Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Frankreichs Einwanderungs- und Abschiebepolitik
Das Regierungslager drückt brutal auf die Tube. Gewerkschaften erringen Erfolg im Kampf um „Legalisierung“ illegalisierter Lohnabhängiger

03/08

trend
onlinezeitung

Das konservative französische Regierungslager drückt mächtig auf die Tube, um den Druck auf illegalisierte Einwanderer zu erhöhen. Mitte Februar 08 gab der Minister „für Einwanderung und nationale Identität“, Brice Hortefeux, nun seine definitiven Abschiebezahlen für das Jahr 2007 bekannt: 24.000 „Entfernungsmaßnahmen“ wurden „tatsächlich durchgeführt“. Im Frühsommer vergangenen Jahres hatte der frisch gewählte Präsident Nicolas Sarkozy dem Inhaber des neu geschaffenen Postens eines „Immigrations und Identitäts“-Ministers zur Aufgabe gesetzt, jährlich 125.000 Aufgriffe mutmaßlich „illegal“ sich im Lande aufhaltender Ausländer durchzuführen und 25.000 „real durchgeführte“ Abschiebungen bis zum Jahresende vorweisen zu können.

Diese Sollziffer wurde also nicht ganz erreicht. Macht nichts, verkündete Premierminister François Fillon daraufhin in einem Interview mit dem ‚Figaro’ vom 16./17. Februar frei von der Leber weg: Mit 24.000 durchgeführten Abschiebungen liegen wir für 2007 knapp unter der Marke, also schlagen wir die eintausend fehlenden „Zwangsentfernungen“ einfach im laufenden Jahr mit drauf. Also sind für 2008 insgesamt 26.000 „tatsächlich durchgeführte Abschiebungen“ einzuplanen. (Vgl. http://www.lemonde.fr/web/depeches/0,14-0,39-34328499@7-37,0.html)

Riesenaufgebot an Polizei im Wohnheim für ausländische Arbeiter

Auch viele Polizisten beklagen sich inzwischen über den unmenschlich werdenden Druck, der auf ihnen selbst laste, um solche Vorgaben überhaupt noch erfüllen zu können. Immer verrücktere Dinge lässt sich die polizeiliche Hierarchie daher einfallen, um an ihre Sollzahlen heranrücken zu können. Noch vor dem Morgengrauen des Dienstag, 12. Februar wurde so ein Einwandererwohnheim im 13. Pariser Bezirk, in der rue Terre-du-Curé (im Süden der französischen Hauptstadt), durch ein Großaufgebot von 400 Polizisten umstellt. Um 5 Uhr früh fingen die Beamten an, das Wohnheim durchzukämmen. Rechtlicher Vorwand? Ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren gegen Personen, die für „menschenunwürdige Unterbringungsbedingungen“ und eine Überbelegung des Wohnheims – gemessen an seinen ursprünglich vorgesehenen Kapazitäten – verantwortlich seien. Rein zufällig freilich wurde kein einziger Verantwortlicher für die „menschenunwürdigen Wohnbedingungen“ ermittelt, und das entsprechende Verfahren inzwischen überhaupt fallengelassen.

Hingegen wurden an die 120 Einwanderer, überwiegend aus den westafrikanischen Ländern Senegal und Mali, wegen mutmaßlich „illegalen“ Aufenthalts festgenommen. 80 von ihnen wurde in ein ‚Centre de rétention administrative’ (sinngemäß „Anstalt für administrative Verwahrung“, ungefähre französische Entsprechung zum deutschen Abschiebegefängnis) gesteckt. Die Verwaltungsgerichte bestätigte für ungefähr die Hälfte von ihnen die Verhängung der „administrativen Verwahrung“ - zwecks Vorbereitung ihrer Abschiebung -, hob die Maßnahme dagegen für die andere Hälfte auf. In den zweitgenannten Fällen waren die Richter/innen der Auffassung, die Bedingungen der „Ingewahrsam-Nehmung“ seien juristisch unkorrekt gewesen.

