Auf dem Weg zu einer neuen antikapitalistischen Partei

von  Pierre Vandevoorde (LCR)

03/08

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Zehn Monate nach den Präsidentschaftswahlen werden die Kommunalwahlen im März belegen, dass die Schonfrist für Sarkozy vorüber ist.

In den Meinungsumfragen ist Sarkozys Popularität jäh abgestürzt. Hier kommt zum Ausdruck, dass keines der drängenden Probleme einer Lösung näher gekommen ist, ganz besonders was die Kaufkraft angeht. 2007 betrug die Inflationsrate 2,6 %. Milch, Getreideprodukte, Kraftstoffe usw. sind teurer geworden, was vor allem die Menschen mit niedrigem Einkommen trifft. Aber der „Kandidat für mehr Kaufkraft“ ist jetzt ein Präsident, der nur ächzt: „ Die Kassen sind leer.“ Nicht gerade glaubwürdig angesichts der Tatsache, dass er sich selbst eine Einkommenserhöhung um 200 % genehmigt hat, den Reichsten im Land Steuergeschenke über 15 Milliarden Euro gewährt und beispielsweise nicht reagiert, wenn die Société Générale versucht, in der Krise mit Immobilienkrediten einem ihrer Angestellten die alleinige Verantwortung für den Verlust von 5 Mrd. € in die Schuhe zu schieben, ein Betrag übrigens, der die Sozialhilfezahlungen eines ganzen Jahres übersteigt.

Die Unzufriedenheit sitzt sehr tief. Dies zeigte sich beim Erfolg des ersten gewerkschaftsübergreifenden nationalen Aktionstages im Großhandel vom 1. Februar wie auch einige hart geführte Streiks in Supermärkten. In der Metallindustrie folgte ein Aktionstag am 7. Februar, dann folgten die Pariser Flughäfen usw. Aber die großen Gewerkschaftsverbände führen sich weiter als „Sozialpartner“ auf. Was in diesem Jahr des Jubiläums vom Mai 68 auf der sozialen Ebene noch nicht zum Ausdruck kommt, wird zunächst mit einer Abstrafung an den Wahlurnen zum Ausdruck kommen. Davon wird selbstverständlich die PS profitieren, denn sie wird immer noch als das kleinere Übel angesehen.

Die LCR und die Kommunalwahlen

Wir werden in 185 Städten kandidieren, fast doppelt so viel wie 2001. In 36 (von insgesamt 37) Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern gibt es Listen, die von der LCR allein oder zusammen mit anderen getragen werden. Viele unsrer Ortsgruppen haben ihre Listen durch systematische Hausbesuche komplettiert1. Dort, wo wir die Listen zusammen mit anderen präsentieren, sind dies zumeist Kollektive, die die Präsidentschaftskandidatur von José Bové unterstützt hatten. Auf unsren Listen gibt es Mitglieder der KP, aber Übereinkünfte mit ganzen Ortsgruppen der KP sind eher selten. Festzuhalten ist ebenfalls, dass es Absprachen mit LO nur in ganz außergewöhnlichen Fällen gibt, genauso wie mit den Grünen oder mit der Linken der PS (PRS); dies hängt jeweils mit sehr besonderen Situationen zusammen.

Was unsre Ergebnisse angeht ist also Vorsicht angesagt,  aber die an vielen Orten zu erkennende Dynamik dürfte es uns ermöglichen, mit vielen, die auf unsren Listen stehen, den eingeschlagenen Weg zur Neuen Partei weiterzugehen.

