Dem amtierende französische Außenminister wurde jüngst in
einem „Enthüllungs“buch vorgeworfen, von fetten
Schmiergeldzahlungen afrikanischer Despotien - im Kontext des
französischen postkolonialen Einflusses in den Erdölstaaten -
profitiert zu haben. Die Vorwürfe, die Bernard Kouchners
Popularitätswerten (laut Umfragen in ‚Paris Match’ genießt er
angeblich noch immer rund 70 % Sympathie) jedenfalls bislang
keinerlei Abbruch taten, sind berechtigt. Doch Pierre Péan, der
Autor des Skandalbuchs, verfolgt bei seinen Angriffen
ideologische Zwecke, die selbst relativ finster ausfallen. Er
kritisiert den Minister auf der Grundlage nationalistischer
Mystifikationen - und diskreditiert dadurch sein eigenes
Anliegen.
Es riecht
nach offenen Rechnungen, und dies in jedem nur denkbaren Sinne.
Dem seit knapp seit zwei Jahren amtierenden französischen
Außenminister Bernard Kouchner wird vorgeworfen, von
Korruptionsgeldern und den Petrodollars zweier afrikanischer
Autokratenregimes profitiert - und Rechnungen auf noch
unbeglichene Forderungen daraus ausgestellt - zu haben.
Diesbezügliche Kritiken lösten in der ersten Februarhälfte 2009
die heftigste innenpolitische Polemik seit längerem aus.
Dass die
Informationen, die zum Auslösen des Skandals führten, überhaupt
öffentlich wurden, deutet jedoch wiederum auf ein politisches
Kalkül hin: Der Potentat der afrikanischen Erdölrepublik Gabun,
der seit über 42 Jahren amtierende Präsident Omar Bongo Ondimba,
hatte einige politische Rechnungen mit Politikern der
langjährigen neokolonialen Schutzmacht „Frankreich“ zu
begleichen. Und die Tatsache, dass ein - höchst umstrittener -
französischer Erfolgsschriftsteller die Enthüllungen unter
seinem Namen publizierte, geht ebenfalls auf ein eher
undurchsichtiges politisches Kalkül zurück. Nicht zuletzt werden
ihm nun von mehreren Seiten antisemitische Beweggründe
vorgeworfen.
Es ist nicht
leicht, alle diese miteinander zusammenhängenden Ebenen der
Kontroverse auseinanderzuhalten. Die Auseinandersetzung, die
derzeit verschiedene französische Presseorgane durchzieht,
entzündete sich Anfang Februar 2009 an einer Vorveröffentlichung
des neuen Buches von Pierre Péan. Kurze Auszüge aus dem jüngsten
Werk des prominenten Autors, das am Mittwoch, den o4. Februar o9
- unter dem Titel Le monde selon K. („Die Welt gemäß K.“
oder „Die Welt, wie K. sie sieht“) beim Pariser Großverlag
Fayard erschien, wurden am Wochenende davor durch das
linksnationalistische Wochenmagazin Marianne publiziert. In den
Auszügen geht es um Rechnungen über größere Summen in Höhe von
gut 800.000 Euro, deren Begleichung im Laufe des Jahres 2007 von
den Behörden der Autokratenregimes in Gabuns Hauptstadt
Libreville gefordert worden war.
Urheber der
Forderungen waren die beiden Beraterfirmen ‚International
Medical Alliance’ (Imeda) und ‚Africa Steps’. Im
Auftrag beider Gesellschaften war Bernard Kouchner von 2003 bis
2007, während seiner „Durststrecke“ in der Opposition - als er
nicht mehr sozialdemokratischer Minister wie unter François
Mitterrand und später Lionel Jospin, und noch nicht „Minister
der Öffnung“ unter dem rechten Präsidenten Nicolas Sarkozy war -
tätig gewesen. Oder jedenfalls hatte er ein stattliches Salär
erhalten: 6.000 Euro monatlich während dreier Jahre. Denn ob er
im Gegenzug wirklich auch dafür tätig war, gehört momentan zu
den strittigen und offenen Fragen.
Ausmachen
lassen sich bislang ein schreibmaschinengetippter
„Untersuchungsbericht“ von 107 Seiten vom Februar 2004 und ein
24seitiger vom August desselben Jahres. Hinzu kommt noch ein
Brief an den gabunischen Vize-Premierminister, den Kouchner im
August 2006 verfasste. Das ist bislang alles, was sich als
„Gegenleistung“ für die mehrjährigen großzügigen Zahlungen
ausmachen lässt. Die Dokumente enthielten Tipps für den „Aufbau
eines Gesundheitssystems“, und eventuell einer
Krankenversicherung, in Gabun. Trotz eines - jedenfalls bis vor
wenigen Jahren unerschöpflich erscheinenden - Ölreichtums, der
den nur anderthalb Millionen Einwohnern des Landes eigentlich
ein Leben wie im Schlaraffenland erlauben sollte, befindet
dessen Gesundheits- oder Bildungssystem sich in einem miserablen
Zustand.
