Neokolonialismus: Daewoo kauft Madagaskar auf
Madagaskar am Rande des Bürgerkriegs - Revolte gegen die Bereicherung

von Lisa Brixton

03/09

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Vom Geschäftemachen versteht Madagaskars Präsident Marc Ravalomanana etwas. Schließlich hat sich der 59-Jährige vom radelnden Joghurt-Verkäufer zum Chef des Firmenimperiums Tiko empor gewirtschaftet. Das Geschäft mit Milch hat ihn zum reichsten Mann der Tropeninsel gemacht - schon bevor er 2002 in den Präsidentenpalast einzog.
Aber auch als Chef des bitterarmen Inselstaates wirtschaftete Ravalomanana erfolgreich - nach Ansicht der Opposition vor allem in die eigene Tasche. Selbstbereicherung und Korruption wirft Andry Rajoelina, Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo, dem Präsidenten vor und ist drauf und dran, ihn aus dem Amt zu jagen.

Was viele Madagassen besonders empört, ist ein Deal, den Ravalomanana mit dem südkoreanischen Konzern Daewoo Logistics einfädelte. Ende 2008 sicherte sich das Handelsunternehmen die Rechte an 1,3 Millionen Hektar Land - etwa die Hälfte der fruchtbaren Fläche der Insel.

Auf Madagaskar tobt seit einer Woche ein Machtkampf zwischen Präsident Marc Ravalomanana und Oppositionsführer Andry Rajoelina, Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo.

Bei Ausschreitungen kamen in den vergangenen Tagen mehr als 100 Menschen zu Tode. Die Opposition wirft dem Präsidenten einen diktatorischen Regierungsstil und Korruption vor.Der Präsident setzte Rajoelina, der sich bereits zum neuen Inselchef ausgerufen hatte, gestern als Bürgermeister ab.

Daewoo, das die Ländereien für 99 Jahre pachtete, will Mais und Palmöl anbauen und die Ernte nach Südkorea verschiffen. Die Firma, so Manager Shin Dong-Hyun, wolle die Hälfte des südkoreanischen Maisbedarfs aus Madagaskar beziehen. Die Insel selbst ist auf Reisimporte angewiesen und rangiert im Welthungerindex auf einem der hinteren Plätze.
Was Madagaskar von dem Deal hat? Pachterträge jedenfalls nicht. Ravalomanana lässt die Südkoreaner umsonst ackern. "Wir werden Arbeitsplätze bereit stellen", erklärte ein Daewoo-Sprecher. Das Unternehmen bringe Know-how und Fachleute auf die Insel und steigere so die Produktivität des Landes.

Für die internationale Umwelt und Agrarorganisation Grain ist der Daewoo-Deal mit Madagaskar ein besonders krasser Fall einer "Landnahme", die die Ernährungssicherung der heimischen Bevölkerung gefährde. Lebensmittel- und Finanzkrise hätten eine neue "globale Landnahme" ausgelöst, bilanziert Grain in einer Studie.

Vor allem Schwellenländer und Ölstaaten sicherten sich Ackerflächen in armen Staaten. Eine lange Liste des "offshore farmings" präsentiert Grain, führt etwa die saudische Firma Adco auf, die im Sudan auf 10 000 Hektar die Weizenernte einfährt und übers Rote Meer heimholt, während im Anbaugebiet die Menschen hungern.

Jacques Diouf, Chef der UN-Ernährungsorganisation, brandmarkt solche Geschäfte als "eine Form von Neokolonialismus". Grain und die Menschenrechtsorganisation Fian warnen vor dem groß angelegten Ausverkauf von Grund und Boden.

Statt Kleinbauern zu fördern, die sich und die Bevölkerung der Region versorgen könnten, würden riesige Flächen für eine industriell betriebene Landwirtschaft genutzt, um Getreide für weit entfernte Absatzmärkte zu produzieren.

Auf Madagaskar darf Daewoo nach offiziellen Angaben wegen der Proteste erst einmal (noch) nicht ackern. Tatsächlich aber wird der Boden schon bereitet. Der Mainzer Tropenmediziner und Madagaskar-Experte Johannes Wantzen hat bei seinem jüngsten Aufenthalt bereits Planierraupen im Westen der Insel gesehen. "Da wird offensichtlich schon für eine industrielle Landwirtschaft terrassiert."

