Frankreichs Rolle im Tschad
Was treibt, und was sucht die Neokolonialmacht in N’Djemena?

von Bernard Schmid

03/08

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Würde der französische Präsident Nicolas Sarkozy sich genauso gutgläubig geben wie sein Außenminister Bernard Kouchner, während er sich am Mittwoch dieser Woche (27. Februar) im Tschad aufhielt? Würde er mit seinem Amtskollegen Idriss Déby Itno das Schicksal jüngst „verschwundener“ Oppositionsführer in dem Land erörtern? Oder würde er es dabei bewenden lassen, sich „Zeugenaussagen“ aus dem Umfeld des Regimes auftischen zu lassen, denen zufolge ihnen nichts Ernsthaftes passiert ist?

Kouchner hatte am Montag (25. Febr.) den Zorn der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erregt, indem er im Fernsehsender LCP-Sénat versicherte, der Oppositionsführer Ngarlejy Yorongar halte sich „noch versteckt, aber ziemlich glaubwürdige Zeugen“ – die freilich ungenannt blieben – „versichern, dass er noch am Leben sei“. An anderer Stelle sickerte durch, „die französische Seite“ glaube, Yorongar halte sich im Nachbarland Kamerun auf. Nicht alle Beobachter sind so optimistisch, was den Verbleib des Abgeordneten betrifft, von dem seit dem 3. Februar jegliche Spur fehlt. Human Rights Watch (HRW) zeigte sich gar offen über die amtliche französische Position empört. 

Unter Ausnutzung der heftigen Kämpfe am ersten Februarwochenende - an dem Rebellen die Hauptstadt und den Präsidentenpalast militärisch einzunehmen versuchten - ließ das Regime von Präsident Idriss Déby damals mutmaßlich eine ganze Reihe von unbewaffneten und gewaltlos agierenden Oppositionsführern sowie –aktivisten verhaften. Die französische Tageszeitung Libération berichtet etwa an diesem Dienstag, mehrere Nachbarn hätten von der brutalen Verhaftung des Oppositionspolitikers Yorongar vor nunmehr gut drei Wochen erzählt: Dieser sei zu Hause durch ein Dutzend Soldaten festgenommen worden, die ihn „in einen beigefarbenen Toyota – das Standardfahrzeug der tschadischen Armee – ohne Kennzeichen gestoßen“ hätten. Inzwischen hat das Regime zwar kürzlich behauptet, Yorongar sei wieder aufgetaucht und „in der Nähe seines Wohnsitzes gesehen worden“. Dessen Familie dementiert dies jedoch energisch, und spricht Libération zufolge von „psychischer Folter“ durch das Spiel mit solchen Ankündigungen. Dem französischen Außenminister Kouchner scheinen die treuherzigen Versicherungen aus Kreisen des Regimes jedoch genügt zu haben.

Letzteres gibt ferner an anderer Stelle an, mit dem Abhandenkommen mehrerer Oppositionspolitiker gar nichts zu tun zu haben, und bietet großzügig an, sogar ein Ermittlungsverfahren über die angeblich unbekannten Täter zu eröffnen. Und es beruft sich darauf, die Opponenten seien „verschwunden“, während ihre Wohnviertel Anfang Februar, für extrem kurze Zeit, unter Kontrolle der Rebellen gestanden hätten. Dies wiederum dementiert Human Rights Watch energisch - und die Organisation schreibt in einem soeben veröffentlichten Untersuchungsbericht, für jeden der nicht wieder aufgetauchten Oppositionsführer lasse sich nachweisen, „dass zum fraglichen Zeitpunkt in jedem der genannten Fälle die Streitkräfte der Regierung wieder eine vollständige Kontrolle über die Stadtteile zurück erlangt hatten.“

Zum Auftakt seiner anstehenden Reise in die Republik Südafrika – dieses Mal in Begleitung seiner neuen Ehefrau Carla Bruni – vom Donnerstag und Freitag dieser Woche legte Nicolas Sarkozy im Laufe des Mittwoch einen Zwischenstopp in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena ein. Dieser Abstecher war im Vorfeld durch Journalisten abgekündigt, aber erst spät am Dienstag Abend offiziell vom Elysée-Palast bestätigt worden.

