Interview
zum Thema Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM/excision)
Linda WEIL-CURIEL,
Anwältin in Paris seit 1973,
ist zugleich eine der wesentlichen Leiterinnen der ‚Commission
pour l’abolition des mutilations sexuelles’ (CAMS, Kommission
für die Abschaffung der sexuellen Verstümmelungen).
von Bernard Schmid
Am 6. Februar fand der
internationale Tag gegen Genitalverstümmelung statt. Aus diesem
Anlass erschien, am o5. Februar o9, eine (leicht überarbeitete)
Kurzfassung des unten stehenden Interviews in der Berliner
Wochenzeitung ‚Jungle World’.
Maître WEIL-CURIEL kämpft gegen die Praxis der
Genitalverstümmelung oder „Frauenbeschneidung“. Diese ist unter
anderem in 27 afrikanischen Staaten (in westafrikanischen
Ländern wie u.a. Mali, Senegal, Gambia, Guinea, sowie in Ägypten
und Ostafrika, insbesondere Somalia), aber auch in den
kurdischen Gebieten im Irak, Teilen Indiens oder Indonesiens
sowie bei einzelnen Urbevölkerungen in Kolumbien/Zentralamerika
praktiziert wird. Dieser Brauch wurde erstmals vor rund 2.700
Jahren im pharaonischen Ägypten praktiziert. Entgegen
anderslautenden Gerüchten hat diese Praxis nichts mit „dem
Islam“ zu tun - sondern war zur Zeit der Entstehung der
muslimischen Religion bereits uralt -, und sie wird etwa von der
christlich-koptischen Bevölkerung in Ägypten dort ebenso
praktiziert wie von Moslems. Allerdings ist im Aberglauben
örtlicher Bevölkerungsteile (dem zufolge die
Genitalverstümmelung der Frauen ihrer „Sauberkeit“ dient) die
irrige Vorstellung, dass es sich dabei angeblich um eine
moslemische Glaubensvorschrift handele, ebenfalls weit
verbreitet.
Bei dieser Praxis, auch als ‚Exzision’ (französisch excision)
bezeichnet, werden die Klitoris und in manchen Ländern auch die
Schamlippen operativ entfernt. In früheren Zeiten war sie auch
in migrantischen Bevölkerungen in Frankreich anzutreffen, wo sie
jedoch stark rückläufig ist. Mitte Januar wurde jedoch das
Auftauchen eines neuen Falles, in einer Einwandererfamilie aus
Guinea, durch den Fernsehsender LCI signalisiert.
Die 1982 gegründete CAMS ist auf dem Gebiete der Prävention
tätig, aber auch der Strafverfolgung. Als gesetzlich anerkannte
Vereinigung kann sie als Nebenklägerin in Verfahren wegen
sexueller Verstümmelung von Mädchen und Frauen, die an ihnen
zumeist im Kindesalter vorgenommen wurde, auftreten. Dabei
vertritt Linda Weil-Curiel sie regelmäig als Anwältin.
Weil-Curiel hat auch ein Buch zusammen mit der früheren
Mädchenbeschneiderin Hawa Gréou, die 1999 in Paris zu einer
mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist und ihre Tätigkeit
niedergelegt hat, verfasst. Es erschien 2007 unter dem Titel ‚L’exciseuse’
(Die Beschneiderin) bei City Editions.
Die engagierte Anwältin hat sich auch noch auf anderen Gebieten,
juristisch und durch Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere für die
fundamentalen Rechte von Frauen und Kindern engagiert. So war
sie in den achtziger Jahren führend an der Vereinigung ‚Mères
d’Alger’ (Mütter von Algier) beteiligt, die 1984 gegründet
wurde. Da damals noch kein juristisches Abkommen zu diesem Thema
zwischen den beiden Ländern existierte, blieben Mütter von
Kindern aus französisch-algerischen Ehen, die durch ihre Väter
in Algerien festgehalten wurden, ohne rechtlichen Schutz und
Beistand. Besonders dank des unermüdlichen Engagements der
Vereinigung und einer intensiven Öffentlichkeitskampagne konnte
1988 der Abschluss eines bilateralen Abkommens erreicht werden.
