Betrieb & Gewerkschaft
Entlassung des ver.di-Sekretärs Angelo Lucifero abgewendet

Offener Brief der Gruppe "GewerkschafterInnen gegen Rechts"

03/08

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Die ver.di-Landesbezirksleitung Sachsen/Sachen-Anhalt/Thüringen wollte den Antifaschisten und Gewerkschaftssekretär Angelo Lucifero kündigen . Wir dokumentieren den offenen Brief der Gruppe "GewerkschafterInnen gegen Rechts", der über neue Entwicklungen in dem Fall informiert.

Die ver.di-Landesbezirleitung Sachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen hat ihr Ziel nicht erreicht, Angelo Lucifero zu kündigen. Es waren offenbar die unzähligen Protestbriefe und -resolutionen, die den ver.di-Bundesvorstand zur Intervention veranlaßten. Bei allen, die sich in unterschiedlicher Form und an unterschiedlichen Stellen an den Protesten gegen die drohende Kündigung beteiligt haben, wollen wir uns hiermit herzlich für ihre Solidarität bedanken.

Die nun geschlossene Vereinbarung sieht vor, daß Angelo ab dem 1. Februar 2010 wieder als politischer Sekretär bei ver.di (aber nicht im Landesbezirk Sachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen) arbeiten soll. In der Zwischenzeit wird er– mit einem Jahr Freistellung – bei einer Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Initiativen tätig sein. Für die Weiterbeschäftigung ab 1. Februar 2010 gibt ver.di keine Garantie, allerdings ist bei Uneinigkeit eine Schiedsstelle vorgesehen.

Angelo hatte die Alternative, dieses Angebot anzunehmen oder gegen die Kündigung zu klagen. Der Weg vor das Arbeitsgericht hätte – so befürchtete er begründet – auf keinen Fall zurück zu ver.di geführt. Angelo will weiter bei ver.di arbeiten und hat deshalb die Vereinbarung unterzeichnet. Die GewerkschafterInnen gegen Rechts gewähren ver.di den Vertrauensvorschuß ernsthaft zu beabsichtigen, Angelo ab 1. Februar 2010 als politischen Sekretär weiterzubeschäftigen. (...) Sollte sich die Vereinbarung als elegantere Kündigung herausstellen, werden unsere gemeinsamen Proteste in zwei Jahren dort weitergehen, wo sie jetzt ausgesetzt werden.

In der Zwischenzeit gibt es in ver.di einiges aufzuarbeiten: Unzählige Briefe, Resolutionen und Debatten konnten nichts daran ändern, daß die ver.di-Landesbezirksleitung einem antifaschistisch engagierten Kollegen jegliche Solidarität und Unterstützung verweigerte, als es ernst wurde. Seine Verteidigung gegen einen Neonaziangriff mit den Mitteln von Rechtsextremisten zu vergleichen, war politisch eine gezielte Entsolidarisierung, im Hinblick auf gewerkschaftliche Kollegialität ein Tritt in den Rücken. Unterstützendes – in welcher Form auch immer – fiel der Landesbezirksleitung nicht ein. (...)

Es geht um die Frage, ob Gewerkschaften Stellung beziehen müssen, gerade wenn die »Mitte der Gesellschaft« inklusive Staat das Problem unter den Teppich kehrt, ob Gewerkschaften sich somit in Konflikt zur Macht und zur Mehrheit stellen müssen, wenn es notwendig ist. Dies alles ist also kein Problem von oder nur für Angelo, und es betrifft auch nicht nur das ohnehin marginale Handlungsfeld Antifaschismus. Längst stellen sich ver.di-Mitglieder die Frage, ob sie in dieser Organisation richtig sind. Austreten heißt aufgeben, deshalb stellt sich die Frage: Was tun?

In Ostdeutschland sind nicht nur 34 Prozent der passiven Gewerkschaftsmitglieder, sondern auch 32 Prozent der Funktionäre stark autoritär eingestellt (vgl. Zeuner u.a.: Gewerkschaften und Rechtsextremismus. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot 2007). Das erklärt den schweren Stand, den kritische Stimmen teilweise in den Gewerkschaften haben. Aber wir haben es trotzdem nicht mit einem Ostproblem zu tun.

Im Herbst 2007 forderte der ver.di-Bundeskongreß per Beschluß alle Mitglieder und die Öffentlichkeit auf, immer, in allen Formen und mit allen Mitteln gegen Rechtsextremismus in all seinen Spielarten vorzugehen. Die an sich selbst gerichteten Aufträge wurden hingegen vorsorglich zu Material an den Bundesvorstand degradiert. So auch ein Beschluß auf Antrag der Bundesjugendkonferenz, die Abmahnung von Angelo zurückzunehmen und ihm in Hinblick auf das Strafverfahren jegliche Unterstützung zukommen zu lassen. Der Bundesvorstand setzte diese politische Forderung des höchsten beschlußfassenden Organs von ver.di nicht um. Weder wurde die Abmahnung zurückgenommen, noch wurde Angelo im Hinblick auf das Strafverfahren politisch unterstützt. »Laßt sie beschließen, was sie wollen – wir machen was wir wollen.« Auch dies ist kein Problem von Angelo, keines nur der antifaschistisch Aktiven und keines nur für die ver.di-Mitglieder in Ostdeutschland. Es stellt sich die Frage: Was tun, wenn hinter vollmundigen Beschlüssen die Substanz verschwindet?

(...)Die arbeitsrechtliche Seite ruht damit. Im Strafverfahren warten wir auf die Ergebnisse des Gutachtens zur Hör- und Verständigungsfähigkeit. Zur finanziellen Dimension: Zunächst einen herzlichen Dank an alle SpenderInnen! Mit Eurer Unterstützung sind die entstandenen Kosten bis zum jetzigen Zeitpunkt ungefähr zu decken. Welche weiteren Kosten auf Angelo zukommen, hängt insbesondere vom Fortgang des Gerichtsverfahrens und den dafür geltenden Konditionen ab. Sollte die Hauptverhandlung mit mehreren Verhandlungstagen stattfinden, werden wir erneut zu Spenden aufrufen müssen.

 

Editorische Anmerkungen

Der offene Brief erschien am 13. März 2008 u. a. auf der Website von Scharf Links, von wo wir ihn spiegelten.
 

http://www.scharf-links.de