Proteste gegen Madagaskars Präsidenten
Polizei erschießt Plünderer und Demonstranten

Nach gewalttätigen Protesten auf der Tropeninsel Madagaskar hat die Polizei offenbar zahlreiche Plünderer erschossen. Laut der Nachrichtenagentur dpa stieg die Zahl der Todesopfer im Zusammenhang mit den Demonstrationen und folgenden Krawallen damit auf mindestens 60. Am Montag waren Medienberichten zufolge drei Demonstranten erschossen und elf weitere zu Tode getrampelt worden. Nach Angaben des Rundfunks erschossen die Sicherheitskräfte mindestens 20 Plünderer in der im Südwesten der Insel gelegenen Hafenstadt Tulear und weitere fünf in der Hauptstadt. Die Feuerwehr teilte zudem mit, dass 20 Plünderer in einem Einkaufszentrum in der Hauptstadt Antananarivo verbrannt seien.

Ausgangssperre verhängt

Das Militär verhängte eine nächtliche Ausgangssperre über die Hauptstadt Antananarivo. Zwischen 21.00 und 04.00 Uhr Ortszeit durfte sich niemand mehr auf den Straßen zeigen, teilte die Armee mit. In der Nacht zuvor waren laut Medienberichten sieben Einkaufszentren komplett geplündert und zahlreiche Firmenfahrzeuge in Brand gesteckt worden.
Die Proteste richteten sich vor allem gegen Präsident Marc Ravalomanana und dessen Reichtum, den er größtenteils im Lauf seiner Amtszeit erworben hat. Für scharfe Kritik seiner Gegner sorgte der Kauf eines neues Dienstflugzeugs für umgerechnet rund 45 Millionen Euro. Ziel der Plünderungen waren unter anderem Geschäfte aus dem Firmenimperium des Präsidenten.

Präsident unter Druck

Ravalomananas Kritiker werfen ihm auch vor, politische Gegner zu verfolgen und mit Hilfe seiner Zeitungen und seines Fernsehsenders MBS mit Hetzkampagnen zu überziehen. Daneben entzündete sich der Zorn der Demonstranten an Eingriffen in die Pressefreiheit. Die Ausschreitungen hatten nach einer Massendemonstration begonnen, bei der Zehntausende gegen die Schließung eines populären regierungskritischen TV-Senders protestiert hatten.

Madagaskars Präsident hat in seiner Amtszeit privaten Reichtum angehäuft. Kritiker werfen ihm vor, politische und wirtschaftliche Interessen zu vermengen. Proteste gegen ihn mündeten in Plünderungen mit vielen Toten. Dem Land droht ein Bürgerkrieg.

Madagaskar, bettelarmer Inselstaat vor der Südostküste Afrikas, steht am Rande eines Bürgerkriegs: Es gilt eine nächtliche Ausgangssperre, viele Ausländer sitzen auf gepackten Koffern, die deutsche Botschaft empfiehlt Bundesbürgern, ihre Wohnungen nicht zu verlassen. Im Rundfunk wird vor Straßenräubern gewarnt, die mit erbeuteten Maschinenpistolen Passanten überfielen.

Dutzende Tote bei Zusammenstößen

Nach einer Demonstration von 80.000 Menschen Anfang der Woche war es in der Hauptstadt Antananarivo zu Zusammenstößen mit der Armee gekommen. Dabei kamen über 30 Menschen ums Leben, der regierungskritische Rundfunk berichtete gar von über 70 Toten. Sicher ist, dass nach Plünderungen und Brandschatzungen allein in einem Einkaufskomplex 25 Leichen gefunden wurden - völlig verkohlt. Die Menschen hatten versucht, so viel wie möglich aus dem brennenden Gebäude herauszuschleppen und waren dabei in eine tödliche Falle geraten.

Der außer Kontrolle geratene Protest richtete sich gegen Präsident Marc Ravalomanana und sein - wie viele sagen - diktatorisches Regime. Ravalomanana, für viele im Westen bisher ein Hoffnungsträger, wird der hemmungslosen Bereicherung sowie der Verquickung politischer und wirtschaftlicher Interessen beschuldigt. Zu bestreiten ist das kaum. Ihm gehören Zeitungen, Radiosender und eine Fernsehstation, eine Druckerei, eine Straßenbaufirma und eben: Einkaufszentren. Viele Plünderer hatten deshalb nicht einmal ein schlechtes Gewissen, als sie Ravalomananas Geschäfte leerräumten und sein Medienzentrum in Brand steckten.

Der Unmut schwelt schon lange. Gerade hatte sich der Präsident für 60 Millionen Dollar einen neuen Dienstjet gegönnt. Dann ließ er auch noch den beliebten regierungskritischen Privatsender Viva schließen. 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von der Autorin zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe. Es handelt sich um eine Textzusammenstellung aus folgenden Quellen: