Biologismus und Faschismus - die Herrschaftsideologie der Bourgeoisie!
Der Sozialdarwinismus - Ideologie der Bourgeoisie

von Alexander Wernecke

03/09

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Die enge Verbindung zwischen Kapitalismus und Sozialdarwinismus zeigt sich besonders darin, dass sich der ideologische Gehalt des Sozialdarwinismus parallel und adäquat zu den Bedingungen des Kapitalismus und den daraus resultierenden ideologischen Bedürfnissen der Bourgeoisie veränderte. So ist eine deutliche Differenzierung zwischen  frühen  und  späteren Formen des Sozialdarwinismus zu erkennen. Die erste (frühe) Phase spiegelt die ideologischen Bedürfnisse des noch aufsteigenden Kapitalismus der freien Konkurrenz wider. Seine Verfechter (Spencer und die ihm unmittelbar folgenden Sozialdarwinisten) suchten das Laisser-faire-Prinzip zu erklären und den Kapitalismus gegen das aufstrebende Proletariat zu rechtfertigen. Sie vertraten einen Forschungsoptimismus. Danach führt die als naturgesetzmäßiger Vorgang aufgefasste Gesellschaftsentwicklung automatisch zum Fortschritt. Unter solcher Sicht können menschliche Aktionen die Gesellschaftsentwicklung nur unwesentlich hemmen oder stören. Der Akzent lag in dieser Phase noch auf der Begründung des Existenz- und Konkurrenzkampfes der (bürgerlichen) Individuen.  

 Die spätere zweite Phase entwickelte sich mit dem Übergang des Kapitalismus un sein reaktionäres, monopolistisches Stadium. In dem Maße, wie die anwachsenden Aktionen der Arbeiterklasse, Krisen und Klassenkampf den Glauben des Bürgertums an eine automatische Aufwärtsentwicklung des Kapitalismus zerstörten, traten mehr und mehr pessimistische Auffassungen von der Gesellschaftsentwicklung in den Vordergrund. Die Angst des Bürgertums vor dem Untergang der eigenen Klasse kam besonders in der Prophezeiung einer drohenden Entartung der entwickelten Völker zum Ausdruck, die mit einer zivilisationsbedingten Einschränkung der natürlichen Auslese begründet wurde. Sie verlieh dem Sozialdarwinismus zugleich in wachsendem Maße brutale und aggressive Züge. Der Kampf ums Dasein wurde noch stärker betont und vorrangig auf die Auseinandersetzung zwischen überindividuellen Einheiten - vor allem biologisch gewerteten sozialen Klassen, Rassen und Völkern - bezogen. Der Sozialdarwinismus blieb nicht mehr bei biologistischer Rechtfertigung der bestehenden Ausbeutungsverhältnisse stehen, sondern er propagierte barbarische Programme einer künstlichen Auslese, um den angeblich gestörten sozialen Auslesemechanismus wieder in Ordnung zu bringen.  

 Später als in den westeuropäischen Ländern erreichte dieser Sozialdarwinismus unmittelbar vor und kurz nach der Jahrhundertwende in Deutschland seine aggressivste, brutalste und reaktionärste Stufe, die schließlich in die verbrecherische Ideologie des Faschismus einmündete. Das ergibt sich folgerichtig aus der besonderen Aggressivität des deutschen Imperialismus, vor allem aber aus seinem verschärften Kampf gegen die deutsche Arbeiterbewegung, deren Partei zur stärksten politischen Vereinigung geworden war und in den neunziger Jahren bereits mehr als 20 Prozent der Wählerstimmen erhielt. In dieser Zeit erschienen vor allem die sozialdarwinistischen Schriften der Zoologen Schallmayer und Ziegler, des Arztes Alfred Plötz, des Soziologen Otto Ammon und des Ökonomen Alexander Tille und schließlich das Handbuch der Rassisten von Houston Stewart Chamberlain. Das Interesse der Großbourgeoisie offenbart sich in dem Preisausschreiben, das Alfred Friedrich Krupp anonym als ein „ungenannt bleibender Gönner der Wissenschaft“ in Höhe von 30.000 Mark veranstaltete.(25) Das Thema lautete: „Was lernen wir aus den Prinzipien der Deszendenztheorie in bezug auf die innenpolitische Entwicklung und Gesetzgebung der Staaten?“(26)  

 Die Hauptthesen der Sozialdarwinisten lassen sich wie folgt zusammenfassen:  

 Erstens gingen sie - wie schon Platon - von einer natürlichen Ungleichheit der Menschen aus. Sie leiteten diese aus der Zugehörigkeit der Menschen zu verschiedenen Rassen ab oder bzw. Und unter Berufung auf Galton aus der erblichen Verschiedenheit der körperlichen, geistigen und charakterlichen Anlagen.  

 Zweitens behaupteten sie, dass die von Darwin in der lebenden Natur nachgewiesenen Prinzipien der „natürlichen Auslese“, des „Kampfes ums Dasein“ als universelle Naturgesetze auch im gesellschaftlichen Bereich wirkten und die Entwicklung aller sozialen Erscheinungen einschließlich der politischen, juristischen Normen und Einrichtungen bestimmten. Für einen Sozialdarwinisten galt, „dass die Auslese die Bedingung für jeden Fortschritt ist“.(27)

 Ausgehend von diesen pseudowissenschaftlichen Prinzipien haben die Sozialdarwinisten nun grundsätzlich alle beliebigen Erscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft als Resultate des Waltens von Naturgesetzen, als „naturgemäß“ hingestellt:

-  Die soziale Ungleichheit der Menschen, denn „alle soziale Gliederung und Ordnung“ habe der Auslesemechanismus aus der „natürlichen Ungleichheit physischer und geistiger Eigenschaften“ der Menschen geschaffen.(28)  „Der untere Stand ... stellt ... nur den Bodensatz dar, aus welchem die wertvollsten Bestandteile herausdestilliert sind“, behauptete Ammon.(29) Die Klassenteilung pries er als Wohltäterin der Menschheit: „Die Ständebildung setzt das Werk der natürlichen Auslese beim Menschen fort und begründet eine natürliche Züchtung.“(30)

-  Der erbarmungslose kapitalistische Konkurrenzkampf wurde als Auslesemechanismus dargestellt und der monopolistische Konzentrationsprozess als sein Ergebnis: „Im Wachstum eines großen Geschäftsunternehmens drückt sich lediglich das Überleben der Tauglichsten aus ... Das ist keine üble Tendenz im Business. Es ist bloß die Äußerung eines Natur- und eines göttlichen Gesetzes“, schrieb Rockefeller.(31)

-  Ebenso rechtfertigten sie die Eroberung fremder Territorien, die Ausrottung oder Ausbeutung sozialer Schichten, fremder Rassen und Völker als „das Recht der stärkeren Rassen, die niederen zu vernichten“, denn, so behauptete Tille: „Der Mensch gehört ebenso gut zur Natur wie Pflanze und Tier, und die Natur kennt ein Erbarmen nicht.“(32)  

 Drittens prophezeit der spätere Sozialdarwinismus die „Entartung“ der entwickelten Völker, die „Verschlechterung der Rasse“. Die Rassenanthropologen führten sie vorwiegend auf die Vermischung der Rassen zurück.(33) Vertreter der Vererbungshygiene beklagten vor allem, dass die „hervorragende auslesende Wirkung“ von Hungerperioden, Tuberkulose, Cholera- und Typhusepidemien, Kindersterblichkeit, die stets die „Kränklichen“ und „Anfälligen“ „ausgemerzt“ hätten, durch soziale Errungenschaften stark behindert werde.  

 Selbst die Kindersterblichkeit, die Schallmayer für 1875 mit 10 bis 25 Prozent (unterschiedlich nach sozialen Ständen) angab, war ihm nicht hoch genug, und er verteufelte die Fortschritte bei der Geburtshilfe, der Säuglingspflege und der Kinderernährung.(34) De Lapouge erfand den Begriff „rückschreitende Auslese“(35) und Plötz den der „Kontraselektion“(36). Ziegler und Schallmayer leiteten auch bereits aus niedrigerer Kinderzahl in oberen „Ständen“ und größerer Fruchtbarkeit der „Minderwertigen“ einen „generativen Niedergang“ ab.(37)  

 Solche Entartungsthesen verstärkten sich mit der Zuspitzung der Widersprüche im Kapitalismus und sind bekanntlich heute in der bürgerlichen Ideologie weit verbreitet.  

 Viertens entwickelten die Sozialdarwinisten barbarische Programme, um die „strenge Auslese“ in der Gesellschaft durch Aufhebung jeglicher sozialer Fürsorge für Kranke und Schwache wieder durchzusetzen und durch eine „bewusste Auslese“ zu vervollkommnen. Schallmayer empfahl dem Staat, „den generativ Tüchtigeren die Fortpflanzung zu erleichtern, den anderen stufenweise zu erschweren“.(38) Eine „Entwicklungsethik“ sollte Moral und Recht der menschlichen Zuchtwahl unterordnen.  

