Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Bernard Kouchner im Sumpf der Korruptionsvorwürfe - vor den Kulissen des französischen Neokolonialismus

03/09

trend
onlinezeitung

Dem amtierende französische Außenminister wurde jüngst in einem „Enthüllungs“buch vorgeworfen, von fetten Schmiergeldzahlungen afrikanischer Despotien - im Kontext des französischen postkolonialen Einflusses in den Erdölstaaten - profitiert zu haben. Die Vorwürfe, die Bernard Kouchners Popularitätswerten (laut Umfragen in ‚Paris Match’ genießt er angeblich noch immer rund 70 % Sympathie) jedenfalls bislang keinerlei Abbruch taten, sind berechtigt. Doch Pierre Péan, der Autor des Skandalbuchs, verfolgt bei seinen Angriffen ideologische Zwecke, die selbst relativ finster ausfallen. Er kritisiert den Minister auf der Grundlage nationalistischer Mystifikationen - und diskreditiert dadurch sein eigenes Anliegen.

Es riecht nach offenen Rechnungen, und dies in jedem nur denkbaren Sinne. Dem seit knapp seit zwei Jahren amtierenden französischen Außenminister Bernard Kouchner wird vorgeworfen, von Korruptionsgeldern und den Petrodollars zweier afrikanischer Autokratenregimes profitiert - und Rechnungen auf noch unbeglichene Forderungen daraus ausgestellt - zu haben. Diesbezügliche Kritiken lösten in der ersten Februarhälfte 2009 die heftigste innenpolitische Polemik seit längerem aus.  

Dass die Informationen, die zum Auslösen des Skandals führten, überhaupt öffentlich wurden, deutet jedoch wiederum auf ein politisches Kalkül hin: Der Potentat der afrikanischen Erdölrepublik Gabun, der seit über 42 Jahren amtierende Präsident Omar Bongo Ondimba, hatte einige politische Rechnungen mit Politikern der langjährigen neokolonialen Schutzmacht „Frankreich“ zu begleichen. Und die Tatsache, dass ein - höchst umstrittener - französischer Erfolgsschriftsteller die Enthüllungen unter seinem Namen publizierte, geht ebenfalls auf ein eher undurchsichtiges politisches Kalkül zurück. Nicht zuletzt werden ihm nun von mehreren Seiten antisemitische Beweggründe vorgeworfen. 

Es ist nicht leicht, alle diese miteinander zusammenhängenden Ebenen der Kontroverse auseinanderzuhalten. Die Auseinandersetzung, die derzeit verschiedene französische Presseorgane durchzieht, entzündete sich Anfang Februar 2009 an einer Vorveröffentlichung des neuen Buches von Pierre Péan. Kurze Auszüge aus dem jüngsten Werk des prominenten Autors, das am Mittwoch, den o4. Februar o9 - unter dem Titel Le monde selon K. („Die Welt gemäß K.“ oder „Die Welt, wie K. sie sieht“) beim Pariser Großverlag Fayard erschien, wurden am Wochenende davor durch das linksnationalistische Wochenmagazin Marianne publiziert. In den Auszügen geht es um Rechnungen über größere Summen in Höhe von gut 800.000 Euro, deren Begleichung im Laufe des Jahres 2007 von den Behörden der Autokratenregimes in Gabuns Hauptstadt Libreville gefordert worden war. 

Urheber der Forderungen waren die beiden Beraterfirmen ‚International Medical Alliance’ (Imeda) und ‚Africa Steps’. Im Auftrag beider Gesellschaften war Bernard Kouchner von 2003 bis 2007, während seiner „Durststrecke“ in der Opposition - als er nicht mehr sozialdemokratischer Minister wie unter François Mitterrand und später Lionel Jospin, und noch nicht „Minister der Öffnung“ unter dem rechten Präsidenten Nicolas Sarkozy war - tätig gewesen. Oder jedenfalls hatte er ein stattliches Salär erhalten: 6.000 Euro monatlich während dreier Jahre. Denn ob er im Gegenzug wirklich auch dafür tätig war, gehört momentan zu den strittigen und offenen Fragen.  

Ausmachen lassen sich bislang ein schreibmaschinengetippter „Untersuchungsbericht“ von 107 Seiten vom Februar 2004 und ein 24seitiger vom August desselben Jahres. Hinzu kommt noch ein Brief an den gabunischen Vize-Premierminister, den Kouchner im August 2006 verfasste. Das ist bislang alles, was sich als „Gegenleistung“ für die mehrjährigen großzügigen Zahlungen ausmachen lässt. Die Dokumente enthielten Tipps für den „Aufbau eines Gesundheitssystems“, und eventuell einer Krankenversicherung, in Gabun. Trotz eines - jedenfalls bis vor wenigen Jahren unerschöpflich erscheinenden - Ölreichtums, der den nur anderthalb Millionen Einwohnern des Landes eigentlich ein Leben wie im Schlaraffenland erlauben sollte, befindet dessen Gesundheits- oder Bildungssystem sich in einem miserablen Zustand. 

Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass das in hohem Maße von Frankreich abhängige Regime die Ölmilliarden mittels einer zum System gewordenen Korruption abschöpft und außerhalb des eigenen Landes investiert. Etwa in Paris, wo Omar Bongo allein 33 Villen besitzt. An der strukturellen Korruption, am Abschöpfen der Petrodollars hat offenkundig auch Bernard Kouchner partizipiert. Denn die „Gegenleistung“ für die 1,25 Millionen Euro, die die beiden Beraterfirmen kassierten - davon 350.000 für den vormaligen und späteren Minister -, fiel offenkundig höchst mager aus. Kritiker/innen sprechen davon, dass die von Kouchner unterzeichneten Berichte auch von einem Studenten hätten verfasst werden können. Ein längerer Hintergrundbericht in ‚Libération’ sprach vergangene Woche sogar von einer „nicht existenten Tätigkeit“ seitens von Kouchner. 

Dass Bernard Kouchner die fraglichen Gelder kassiert hatte, bestreitet er selbst nicht einmal. Im französischen Parlament und in Interviews setzte Kouchner den jüngsten Enthüllungen lediglich entgegen, er habe „keine Gesetze gebrochen“. Der Buchautor Pierre Péan antwortete seinerseits darauf, er habe Kouchner auch überhaupt nicht vorgeworfen, illegal gehandelt zu haben - sondern lediglich „eine andere, weniger im Licht der Öffentlichkeit stehende Seite seiner Persönlichkeit beleuchten“ wollen. Insofern dürfen die Fakten als unstreitig gelten.  

Dass sie aber publik wurden, hängt mit einem Versuch des Autokraten Omar Bongo zusammen, Druck auf die französische politische Klasse auszuüben. Bereits im März 2008 war der damalige französische „Kooperationsminister“ - der Inhaber dieses Titels ist für die postkolonialen Beziehungen zu Afrika zuständig - Jean-Marie Bockel auf Druck des gabunischen Präsidenten hin ins unbedeutende Staatssekretariat für Veteranenversorgung umversetzt worden. Bockel war ins Visier von Präsident Omar Bongo und seiner Amtskollegen in Kamerun und Kongo-Brazzaville geraten, weil er ihre notorisch korrupten Regimes als „historisch überholt“ dargestellt hatte. Derzeit zürnen Omar Bongo und seine beiden Präsidentenkollegen, weil auf Antrag der ONG Transparency International hin ein Strafverfahren in Frankreich gegen sie läuft. Es geht um ihre aufgeblähten Privatvermögen auf französischem Boden, die „aus gestohlenem Volksvermögen“ stammten.

Pierre Péan seinerseits hat aus anderen Gründen seine Messer gegen den, für seine Eitelkeiten berüchtigten, französischen Minister gewetzt. Péan ist ein bekannter Enthüllungsautor, der u.a. den Skandal um die Diamentengeschenke des größenwahnsinnigen zentralafrikanischen „Kaisers“ Jean-Bédel Bokassa an Frankreichs Staatschef Valéry Giscard d’Estaing im Jahr 1979 lostrat. Aber Péan ist auch ein glühender Nationalist: Der aus einfachen Verhältnissen stammende Schriftsteller, der immer wieder den Machenschaften einzelner herrschender Persönlichkeiten auf die Schliche zu kommen versucht, wirft ihnen auch gerne vor, dass sie „ihr Land nicht lieben“.  

Zu den ideologischen Schlachten, die Pierre Péan in den letzten Jahren lieferte, gehört sein gerade fanatisches Eintreten gegen jedes Schuldbekenntnis gegenüber Frankreichs Mitverantwortung für den Genozid in Rwanda 1994. Das Regime des Landes, das damals noch zur französischen Einflusszone in Afrika zählte, war durch Paris bis zum Ende des Völkermords militärisch unterstützt worden war. Péan aber behauptet, diese Vorwürfe seien falsch. Schuld am Völkermord seien nicht die Extremisten der rassistischen „Hutu Power“-Bewegung gewesen, sondern das Vorrücken und die politischen Attentate der vorwiegend durch die Tutsi-Minderheit getragenen Guerillabewegung - und heutigen Regierungspartei - der RPF (Ruandische Patriotische Front). Dass die überwiegende Mehrheit der Opfer des Genozids Tutsi sind, stört Péan dabei nicht: Der Völkermord sei eben eine spontane Reaktion der Massen auf das Agieren der Tutso-Opposition gewesen. Ferner behauptete Péan 2006 in einem Buch ‚Noire fureur, blancs menteurs’ (Schwarzer Furor, weiße Lügner), es gebe bei den Tutsi traditionell eine „Kultur der Lüge“. Kurz, nicht alles, was die Opfer erzählten, stimme auch.