An diesem Mittwoch (27. Februar) versuchten die Behörden, die Abschiebung von zwei unerwünschten Einwanderern aus dem Wohnheim in das westafrikanische Land Mali durchzuführen. Am Abend scheiterte die Abschiebung jedoch daran, dass Passagiere gegen das Vorhaben protestierten und der Pilot sich „aus Sicherheitsgründen“ weigerte, unter diesen Bedingungen abzuheben. Insgesamt befanden sich vier Abschiebehäftlinge an dem Bord der Maschine der Luftfahrtgesellschaft Royal Air Maroc, unter ihnen die zwei ehemaligen Insassen des polizeilich durchsuchten Wohnheims im 13. Pariser Bezirk. Gegen 18.30 Uhr wurden alle Passagiere vom Piloten dazu aufgefordert, das Flugzeug in Richtung Bamako/Mali zu verlassen, um wieder Ruhe einkehren zu lassen, bevor er die freiwilligen Passagiere wieder in die Maschine einsteigen ließ. Insgesamt entstand dadurch eine zweistündige Verspätung. Die beiden Malier wurden daraufhin jedoch in polizeilichen Gewahrsam genommen, da die Verhinderung einer Abschiebemaßnahme gegen die eigene Person (refus d'embarquement) nach geltendem französischem Recht eine Straftat darstellt, die mit bis zu drei Monaten Haft geahndet werden kann, Royal Air Maroc erkärte im Anschluss, es sei Politik ihres Unternehmens, keine unfreiwilligen Fluggäste zu befördern. Damit unterscheidet sich das Unternehmen auf korrekte Weise vom Verhalten der französischen Air France.

Das Wohnheim weist auch heute noch die Spuren der Verwüstungen auf, die der massive Polizeieinsatz angerichtet hat, mit dem Eintreten und Aufbrechen von Türen und ähnlichen Methoden. (Vgl. http://paris.indymedia.org/article.php3?id_article=95268) Zwei mal - am Abend des 13. Februar sowie am Nachmittag des Sonntag, 17. Februar - fanden Protestkundgebungen der Einwohner sowie mit ihnen solidarischer Personen vor dem Wohnheim statt.

Erfolg im Streik der ‚illegalisierten’ Köche

Unterdessen konnten Solidaritätskräfte, unter ihnen in diesem Falle die Gewerkschaften und insbesondere die CGT, am Dienstag voriger Woche einen wichtigen Erfolg im Kampf der „illegalisierten“ Lohnabhängigen verbuchen. Seit einer Woche waren neun, überwiegend afrikanische und „illegal“ als Einwanderer in Frankreich lebende, Köche des Luxusrestaurants ‚La Grande Armée’ im 16. Pariser Bezirk - einem großbürgerlicher Nobelhobelviertel - im Streik gewesen. Sie forderten gültige Aufenthaltspapiere, einen schriftlichen Arbeitsvertrag und ein Recht auf gleichen Lohn wie andere abhängig Beschäftigte. Die CGT, als stärkste Gewerkschaft in Frankreich, unterstützte den Arbeitskampf aktiv. Aufgrund des Skandals, den das öffentliche Ruchbarwerden der Arbeitsbedingungen - unter Ausnutzung der „Illegalität“ des Aufenthalts der Betreffenden in Frankreich - im Luxusrestaurants auslöste, forderte der Arbeitgeber seinerseits aktiv von den Ausländerbehörden die „Legalisierung“ seiner Köche ein. Hauptsache, dass die Dinge sich möglichst schnell wieder beruhigten… Resultat: Die Präfektur (Ausländerbehörde) „legalisierte“ acht der neun streikenden Köche. Einer von ihnen, ein Staatsbürger der Côte d’Ivoire/Elfenbeinküste mit dem Vornamen Adni, blieb hingegen von der Maßnahme ausgeschlossen. Ihm hielt die Ausländerbehörde vor, dass er seine Arbeit am 4. Juli 2007 aufgenommen habe, während ein Regierungsdekret, das die „ausnahmsweise Legalisierung“ von Arbeitskräften in „Mangelberufen“ und „-sektoren“ erlaubt, drei Tage zuvor in Kraft getreten sei. Daher sei er zu spät eingestellt worden. Der Betreffende verlor dadurch gleichzeitig auch seine Arbeit, da seine „illegale“ Situation nun auch offiziell bekannt ist und der Arbeitgeber ihn - unter Androhung von Strafen - nicht weiterbeschäftigen darf.

