8. März 2009
Internationaler
FrauenMädchenLesben Kampftag

03/09

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Interview zum Thema Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM/excision)

Linda WEIL-CURIEL, Anwältin in Paris seit 1973,
ist zugleich eine der wesentlichen Leiterinnen der ‚Commission pour l’abolition des mutilations sexuelles’ (CAMS, Kommission für die Abschaffung der sexuellen Verstümmelungen).

von Bernard Schmid

Am 6. Februar fand der internationale Tag gegen Genitalverstümmelung statt. Aus diesem Anlass erschien, am o5. Februar o9, eine (leicht überarbeitete) Kurzfassung des unten stehenden Interviews in der Berliner Wochenzeitung ‚Jungle World’.

Maître WEIL-CURIEL kämpft gegen die Praxis der Genitalverstümmelung oder „Frauenbeschneidung“. Diese ist unter anderem in 27 afrikanischen Staaten (in westafrikanischen Ländern wie u.a. Mali, Senegal, Gambia, Guinea, sowie in Ägypten und Ostafrika, insbesondere Somalia), aber auch in den kurdischen Gebieten im Irak, Teilen Indiens oder Indonesiens sowie bei einzelnen Urbevölkerungen in Kolumbien/Zentralamerika praktiziert wird. Dieser Brauch wurde erstmals vor rund 2.700 Jahren im pharaonischen Ägypten praktiziert. Entgegen anderslautenden Gerüchten hat diese Praxis nichts mit „dem Islam“ zu tun - sondern war zur Zeit der Entstehung der muslimischen Religion bereits uralt -, und sie wird etwa von der christlich-koptischen Bevölkerung in Ägypten dort ebenso praktiziert wie von Moslems. Allerdings ist im Aberglauben örtlicher Bevölkerungsteile (dem zufolge die Genitalverstümmelung der Frauen ihrer „Sauberkeit“ dient) die irrige Vorstellung, dass es sich dabei angeblich um eine moslemische Glaubensvorschrift handele, ebenfalls weit verbreitet.

Bei dieser Praxis, auch als ‚Exzision’ (französisch excision) bezeichnet, werden die Klitoris und in manchen Ländern auch die Schamlippen operativ entfernt. In früheren Zeiten war sie auch in migrantischen Bevölkerungen in Frankreich anzutreffen, wo sie jedoch stark rückläufig ist. Mitte Januar wurde jedoch das Auftauchen eines neuen Falles, in einer Einwandererfamilie aus Guinea, durch den Fernsehsender LCI signalisiert.

Die 1982 gegründete CAMS ist auf dem Gebiete der Prävention tätig, aber auch der Strafverfolgung. Als gesetzlich anerkannte Vereinigung kann sie als Nebenklägerin in Verfahren wegen sexueller Verstümmelung von Mädchen und Frauen, die an ihnen zumeist im Kindesalter vorgenommen wurde, auftreten. Dabei vertritt Linda Weil-Curiel sie regelmäig als Anwältin.

Weil-Curiel hat auch ein Buch zusammen mit der früheren Mädchenbeschneiderin Hawa Gréou, die 1999 in Paris zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist und ihre Tätigkeit niedergelegt hat, verfasst. Es erschien 2007 unter dem Titel ‚L’exciseuse’ (Die Beschneiderin) bei City Editions.