 Die sozialdarwinistische Lehren hatten den Kapitalismus als „naturgemäß“ und die marxistische Theorie sowie alle sozialen und politischen Errungenschaften und Forderungen der Arbeiterklasse als „naturwidrig“ hinzustellen.  Der Geschäftsführer industrieller Verbände, A. Tille, sah - nachdem alle politischen Maßnahmen sich als „unzureichende Mittel zur Eindämmung der sozialistischen Bewegung erwiesen“ hatten - allein im Sozialdarwinismus noch Rettung.(39) Die Angst vor der Arbeiterbewegung spiegelte sich zum Beispiel in den häufig wiederholten wütenden Attacken Tilles, Zieglers, Schallmayers und Ammons gegen das allgemeine Stimmrecht, gegen die Forderungen nach Wohlstand für alle, nach Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln wider, die als mit den „natürlichen Grundlagen einer jeglichen Gesellschaftsordnung unvereinbar“(40) verleumdet wurden.  

 Ganz selbstverständlich versuchten bürgerliche Ideologen sowie Revisionisten und Opportunisten in den Kreisen der Arbeiterbewegung, auch die sozialistische Ideologie unter dem Vorwand der Modernisierung durch den Sozialdarwinismus zu verfälschen. So wollten in Deutschland Friedrich Albert Lange und Ludwig Woltmann den Marxismus auf eine biologische Grundlage stellen. Woltmann führte nicht nur den Kampf der Arbeiterklasse auf einen Rassenkampf zurück, sondern er machte auch den „Kampf ums Dasein“ zur „Naturbasis des Mehrwertes“, die „Aneignung des Mehrwerts“ zu einer „intellektuellen und moralischen Leistung“ der herrschenden Klasse und diffamierte den proletarischen Internationalismus als gegen den „Kampf ums Dasein“ gerichteten „widernatürlichen Wahn“.(41)  

 Es entspricht daher einer bewussten Irreführung, wenn Zmarzlik (BRD) den Eindruck zu erwecken sucht, dass der Sozialdarwinismus sich gegen die „moderne Industriegesellschaft“ und die bürgerliche Demokratie gewandt habe.(42) Der Sozialdarwinismus diente dem Kapitalismus der freien Konkurrenz und später auch dem Monopolismus zum ideologischen Kampf gegen die Arbeiterbewegung und den wissenschaftlichen Sozialismus. Er sollte die Unterordnung der Menschen unter die kapitalistischen Verhältnisse fördern und den Kampf der Arbeiterklasse lähmen. Der rassenhygienische und rassenanthropologische Sozialdarwinismus wurden nach der Jahrhundertwende unter anderen von F. Lenz, H.F.K. Günther und H. Weinert fortgeführt, die auch nach dem zweiten Weltkrieg ihre Auffassungen in der Bundesrepublik Deutschland ungehindert verbreiten konnten. Als Bestandteil der faschistischen Ideologie diente er der Rechtfertigung und Vorbereitung und grausamsten Massenvernichtung von Antifaschisten und „Fremdrassigen“.  Der Imperialismus der Bundesrepublik Deutschland verzichtete auch unmittelbar nach dem Kriege nicht auf sozialdarwinistische Stützen seiner Herrschaft. Davon zeugt zum Beispiel die nach 1945 ohne jeglichen wissenschaftlichen Anlass mehrfach besorgte Neuauflage des 1936 erstmalig erschienenen, mit übelsten Biologismus durchsetzten Buches von A. Carrel „Der Mensch, das unbekannte Wesen“(43) sowie die fast unveränderte Auflage von Schriften des Rassisten Günther(44). Solche Schriften scheinen offensichtlich für „populäre biologische Bildung“ in einem staatsmonopolistischen System bestens geeignet.  

