Die Opposition stimmte jedoch letztlich wiederum der Resolution des Parteivorstandes zu. die nun, den veränderten Bedingungen entsprechend, folgende Punkte benannte, bei deren Übertretung dann die Gegenwehr der Arbeiterinnen unausweichlich sei: 1) Auflösung der Partei. 2) Auflösung der Gewerkschaften oder Einsetzung eines Regierungskommissärs für die Gewerkschaften, 3) die Besetzung des Rathauses oder die Einsetzung eines Regierungskommissärs, 4) das Aufzwingen einer faschistischen Verfassung.

Die Arbeiterinnen wurden aufgefordert, bei Eintreten dieser Umstände selbst die Initiative zu ergreifen und sich unaufgefordert mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Wehr zu setzen. Die Partei kündigte damit bereits an, dass sie im entscheidenden Moment nicht bereit sei, die Führung des Kampfes zu übernehmen.

Außerdem brachte Otto Bauer in seiner Parteitagsrede deutlich zum Ausdruck, dass innerhalb dieser Grenzen die Partei weiterhin die Angriffe der Bourgeoisie kampflos hinnehmen werde: Er warnte davor, leichtfertig über den Kampf zu reden. "Wir müssen volle Klarheit darüber haben und dann verstehen, dass man so etwas nicht machen kann (den Kampf aufnehmen, die Verfasserin), wegen irgendeiner Notverordnung, die diese oder jene Gruppe von Arbeitern betrifft, sondern dass so etwas nur geschehen kann, wenn Ereignisse von großem Ausmaß die Leidenschaft der breiten Massen der Arbeitenden und Arbeitslosen so aufgewühlt haben, dass der Kampf dann auch gelingen kann!" (11)

Dollfuß setzte ungehindert die Angriffe auf die Arbeiterinnenklasse Schritt für Schritt fort: Lohnkürzungen, Sozialabbau, Einschränkung des Streikrechtes,... Die Sozialdemokratie vertröstete die Basis wie eh und je auf den späteren Kampf. Sie ließ sich nicht "leichtfertig, wegen irgend einer Notverordnung", die Entscheidungsschlacht aufzwingen.

Die Lebensbedingungen der Arbeiterinnenklasse verschlechterten sich zusehends. Der politische Spielraum wurde für die Arbeiterinnen immer weiter eingeschränkt. Dem Verbot von KPÖ und Trotzkistlnnen folgte die Pressezensur, Verbot von sozialdemokratischen Unterorganisationen, Verbot des Schutzbundes und Waffenbeschlagnahmungen. Doch das alles war für die Führung noch immer nicht genug, um die "Entscheidungsschlacht" aufzunehmen. Um die Gefahr des Bürgerkriegs zu vermeiden, war sie weiterhin zu Verhandlungen bereit. "Darf die Partei das grandiose 'Risiko' auf sich nehmen, das mit den revolutionären Kampfmethoden verbunden ist? Als ob das österreichische Proletariat noch die Freiheit der Wahl hätte! Als ob Millionen Arbeiter, nach dem Muster Otto Bauers, in die Schweiz zum Landaufenthalt fahren könnten. Als ob eine Klasse sich der tödlichen Gefahr ohne jede Gefahr entziehen könnte. Als ob die Opfer der Faschisierung Europas mit der Perspektive neuer imperialistischer Kriege, nicht hundertmal die Opfer aller früheren und aller zukünftigen Revolutionen übersteigen."(12)

Das ständige Zurückweichen, bzw. die Verhinderung der Kämpfe durch die Politik der Sozialdemokratie, führten zur zunehmenden Schwächung und Demoralisierung der Arbeiterinnen bis schließlich das Kapital den zentralen Angriff wagen konnte.

 
Februar 1934
 
Die faschistischen Heimwehren drängten mit aller Kraft auf die abschließende Auseinandersetzung So begann der Bürgerkrieg, gut vorbereitet von der Reaktion, unvorbereitet und improvisiert seitens der Arbeiterinnenklasse.

Am 4. Februar besetzte die Heimwehr Innsbruck und erzwang unter Androhung von Waffengewalt die Absetzung der Landesregierung. In der folgenden Woche marschierte sie auch in anderen Bundesländern in den Hauptstädten ein. Gleichzeitig startete die Regierung einen großflächigen Angriff. Parteilokale und Arbeiterinnenheime wurden nach Waffen durchsucht. Schutzbundfunktionäre verhaftet. Verhandeln statt Handeln, war selbst jetzt noch die Devise der sozialdemokratischen Parteiführung.
 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir von der LSR zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe. Erstveröffentlicht wurde er auf deren Website