Betrieb & Gewerkschaft
Pfleger sind keine Sklaven
Das Pflegepersonal in der Persönlichen Assistenz wehrt sich

von Klaus Drechsel

03/09

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In der Persönlichen Assistenz haben sich Ende November unabhängige Arbeitnehmervertretungen gegründet.

Vom 28. bis 30.11.2008 haben im Kreuzberger Mehringhof rund 30 Delegierte aus sechs betrieblichen Interessenvertretungen großer Assistenzeinrichtungen ein bundesdeutsches Netzwerk ins Leben gerufen, die „Unabhängigen ArbeitnehmerInnenvertretungen in der Persönlichen Assistenz” (UAPA). Sie stehen zu Beginn ihrer Tätigkeit für gut ein Fünftel der etwa 10000 mehrheitlich weiblichen Erwerbstätigen in dieser kleinen, aber wachsenden Branche. Sie verabschiedeten eine Gründungsresolution (siehe Kasten), werden miteinander in Kontakt bleiben und haben sich für November 2009 in Frankfurt am Main zu einer Folgekonferenz verabredet, die vom Betriebsrat des CeBeeF e.V. koordiniert wird.

Ihre ersten Vereinsgründungen verzeichnete die westdeutsche Behindertenbewegung (präziser: die Selbstbestimmt-leben-Bewegung) bereits zu Beginn der 70er Jahre. Vorbild war die US- Bürgerrechtsbewegung. Nach der Etablierung einer linksalternativen Nische in den 80er und 90er Jahren hat sich die Selbstbestimmt-leben-Bewegung jedoch spätestens seit der Jahrhundertwende mehrheitlich der neoliberalen Haushaltskonsolidierungspolitik gebeugt und hat der zeitgenössischen Sozialpolitik — Stichwort: Ökonomisierung der sozialen Arbeit — nichts mehr entgegenzusetzen. Sie konzentriert sich ängstlich darauf, die eigene Haut zu retten, verbindet sich mit der bürgerlichen Sozialpolitik und verspielt mehr und mehr den strategischen Bündnispartner an ihrer Seite: die Assistentinnen und Assistenten, die zum überwiegenden Teil seit Jahren die Zeche bezahlen.

Beim Ambulante Dienste e.V. (AD) hat sich dies bspw. in einer zehnjährigen Senkung der Reallöhne niedergeschlagen, gepaart mit der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und verstärkten zentrifugalen Tendenzen im Betrieb, die sich aus verschiedenen Formen existenzieller Angst speisen und das Betriebsklima entsolidarisiert haben. Seit dem Frühjahr 2005 wird im Betrieb um verschiedene Formen nominaler Verschlechterungen gestritten. Weil seit Ende 2005 ein Betriebsrat amtiert, der seine Mitbestimmungsrechte zu wahren weiß bzw. auf das Kündigungsschutzgesetz hinzuweisen versteht, sind die Verschlechterungen vor allem zulasten der neu eingestellten Assistenten gegangen. Sie mussten eine Absenkung des Grundlohns um rund 17% auf 8,60 Euro für Sozialversicherungspflichtige, bzw. auf 7,60 Euro für Studierende hinnehmen, dazu die Absenkung von Zuschlägen und die Befristung ihrer Arbeitsverträge auf zwei Jahre; kein Wunder, dass die jährliche Fluktuation bei rund 20% liegt. Kritik aus der Belegschaft ist nicht ausgeblieben. Seit der letzten Kürzungswelle vom 1.1.08 agiert in und beim Betrieb eine Aktionsgruppe mit direkten Aktionen.

Die zentrale Arbeit auf der Gründungskonferenz erledigte die Arbeitsgruppe „Arbeitsorganisatorische und arbeitsvertragliche Regelungen” Sie begann mit einer Bestandsaufnahme der verschiedenen Arbeitsvertragsmodelle und ihrer spezifischen Bestandteile.

Die Arbeitsgruppe „Innerbetriebliche Organisierungsformen und ihre Instrumente” setzte sich u.a. mit den „ersten Schritten” der Interessenvertretung auseinander. Eine angeregte Debatte gab es um die Gestaltung von Betriebsversammlungen als Orten sozialer Begegnung. Das Bedürfnis danach ist groß, weil die Arbeitsverhältnisse stark vereinzelt sind.
Das Verhältnis zu den DGB-Einzelgewerkschaften sowie die Frage nach dem Nutzen eines eigenen Berufsverbandes erörterte eine Arbeitsgruppe zu „überbetrieblichen Organisationsformen und ihren Instrumenten” Übereinstimmend musste die Konferenz feststellen, dass das Desinteresse von Ver.di an unserem Tätigkeitsfeld sich nicht auf einzelne Orte beschränkt, sondern allgemein spürbar ist (vielleicht mit Ausnahme von Hamburg). Zwar gibt es in den alltäglichen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts meistens eine Zusammenarbeit; alle darüber hinausgehenden Initiativen scheinen jedoch an eine unsichtbare Grenze zu stoßen.
Seitens der Erwerbstätigen mag da eine traditionell libertäre — durchaus begründete — Gewerkschaftsskepsis wirken. Formal vollbringen wir eine ungelernte Tätigkeit, die bislang im institutionalisierten System der Ausbildungsberufe nicht zuzuordnen ist — und damit für Gewerkschaften ein Bereich „fernab der Zivilisation” Anstrengungen, dies zu ändern, hat niemand ernsthaft und ausdauernd unternommen. Haustarifverträge wurden unter Verweis auf den zu niedrigen Organisationsgrad nicht in Angriff genommen, was die tariflosen Arbeitsverhältnisse nicht gerade aufgewertet hat.
All dies hat nun zu dem Entschluss geführt, uns zusammenzutun, sichtbar zu werden und eine eigene Interessenvertretung zu begründen. Wo es uns nutzt, werden wir gerne mit Ver.di und GEW kooperieren. Die Berliner GEW ist hierfür (nicht nur) mit ihrer „Initiativgruppe Betriebsräte” ein positives Beispiel.

Wir werden jedoch auch, wo es sinnvoll ist, die solidarische Zusammenarbeit mit der anarchosyndikalistischen FAU pflegen. UAPA behält sich vor, ab sofort lohnpolitisch, und in mittlerer Zukunft auch tarifpolitisch aktiv zu werden, sowie nach adäquaten Arbeitskampfformen für unsere Branche zu suchen. Inspirieren mag uns das Beispiel der finnischen Krankenschwestern, die im Herbst 2007 durch die Androhung der kollektiven Kündigung Lohnerhöhungen von 500 Euro erstritten.
Erwerbstätige aus Klein- und Kleinstbetrieben (z.B. dem sog. Arbeitgebermodell und Persönlichen Budget) sind ausdrücklich eingeladen, sich mit uns in Verbindung zu setzen.

Der Autor ist Betriebsrat bei Ambulante Dienste e.V. Berlin. Weitere Infos: www.labournet.de/branchen.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel spiegelten wir von der Webausgabe der SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2009

Der Autor ist Betriebsrat bei Ambulante Dienste e.V. Berlin.
Weitere Infos: www.labournet.de/branchen.