Dieses gewährt seitdem dem im anderen Land lebenden Elternteil
ein Besuchsrecht und garantiert, dass bei der Wohnortwahl und in
anderen Fragen das Kindeswohl an die oberste Stelle zu setzen
sei. Ferner ist Weil-Curiel führend am ‚Comité Atlanta’
beteiligt, das sich für Sanktionen gegen Staaten, die Frauen
nicht gleichberechtigt neben Männern an den Olympischen Spielen
teilnehmen lassen, ausspricht. Es konnte unter anderem die
Islamische Republik Iran zum (teilweisen) Einlenken in dieser
Frage zwingen.
FRAGE : Wann und wie fing Ihr Kampf gegen die weibliche
Genitalienverstümmelung an?
ANTWORT (LWC): Das war 1982. Im Juli jenes Jahres war in
Bobigny (Anm.: Bezirkshauptstadt bei Paris) ein Baby namens Bobo
Traoré verblutet. Das Mädchen war zuvor, auf „unprofessionelle“
Weise, beschnitten worden und viel Blut verloren; es konnte im
Krankenhaus nicht mehr gerettet werden. Die Nachricht darüber
rief in breiten Teilen der Gesellschaft eine starke Emotion
hervor. Im Oktober desselben Jahres entnahm ich der
französischen Presse, dass die Richter unentschlossen waren und
ratlos schienen, wie mit dieser Art von Affären umzugehen sei.
Die damalige Ministerin François Mitterrands für Frauenrechte,
Yvette Rudy, richtete zur selben Zeit eine Arbeitsgruppe ein.
Diese hatte zwei Aufgaben: zum einen, Prävention und
Aufklärungsarbeit gegen diese Praxis zu betreiben. Zum anderen
sollte über die Frage diskutieren werden, ob ein neues,
besonderes Gesetz zur Bekämpfung dieser Praxis notwendig sei.
FRAGE: Was war denn das juristische Problem? Und warum
wirkten die französischen Gerichte zunächst relativ ratlos?
LWC: Ich vertrat die Auffassung, dass kein besonderes
Gesetz vonnöten sei. Im Gegenteil, die Verabschiedung eines
„Sondergesetzes“ hätte das Risiko geborgen, mit dem Zeigerfinger
auf eingewanderte Bevölkerungsgruppen zu zeigen. Für mich war
klar: Das bestehende Strafgesetzbuch genügt, und es ist kein
Unterschied aufgrund der Herkunft der Tatbeteiligten
vorzunehmen. Die Genitalverstümmelung erfüllt den Tatbestand der
schweren Körperverletzung, die dadurch definiert wird, dass die
Körperverletzung zum Verlust eines Körperglieds führt. Zur
damaligen Zeit führte ein Wörterbuch der französischen Sprache,
der Dictionnaire Robert, unter dem Stichwort ‚Verstümmelung’ (mutilation)
als Beispielsfall zur Illustration des Begriffs just die
Klitorisbeschneidung an.
Dabei half mir ein Richter am Obesten Gerichtshof sehr: Er wies
mich darauf hin, dass kurz zuvor, in einer ganz anderen Affäre,
die Verstümmelung der weiblichen Sexualorgane an einem Kleinkind
als schwere Körperverletzung anerkannt worden war. Es ging dabei
um eine Frau aus der Bretagne, die in geistiger Umnachtung ihrem
Kind einen solchen Schaden zugefügt hatte. Vor diesem
Hintergrund gelang es mir, entgegen aller Widerstände etwa der
Staatsanwaltschaften, die Anerkennung dieser Qualifikation als
schwere Körperverletzung durchzusetzen.
FRAGE: Warum gab es solche Schwierigkeiten? Wie reagierte
denn das Justizsystem darauf?
