Editorial
Schülerknast öffnet im April
Berliner Sozis reformieren die Schule

von Karl Mueller

03/09

trend
onlinezeitung

Dass das bundesdeutsche Staatsschulwesen im Niedergang ist, wird in Berlin überdeutlich. Erst sollten die vier Oberschulzweige, die weder funktional noch strukturell zum Spätkapitalismus in seiner neoimperialistischen Etappe passten, durch Zusammenfassung in Form einer einzigen Oberschule genannt Gemeinschaftsschule reformiert werden. So wollten es die jedenfalls die Sozis vom Berliner Senat. Da meldete sich sogleich der Mittelstand in Gestalt der Berliner IHK flankiert von seinen Parteien (schwarz - gelb - grün) und jammerte über den drohenden Verlust des Gymnasiums. Selbst gestandene GEW-Funktionäre schlossen sich dieser Arie an. Zu alledem halfen Springer und Tagesspiegel fast täglich medial.

Schließlich knickte der Sozi-Senat ein. Ab 2010/11 wird es nur noch zwei Oberschulzweige geben: Das Gymnasium und die Sekundarschule. Letztere ein Konstrukt aus Haupt-, Real- und Gesamtschule. Daneben wird es natürlich für den dort nicht beschulbaren Rest weiterhin die Sonderschule - sprich Förderzentren - gebe.

Kaum war diese Entscheidung gefallen, hob das Gejaule der Gymnasien an. Sie verlangten fortan das verbriefte Recht, ihre SchülerInnen selber aussuchen zu können, um so zu einer sozial und leistungsmäßig homogenen Schülerschaft zu kommen.

In diese Kakafonie mischten sich weitere Misstöne und  Dissonanzen: Es gab einen Brandbrief aus dem  Bezirk Mitte, unterschrieben von allen SchulleiterInnen, in dem in bekannter Rütlimanier über Jugendliche aus migrantischen Zusammenhängen massiv gehetzt wurde. Privatschulen reüssierten und begehrten wichtige Schulstandorte wie etwa an der Kreuzberger Marheinecke-Markthalle (ehem. Rosegger-Grundschule), um das Geschäft mit der Bildung  in Konkurrenz zur Staatsschule weiter vorantreiben zu können. Des weiteren klagten LehrerInnen massenwirksam über zu geringe Entlohnung.  So legte der Sozi-Senat ein paar Euro drauf, um wenigstens Ruhe an diesem Frontabschnitt zu bekommen. Schließlich hatte er ja auch noch vor, die Zentrale Schülerdatei zu verabschieden.

Erstaunlicherweise war über die ökonomischen Hintergründe dieser Schulreform herzlich wenig in den öffentlichen Diskursen zu erfahren. Dann kam plötzlich der warme Euro-Regen der Konjunkturspritze zur Abwehr der "größten Wirtschaftskrise seit ´29". Darin ging vollends die Information unter, dass diese famose Berliner Schulreform zur Schließung von 50  bis 60 Schulstandorten führen wird. Nur wenige Namen fielen: so z. B. die die Friedenauer Bobertalschule oder die Kreuzberger Zelter-Schule in der Wilhelmstraße - also Grundstücke in gefragter Lage. Sie können nun auf dem freien Markt angeboten werden!

Trotz dieser scheinbar fundamentalen Umwälzungen bleiben die Probleme der Staatsschule die alten. Sie kann ihren preußischen Charakter - geformt durch die historische Kontinuität eines pflichtbewußten Beamtenapparates - nicht ablegen, auch wenn durch Verwaltungsreform Strukturen eingezogen wurden, die in der Logik des warenproduzierenden  und -tauschenden Kapitalismus funktionieren. So kulminieren diese Probleme in einem breiten Legitimationsverlust, der je nach sozialer Lage der Betroffenen sich in den ihnen entsprechenden Formen äußert. SoziologInnen nennen diese Erscheinungen: Schuldistanz.

Nach den Osterferien wird in es Berlin-Neukölln eine so genannte sonderpädagogische Erziehungseinrichtung für "schuldistanzierte" Jugendliche - durch einen evangelischen Träger eingerichtet - geben. Im Klartext ein Schülerknast, in dem ausschließlich Migrantenkinder gleichsam zwangsweise weggeschlossen werden, weil sie und ihre Eltern sich gegenüber der "Gemeinschaft" als "fremd" erwiesen haben. Polizei, Jugendamt, Gericht und Schule sind die Staatsapparate, die diese Aussonderungen vorbereiten und umsetzen werden. Um der Sache einen zivilgesellschaftlichen Anstrich zu geben, werden Kiezinis und "freie" Träger die Abwicklung des Ausschlusses begleiten.

Obwohl seit einem Jahr für diesen "Schülerknast" massiv die Werbetrommel gerührt wurde, hat es keinerlei wahrnehmbaren politischen Widerstand dagegen gegeben. Vielleicht fällt es denen schwer, die sich z.B. gegen den "Gläsernen Schüler" also gegen die zentrale SchülerInnendatei engagieren, den Zusammenhang zwischen alltäglichen Schulkämpfen, zwischen beschissenen Unterricht und Schulzwang und den Kampf gegen einen "Schulknast" zu erkennen. Wir haben daher exemplarisch historisches Material zusammengestellt, wodurch wir hoffen, den Zusammenhang zu illustrieren, in den der Neuköllner "Schulknast" ideen- und realgeschichtlich einzuordnen ist. (Weitere Quellen gibt es unter dem Stichwort INFAM!).

Es wäre doch prima, wenn im April bei Öffnung des "Schülerknasts" Flugblätter herauskämen, in denen Schülern, die dort nicht bleiben wollen, zum Abtauchen der Aufenthalt in besetzen Häusern angeboten wird. Es soll ja schließlich Häuser in Berlin geben, die im Kampf gegen Heimterror durch "Entwichene" besetzt wurden, und diese Häuser gibt es heute noch.

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Die Märzausgabe kommt nicht nur spät - sie ist auch ein wenig mit der heißen Nadel gestrickt. Das lag vor allem an den Texten von Peter Nowak, Bernard Schmid und Franz Schandl, die sozusagen fünf nach 12 eintrafen, die wir aber für so wichtig halten, dass wir nicht bis zum nächsten Update warten wollten.

Dadurch entstandene Fehler im Satz oder evtl. in der Verlinkung bitten wir zu entschuldigen. Schließlich wollten wir den 2.3. halten und haben keine Schlussredaktion mehr durchgeführt.

 

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