Vor Ort in N’Djamena unterhielt sich Sarkozy angeregt mit seinem Amtskollegen Idriss Déby Itno. Im Anschluss versuchte er sich in einer Gleichgewichtsübung: Er bezeichnete das Regime des (im Dezember 1990 durch einen Putsch, mit Pariser Billigung, an die Macht gekommenen) Präsidenten als „legitim“, fügte jedoch hinzu, dies gebe ihm nicht die Berechtigung dazu, „irgendwelchen Quatsch“ (im Original: n’importe quoi) anzustellen. Nicolas Sarkozy forderte und erreichte die Einrichtung einer „internationalen Untersuchungskommission“ über das Schicksal der „verschwundenen“ Oppositionspolitiker. Letztere wird zwar unter dem Vorsitz des tschadischen Parlamentspräsidenten Nassour Ouaïdou stehen. Aber Nicolas Sarkozy verlangte, neben ihm und Vertretern des tschadischen Regimes sollten auch Repräsentanten „der Europäischen Kommission, Frankreichs und des Roten Kreuzes“ an dem Untersuchungsausschuss teilnehmen. Am Donnerstag erklärte jedoch das Internationale Kommission vom Roten Kreuz (IKRK), eine Teilnahme an einem solchen Gremium komme für es nicht in Frage: „Dies verletzt unsere Grundsätze der Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit.“ (Vgl. http://afp.google.com)

Unterdessen bleibt die Welt aber noch immer ohne Nachricht von den „verschwundenen“ Oppositionellen. Ansonsten sicherte das tschadische Regime, verbal, eine unparteiliche internationale Untersuchung zu. Allerdings sind solcherlei Untersuchungskommissionen – etwa auch jene des französischen Parlaments – dafür bekannt, dass sie oftmals drängende politische Fragen besser beerdigen als ihrer Aufklärung dienlich sind. Sollten tatsächlich offizielle Repräsentanten aus Brüssel und/oder Paris an ihr teilnehmen, so könnte es sich auch um ein Unterpfand für hinter den Kulissen stattfindende Verhandlungen zwischen dem Regime und den EU-Mächten handeln: „Gebt Ihr uns dies oder jenes, dann dürfte der Untersuchungsbericht der Kommission eventuell so und so ausfallen...“

 Am Donnerstag sicherte der französische Präsident Sarkozy in seiner Rede vor dem Parlament der Republik Südafrika – wo man die neokoloniale Politik seines Landes mit Argwohn beobachtet – zu, Frankreich werde „sämtliche Militärabkommen mit früheren Kolonien in Afrika“ überarbeiten und künftig Transparenz in die wechselseitigen Beziehungen einziehen lassen. Er kündigte gar eine völlige „Neubegründung“ der französisch-afrikanischen Beziehungen, auf veränderter Grundlage, an. Frankreichs Verhalten im Tschad, wo seine dort stationierte Armee „nicht in die (jüngst stattgefundenen) Kämpfe eingegriffen“ habe, stellte Nicolas Sarkozy dabei als geradezu modellhaft hin und strich das angebliche Raushalten des offiziellen Frankreich aus dem dortigen Konflikt heraus. Die Franzosen hätten sich dort, so Sarkozy, „verboten, auf Afrikaner zu schießen“ (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr/) .

Gerade dies ist aber, auch in Paris und der dortigen Öffentlichkeit, heftig umstritten. Bezüglich des Verlaufs dieser Kämpfe wiederum dürfte Frankreich jüngst eine erheblich größere Rolle gespielt haben, als die politisch Verantwortlichen zuzugeben bereit sind.

Nichteinmischung??

Offiziell zumindest gibt es gar nichts zu erörtern: „Frankreich ist an diesem Krieg nicht beteiligt“, gemeint sind die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen im Tschad, die sich Anfang Februar dramatisch zuspitzten und zur Monatsmitte nochmals aufzuflackern begannen. „Noch nie ist Frankreich so wenig interveniert“ fügte der Außenminister des Landes, Bernard Kouchner, in der zweiten Februarwoche hinzu. Allerdings ist bekannt, dass in der Arbeitsteilung der französischen Regierung der ehemalige French Doctor und glühende Anhänger „humanitärer Interventionen“, Kouchner, nicht wirklich das Sagen hat. In der Praxis ist er vor allem für warme Worte und treuherzige Blicke zuständig, ist aber im Zweifel nicht wirklich auf dem Laufenden, sobald es um nicht ganz so humanitären Zwecken dienende Interventionen geht. Oder um Sonderbeziehungen zu Regimes wie jenem des libyschen Oberst Muammar Kaddafi: Anlässlich der beiden Treffen zwischen Kouchners Vorgesetztem, Präsident Nicolas Sarkozy, und dem seit 1969 amtierenden libyschen Staatschef im Juli sowie im Dezember vergangenen Jahres durfte Kouchner nur überwiegend passiv daneben stehen und eine ahnungslose Miene aufsetzen. Im Anschluss an die Gespräche durfte er dann noch seinen Unterschrift unter fertig bereitliegende Abkommen setzen.