Die engagierte Anwältin hat sich auch noch auf anderen Gebieten, juristisch und durch Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere für die fundamentalen Rechte von Frauen und Kindern engagiert. So war sie in den achtziger Jahren führend an der Vereinigung ‚Mères d’Alger’ (Mütter von Algier) beteiligt, die 1984 gegründet wurde. Da damals noch kein juristisches Abkommen zu diesem Thema zwischen den beiden Ländern existierte, blieben Mütter von Kindern aus französisch-algerischen Ehen, die durch ihre Väter in Algerien festgehalten wurden, ohne rechtlichen Schutz und Beistand. Besonders dank des unermüdlichen Engagements der Vereinigung und einer intensiven Öffentlichkeitskampagne konnte 1988 der Abschluss eines bilateralen Abkommens erreicht werden. Dieses gewährt seitdem dem im anderen Land lebenden Elternteil ein Besuchsrecht und garantiert, dass bei der Wohnortwahl und in anderen Fragen das Kindeswohl an die oberste Stelle zu setzen sei. Ferner ist Weil-Curiel führend am ‚Comité Atlanta’ beteiligt, das sich für Sanktionen gegen Staaten, die Frauen nicht gleichberechtigt neben Männern an den Olympischen Spielen teilnehmen lassen, ausspricht. Es konnte unter anderem die Islamische Republik Iran zum (teilweisen) Einlenken in dieser Frage zwingen.


FRAGE : Wann und wie fing Ihr Kampf gegen die weibliche Genitalienverstümmelung an?

ANTWORT (LWC): Das war 1982. Im Juli jenes Jahres war in Bobigny (Anm.: Bezirkshauptstadt bei Paris) ein Baby namens Bobo Traoré verblutet. Das Mädchen war zuvor, auf „unprofessionelle“ Weise, beschnitten worden und viel Blut verloren; es konnte im Krankenhaus nicht mehr gerettet werden. Die Nachricht darüber rief in breiten Teilen der Gesellschaft eine starke Emotion hervor. Im Oktober desselben Jahres entnahm ich der französischen Presse, dass die Richter unentschlossen waren und ratlos schienen, wie mit dieser Art von Affären umzugehen sei. Die damalige Ministerin François Mitterrands für Frauenrechte, Yvette Rudy, richtete zur selben Zeit eine Arbeitsgruppe ein. Diese hatte zwei Aufgaben: zum einen, Prävention und Aufklärungsarbeit gegen diese Praxis zu betreiben. Zum anderen sollte über die Frage diskutieren werden, ob ein neues, besonderes Gesetz zur Bekämpfung dieser Praxis notwendig sei.

FRAGE: Was war denn das juristische Problem? Und warum wirkten die französischen Gerichte zunächst relativ ratlos?

LWC: Ich vertrat die Auffassung, dass kein besonderes Gesetz vonnöten sei. Im Gegenteil, die Verabschiedung eines „Sondergesetzes“ hätte das Risiko geborgen, mit dem Zeigerfinger auf eingewanderte Bevölkerungsgruppen zu zeigen. Für mich war klar: Das bestehende Strafgesetzbuch genügt, und es ist kein Unterschied aufgrund der Herkunft der Tatbeteiligten vorzunehmen. Die Genitalverstümmelung erfüllt den Tatbestand der schweren Körperverletzung, die dadurch definiert wird, dass die Körperverletzung zum Verlust eines Körperglieds führt. Zur damaligen Zeit führte ein Wörterbuch der französischen Sprache, der Dictionnaire Robert, unter dem Stichwort ‚Verstümmelung’ (mutilation) als Beispielsfall zur Illustration des Begriffs just die Klitorisbeschneidung an.

Dabei half mir ein Richter am Obesten Gerichtshof sehr: Er wies mich darauf hin, dass kurz zuvor, in einer ganz anderen Affäre, die Verstümmelung der weiblichen Sexualorgane an einem Kleinkind als schwere Körperverletzung anerkannt worden war. Es ging dabei um eine Frau aus der Bretagne, die in geistiger Umnachtung ihrem Kind einen solchen Schaden zugefügt hatte. Vor diesem Hintergrund gelang es mir, entgegen aller Widerstände etwa der Staatsanwaltschaften, die Anerkennung dieser Qualifikation als schwere Körperverletzung durchzusetzen.

FRAGE: Warum gab es solche Schwierigkeiten? Wie reagierte denn das Justizsystem darauf?