Der
Hauptgrund dafür liegt darin, dass das in hohem Maße von
Frankreich abhängige Regime die Ölmilliarden mittels einer zum
System gewordenen Korruption abschöpft und außerhalb des eigenen
Landes investiert. Etwa in Paris, wo Omar Bongo allein 33 Villen
besitzt. An der strukturellen Korruption, am Abschöpfen der
Petrodollars hat offenkundig auch Bernard Kouchner partizipiert.
Denn die „Gegenleistung“ für die 1,25 Millionen Euro, die die
beiden Beraterfirmen kassierten - davon 350.000 für den
vormaligen und späteren Minister -, fiel offenkundig höchst
mager aus. Kritiker/innen sprechen davon, dass die von Kouchner
unterzeichneten Berichte auch von einem Studenten hätten
verfasst werden können. Ein längerer Hintergrundbericht in ‚Libération’
sprach vergangene Woche sogar von einer „nicht existenten
Tätigkeit“ seitens von Kouchner.
Dass Bernard
Kouchner die fraglichen Gelder kassiert hatte, bestreitet er
selbst nicht einmal. Im französischen Parlament und in
Interviews setzte Kouchner den jüngsten Enthüllungen lediglich
entgegen, er habe „keine Gesetze gebrochen“. Der Buchautor
Pierre Péan antwortete seinerseits darauf, er habe Kouchner auch
überhaupt nicht vorgeworfen, illegal gehandelt zu haben -
sondern lediglich „eine andere, weniger im Licht der
Öffentlichkeit stehende Seite seiner Persönlichkeit beleuchten“
wollen. Insofern dürfen die Fakten als unstreitig gelten.
Dass sie
aber publik wurden, hängt mit einem Versuch des Autokraten Omar
Bongo zusammen, Druck auf die französische politische Klasse
auszuüben. Bereits im März 2008 war der damalige französische
„Kooperationsminister“ - der Inhaber dieses Titels ist für die
postkolonialen Beziehungen zu Afrika zuständig - Jean-Marie
Bockel auf Druck des gabunischen Präsidenten hin ins
unbedeutende Staatssekretariat für Veteranenversorgung
umversetzt worden. Bockel war ins Visier von Präsident Omar
Bongo und seiner Amtskollegen in Kamerun und Kongo-Brazzaville
geraten, weil er ihre notorisch korrupten Regimes als
„historisch überholt“ dargestellt hatte. Derzeit zürnen Omar
Bongo und seine beiden Präsidentenkollegen, weil auf Antrag der
ONG Transparency International hin ein Strafverfahren in
Frankreich gegen sie läuft. Es geht um ihre aufgeblähten
Privatvermögen auf französischem Boden, die „aus gestohlenem
Volksvermögen“ stammten.
Pierre Péan
seinerseits hat aus anderen Gründen seine Messer gegen den, für
seine Eitelkeiten berüchtigten, französischen Minister gewetzt.
Péan ist ein bekannter Enthüllungsautor, der u.a. den Skandal um
die Diamentengeschenke des größenwahnsinnigen
zentralafrikanischen „Kaisers“ Jean-Bédel Bokassa an Frankreichs
Staatschef Valéry Giscard d’Estaing im Jahr 1979 lostrat. Aber
Péan ist auch ein glühender Nationalist: Der aus einfachen
Verhältnissen stammende Schriftsteller, der immer wieder den
Machenschaften einzelner herrschender Persönlichkeiten auf die
Schliche zu kommen versucht, wirft ihnen auch gerne vor, dass
sie „ihr Land nicht lieben“.
Zu den
ideologischen Schlachten, die Pierre Péan in den letzten Jahren
lieferte, gehört sein gerade fanatisches Eintreten gegen jedes
Schuldbekenntnis gegenüber Frankreichs Mitverantwortung für den
Genozid in Rwanda 1994. Das Regime des Landes, das damals noch
zur französischen Einflusszone in Afrika zählte, war durch Paris
bis zum Ende des Völkermords militärisch unterstützt worden war.
Péan aber behauptet, diese Vorwürfe seien falsch. Schuld am
Völkermord seien nicht die Extremisten der rassistischen „Hutu
Power“-Bewegung gewesen, sondern das Vorrücken und die
politischen Attentate der vorwiegend durch die Tutsi-Minderheit
getragenen Guerillabewegung - und heutigen Regierungspartei -
der RPF (Ruandische Patriotische Front). Dass die überwiegende
Mehrheit der Opfer des Genozids Tutsi sind, stört Péan dabei
nicht: Der Völkermord sei eben eine spontane Reaktion der Massen
auf das Agieren der Tutso-Opposition gewesen. Ferner behauptete
Péan 2006 in einem Buch ‚Noire fureur, blancs menteurs’
(Schwarzer Furor, weiße Lügner), es gebe bei den Tutsi
traditionell eine „Kultur der Lüge“. Kurz, nicht alles, was die
Opfer erzählten, stimme auch.