Ungefähr zur selben Zeit ließ sein Amtskollege aus dem Verteidigungsministerium, Hervé Morin, sich am 6. Februar auf einer Barrikade in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena fotographieren – umgeben von Sandsäcken und französischen Soldaten, am Boden kauernd und durch das Visier eines Armeegewehrs blickend, den Finger am Abzug. Kurz zuvor hatte er gegenüber der Tageszeitung Le Figaro ausgeführt, Frankreich könne im Tschad „sei es aufgrund eines bilateralen Abkommens wie etwa eines Verteidigungsabkommens, sei es aufgrund eines UN-Mandats, um die territoriale Integrität des Landes zu schützen“, militärisch eingreifen.

 Kurz darauf, am 7. Februar, trafen wiederum andere Bilder über die Nachrichtenagenturen aus N’Djamena ein: Bulldozer stapelten Leichen auf ihre Schaufelbagger und fuhren sie zu Massengräbern am Rande der Hauptstadt. Dabei handelte es sich freilich nicht – oder überwiegend nicht - um Menschen, die durch die französische Armee getötet worden wären. Vielmehr waren sie bei Kampfhandlungen zwischen den Streitkräften des Tschad und einer von der sudanesischen Grenze her mit rund 3.500 Mann vorrückenden Rebellentruppe ums Leben gekommen. Die Aufständischen hatten am Wochenende des 2./3. Februar dieses Jahres versucht, die Hauptstadt und den Präsidentenpalast einzunehmen, und dabei zunächst einen Sieg vermeldet. Das war voreilig gewesen. Bei den schweren Zusammenstößen wurden laut ersten Meldungen rund 1.000 Menschen, darunter viele Zivilisten, verletzt und mindestens 160 verloren ihr Leben. Die große Frage des Augenblicks lautet, ob die französische Rolle dabei neben der tschadischen eine Rolle bei der Niederschlagung der Rebellen gespielt hat oder ob sie sich, wie Paris zunächst behauptete, mit einer Zuschauerrolle begnügte.

Die beiden Staaten verbindet seit 1976 ein militärisches Kooperationsabkommen, das allerdings keine explizite Verpflichtung Frankreichs zur Verteidigung des Tschad enthält wie manche anderen bilateralen Verträge mit früheren französischen Kolonien. Auch ein Mandat der UN könnte der Minister Hervé Morin sogar anführen, wollte er ein etwaiges Eingreifen seines Landes in die Kämpfe im Tschad explizit rechtfertigen. Am ersten Sonntag im Monat war der UN-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung über die Lage in dem mittelafrikanischen Staat zusammengetreten, hatte sich jedoch zunächst nicht auf eine gemeinsame Position einigen können. Am darauf folgenden Tag nahm er jedoch eine Resolution an, die auf französisches Drängen hin eine explizite Unterstützung des tschadischen Regimes unter Präsident Idriss Déby als „legitimer Macht“ enthält. Aus der Resolution geht zwar keine ausdrückliche Ermächtigung zum Gebrauch militärischer Gewalt hervor, sie lässt vielmehr die Konsequenzen aus ihren Feststellungen offen. Freilich haben ähnliche Resolutionen in der Vergangenheit des öfteren dazu gedient, den Einsatz militärischer Mittel zu rechtfertigen, nachdem einmal klargestellt worden war, auf wessen Seite die – angebliche – Legitimität liege. „Frankreich wird seine Pflicht tun“, tönte Präsident Sarkozy kurz nach der Annahme der Resolution.