LWC: Von Anfang an kämpfte ich dafür, dass die Affären von Genitalverstümmelung vor ein Geschworenengericht kommen, also als Verbrechen behandelt werden und nicht nur als ein Vergehen – welches vor einem normalen Strafgericht landet. Auf dem Spiel stand dabei die Öffentlichkeitswirkung der Prozesse: Wird die Genitalverstümmelung als Verbrechen eingestuft – indem sie als schwere Körperverletzung behandelt wird – und vor Geschworenen verhandelt, dann hat das eine starke öffentliche Signalwirkung. Vor dem normalen Strafrichter dagegen wird eine solche Affäre als eine unter vielen Strafsachen zwischendurch behandelt, zwischen einem Schwarzfahrer und einem „illegalen“ Einwanderer. Aber es gab am Anfang starke Widerstände gegen diese Herangehensweise.

FRAGE: Woher rührten diese Widerstände?

LWC: Zu Anfang der achtziger Jahre erwiderte mir ein Staatsanwalt etwa: ‚Maître, sie wollen mit Kanonen auf Spatzen schieen!’ Ein anderes Mal sagte man mir seitens der Staatsanwaltschaft: ‚Gut, OK, es hat eine Verletzung gegeben, aber sie ist ja längst verheilt.’ Als ob der Verlust der Sexualorgane nicht zu langfristigen, gravierenden psychischen Auswirkungen führen können. Bei manchen stand dahinter eine Haltung, die ungefähr besagte: ‚Wir, wir sind Weie. Und wir haben ihre Länder kolonisiert. Damals, als Frankreich Kolonialmacht in Afrika war, hat man keinerlei Anstrengungen unternommen, um diese Praxis der Genitalverstümmelung zu unterbinden. Und jetzt, wo diese Leute als Einwanderer hierher gekommen sind, soll man sie wie Kriminelle behandeln, wenn sie ihre Traditionen auch hier fortführen? Seien wir grozügig, akzeptieren wir ihre Traditionen.“

FRAGE: Nach dem Motto, so lange die das nur unter sich machen...

LWC: Wir setzten dagegen: Die Opfer sind ja selbst kleine schwarze Mädchen. Und eine Schwarze ist genauso viel Wert, hat dieselben Rechte wie eine Weie. Wir können nicht auf dem Rücken dieser kleinen Mädchen, die man nicht um ihren Rat gefragt hat, „tolerant“ sein... Die Gründerin der CAMS im Jahr 1982 und eine der ersten Aktivistinnen gegen Genitalverstümmelung war im übrigen eine afrikanische Aktivistin, Awa Thiam. Sie hatte 1978 ein Buch unter dem provokanten Titel ‚La parole aux négresses’ (Die Negerinnen haben das Wort) verfasst. Darin ging sie auch hart mit der Stellung der Frau – dem Patriarchat, wie es in einer bestimmten Epoche oft hie -, und mit allen Formen von Gewalt gegen Frauen ins Gericht.

FRAGE: Steckt hinter der anfänglichen Abwehrhaltung gegen ihren Kampf - unter anderem in Justizkreisen - also eine Art schlechtes Gewissen des weien Mannes, eine Art falsch verstandener Antikolonialismus?

LWC: Es gab noch ein anderes Element. Als Frauenministerin Yvette Rudy die Ergebnisse unserer Kommission (s.o.) zusammenfassen wollte, da standen mehrere Punkte auf dem Programm: die Finanzierung der Initiativen, die Präventionsarbeit leisten; die Ausbildung von „interkulturellen Vermittlerinnen“, die an die afrikanischen Familien herankommen und dort Aufklärungsarbeit leisten; und die Abhaltung einer groen, verschiedene Ministerien übergreifenden Konferenz gegen Genitalverstümmelung Anfang 1984. Letztere Regierungskonferenz kam dann aber nicht zustande, sie wurde in letzter Minute gestoppt. Damals hie es von politischer Seite: Seid Ihr verrückt? Präsident François Mitterrand wird in Kürze alle afrikanischen Regierungschefs (Anm.: aus der französischen Einflusszone) zu einem gemeinsamen Gipfels Frankreich mit diesen Staaten versammeln. Wollt Ihr unsere Beziehungen zu diesen Regimes beeinträchtigen?