Solidaritätsinitiativen sprachen von einer wichtigen „Bresche“, da Tausende, potenziell Zehntausende Lohnabhängige sich in einer vergleichbaren Situation befänden wie die Köche des Restaurants ‚La Grande Armée’. Nunmehr müsse hinreichend Druck entfaltet werden, um eine kollektive „Legalisierungs“welle loszutreten. Im Namen der Solidaritätsvereinigung Droits Devant! kündigte Jean-Claude Amara an, man werde die „nun geöffnete Bresche nutzen“ und versuchen, sozialen, politischen und gewerkschaftlichen Druck für die „Legalisierung“ von Zehntausenden Betroffenen zu entfalten. Hingegen äußerte sich die CGT in den letzten Tagen in dieser Hinsicht weitaus zurückhaltender. Ihre Priorität lautet, die Betroffenen sollten sich nunmehr erst einmal „gewerkschaftlich organisieren“. Ein Ziel, das als solches genommen bestimmt nicht falsch ist – betrachtet man es isoliert- , aber auch nicht gegen die Idee einer größeren und gezielten Kampagne ausgespielt werden kann.

Am vergangenen Samstag waren die Köche die „Stars“ der Pariser Demonstration gegen die Existenz und gegen die Politik des „Ministeriums für Zuwanderung und nationale Identität“ unter Brice Hortefeux, die am Nachmittag in der französischen Hauptstadt stattfand. Daran nahmen circa 3.000 bis 4.000 Menschen teil. Die Demo bildete den Abschluss der „Antikolonialen Woche“, die in diesem Februar schon zum zweiten Mal in Folge stattfand (mit Film-, Diskussions und Mobilisierungsveranstaltung). Anlass für ihre Einrichtung war der Jahrestag des „Gesetzes vom 23. Februar 2005“, das eine politisch-ideologische Rehabilitierung des französischen Kolonialismus – insbesondere in Nordafrika -- zum Gegenstand hat. Zu der Demonstration hatten u.a. auch Kollektive der Sans papiers zusammen mit der CGT mobilisiert, wobei vor allem die Präsenz des VGT-Ortsverbands Massy-Palaiseau (im südlichen Pariser Umland) ins Auge sprang. Dieser Ortsverband wird faktisch durch eine maoistische Partei – den PCOF – geprägt, zu der sich manche kritische Anmerkungen machen ließen, die sich aber bei den Themen „illegalisierte Einwanderung“ und „französischer Neokolonialismus in Afrika“ an vorderster Front kämpferisch betätigt.           

Nun ist es offiziell: Kommission für Quoten-Einwanderung eingesetzt 

Seit kurzem ist es nun amtlich : Die französische Regierung möchte hin zu einer Quoteneinwanderung kommen und dafür entsprechend das Gesetz, und notfalls die Verfassung, anpassen. Dies bedeutet, dass künftig jährlich vorab festgelegt werden, wie viele Einwanderer, aus welchen Berufsgruppen und aus welchen geographischen Herkunftsregionen -- im Sinne von Weltregionen -- in den kommenden zwölf Monaten nach Frankreich kommen dürfen. Auch wenn dies zumindest im Hinblick auf das Asylrecht offiziell dementiert wird (es handele sich „um Zuwanderungs- und nicht um Asylquoten“, so der zuständige Minister Hortefeux), zeichnet sich doch ab, dass das Geltendmachen von individuellen Grundrechten wie des Rechts auf Familienzusammenführung oder auf Asyl dadurch erschwert wird. Jedenfalls sofern es zur „Quote“ in Widerspruch gerät.  