LO: Wende um 180 Grad

„Lutte ouvrière möchte, dass es schon beim ersten Wahlgang zu einer gemeinsamen Kandidatur aller Kräfte der Linken kommt und ist bereit, sich daran zu beteiligen.“ Sie wird nur dann eigene Listen präsentieren, „wenn die PS und die KP  oder beide eine solche Allianz ablehnen.“  Dies ist eine völlige Kehrtwende, um ein Maximum an Abgeordneten zu bekommen, eine totale Abkehr von der in der Vergangenheit von der Organisation verfolgten Linie. Um der Debatte über diesen Linienschwenk aus dem Weg zu gehen, musste die Minderheit ausgeschlossen werden, unter dem Vorwand, sie habe die Disziplin gebrochen. In der Tat haben dann in einer Gemeinde in der Nähe von Lille zwei bisher schon im Gemeinderat vertretene Genossen gegen den PS-Bürgermeister eine eigene Liste aufgestellt, weil auf der PS-Liste ein Genosse der Mehrheit platziert ist, der schon im vorhinein die Garantie abgegeben hat, dass er dem Haushaltsplan zustimmen wird. Schließlich hat dann der PS-Bürgermeister die Aufnahme des LO-Genossen abgelehnt, weil die LO-Mehrheit zusätzlich eine eigene Liste präsentiert hat, um gegen die Ausgeschlossenen anzutreten, die allerdings von der LCR unterstützt werden.
Die LCR hatte LO vorgeschlagen, gemeinsame Listen zu bilden, hat dazu aber noch nicht mal eine Antwort erhalten. Diese Entwicklung ist das Resultat des Scheiterns von LO, nachdem die Organisation nach ihrem Wahlerfolg von 1995 (A. Laguiller erhielt damals bei den Präsidentschaftswahlen 5,3 % der Stimmen) nicht in der Lage war, sich zu öffnen und der Herausforderung gerecht zu werden, die sich aus der neuen Periode ergeben hatte, nämlich dem Aufbau einer neuen Arbeiterpartei. Heute, da die LCR auf diese Herausforderung reagiert, reagiert LO in sektiererischer Weise und sucht in opportunistischer Weise nach Verbündeten…

Ziel: Eine neue antikapitalistische Partei

Ende Januar kamen in Anwesenheit aller Medien die 313 Delegierten zum XVII. Kongress der LCR zusammen. Die „neue antikapitalistische Partei“ stand im Zentrum der Diskussion. Es gibt eine sehr breite Übereinstimmung darin, dass wir versuchen müssen, eine neue politische Vertretung für die ArbeiterInnenklasse aufzubauen, die all diejenigen vereint, die den Kampf gegen das kapitalistische System noch nicht aufgegeben haben. Die zwei Minderheiten in der Organisation glauben aber, dass dieses Projekt nur lebensfähig ist, wenn es – wie die einen meinen – auch Strömungen der KP und der PS einschließt, beziehungsweise – wie die anderen meinen – die Bové-Kollektive. Die Plattform A erhielt 83,01 % der Stimmen, Plattform B 14,1 % und C 2,88 %.

Der Prozess ist also jetzt in Gang gesetzt und soll Anfang 2009 zur Gründung einer neuen Partei führen, nachdem sich dann vorher die LCR auf einem Kongress aufgelöst hat. Es wurde entschieden, dafür auf örtlicher Ebene Initiativkomitees zu bilden, regionale Versammlungen durchzuführen und ein nationales Treffen im Juni. Die nationale Leitung, bestehend aus 87 Mitgliedern, ist geschlechterparitätisch zusammengesetzt und verjüngt.

Dieses Projekt stützt sich auf die Analyse einer neuen Situation, im besonderen was die Krise der Arbeiterbewegung angeht, und auf die Einschätzung, dass es sowohl dringend geboten als auch möglich ist, eine neue Etappe zu erreichen. Es ist so dringlich aufgrund der heftigen Unternehmerangriffe und der totalen Leere der etablierten Linken. Und es ist möglich, weil trotz der Teilerfolge des Unternehmerverbandes MEDEF und der Rechten die  breiten Schichten der Lohnabhängigen immer noch eine bemerkenswerte Fähigkeit zum Widerstand unter Beweis stellen und weil viele auf etwas Neues warten. Wenn die neue Partei bestrebt ist,  Strömungen der radikalen Linken aus unterschiedlichen Traditionen zu integrieren, so wird sich diese Integration auf der Grundlage gemeinsamer Praxis vollziehen. Auch wenn wir die Bedeutung der Diskussion unterschiedlicher ideologischer und historischer Erbschaften nicht leugnen wollen, so meinen wir doch, dass wir genau damit nicht anfangen sollten, denn es geht ja vor allem darum, diejenigen Männer und Frauen zusammenzubringen, die sich bisher nicht organisiert hatten und auf keine „Parteigeschichte“ zurückblicken und sich keiner dieser unterschiedlichen Traditionen zuordnen.