Marxistische Kritik des Sozialdarwinismus
(von Alexander Wernecke)  

Marx und Engels, die die Darwinsche Evolutionstheorie als „naturhistorische Grundlage“ ihrer Weltanschauung begrüßten und gegen verschiedene Angriffe verteidigten, traten ebenso energisch gegen jeden biologistischen Missbrauch des Darwinismus in der Gesellschaftstheorie auf. Sie legten  die Klassenwurzeln des Sozialdarwinismus bloß und wiesen seine Unwissenschaftlichkeit nach. Engels ging dabei vom qualitativen Unterschied zwischen tierischer und menschlicher Daseinsweise aus: „Der wesentliche Unterschied der menschlichen von der tierischen Gesellschaft ist der, dass die Tiere höchstens sammeln, während die Menschen produzieren.  Dieser einzige, aber kapitale Unterschied allein macht es unmöglich, Gesetze der tierischen Gesellschaft ohne weiteres auf menschliche zu übertragen.“(45) Karl Marx betonte in der Auseinandersetzung mit F.A. Lange, dass durch die unwissenschaftliche Übertragung des Darwinschen Begriffes „Kampf ums Dasein“ auf alle gesellschaftlichen Erscheinungen die wissenschaftlichen biologischen Begriffe ihres wesentlichen Inhalts entkleidet und „in dieser Anwendung bloße Phrase“ werden. „Statt also den ,struggle for life’, wie er sich geschichtlich in verschiedenen bestimmten Gesellschaftsformen darstellt, zu analysieren, hat man nichts zu tun, als jeden konkreten Kampf in die Phrase ,struggle for life’ ... umzusetzen. Man muss zugeben, dass dies eine sehr einbringliche Methode - für gespreizte, wissenschaftlich tuende, hochtrabende Unwissenheit und Denkfaulheit ist.“(46)  

 Lenin hob in seiner Kritik des Bogdanowschen Biologismus die Allgemeingültigkeit dieser Aussage hervor: „... die Anwendung der Begriffe ,Auslese’, ,Assimilation und Desassimilation’ der Energie, der energetischen Bilanz usw. usf. auf das Gebiet der Gesellschaftswissenschaften ist nichts als Phrasendrescherei. Tatsächlich ist es unmöglich, mit Hilfe dieser begriffe eine Untersuchung der gesellschaftlichen Erscheinungen, eine Klärung der Methode der Gesellschaftswissenschaften zu bewerkstelligen. Nichts ist leichter, als ein ,energetisches’ oder ,biologisch-soziologisches’ Etikett auf solche Erscheinungen wie Krisen, Revolutionen, Klassenkampf usw. zu kleben, aber nichts ist auch in stärkerem Maße unfruchtbar, scholastisch, tot als diese Betätigung ... Das Wesen der Kritik an Lange besteht bei Marx ... darin, dass überhaupt die Übertragung biologischer Begriffe auf das Gebiet der Gesellschaftswissenschaften eine Phrase ist. Ob diese Übertragung in ,guter’ Absicht geschieht oder zu dem Zweck, falsche soziologische Schlussfolgerungen zu bekräftigen - die Phrase hört dadurch nicht auf, Phrase zu sein.“(47)   

 Von den Führern der deutschen Sozialdemokratie haben besonders August Bebel und Franz Mehring den Sozialdarwinismus konsequent bekämpft - anfangs auch Karl Kautsky, der jedoch später teilweise selbst in biologistische Spekulationen verfiel.  

 Im Gegensatz zum Sozialdarwinismus haben Marx und Engels die wirklichen spezifischen Bewegungsgesetze der menschlichen Gesellschaft und die Wurzeln der sozialen Ungleichheit der Menschen aufgedeckt. Sie wiesen nach, dass die soziale Ungleichheit der Menschen, dass antagonistische soziale Klassen und Klassenkampf, dass Ausbeutung des Menschen durch den Menschen historisch bestimmten Entwicklungsstufen der Produktion entsprechen, die auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln beruhen. Auf der Grundlage des Gemeineigentums an Produktionsmitteln gab es in der urgesellschaftlichen Gentilordnung keine sozialen Unterschiede zwischen den Mitgliedern einer Gruppe, keine Ausbeutung und Unterdrückung. Erst als verbesserte Arbeitsmittel und wachsende Arbeitsproduktivität es dem einzelnen ermöglichten, mehr zu erzeugen, als sein eigener Lebensunterhalt erforderte, als sich allmählich die gesellschaftliche Arbeitsteilung und Privateigentum an Produktionsmitteln in Wechselwirkung miteinander herausbildeten, spaltete sich die Gesellschaft als notwendige Folge in soziale Klassen. „Die erste große gesellschaftliche Teilung der Arbeit zog mit ihrer Steigerung der Produktivität der Arbeit, also des Reichtums, und mit ihrer Erweiterung des Produktionsfeldes, unter den gegebenen geschichtlichen Gesamtbedingungen, die Sklaverei mit Notwendigkeit nach sich. Aus der ersten großen gesellschaftlichen Arbeitsteilung entsprang die erste große Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen: Herren und Sklaven, Ausbeuter und Ausgebeutete.“(48)  