FRAGE: Also, wenn man so möchte, eher eine neokoloniale denn eine antikoloniale Argumentation Motivation?

LWC: So würde ich das nicht ausdrücken. Es war eine Form von politischem Pragmatismus: In diesem Moment werdet Ihr doch nicht ein so kontroverses Thema anschneiden, und eine Polemik vom Zaun brechen, das ist nicht der Zeitpunkt...!

FRAGE: Gab es denn Unterschiede in den Reaktionen auf der politischen Linken und der Rechten?

LWC: Auf der Rechten schien man sich generell weniger für dieses Thema zu interessieren oder dazu zu äuern. Es wurde dort, wenn es angeschnitten wurde, eher unter dem Obertitel ,Die Ausländer haben sich hier an unsere französischen Gesetze zu halten’ behandelt. Auf der Linken gab es dagegen gegensätzliche Grundpositionen. Das reichte von „Wir sollten doch ihre Traditionen respektieren“ bis hin zu Positionen ähnlich der unseren. Es hing stark an den Einzelpersonen.

FRAGE: Bisher sprachen wir überwiegend von der strafrechtlichen Ahndung solcher Praktiken. Aber wie steht es um die Prävention? Und hat sie irgendwelche Auswirkungen?

LWC: Beide sind absolut notwendig. Schon seit 1983 arbeite ich eng mit der Ärztin Emmanuelle Piet zusammen, die damals beim medizinischen Mutter-Kind-Schutz in der nördlichen Pariser Trabantenstadtzone ihre Tätigkeit aufnahm. Das medizinische Personal nimmt seitdem systematische Untersuchungen vor, um einer Fortsetzung dieser Praxis auf die Spur zu kommen und die Eltern davon abzuhalten. Aber glauben Sie mir, die Prozesse haben ihrerseits eine starke präventive Wirkung! Wir sprachen vorher vom Tod der kleinen Bobo Traoré, im Juli 1982. Dieses Mädchen starb auch, weil sie zu spät ins Krankenhaus gebracht wurde: Am 11. Juli wurde sie – „unsachgemä“ – beschnitten, aber erst am 13. Juli mit starkem Blutverlust in eine Klinik gebracht. Bei der polizeilichen Vernehmung erklärte der Vater, er habe zunächst Angst vor Strafverfolgung gehabt, denn er wisse, dass diese Praxis in Frankreich verboten sei.

FRAGE: Was schlussfolgern Sie daraus?

LWC: Woher kam das Wissen um dieses Verbot bei diesem Mann, einem Lagerarbeiter im Pariser Vorort Charenton, der vielleicht nicht lesen und schreiben konnte? Bei meinen Recherchen stie ich dann auf die Spuren einer ersten Verurteilung: In einer Doktorarbeit über Gerichtsmedizin tauchte ein Urteil gegen eine Beschneiderin auf, die den Tod eines Mädchens senegalesischer Eltern verursacht hatte. Im Dezember 1979 war sie zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden. Mir wurde dieses Urteil erst Jahre später bekannt. Aber in den afrikanischstämmigen Communities hatte es sich sofort, von Mund zu Mund, herumgesprochen! Allerdings war das Verhängen einer Bewährungsstrafe das falsche Signal gewesen: Ich war der Auffassung, dass vor allem in den ersten Prozessen zu diesem Thema einige Strafen ohne Bewährung verhängt werden müssten. Denn andernfalls kam bei den Leuten die Botschaft an: Es ist in Frankreich zwar verboten, aber so schlimm ist es auch wieder nicht - die Leute kommen frei aus dem Gerichtssaal heraus. Irgendwo akzeptiert man unsere Tradition also doch. Man darf die Leute nicht für dumm halten oder wie Kinder behandeln! Sie verfolgen die Entwicklung, sind oft gut auf dem laufenden, und bilden sich ihre Strategien...