Am Donnerstag, den 7. Februar hat der französische Minister für „Integration, Zuwanderung und nationale Identität“ Brice Hortefeux nun die Einrichtung einer Kommission bekannt gegeben, die ganz offiziell über dieses Thema „nachdenken“ soll. Ihre Aufgabe besteht darin, „die Wege des Wünschbaren und des Möglichen“ zu erkunden, so Hortefeux anlässlich der feierlichen Amtsführung der Mitglieder der Kommission. „Es wird nicht unbedingt von Ihnen verlangt, ein Projekt für eine Verfassungsänderung vorzulegen, aber es ist Ihnen auch nicht verwehrt/verboten“ fügte der Minister an die Adresse der 13 Kommissionsmitglieder hinzu. 

Die Kommission steht unter dem Vorsitz des früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Pierre Mazeaud, eines langjährigen Begleiters des ehemaligen Präsidenten Jacques Chirac. Zu ihren prominentesten sonstigen Mitglieder zählt der Demograph (Bevölkerungswissenschaftler) Hervé Le Bras. Ihren Abschlussbericht soll die Kommission bis Ende Mai dieses Jahres vorlegen. Ihr offizieller Titel lautet „Kommission für den verfassungsrechtlichen Rahmen der neuen Einwanderungspolitik“, auch wenn sie in Medien und Politik bereits weithin auf den Namen „Mazeaud-Kommission zu den Einwanderungsquoten“ getauft worden ist.  

Erstes zwischenstaatliches Abkommen zur Quotenfestlegung abgeschlossen 

Nunmehr wurde am 25. Februar dieses Jahres das erste bilaterale Abkommen mit einem Herkunftsland vieler in Frankreich lebender Immigranten, das ganz offiziell im Sinne dieser Quoten“philosophie“ ausfällt, unterzeichnet. Am Montag dieser Woche unterschrieb der französische „Einwanderungs- und nationale Identitäts“minister Hortefeux dieses Abkommen in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr). Es sieht u.a. vor, 200 hoch- bis höchstqualifizierten sowie 1.000 sonstigen Lohnabhängigen aus dem Senegal im laufenden Jahr (2008) Aufenthaltstitel für Frankreich zu erteilen.  

Diese dürfen einen von insgesamt 60 Berufen ausüben, die auf einer extra erarbeiteten Liste aufgeführt sind: Neben den 30 hoch- und höchstqualifizerten Berufen wie etwa Ingenieursberufen, die ohnehin (aufgrund eines ministerlichen Erlasses vom 7. Januar 2008) für Einwanderer aus Nicht-EU-Ländern offen stehen, wurden noch 30 weitere Berufe in die Liste aufgenommen. Sofern die Obergrenze des Kontingents respektiert wird, dürfen senegalesische Neuzuwanderer so auch als Köche, Reinigungskräfte oder Bauarbeiter arbeiten. Solche („nicht oder gering qualifizierten“ Tätigkeiten) werden ansonsten durch die geltenden Gesetze und Verordnungen für osteuropäische Arbeitskräfte aus den „neuen Beitrittsländern“ reserviert; für Letztgenannte besteht seit dem 1. Mai 2006 eine eigene Liste „offener Berufe“, die inzwischen 160 Tätigkeiten umfasst. Im Gegensatz zu der Liste von dreißig Berufen, die den „Nicht-EU-Arbeitskräften“ geöffnet worden sind, handelt es sich dabei nicht um hoch-, sondern überwiegend um „gering qualifizierte“ Mangelberufe. Das zugrunde liegende Ziel lautet offenkundig, über ein möglichst „weißes“ neues Proletariat zur Verfügung. 

„Im Gegenzug“ zur begrenzten Öffnung des französisches Arbeitsmarkts im Jahr 2008 für senegalesische Migranten, die für ihr Herkunftsland absehbare Devisenüberweisungen bedeutet, verpflichtet sich die Regierung des Senegal zur energischen Bekämpfung „illegaler“ Migration und zur verbesserten Überwachung der Grenzen sowie Küsten. 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Text am 28.2.08 vom Autor zur Veröffentlichung.