 Die soziale Ungleichheit der Menschen mit allen daraus resultierenden Folgen wurde also durch gesellschaftliche Faktoren hervorgerufen. Es ist durchaus anzunehmen - darauf weist W.P. Alexejew hin (49) -, dass vor allem zu Beginn dieser Differenzierung der Menschen in soziale Gruppen auch teilweise biologisch bedingte Merkmale und Eigenschaften (Körperkraft usw.) und folglich biologische Prinzipien der Auslese (etwa bei der Bildung von Rangordnungen in den Gruppen der Gentilgesellschaft) eine begrenzte Rolle bei der Zuordnung der konkreten Menschen gespielt haben. In dem Maße, wie sich die sozialen Gruppen und schließlich Klassen festigten, wurden sie jedoch weitgehend durch gesellschaftliche Normen (Vererbung von besitz, Vorrechte der Geburt, kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Stämmen und Sklavenraub) in den Hintergrund gedrängt. 

 Das Verhältnis der Klassen und Schichten zu den Produktionsmitteln bestimmt letztlich die vielfältigen spezifischen Merkmale der Klassen und Schichten, die sozialökonomische Lage, die daraus resultierenden vielfältigen gegensätzlichen Interessen, Ziele und Aktionen der Menschen, denn „die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt“.(50) Soziale Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung, Hunger und Nor auf der einen, Reichtum und Verschwendung auf der anderen Seite, Konkurrenzkampf der Kapitalisten untereinander, der Klassen, Völker und Rassen gegeneinander in der kapitalistischen Gesellschaft haben folglich nichts mit biologischen Merkmalen und Prinzipien zu tun, sondern sie entspringen gesetzmäßig der kapitalistischen Produktionsweise. Daraus folgt zugleich, dass alle diese  Erscheinungen keineswegs ewige und unveränderliche Attribute des gesellschaftlichen Lebens sind, sondern dass sie sich gesetzmäßig mit der Produktionsweise verändern und schließlich mit der Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln ebenso gesetzmäßig aus dem Leben der Menschen verschwinden werden, wie sie aufgetreten sind.  In der Arbeiterklasse erkannten Marx und Engels die gesellschaftliche Kraft, die dazu berufen ist, diese historische Mission zu erfüllen.    

Fußnoten

25  Siehe H.E. Ziegler: Die Vererbungslehre in der Biologie und Soziologie, S. XIII.  

26  Von den etwa 60 eingegangenen Arbeiten erhielt W. Schaltmayers Buch „Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker“ den 1. Preis. - Da im Zusammenhang mit dem Sozialdarwinismus in Deutschland und dem Krupp-Preisausschreiben häufig Ernst Haeckel erwähnt wird, seien hierzu einige Bemerkungen eingefügt: Im Gegensatz zu häufigen Angaben gehörte Haeckel nicht zu den drei Preisrichtern des Preisausschreibens. Es waren dies der Nationalökonom Conrad, der Historiker D. Schäfer und der Zoologe H.E. Ziegler. (Siehe H.E. Ziegler: Die Vererbungslehre in der Biologie und Soziologie, S. XIV.) - Haeckel ließ sich aber auch zu einigen sozialdarwinistischen Äußerungen verleiten. Sie standen stets im Zusammenhang mit seiner Begeisterung für den Darwinismus, dessen Begründung oder beabsichtigten Verteidigung. Sie entsprachen aber auch seiner mit reaktionären gesellschaftspolitischen Auffassungen gepaarten Abneigung gegenüber dem Sozialismus, von dem  er sich abgrenzen wollte. Im übrigen warnte er vor biologistischer Politik und gestand seine politische Unkenntnis vorbehaltlos ein. (Siehe zum Beispiel E. Haeckel: Freie Wissenschaft und freie Lehre [1878]. In: E. Haeckel: Gemeinverständliche Werke, Bd. V, Jena 1924, S. 268 ff.) - Für Haeckel als Gelehrten sind nicht gelegentliche biologistische Andeutungen und reaktionäre gesellschaftspolitische Auffassungen typisch, sondern die Tatsache, dass er während seines ganzen Lebens unerschrocken gegen Agnostizismus und Idealismus und für die Durchsetzung seiner weitgehend materialistischen Auffassungen gekämpft hat. (Siehe dazu auch W.I. Lenin: Materialismus und Empiriokritizismus. In: Werke, Bd. 14, S. 353 ff.)  