Bei diesem
politisch-ideologischen Kampf wird Péan durch kein Organ so
stark unterstützt wie durch das Wochenmagazin ‚Marianne’.
Hingegen findet er Bernard Kouchner als Hindernis auf seinem Weg
vor. Denn der jetzige Außenminister war einerseits 1994 als
Mitarbeiter einer humanitären Organisation zeitweise in Rwanda
tätig - und weiß nur gar zu gut, was dort wirklich ablief.
Andererseits ist auch Kouchners Vorgesetzter, Präsident Nicolas
Sarkozy, stärker als seine Vorgänger an einem Ausgleich mit
Rwandas aktuellem Regime interessiert. Es geht ihm dabei darum,
eine Zeitbombe zu entschärfen, die Frankreichs Einfluss in
Afrika bedroht: Durch eine politische Annäherung sollen die
Vorwürfe an die französische Politik, an einem Völkermord
mitgewirkt zu haben, vom Tisch gebracht werden. Trotz des
Abbruchs aller politischen Beziehungen zwischen Paris und Kigali
traf Sarkozy seinen rwandischen Amtskollegen Paul Kagamé bereits
zwei mal.
Und hier
schließt sich der Kreis: Aus diesem Grund - vornehmlich - hat
Péan das Buch über Kouchner verfasst, und deshalb auch hat
‚Marianne’ am 31. Januar o9 den Vorabdruck einiger Seiten
getätigt. Dabei hat das Wochenmagazin nur Passagen von zwanzig
der insgesamt 300 Buchseiten zitiert und die gesamte Dimension,
die Rwanda betrifft, ausgespart. In Pierre Péans Buch aber ist
der Aspekt absolut zentral. Allein drei der wichtigsten Kapitel
sind Vorwürfen an Kouchner, Nestbeschmutzung zu betreiben und
sich einem (in seinen Augen) ebenso US-hörigen wie
terroristischen Regime in Kigali anzudienen, gewidmet.
Dabei
bedient Péan sich auch einer Begleitmusik, die ausgesprochen
bedenklich ist. Denn die angebliche mangelnde Loyalität
Kouchners zu den Interessen des französischen Nationalstaats
wird von Péan damit erklärt, der Minister habe eine
„kosmopolitische“ Weltsicht. Dieser Begriff wird von ihm so
interpretiert, dass einer politischen Auffassung anhänge, die
auf die Existenz von Nationalstaaten keine Rücksichten nehme -
die Politik der US-Administration, die von Kouchner
befürworteten „präventiven Kriege“ und Militäreinsätze „für die
Menschenrechte“ sowie die Warlordisierung in vielen Ländern
seien ineinander greifende Phänomene.
Der Begriff
„kosmopolitisch“ als politischer Vorwurf stößt dabei in vielen
Medien auf Bedenken. Zwar wird er im französischen
Sprachgebrauch mitunter auch positiv verwendet, etwa in dem
Satz, Marseille sei eine Metropole mit kosmopolitischem Flair.
Aber jedenfalls in den implizit antisemitischen Kampagnen unter
stalinistischen oder poststalinistischen Regimes - in der UdSSR
Anfang der 50er Jahre und im realsozialistischen Polen 1968 -
tauchte der Begriff „Kosmopolitismus“, mit dem Adjektiv
„wurzellos“ versehen, als Kampfbegriff auf.
Péan
erinnert in seinem Buch auch früh, auf Seite 29, an Kouchners
jüdische Herkunft. Den Begriff „kosmopolitisch“ benutzt er
freilich nicht direkt antisemitisch, vielmehr bezieht er ihn auf
eine politische Weltsicht. Auch ist er kein Anhänger eines
völkischen Nationsbegriffs, sondern er tritt für eine
Staatsbürgernation - mit einem souverän handelnden, starken
Staat - ein. Seine Anspielung auf die jüdische Herkunft des
Ministers ist keinem Antisemitismus als eliminatorischer „Rassen“ideologie
geschuldet, sondern einem autoritären Nationsverständnis: Er
wirft der jüdischen und protestantischen Ethik als aus seiner
Sicht „messianisch begründeten“ Philosophien vor, eine von
politischer Nation und Staat losgelöste Weltsicht zu befördern.
So greift er in ‚Noire fureur, blancs menteurs’ vor allem
humanitäre und politische Aktivisten an, die entweder jüdischer
oder protestantischer Abstammung sind.
Péans
Wortwahl hat heftige Reaktionen hervorgerufen, bei denen auch
mit - manchmal überzogenen - Antisemitismusvorwürfen nicht
gespart wird. Das Magazin Marianne, das zwar nahe der
politischen „Mitte“ angesiedelt ist, sich aber gern „non-konformistisch“
gibt, schlägt nun wiederum Alarm: Péan und man selbst werde zum
Opfer eines „ideologischen Terrorismus“.
Editorische
Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir
vom Autor für diese Ausgabe.