LWC: Von Anfang an kämpfte ich dafür, dass die Affären
von Genitalverstümmelung vor ein Geschworenengericht kommen,
also als Verbrechen behandelt werden und nicht nur als ein
Vergehen – welches vor einem normalen Strafgericht landet. Auf
dem Spiel stand dabei die Öffentlichkeitswirkung der Prozesse:
Wird die Genitalverstümmelung als Verbrechen eingestuft – indem
sie als schwere Körperverletzung behandelt wird – und vor
Geschworenen verhandelt, dann hat das eine starke öffentliche
Signalwirkung. Vor dem normalen Strafrichter dagegen wird eine
solche Affäre als eine unter vielen Strafsachen zwischendurch
behandelt, zwischen einem Schwarzfahrer und einem „illegalen“
Einwanderer. Aber es gab am Anfang starke Widerstände gegen
diese Herangehensweise.
FRAGE: Woher rührten diese Widerstände?
LWC: Zu Anfang der achtziger Jahre erwiderte mir ein
Staatsanwalt etwa: ‚Maître, sie wollen mit Kanonen auf Spatzen
schieen!’ Ein anderes Mal sagte man mir seitens der
Staatsanwaltschaft: ‚Gut, OK, es hat eine Verletzung gegeben,
aber sie ist ja längst verheilt.’ Als ob der Verlust der
Sexualorgane nicht zu langfristigen, gravierenden psychischen
Auswirkungen führen können. Bei manchen stand dahinter eine
Haltung, die ungefähr besagte: ‚Wir, wir sind Weie. Und wir
haben ihre Länder kolonisiert. Damals, als Frankreich
Kolonialmacht in Afrika war, hat man keinerlei Anstrengungen
unternommen, um diese Praxis der Genitalverstümmelung zu
unterbinden. Und jetzt, wo diese Leute als Einwanderer hierher
gekommen sind, soll man sie wie Kriminelle behandeln, wenn sie
ihre Traditionen auch hier fortführen? Seien wir grozügig,
akzeptieren wir ihre Traditionen.“
FRAGE: Nach dem Motto, so lange die das nur unter sich
machen...
LWC: Wir setzten dagegen: Die Opfer sind ja selbst kleine
schwarze Mädchen. Und eine Schwarze ist genauso viel Wert, hat
dieselben Rechte wie eine Weie. Wir können nicht auf dem Rücken
dieser kleinen Mädchen, die man nicht um ihren Rat gefragt hat,
„tolerant“ sein... Die Gründerin der CAMS im Jahr 1982 und eine
der ersten Aktivistinnen gegen Genitalverstümmelung war im
übrigen eine afrikanische Aktivistin, Awa Thiam. Sie hatte 1978
ein Buch unter dem provokanten Titel ‚La parole aux négresses’
(Die Negerinnen haben das Wort) verfasst. Darin ging sie auch
hart mit der Stellung der Frau – dem Patriarchat, wie es in
einer bestimmten Epoche oft hie -, und mit allen Formen von
Gewalt gegen Frauen ins Gericht.
FRAGE: Steckt hinter der anfänglichen Abwehrhaltung gegen
ihren Kampf - unter anderem in Justizkreisen - also eine Art
schlechtes Gewissen des weien Mannes, eine Art falsch
verstandener Antikolonialismus?
LWC: Es gab noch ein anderes Element. Als
Frauenministerin Yvette Rudy die Ergebnisse unserer Kommission (s.o.)
zusammenfassen wollte, da standen mehrere Punkte auf dem
Programm: die Finanzierung der Initiativen, die
Präventionsarbeit leisten; die Ausbildung von „interkulturellen
Vermittlerinnen“, die an die afrikanischen Familien herankommen
und dort Aufklärungsarbeit leisten; und die Abhaltung einer groen,
verschiedene Ministerien übergreifenden Konferenz gegen
Genitalverstümmelung Anfang 1984. Letztere Regierungskonferenz
kam dann aber nicht zustande, sie wurde in letzter Minute
gestoppt. Damals hie es von politischer Seite: Seid Ihr
verrückt? Präsident François Mitterrand wird in Kürze alle
afrikanischen Regierungschefs (Anm.: aus der französischen
Einflusszone) zu einem gemeinsamen Gipfels Frankreich mit diesen
Staaten versammeln. Wollt Ihr unsere Beziehungen zu diesen
Regimes beeinträchtigen?