Frage: Wenn dem so ist, warum wird die Beschneidungspraxis dann in manchen Familien fortgesetzt?

LWC: Bei einer öffentlichen Diskussion, wo ich zum Thema sprach, kamen einmal zwei junge Männer auf mich zu. Sie erklärten mir, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen: „Wir hören, was Sie sagen. Aber sehen sie mal: Eine Frau zu befriedigen, ist schon schwer. Wenn man aber zwei hat, ist es unmöglich, wenn die Frauen nicht durch die Beschneidung ruhiggestellt werden“, wenn also ihr Sexualtrieb nicht gezügelt wird. Diese Einstellung hängt mit der Gesellschaftsstruktur zusammen, aus der diese Praktiken stammen: Es handelt sich um Gesellschaften, wo den Männern die Polygamie erlaubt ist. Die agrarisch geprägt sind, wo möglichst viele Hände in der Landwirtschaft mithelfen müssen, und wo gleichzeitig – historisch jedenfalls - eine sehr hohe Kindersterblichkeit herrscht. Also müssen möglichst viele Kinder gezeugt werden, und das ist die Aufgabe der Frauen. Diese dürfen nicht mit einem eigenen Triebleben diese Funktionsweise stören, sonst wei der Mann am Ende nicht mehr, ob es die eigenen Kinder sind, die er ernährt...

FRAGE: Aber warum spielen die Frauen denn dabei mit?

LWC: Wie so oft, wenn sie zum Nachteil des eigenen Geschlechts handeln: Sie versprechen sich Schutz, wenn sie sich in ihre Rolle einfügen und sich so verhalten, wie man es sich erwartet...

FRAGE: Aber ist mit Prävention und Aufklärung dann etwas daran zu rütteln? Und trägt diese ihre Früchte?

LWC: Ja. Und in den afrikanischen Ländern selbst eher noch viel schneller als hierzulande. Denn hier klammern sich einige Einwanderer besonders stark an ihre „Traditionen“, weil sie Angst haben, sonst – im „Exil“ – ihre Kultur aufzugeben und etwas zu „verraten“. Aber wenn man in der Bekämpfung der Beschneidungspraxis nachlässt, dann verrät man gerade auch die zahlreichen afrikanischen Aktivistinnen, die sich unermüdlich und mutig gegen ihre Fortführung einsetzen, die in die Familien gehen und dort diskutieren... Die Praxis ist in Frankreich rückläufig, wir hatten in den letzten Jahren keine Todesfälle mehr zu verzeichnen. Allerdings wurde jüngst – Mitte Januar dieses Jahres - aus der französischen Provinzstadt Nevers ein „Beschneidungsversuch“, an der Tochter eines aus Guinea stammenden Ehepaars, vermeldet. Von wegen „Versuch“, es handelt sich um eine vorgenommene Beschneidung, das Kind musste mir Blutverlust ins Krankenhaus eingeliefert werden... Eine strafrechtliche Ermittlung dazu läuft.

Dass die Prävention Früchte trägt, haben auch die Prozesse selbst gezeigt. Nehmen wir den Fall von Hawa Gréou, die 1999 zu acht Jahren Haft verurteilt wurde – die Staatsanwaltschaft hatte „nur“ sieben Jahre gefordert -, weil sie in zahlreichen Fällen Mädchenbeschneidungen vorgenommen hatte. Hawa Gréou war von ihrem Ehemann, der sie mit 15 Jahren in einer arrangierten Ehe geheiratet hatte und damals schon im Raum Paris arbeitete, nach Frankreich geholt worden. Dieser holte sich später noch an eine andere Ehefrau, mit der er acht Kinder hatte. Ihre Töchter waren aber alle nicht beschnitten, wie die Untersuchung ergab. Wahrscheinlich hatte diese Frau selbst so entschieden, und ihr Mann mischte sich nicht näher in diese „weibliche Angelegenheit“ – die normalerweise unter Frauen geregelt wird - ein. In der Familie von Hawa Gréou ist diese Praxis selbst stark zurückgegangen. Möglicherweise auch, weil eine Nichte von ihr schon zu einem früheren Zeitpunkt als Beschneiderin verurteilt worden ist.