Letzteres Argument bemühte auch Bernard Kouchner, der wiederholt davon sprach, der tschadische Präsident Idriss Déby sei doch „demokratisch gewählt“ worden. UN- und andere Beobachter sehen das freilich ein wenig anders, so bezeichneten Augenzeugen die letzten Wahlen im Tschad vom Mai 2006 als „nicht zuverlässig“. Im Gegensatz zu den beiden vorausgehenden Wahlen unter Idriss Déby in den Jahren 1996 und 2001 gab es zwar dieses Mal sogar mehrere Gegenkandidaten, drei an der Zahl. Allerdings handelte es sich um ehemalige Minister oder Mitstreiter dessen Präsidenten, deren Wahlkampf Idriss Déby zum Großteil selbst finanzierte und die ihm folgerichtig als Sparringspartner dienten. An die Angehörigen der eigenen Ethnie des Präsidenten, die Zaghawa, wurden den internationalen Beobachtern zufolge massiv zusätzliche Wählerkarten ausgegeben, während die Bevölkerungen im Süden des Landes weitgehend aus dem Wahlprozess ausgeschlossen blieben. Idriss Déby hatte sich am 1. Dezember 1990 mit Rückendeckung Frankreichs und Libyens an die Macht geputscht, gegen seinen ebenfalls diktatorisch regierenden Amtsvorgänger Hissène Habré, der jetzt in der senegalesischen Hauptstadt Dakar im Exil lebt und auf einen Prozess wegen massiver Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung wartet.

Die offizielle Behauptung, die französische Militärpräsenz im Lande habe bei den Kämpfen mit den Rebellen, bei denen Teile der Hauptstadt eingeäschert wurden, keine Rolle gespielt, erhielt jedoch schnell einige Risse. Schon am ersten Februarwochenende wurde etwa bekannt gegeben, dass zwei französische Soldaten im Zuge der Kämpfe verletzt worden seien. Die Regierung in Paris berief sich jedoch darauf, der Einsatz ihrer Truppe habe lediglich dazu gedient, den Flughafen von N’Djamena frei zu halten, um das Ausfliegen französischer und anderer westlicher Staatsbürger zu ermöglichen. Tatsächlich wurden insgesamt 1.263 westliche Staatsangehörige – überwiegend Mitarbeiter multinationaler Firmen – evakuiert, überwiegend durch Frankreich, sei es direkt über den Flughafen von N’Djamena oder mit Umweg über die gabunesische Hauptstadt Libreville. Dabei diente der Flughafen von N’Djamena aber zugleich auch als strategische Drehscheibe und militärische Nachschubbasis für die Truppen von Präsident Idriss Déby in ihrem Kampf gegen die Rebellen. Die tschadischen Einwohner der Hauptstadt ihrerseits wurden von niemandem evakuiert. Allerdings flohen Zehntausende aus eigenen Kräften, oft zu Fuß, und rund 30.000 unter ihnen flüchteten über den Grenzfluss zum benachbarten Kamerun – den Chari – in die dortige Grenzstadt Kousseri und darüber hinaus.

 Am 8. Februar berichtete dann die französische christliche Tageszeitung La Croix, dass französische Militärs in den Tagen zuvor aktiv in die Kämpfe in N’Djamena eingegriffen hätten. Offiziere der „Abteilung für militärischen Beistand und Instruktion“ (Dami) - die vor einigen Wochen in den Tschadh entstandt worden sind - hätten etwa am 1. Februar den präventiven Angriff der Regierungsarmee auf die Rebellen in Massaguet, in 50 Kilometer Entfernung nordöstlich von N’Djamena, kommandiert. Der vorbeugende Angriff konnte aber deren Vorrücken nicht aufhalten. Ferner habe dieselbe Einheit nachrichtendienstliche Aufklärung über den jeweiligen Standort der Rebellen für das Regime von Idriss Déby betrieben. Dazu hätten auch die Mirage-Kampfflugzeuge der Opération Epervier (Sperber), der ständig im Tschad stationierten französischen Truppe - die vor kurzem von 1.100 auf etwas über 1.200 aufgestockt worden ist - sowie französische Satelliten beigetragen. Ferner hätten „Element des Kommandos für Spezialoperationen (COS)“ direkt an der Kampfführung gegen die Rebellen teilgenommen. „Frankreich hat das Regime Idriss Débys gerettet“, fasst die Zeitung zusammen, die in einem weiteren Bericht drei Tage später neue Einzelheiten und Belege für ihre These nachlegte.