FRAGE: Also, wenn man so möchte, eher eine neokoloniale
denn eine antikoloniale Argumentation Motivation?
LWC: So würde ich das nicht ausdrücken. Es war eine Form
von politischem Pragmatismus: In diesem Moment werdet Ihr doch
nicht ein so kontroverses Thema anschneiden, und eine Polemik
vom Zaun brechen, das ist nicht der Zeitpunkt...!
FRAGE: Gab es denn Unterschiede in den Reaktionen auf der
politischen Linken und der Rechten?
LWC: Auf der Rechten schien man sich generell weniger für
dieses Thema zu interessieren oder dazu zu äuern. Es wurde
dort, wenn es angeschnitten wurde, eher unter dem Obertitel ,Die
Ausländer haben sich hier an unsere französischen Gesetze zu
halten’ behandelt. Auf der Linken gab es dagegen gegensätzliche
Grundpositionen. Das reichte von „Wir sollten doch ihre
Traditionen respektieren“ bis hin zu Positionen ähnlich der
unseren. Es hing stark an den Einzelpersonen.
FRAGE: Bisher sprachen wir überwiegend von der
strafrechtlichen Ahndung solcher Praktiken. Aber wie steht es um
die Prävention? Und hat sie irgendwelche Auswirkungen?
LWC: Beide sind absolut notwendig. Schon seit 1983
arbeite ich eng mit der Ärztin Emmanuelle Piet zusammen, die
damals beim medizinischen Mutter-Kind-Schutz in der nördlichen
Pariser Trabantenstadtzone ihre Tätigkeit aufnahm. Das
medizinische Personal nimmt seitdem systematische Untersuchungen
vor, um einer Fortsetzung dieser Praxis auf die Spur zu kommen
und die Eltern davon abzuhalten. Aber glauben Sie mir, die
Prozesse haben ihrerseits eine starke präventive Wirkung! Wir
sprachen vorher vom Tod der kleinen Bobo Traoré, im Juli 1982.
Dieses Mädchen starb auch, weil sie zu spät ins Krankenhaus
gebracht wurde: Am 11. Juli wurde sie – „unsachgemä“ –
beschnitten, aber erst am 13. Juli mit starkem Blutverlust in
eine Klinik gebracht. Bei der polizeilichen Vernehmung erklärte
der Vater, er habe zunächst Angst vor Strafverfolgung gehabt,
denn er wisse, dass diese Praxis in Frankreich verboten sei.
FRAGE: Was schlussfolgern Sie daraus?
LWC: Woher kam das Wissen um dieses Verbot bei diesem
Mann, einem Lagerarbeiter im Pariser Vorort Charenton, der
vielleicht nicht lesen und schreiben konnte? Bei meinen
Recherchen stie ich dann auf die Spuren einer ersten
Verurteilung: In einer Doktorarbeit über Gerichtsmedizin tauchte
ein Urteil gegen eine Beschneiderin auf, die den Tod eines
Mädchens senegalesischer Eltern verursacht hatte. Im Dezember
1979 war sie zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden.
Mir wurde dieses Urteil erst Jahre später bekannt. Aber in den
afrikanischstämmigen Communities hatte es sich sofort, von Mund
zu Mund, herumgesprochen! Allerdings war das Verhängen einer
Bewährungsstrafe das falsche Signal gewesen: Ich war der
Auffassung, dass vor allem in den ersten Prozessen zu diesem
Thema einige Strafen ohne Bewährung verhängt werden müssten.
Denn andernfalls kam bei den Leuten die Botschaft an: Es ist in
Frankreich zwar verboten, aber so schlimm ist es auch wieder
nicht - die Leute kommen frei aus dem Gerichtssaal heraus.