FRAGE: Sie haben Gespräche mit Hawa Gréou vor gut einem Jahr als Buch veröffentlicht, und stehen in Kontakt mit ihr. Sind sie überzeugt davon, dass diese Frau von ihrer Praxis abgekommen ist?

WLC: Ich habe mir dieselbe Frage gestellt, nachdem sie aus dem Gefängnis kam. Aber ich habe den festen Eindruck, dass ja. Zufällig konnte ich ein Gespräch, das Frau Gréou mit einer dritten Person in ihrer Muttersprache Soninké führte, mithören und mir übersetzen lassen- und ich kam wirklich zu dem Schluss, dass sie ehrlich davon überzeugt zu sein scheint, nunmehr von einem falschen Weg ab- und auf einen besseren Weg gekommen zu sein.

Hawa Gréou wollte ja nicht unbedingt berufliche Beschneiderin werden. Sie wurde in eine „Kaste“ hinein geboren, jene der Schmiede, deren weibliche Angehörige in der traditionellen Gesellschaft in Mali für die Beschneidungen zuständig sind – aber auch noch andere Funktionen wahrnehmen. Das Wissen wurde von ihrer Gromutter an sie als ausgewählte Nachfolgerin weitergegeben. Anfänglich hat sie diese Tätigkeit nur mit Widerwillen verrichtet. Zudem ist Hawa Gréou zum „Opfer“ einer arrangierten Heirat, einer Zwangsehe geworden. Ihr Mann und ihre in Frankreich lebende Familie misshandeln sie heute, da sie „nichts mehr wert“ sei: Früher trug sie reichlich Geld nach Hause, damit ist es nun vorbei, sie „kostet“ aus ihrer Sicht nur noch. Der Mann möchte sie nach Mali zurückschicken. Aber sie sagte zu mir: „Lass mich nicht nach Afrika gehen. Dort muss ich, aufgrund meiner sozialen Funktion, wieder Beschneidungen vornehmen.“

FRAGE: Das Problem geht also nicht nur von den Beschneiderinnen aus...

LWC: Es werden ja auch gesellschaftliche Erwartungen an diese Frauen herangetragen. Deshalb war ich auch immer dafür, Strafverfolgungen nicht nur gegen die Beschneiderinnen einzuleiten, sondern gegen die Eltern: Diese suchen die ‚exciseuse’ ja auf. Letztere kommt nicht zu ihnen, um ihnen die Babys aus dem Arm zu reien. Strafverfolgung und Aufklärungsarbeit müssen also an (bei/in) den Familien ansetzen.

FRAGE: Ihre Präventionstätigkeit setzen Sie also auch in Zukunft fort?

LWC: Absolut. An diesem Freitag (o6. Februar) organisieren wir eine öffentliche Veranstaltung im Pariser Kulturkaufhaus FNAC gegen die weibliche Genitalverstümmelung. Dort tritt unter anderem auch der engagierte afrikanische Sänger Bafing Kul auf. Nicht nur mit seiner Musik und seiner Band – er bringt auch einen Film mit, den er in Malis Hauptstadt Bamako zur Aufklärung gegen die Genitalverstümmelung gedreht hat. Und der Mediziner Dr. Pierre Foldès wird von den Möglichkeiten, bei betroffenen Frauen durch Operationen die zerstörten Sexualorgane wieder herzustellen, sprechen.
 

Quelle: Bernard Schmid