Bei diesem politisch-ideologischen Kampf wird Péan durch kein Organ so stark unterstützt wie durch das Wochenmagazin ‚Marianne’. Hingegen findet er Bernard Kouchner als Hindernis auf seinem Weg vor. Denn der jetzige Außenminister war einerseits 1994 als Mitarbeiter einer humanitären Organisation zeitweise in Rwanda tätig - und weiß nur gar zu gut, was dort wirklich ablief. Andererseits ist auch Kouchners Vorgesetzter, Präsident Nicolas Sarkozy, stärker als seine Vorgänger an einem Ausgleich mit Rwandas aktuellem Regime interessiert. Es geht ihm dabei darum, eine Zeitbombe zu entschärfen, die Frankreichs Einfluss in Afrika bedroht: Durch eine politische Annäherung sollen die Vorwürfe an die französische Politik, an einem Völkermord mitgewirkt zu haben, vom Tisch gebracht werden. Trotz des Abbruchs aller politischen Beziehungen zwischen Paris und Kigali traf Sarkozy seinen rwandischen Amtskollegen Paul Kagamé bereits zwei mal. 

Und hier schließt sich der Kreis: Aus diesem Grund - vornehmlich - hat Péan das Buch über Kouchner verfasst, und deshalb auch hat ‚Marianne’ am 31. Januar o9 den Vorabdruck einiger Seiten getätigt. Dabei hat das Wochenmagazin nur Passagen von zwanzig der insgesamt 300 Buchseiten zitiert und die gesamte Dimension, die Rwanda betrifft, ausgespart. In Pierre Péans Buch aber ist der Aspekt absolut zentral. Allein drei der wichtigsten Kapitel sind Vorwürfen an Kouchner, Nestbeschmutzung zu betreiben und sich einem (in seinen Augen) ebenso US-hörigen wie terroristischen Regime in Kigali anzudienen, gewidmet.  

Dabei bedient Péan sich auch einer Begleitmusik, die ausgesprochen bedenklich ist. Denn die angebliche mangelnde Loyalität Kouchners zu den Interessen des französischen Nationalstaats wird von Péan damit erklärt, der Minister habe eine „kosmopolitische“ Weltsicht. Dieser Begriff wird von ihm so interpretiert, dass einer politischen Auffassung anhänge, die auf die Existenz von Nationalstaaten keine Rücksichten nehme - die Politik der US-Administration, die von Kouchner befürworteten „präventiven Kriege“ und Militäreinsätze „für die Menschenrechte“ sowie die Warlordisierung in vielen Ländern seien ineinander greifende Phänomene.  

Der Begriff „kosmopolitisch“ als politischer Vorwurf stößt dabei in vielen Medien auf Bedenken. Zwar wird er im französischen Sprachgebrauch mitunter auch positiv verwendet, etwa in dem Satz, Marseille sei eine Metropole mit kosmopolitischem Flair. Aber jedenfalls in den implizit antisemitischen Kampagnen unter stalinistischen oder poststalinistischen Regimes - in der UdSSR Anfang der 50er Jahre und im realsozialistischen Polen 1968 - tauchte der Begriff „Kosmopolitismus“, mit dem Adjektiv „wurzellos“ versehen, als Kampfbegriff auf. 

Péan erinnert in seinem Buch auch früh, auf Seite 29, an Kouchners jüdische Herkunft. Den Begriff „kosmopolitisch“ benutzt er freilich nicht direkt antisemitisch, vielmehr bezieht er ihn auf eine politische Weltsicht. Auch ist er kein Anhänger eines völkischen Nationsbegriffs, sondern er tritt für eine Staatsbürgernation - mit einem souverän handelnden, starken Staat - ein. Seine Anspielung auf die jüdische Herkunft des Ministers ist keinem Antisemitismus als eliminatorischer „Rassen“ideologie geschuldet, sondern einem autoritären Nationsverständnis: Er wirft der jüdischen und protestantischen Ethik als aus seiner Sicht „messianisch begründeten“ Philosophien vor, eine von politischer Nation und Staat losgelöste Weltsicht zu befördern. So greift er in ‚Noire fureur, blancs menteurs’ vor allem humanitäre und politische Aktivisten an, die entweder jüdischer oder protestantischer Abstammung sind. 

Péans Wortwahl hat heftige Reaktionen hervorgerufen, bei denen auch mit - manchmal überzogenen - Antisemitismusvorwürfen nicht gespart wird. Das Magazin Marianne, das zwar nahe der politischen „Mitte“ angesiedelt ist, sich aber gern „non-konformistisch“ gibt, schlägt nun wiederum Alarm: Péan und man selbst werde zum Opfer eines „ideologischen Terrorismus“.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.