Irgendwo akzeptiert man unsere Tradition also doch. Man darf die
Leute nicht für dumm halten oder wie Kinder behandeln! Sie
verfolgen die Entwicklung, sind oft gut auf dem laufenden, und
bilden sich ihre Strategien...
Frage:
Wenn dem so ist, warum wird die Beschneidungspraxis dann in
manchen Familien fortgesetzt?
LWC: Bei einer öffentlichen Diskussion, wo ich zum Thema
sprach, kamen einmal zwei junge Männer auf mich zu. Sie
erklärten mir, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen: „Wir
hören, was Sie sagen. Aber sehen sie mal: Eine Frau zu
befriedigen, ist schon schwer. Wenn man aber zwei hat, ist es
unmöglich, wenn die Frauen nicht durch die Beschneidung
ruhiggestellt werden“, wenn also ihr Sexualtrieb nicht gezügelt
wird. Diese Einstellung hängt mit der Gesellschaftsstruktur
zusammen, aus der diese Praktiken stammen: Es handelt sich um
Gesellschaften, wo den Männern die Polygamie erlaubt ist. Die
agrarisch geprägt sind, wo möglichst viele Hände in der
Landwirtschaft mithelfen müssen, und wo gleichzeitig –
historisch jedenfalls - eine sehr hohe Kindersterblichkeit
herrscht. Also müssen möglichst viele Kinder gezeugt werden, und
das ist die Aufgabe der Frauen. Diese dürfen nicht mit einem
eigenen Triebleben diese Funktionsweise stören, sonst wei der
Mann am Ende nicht mehr, ob es die eigenen Kinder sind, die er
ernährt...
FRAGE: Aber warum spielen die Frauen denn dabei mit?
LWC: Wie so oft, wenn sie zum Nachteil des eigenen
Geschlechts handeln: Sie versprechen sich Schutz, wenn sie sich
in ihre Rolle einfügen und sich so verhalten, wie man es sich
erwartet...
FRAGE: Aber ist mit Prävention und Aufklärung dann etwas
daran zu rütteln? Und trägt diese ihre Früchte?
LWC: Ja. Und in den afrikanischen Ländern selbst eher
noch viel schneller als hierzulande. Denn hier klammern sich
einige Einwanderer besonders stark an ihre „Traditionen“, weil
sie Angst haben, sonst – im „Exil“ – ihre Kultur aufzugeben und
etwas zu „verraten“. Aber wenn man in der Bekämpfung der
Beschneidungspraxis nachlässt, dann verrät man gerade auch die
zahlreichen afrikanischen Aktivistinnen, die sich unermüdlich
und mutig gegen ihre Fortführung einsetzen, die in die Familien
gehen und dort diskutieren... Die Praxis ist in Frankreich
rückläufig, wir hatten in den letzten Jahren keine Todesfälle
mehr zu verzeichnen. Allerdings wurde jüngst – Mitte Januar
dieses Jahres - aus der französischen Provinzstadt Nevers ein
„Beschneidungsversuch“, an der Tochter eines aus Guinea
stammenden Ehepaars, vermeldet. Von wegen „Versuch“, es handelt
sich um eine vorgenommene Beschneidung, das Kind musste mir
Blutverlust ins Krankenhaus eingeliefert werden... Eine
strafrechtliche Ermittlung dazu läuft.
Dass die Prävention Früchte trägt, haben auch die Prozesse
selbst gezeigt. Nehmen wir den Fall von Hawa Gréou, die 1999 zu
acht Jahren Haft verurteilt wurde – die Staatsanwaltschaft hatte
„nur“ sieben Jahre gefordert -, weil sie in zahlreichen Fällen
Mädchenbeschneidungen vorgenommen hatte. Hawa Gréou war von
ihrem Ehemann, der sie mit 15 Jahren in einer arrangierten Ehe
geheiratet hatte und damals schon im Raum Paris arbeitete, nach
Frankreich geholt worden. Dieser holte sich später noch an eine
andere Ehefrau, mit der er acht Kinder hatte. Ihre Töchter waren
aber alle nicht beschnitten, wie die Untersuchung ergab.