Scheinbar im Widerspruch dazu steht, dass Frankreich zu Anfang der jüngsten Krise im Tschad dessen Präsidenten Idriss Déby den Vorschlag unterbreitete, ihn in ein afrikanisches Drittland auszufliegen und so in Sicherheit zu bringen. Dieses Angebot, das schnell publik wurde, könnte laut Auffassung mancher Beobachter allerdings auch ein Bluff gewesen sein - dazu dienlich, die Rebellen in die Nähe der Hauptstadt zu locken und damit von ihren Basen im Hinterland abzuschneiden. Sowie von der materiellen Unterstützung aus dem benachbarten Sudan, dessen Regime die tschadischen Rebellen unterstützt, so wie Idriss Déby und sein Regime die dortigen Aufständischen in Darfur ausrüsten. Tatsächlich scheiterte der Ansturm der Rebellen auf die Zitadellen des Regimes daran, dass ihnen im Laufe des ersten Februarwochenendes schlichtweg die Munition ausging. Sollten französische Politikers und Militärs aber wirklich durch eine solche Finte die Kämpfe inmitten von N’Djamena herbei provoziert haben, so würde es sich um eine zwar geschickte, aber auch kriminelle Taktik handeln - eine Taktik, auf deren Konto zahlreiche Menschenleben unter der Zivilbevölkerung gingen. Noch ist freilich nicht sicher, ob es sich wirklich darum handelt, oder ob das Regime Idriss Débys nicht zeitweise wirklich in Gefahr schwebte. „Immerhin“ wurde sein Generalstabschef bei den Kämpfen getötet, und der Präsident selbst soll nur knapp aus seinem belagerten Palast entkommen sein.

 Ein neuer Freund Frankreichs machte sich in den letzten Wochen ebenfalls mit seiner Hilfsbereitschaft bemerkbar. So autorisierte Libyens Staatschef Muammar Kaddafi Anfang Februar ausdrücklich französische Flugzeuge, die im Tschad operieren, im Bedarfsfall auf dem Territorium seines Landes aufzutanken. Ende vergangener Woche gab Paris ferner zu, dass die französische Armee jüngst mehrere Tonnen Munition aus libyschen Beständen transportiert und an die tschadische Armee weitergegeben habe. Die Munitionskisten standen am Montag, den 4. Februar am Flughafen von Tripolis bereit, und die Franzosen warteten nur darauf, dass die von ihrem Staat eingebrachte Resolution im UN-Sicherheitsrat angenommen wurde, um grünes Licht für ihren Abtransport zu erteilen. Es hat sich also - trotz aller Kritik zu Hause - gelohnt, dass Sarkozy den libyschen Diktator im Vorjahr zwei mal getroffen hat, Ende Juli in der libyschen Stadt Syrte und Anfang Dezember in Paris. Dessen Staat scheint sich nunmehr perfekt in die französische neokoloniale Einflusssphäre in Afrika einzupassen, nachdem Franzosen und libysche Truppen sich 1983 noch blutige Gefechte um die Kontrolle des Tschad lieferten.

Nicht so ganz klar ist, warum die französische Staatsmacht im Moment ein so gewichtiges Interesse an der Stabilität des Regimes im Tschad zu haben scheint. Am Erdöl, das dort seit 1999 gefördert wird, kann es jedenfalls nicht liegen, denn die Förderverträge haben sich die US-amerikanischen Konzerne ExxonMobil und Chevron sowie Malysias Erdölriese Petronas aufgeteilt. Die französische Erdölfirma Total hatte freilich zuvor eher geringes Interesse bekundet, da die Förderstätten in geologischer Hinsicht ungünstig liegen und teils schwer zugänglich scheinen. Eine wichtigere Rolle aus französischer Sicht mag darin liegen, dass Tschad aufgrund seiner geographischen Position in der Mitte der nördlichen Hälfte Afrikas als militärische Drehscheibe auf dem Rest des Kontinents nicht zu unterschätzen ist. Auch außerhalb von Kriegs- und Spannungssituationen in anderen afrikanischen Ländern bietet Tschad zudem ein nahezu perfektes militärisches Testgelände - auf dem sich die Truppen alles erlauben können, was ihnen zu Hause ein Aufschrei der betroffenen Bevölkerung und, wahrscheinlich, die Justiz verbieten würden.

 Die Rebellen, die eine Koalition aus drei politisch-militärischen Organisationen bilden, sind gewiss keine Sympathieträger. Ihre hauptsächlichen Anführer sind ehemalige Günstlinge des Regimes von Idriss Déby, denen ihr Anteil am Kuchen nicht groß genug war oder die in Ungnade gefallen sind. Unter ihnen der Opportunist Mahamat Nouri, der bis im Jahr 2006 sowohl unter Idriss Déby als auch unter dessen, von ihm gestürztem Vorgänger Hissène Habré wichtige politische und militärische Führungsposten einnahm. Nouri war zudem zeitweise Botschafter seines Landes in Saudi-Arabien, weshalb Präsident Idriss Déby die Rebellion gegen ihn als eine Art islamistisches Komplott darstellt - das Niederbrennen der saudi-arabischen Botschaft in N’Djamena, Anfang Februar, wurde in diesem Zusammenhang als Racheakt interpretiert. Die Rebellen haben freilich nichts Islamistisches an sich, und Kaddafi verdächtigt seinerseits Idriss Déby, dass er wiederum libyschen Islamisten im Tschad Unterschlupf gewähre, was einen Teil der Rechtfertigung für seine Unterstützung des französischen Vorgehens liefert. Zu den Rebellenführern zählen ferner auch ein Neffe von Präsident Déby, Timan Erdimi, dessen Zwillingsbruder Tom den lukrativen Posten eines Direktors der staatlichen Erdölgesellschaft inne hatte. Die beiden waren bei Familienstreitigkeiten unter die Räder geraten, da Idriss Déby seinen Sohn zum Nachfolger aufzubauen sucht.

Neben diesen zwielichtigen Gestalten, die sich derzeit als Warlords mit Unterstützung des Sudan betätigen, gibt es allerdings auch eine zivile und demokratische Opposition. Letztere gehört zu den Hauptopfern der derzeitigen Konfrontation zwischen dem Regime und den bewaffneten Rebellen. Im Windschatten der Kämpfe um N’Djamena wurden Anfang Februar vier bekannte Führer der demokratischen Opposition festgenommen und an unbekanntem Ort inhaftiert: Ibni Oumar Mahamat-Saleh, Lol Mahamat Choua, Wadel Abdelkader Kamougué und Yorongar Ngarléjy.

Auch zahlreiche ihrer Anhänger wurden verhaftet. Von zweien der Oppositionsführer - Saleh und Yorongar - fehlte bis Anfang dieser Woche noch jede Spur. Hingegen tauchte der Oppositionelle Lol Mahammat Choua, der 1979 kurzzeitig tschadischer Staatspräsident gewesen war, eine Woche nach seinem „Verschwinden“ in einem Militärgefängnis wieder auf. Seitdem behauptet das Regime, er sei mitten im Hauptquartiert der Rebellen verhaftet worden und habe sich also, auf nachgewiesene Weise, als Verschwörer betätigt. Ihm zufolge handelt es sich bei Lol um einen „Kriegsgefangenen“. In Wirklichkeit wurde allerdings auch er unter den Augen der Bevölkerung an seinem Wohnsitz durch Soldaten verhaftet – auf eine so rabiate Weise, „dass er nicht einmal seine Schuhe anziehen konnte“, bevor er aus dem Haus geschleift wurde, wie die in Paris erscheinende Wochenzeitschrift ‚Jeune Afrique’ in ihrer Ausgabe vom 17. Februar berichtet hat.

Das offizielle Frankreich fing seit Mitte des Monats an, das tschadische Regime sanft unter Druck zu zeigen, und äußerte sich besorgt über den Verbleib der Opponenten - von denen manche Beobachter befürchten, dass sie bereits physisch beseitigt worden sein könnten. Verteidigungsminister Hervé Morin erklärte allerdings, er werde sich um ihr Schicksal dann kümmern, „sobald die Situation es erlaubt“. Worauf der französische Politikwissenschaftler und Afrikanist Jean-François Bayart in einem Gastbeitrag für die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde erwiderte: „Zwei, vier oder acht Tage unter Stromstößen, unter der Peitsche oder mit verkrümmten Gliedern sind lang, Herr Minister.“

Am 19. Februar meldete der Sender ‚Radio Africa Numéro 1’, der in Paris und in Libreville (Gabun) ansässig ist, Frankreich fordere nun offiziell „Nachrichten über den Verbleib der Oppositionspolitiker“, während eine Tagung der 27 Außenminister der Europäischen Union am Vortag ihre „sofortige Freilassung“ verlangt habe. Der Unterschied in den Formulierungen belegt, dass jenes Land in der EU, das die mit Abstand stärksten Interessen im Tschad haben dürfte, dessen Regime wesentlich deutlicher mit Samthandschuhen anfasst.

Bayart sprach in Le Monde von einer „franko-tschadischen Obszönität“, da er das sehr relative Interesse Frankreichs am Verbleib der Oppositionspolitiker mit dem Pariser Einsatz für die verurteilten Franzosen der dubiosen Hilfsorganisation L’Arche de Zoé verglich. Die Vereinigung, hinter der sich mutmaßlich eine religiöse Sekte verbirgt – früher in ihrem Umfeld befindliche Familien berichteten von bizarren Treffen, auf denen seltsame Erlösungsvorstellungen beschworen worden und die Anführer höchst guru-ähnlich aufgetreten seien - hatte im Vorjahr dadurch Aufmerksamkeit erregt, dass sie 103 Kinder auf dem Tschad zu Adoptionszwecken auf illegalen Wegen nach Frankreich zu bringen versuchte. Oder „entführte“, wie Kritiker meinen. Ihr  Abflug mit den Kindern war in letzter Minute auf dem Flughafen der osttschadischen Stadt Abéché verhindert worden, möglicherweise auf Intention des benachbarten Sudan hin, der mit dem Abschuss der Maschine gedroht haben soll. In Frankreich war bereits alles für den Empfang der Kinder vorbereitet gewesen, merkwürdigerweise auf einem Frachtflughafen in der Provinz im östlichen Teil des Landes, wo normalerweise kein Personenverkehr herrscht – was nicht unbedingt das Vertrauen in die Organisation steigert. Angeblich handelte es sich den betroffenen Kinder um Waisenkinder aus Darfur. Aber in Wirklichkeit hatten die Mehrheit unter ihnen durchaus noch ihre Eltern und stammten zudem nicht aus der sudanesischen Konfliktregion, sondern aus dem Tschad selbst. Ob die Mitarbeiter der umstrittenen „Hilfsorganisation“ ihrerseits von örtlichen Unterhändlern hereingelegt worden waren oder aber im Eifer des Gefechts selbst völlig „durchgeknallt“ agierten, ist bisher nicht näher geklärt. Ebenso, wie das Ausmaß der früheren Mitwissenschafter des französischen Außenministeriums über die Machenschaften von L’Arche de Zoé zum Gutteil noch ein offenes Kapitel ist.

Die Anführer der dubiosen Gruppe wurden Anfang Dezember 2007 in N’Djamena zu acht Jahren Zwangsarbeit verurteilt, die sie jedoch aufgrund einer alsbald getroffenen zwischenstaatlichen Vereinbarung in Frankreich absitzen dürfen, und ausgeflogen. Aufgrund dieses bilateralen Abkommens muss Frankreich sie jedoch im Gefängnis behalten, solange der tschadische Präsident sie nicht begnadigt hat: Zwar wurde die Zwangsarbeit nach geltenden französischen Regeln in eine „normale“ Haftstrafe umgewandelt, aber die französische Justiz kann letztere nicht einfach aufheben. Zumindest formal muss sie deren Souveränität der tschadischen Justiz anerkennen.

Nun lassen sich zwar unter Umständen wirkliche Zweifel an deren Unabhängigkeit von den politischen Machthabern hegen. Denn die Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ berichtete im Dezember, in den Jahren 2004 bis 2007 habe (mit Ausnahme des Verfahrens gegen L’Arche de Zoé) kein einziger Strafprozess im Justizpalast von N’Djamena stattgefunden, da Konflikte zwischen Privatleuten über die Zahl der mobilisierbaren Gewehre oder über die Nähe der Betreffenden zur Macht entschieden würden und niemand einen Stärkeren anzuklagen wage. Allerdings hätte gerade die französische Regierung – ausgerechnet zu einer Zeit, wo sie vor der Weltöffentlichkeit lauthals die „Legitimität“ des tschadischen Regimes anerkennt – keinerlei Rechtfertigung dafür und keinerlei Glaubwürdigkeit auf ihrer Seite, würde sie im selben Moment dessen Einflussnahme auf die Justiz anprangern. Wohl oder übel muss der französische Staat deswegen bei der Fiktion einer unabhängigen und unparteiischen Justiz bleiben, und auch falls der Tschad derzeit von einer Räuberbande regiert würde, könnte man dies in Paris gerade jetzt nicht zum Ausdruck bringen. Umgekehrt ging es dem Präsidenten Idriss Déby und dessen Umgebung wohl in Wirklichkeit bei dem Urteil gegen die dubiose Gruppierung L’Arche de Zoé darum, ein politisches Exempel zu fällen, um ihre – ebenso fiktive – Unabhängigkeit und Souveränität gegenüber der früheren Kolonialmacht unter Beweis zu stellen.