Einer der Hauptgründe – auch wenn es nicht der einzige ist – für das Scheitern ähnlicher Versuche in der Vergangenheit, die unterschiedlichen antikapitalistischen  Strömungen zusammenzubringen, war, dass es sich dort jeweils um ein Vorgehen „von oben“ handelte und dabei unweigerlich die Vergangenheit der einen und der anderen und ihre alten Differenzen im Mittelpunkt standen.

Wir wollen also von der gemeinsamen Praxis ausgehen, von all den Kämpfen, die wir schon gemeinsam führen, dem Widerstand, den wir tagtäglich zusammen leisten. Dieser Widerstand und diese Kämpfe lassen bereits die Konturen eines radikalen und revolutionären Projekts zur Veränderung der Gesellschaft erkennen.  Gegenüber den Sozialdemokraten und ihren Verbündeten, die uns ständig vorwerfen, dass wir uns die Hände nicht schmutzig machen und keine Verantwortung übernehmen wollen, ist unsre Abgrenzung ganz klar: Unser Ziel ist es, uns an der Umsetzung der Maßnahmen und der Politik zu beteiligen, für die wir einstehen, aber wir werden keine neoliberale Politik unterstützen und uns an Allianzen beteiligen, die „an der Macht“ (lokal, regional oder national) an jedem Tag in der Woche eine Politik umsetzen, gegen die wir dann am Wochenende demonstrieren! Eine Umverteilung der Reichtümer der Gesellschaft zugunsten der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen, die  diese Reichtümer mit ihrer Arbeit produziert, wird unweigerlich zu einer Konfrontation mit der winzigen Minderheit führen, die sich diese Reichtümer aneignet. Das erfordert also ein entsprechendes Kräfteverhältnis in der Gesellschaft…und nicht nur in den Institutionen.

Die neue antikapitalistische Partei darf nicht nur eine veränderte oder vergrößerte LCR sein. In diesem Fall sollten wir dann lieber die LCR fortführen. Da wir denken, dass es zehntausende Männer und Frauen gibt, die wie wir bereit sind, „die Gesellschaft zu revolutionieren“, wollen wir ihnen nicht unsere Vergangenheit aufzwingen, weder die allgemeine Geschichte des Trotzkismus noch die spezifische Geschichte der LCR. Es steht etwas anderes an: die Schaffung einer neuen politischen Repräsentanz der ArbeiterInnen, der Jugend und der Opfer verschiedener Unterdrückungen, eine Linke, die sich nicht damit begnügt, die Auswirkungen der kapitalistischen Globalisierung einzudämmen, sondern immer noch mit dem System Schluss machen will, die die Gesellschaft radikal verändern, ja sie durch eine andere ersetzen will.

Übersetzung: D. B.

1)    Nach französischem Kommunalwahlrecht können nur vollständige Listen vorgelegt werden (In Städten bis 20 000 Einwohnern müssen beispielsweise 33 KandidatInnen auf der Liste stehen). Die Geschlechterparität ist zwingend, es reicht also auch nicht, mehr Frauen als Männer auf der Liste zu haben. Anm. d. Übers. 

Editorische Anmerkungen
Wir spiegelten den Text von: Revolutionär Sozialistischer Bund
Sektion der IV. Internationale in Deutschland