Wahrscheinlich hatte diese Frau selbst so entschieden, und ihr
Mann mischte sich nicht näher in diese „weibliche Angelegenheit“
– die normalerweise unter Frauen geregelt wird - ein. In der
Familie von Hawa Gréou ist diese Praxis selbst stark
zurückgegangen. Möglicherweise auch, weil eine Nichte von ihr
schon zu einem früheren Zeitpunkt als Beschneiderin verurteilt
worden ist.
FRAGE: Sie haben Gespräche mit Hawa Gréou vor gut einem
Jahr als Buch veröffentlicht, und stehen in Kontakt mit ihr.
Sind sie überzeugt davon, dass diese Frau von ihrer Praxis
abgekommen ist?
WLC: Ich habe mir dieselbe Frage gestellt, nachdem sie
aus dem Gefängnis kam. Aber ich habe den festen Eindruck, dass
ja. Zufällig konnte ich ein Gespräch, das Frau Gréou mit einer
dritten Person in ihrer Muttersprache Soninké führte, mithören
und mir übersetzen lassen- und ich kam wirklich zu dem Schluss,
dass sie ehrlich davon überzeugt zu sein scheint, nunmehr von
einem falschen Weg ab- und auf einen besseren Weg gekommen zu
sein.
Hawa Gréou wollte ja nicht unbedingt berufliche Beschneiderin
werden. Sie wurde in eine „Kaste“ hinein geboren, jene der
Schmiede, deren weibliche Angehörige in der traditionellen
Gesellschaft in Mali für die Beschneidungen zuständig sind –
aber auch noch andere Funktionen wahrnehmen. Das Wissen wurde
von ihrer Gromutter an sie als ausgewählte Nachfolgerin
weitergegeben. Anfänglich hat sie diese Tätigkeit nur mit
Widerwillen verrichtet. Zudem ist Hawa Gréou zum „Opfer“ einer
arrangierten Heirat, einer Zwangsehe geworden. Ihr Mann und ihre
in Frankreich lebende Familie misshandeln sie heute, da sie
„nichts mehr wert“ sei: Früher trug sie reichlich Geld nach
Hause, damit ist es nun vorbei, sie „kostet“ aus ihrer Sicht nur
noch. Der Mann möchte sie nach Mali zurückschicken. Aber sie
sagte zu mir: „Lass mich nicht nach Afrika gehen. Dort muss ich,
aufgrund meiner sozialen Funktion, wieder Beschneidungen
vornehmen.“
FRAGE: Das Problem geht also nicht nur von den
Beschneiderinnen aus...
LWC: Es werden ja auch gesellschaftliche Erwartungen an
diese Frauen herangetragen. Deshalb war ich auch immer dafür,
Strafverfolgungen nicht nur gegen die Beschneiderinnen
einzuleiten, sondern gegen die Eltern: Diese suchen die ‚exciseuse’
ja auf. Letztere kommt nicht zu ihnen, um ihnen die Babys aus
dem Arm zu reien. Strafverfolgung und Aufklärungsarbeit müssen
also an (bei/in) den Familien ansetzen.
FRAGE: Ihre Präventionstätigkeit setzen Sie also auch in
Zukunft fort?
LWC: Absolut. An diesem Freitag (o6. Februar)
organisieren wir eine öffentliche Veranstaltung im Pariser
Kulturkaufhaus FNAC gegen die weibliche Genitalverstümmelung.
Dort tritt unter anderem auch der engagierte afrikanische Sänger
Bafing Kul auf. Nicht nur mit seiner Musik und seiner Band – er
bringt auch einen Film mit, den er in Malis Hauptstadt Bamako
zur Aufklärung gegen die Genitalverstümmelung gedreht hat. Und
der Mediziner Dr. Pierre Foldès wird von den Möglichkeiten, bei
betroffenen Frauen durch Operationen die zerstörten Sexualorgane
wieder herzustellen, sprechen.
Quelle:
Bernard Schmid |