Nun setzt die französische Staatsspitze den tschadischen Präsidenten offen unter Druck, dass dieser ein Gnadendekret unterzeichne, als Gegenleistung für empfangene Hilfsdienste. „Sechs französische Schuldige im Austausch gegen vier tschadische Unschuldige“ moniert Bayart in seinem Beitrag für Le Monde. Dem Schicksal der verurteilten Franzosen wird durch die Medien des Landes hohe symbolische Bedeutung zugemessen, da Sarkozy im Frühherbst 2007 in N’Djamena aufgelaufen war und mit Zorro-Allüren verkündet hatte, er werde „die Franzosen um jeden Preis rausholen, was immer sie getan haben mögen“. Und just im Moment, kurz vor den Kommunalwahlen (die frankreichweit am 9. und 16. März d.J. stattfinden) und angesichts der in den letzten Wochen und Monate rasant gesunkenen Umfragewerte für Präsident Nicolas Sarkozy, würde es sich extrem „gut machen“, einen solchen PR-Coup wie die „durch und dank  Sarkozy erreichte Freilassung der Geiseln im Tschad“ zu landen...

Allerdings hat die Pariser Justiz zugleich vorletzte Woche den Geschäftsführer der Organisation, Eric Bréteau - der nicht im Tschad inhaftiert worden war - seinerseits wegen Betruges und diverser Gesetzesverstöße in Polizeigewahrsam nehmen lassen. Vieles an den Umtrieben der als NGO auftretenden Gruppierung bleibt bislang noch ungeklärt.

Ab dem 12. Februar wurde die, durch die Kämpfe um N’Djamena unterbrochene, Stationierung der europäischen Truppe EUFOR wieder aufgenommen. Diese soll mit insgesamt 3.700 Mann im Tschad, vor allem in den Grenzgebieten zum Sudan sowie der Zentralafrikanischen Republik, aufgestellt werden. Ihr offizieller Zweck lautet, die rund 200.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Darfur auf tschadischem Staatsgebiet zu schützen. Aber Kritiker befürchten seit längerem, sie diene in Wirklichkeit vor allem auch dazu, unter dem Deckmäntelchen eines internationalen Einsatzes das französische Interesse an einer Stabilisierung des Regimes im Tschad zu verfolgen. London und Berlin machten im zwischenstaatlichen Verhältnis ähnliche Vorbehalte geltend und weigerten sich deshalb in den Vormonaten, eigene Soldaten für die EUFOR abzustellen, auch wenn sie zu ihrer Finanzierung beitragen. Das größte Kontingent an der Truppe, an der 14 EU-Staaten beteiligt sind, stellt - rein zufällig - Frankreich mit gut 1.100 Mann. Das Oberkommando der EUFOR hat bereits bekannt gegeben, dass man sich notfalls, wenn man sich zwischen den Grenzkonflikten und Streitigkeiten ethnischer Gruppen nicht zurecht finde, auf die Kenntnisse der französische Epervier-Streitkraft stützen werde. Diese dient nun aber keineswegs humanitären Zwecken, denen die EUFOR vorgeblich dient.

Schon fünf Tage vor Wiederbeginn ihrer Aufstellung hatte Idriss Déby - am 7. Februar - die beteiligten Ländern und „vor allem Frankreich“ dringlich dazu aufgefordert, die ausgesetzte Stationierung der EUFOR solle schnellstmöglich wieder aufgenommen werden. Umgekehrt haben die Rebellen deren Aufstellung lautstark denunziert und die europäischen Ländern dazu aufgefordert, ihre Truppen zurückzuhalten oder abzuziehen. Von einer Neutralität der europäischen „humanitären Interventionstruppe“ kann vor diesem Hintergrund, und angesichts des aktiven Engagements Frankreich in den Wirren des Tschad, wohl kaum noch die Rede sein. „Die EUFOR wird jetzt mit einem Prozess der politischen und möglicherweise physischen Liquidierung der demokratischen Opposition im Tschad assoziiert“, meint der Wissenschaftler Bayart im Chat mit Leserinnen und Lesern von Le Monde.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Text am 28.2.08 vom Autor zur Veröffentlichung.