Historisches Material zum Thema "Schülerknast"

Verstrickung und Komplizenschaft
Die Beteiligung von Jugendbehörden an der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik von 1933 bis 1945

von
Manfred Kappeler

03/09

trend
onlinezeitung

 Im Landesjugendamt des Landes Brandenburg wurde vom 16. - 31.08.1995 eine Ausstellung der Lagergemeinschaft und Gedenkstätteninitiative KZ Moringen e.V. und der Hans-Böckler-Stiftung mit dem Titel "Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben" gezeigt. Ganz wesentlich zur Erhellung der Ursachen für die ideologische Wegbereitung dieser Lager trug die Recherchearbeiten von Manfred Kappeler bei. Sein Referat "Verstrickung und Komplizenschaft", das er zur Ausstellungseröffnung gehalten hat, stellen wir hier zum Download bereit, weil es ihm darin gelingt, die ideologische Kontinuität in der Arbeit der deutschen Jugendbehörden von 1900 bis weit hinein in die BRD und  DDR nachzuzeichnen. Eine Kontinuität, die voll und ganz zum Begründungszusammenhang gehört, mit dem heute ein so genannter "Schülerknast" für arabisch und türkischstämmige schuldistanzierte Jugendliche in Berlin-Neukölln der "rot-roten" Landes- und Bezirksregierung konzipiert wird. Auf diese pädagogische Bankrotterklärung möchten wir mit folgenden Zitat antworten:

Die Frage nach der Qualität der Lebensbedingungen junger Menschen, die sie brauchen, um die Gesellschaft, in der sie leben, zu akzeptieren und um sich in ihr aufgehoben zu fühlen, muß den Vorrang haben vor dem Ruf nach Sicherung der staatlichen Ordnung durch Strafverschärfung und Abschiebung von Kindern und Jugendlichen, wenn sie durch auffällige Lebensweisen und störendes Verhalten auf sich aufmerksam machen.
(
Doris Scheele, im Vorwort der Broschüre zur Ausstellung "Wir hatten noch gar nicht angefangen zu leben")

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Meine Fragestellung in diesem Vortrag lautet also, wie es den Nazis, die in den 20er Jahren eine eher unbedeutende Partei unter vielen anderen waren, gelingen konnte, sich die Menschen und den Staat in Deutschland buchstäblich anzueignen, wie sich die Männer und Frauen und auch die Jugendlichen in einer von heute aus gesehen unglaublich kurzen Zeitspanne von 5 bis 6 Jahren in dieses System verstrickten und zu Komplizen, zu Mittäterinnenmachen ließen, die erst durch den militärischen Zwang der Alliierten, durch eine Gewalt von außen, von dem befreit wurden, in das sie sich im Ganzen freiwillig hineinbegeben hatten.

Der Versuch, dieses Geschehen zu verstehen, setzt den Verzicht voraus, die Menschen in gute und böse einzuteilen und uns selbst auf der Seite der Guten einzuschreiben. Er zielt darauf ab, Verantwortlichkeiten vor allem da zu erklären, wo sie im scheinbar Harmlosen verborgen sind, er spürt den Kontinuitäten in den alltäglichen Denkformen und Sichtweisen nach, in der Auffassung, daß Geschichte kein abgrenzbares Ereignis ist - etwa die Geschichte des Nationalsozialismus in Deutschland - sondern immer ihr Vorher und ihr Hernach hat, und damit auch nicht allein Sache der in einer Zeit jeweils hauptsächlich aktiven Generation ist oder war. Heute morgen bezieht sich diese Annäherung an Verstehen - als ein Versuch der Aufhebung von Verdrängtem - auf die Beteiligung der Jugendbehörden an der Durchsetzung nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik als Ordnungspolitik für und gegen Familie, Kinder und Jugendliche. Dabei geht es mir nicht um die Fakten dieser Beteiligung und darum, wie sie im einzelnen und im ganzen organisiert war in der Fülle der von Regelungswut gekennzeichneten Gesetze, Verordnungen, Erlassen, Vereinbarungen, Praktiken, Kompetenzstreitigkeiten und routinierten Alltag, sondern um die Sichtweisen, um das Denken, das sich bei allen Widersprüchen im einzelnen zuletzt in einer Praxis als Terror umsetzte, die sich nachweislich im KZ-System ihren folgerichtigen und zugespitzten Ausdruck schuf.

Ich bitte Sie vor allem um Ihre Aufmerksamkeit für eine möglichst genaue Betrachtung der Sprache, in der sich Denken und Sichtweisen äußern, und die selbst schon Teil unseres Handelns, unserer Praxis ist. Ich folge hier Adorno, der meinte, daß die Sprache kein bloßes, beliebig auswechselbares Zeichensystem sei, sondern mit der Sache die beschrieben und benannt wird etwas wesentliches zu tun habe. Das Medium in dem jeglicher Gedanke sich verwirklicht, so Adorno, ist die Sprache.

Ich beginne mit einigen Zitaten aus dem Zusammenhang von Bevölkerungspolitik, Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe, in dessen Kontext wir uns hier bewegen.

  Manfred Kappelers Referat vollständig lesen!

Editorische Anmerkungen

Der Referattext stammt aus der Ausstellungsbroschüre, die unter folgender Adresse herunter geladen werden kann (sehr empfehlenswert):

http://www.lja.brandenburg.de/media/2558/ausstellung_jugendkz.pdf

Die Ausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert und kann in Schulen und anderen öffentlichen Räumen auf Anfrage gezeigt werden: Mehr Informationen unter:

http://www.martinguse.de/wander/index.htm