27  W. Schallmayer: Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker, S. 95/96. - Ammon sang folgendes Loblied auf die Auslese: „Und wir können bei dieser Betrachtungsweise nur ahnen, wie verwickelt das ganze gesellschaftliche Getriebe ist, in dem sich menschlicher Verstand gar nicht zurechtfinden würde, in welchem aber die natürliche Auslese sozusagen ,blind’ doch den Weg findet, der für die gesamte Spezies ,Mensch’ zu den vorteilhaftesten Ergebnissen führt ... wie unendlich fein, wie wunderbar ist das genau abgestufte Walten dieser Gesetze!“ (O. Ammon: Die Gesellschaftsordnung und ihre naturwissenschaftlichen Grundlagen, Jena 1895, S. 25.)  

28  L. Woltmann: Politische Anthropologie, S. 192.  

29  O. Ammon: Die Gesellschaftsordnung und ihre naturwissenschaftlichen Grundlagen, S. S. 65.  

30  Ebenda, S. 94/95.  

31  Zit. in: I.S. Kon: Der Positivismus in der Soziologie, Berlin 1968, S. 38.  

32  A. Tille: Volksdienst, Berlin/Leipzig 1893, S. 27/28.  

33  So behauptete Ammon, in Europa hätte „die knechtisch gesinnte Rasse“ der „Rundköpfe das europäische Blut nahezu verdrängt“. (O. Ammon: Die Gesellschaftsordnung und ihre naturwissenschaftlichen Grundlagen, S. 164.)  

34  Dadurch werde sich zum Beispiel, so behauptete Schallmayer, „die Zahl an Frauen erhöhen, deren Brüste zum Stillen untauglich sind“. (Siehe W. Schallmayer: Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker, S. 148 ff.)  

35  Zit. in: O. Ammon: Die Gesellschaftsordnung und ihre naturwissenschaftlichen Grundlagen, S. 166.  

36  Zit. in: H. Conrad-Martius: Utopien der Menschenzüchtung. Der Sozialdarwinismus und seine Folgen, S. 68.  

37  Siehe W. Schallmayer: Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker, S. 166 ff. - H.E. Ziegler: Die Vererbungslehre in der Biologie und Soziologie, S. 370.  

38  W. Schallmayer: Vererbung und Auslese im Lebenslauf der Völker, S. 325.  

39  Siehe A. Tille: Volksdienst, S. 3 ff.  

40  O. Ammon: Die Gesellschaftsordnung und ihre naturwissenschaftlichen Grundlagen, S. 363 ff. - „Der eigentliche Kern des Sozialismus“, schrieb Tille,  „... stellt doch die Umwandlung der Arbeitsmittel - Grund und Boden, Bergwerke, Gruben ... in Gemeineigentum der Gesellschaft dar ... und darum Kampf dem Sozialismus ...“ (A. Tille: volksdienst, S. 78/79.)  

41  Siehe L. Woltmann: politische Anthropologie, S. 294, 309 ff.  

42  Siehe H.G. Zmarzlik: Der Sozialdarwinismus in Deutschland als geschichtliches Problem. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1963, S. 256.  

43  Siehe A. Carrel: Der Mensch, das unbekannte Wessen, München 1955, zum Beispiel S. 235 ff.  

44  Siehe H.F.K. Günther: Gattenwahl zu ehelichen Glück und erbliche Ertüchtigung, München 1951.  

45  Engels an Pjotr Lawrowitsch Lawrow, 12.-17. November 1975. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 34, S. 170.  

46  Marx an Ludwig Kugelmann, 27. Juni 1870. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 32, S. 685/686.  

47  W.I. Lenin: Materialismus und Empiriokritizismus. In: Werke, Bd. 14, S. 331/332.  

48  Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 21, S. 157.  

49  Siehe W.P. Alexander: Der Mensch: Biologie und soziologische Probleme. In: Priroda, 1971, Heft 8, S. 37-53, besonders S. 51 ff.  

50  Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort. In: Marx/Engels: Werke, Bd. 13, S. 8/9.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir als OCR-Scan von Reinhold Schramm.

Alexander Wernecke: Biologismus und ideologischer Klassenkampf.

Quellenauszug: 2. Kapitel,  Zum Sozialdarwinismus. Hier: 3. Der Sozialdarwinismus - Ideologie der Bourgeoisie, S. 65-71, und: 4. Marxistische Kritik des Sozialdarwinismus, S. 72-75.

Dietz Verlag Berlin 1976.