Der drohende Zusammenbruch der
Kapitalakkumulation stellt die Systemfrage

von Robert Schlosser

03/09

trend
onlinezeitung

„Das Kreditwesen beschleunigt daher die materielle Entwicklung der Produktivkräfte und die Herstellung des Weltmarkts, die als materielle Grundlagen der neuen Produktionsform bis auf einen gewissen Höhegrad herzustellen, die historische Aufgabe der kapitalistischen Produktionsweise ist. Gleichzeitig beschleunigt der Kredit die gewaltsamen Ausbrüche dieses Widerspruchs, die Krisen, und damit die Elemente der Auflösung der alten Produktionsweise.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 457.

Dieses Manuskript kann man lesen als Fortsetzung der Argumentation, die Günther Sandleben in seinem Artikel „Mythos Finanzmarktkrise“ in „trend online“ begonnen hat. Es geht mir darum, die „Finanzmarktkrise“ auf die Kapitaleigenschaften der Produktivkräfte zurückzuführen und sie als notwendiges Produkt erweiterter Kapitalreproduktion darzustellen. 

In gewisser Weise ist auch das industrielle Kapital „Finanzkapitel“. Schließlich ist ihm die Produktion nur Mittel zum Zweck, nämlich das angelegte Geld zu vermehren (Verwertung von Wert). Geld ist der Ausgangs- und Endpunkt seines Wirtschaftskreislaufs.

Für eine ständige Erweiterung der Reproduktion von Kapital reicht die vorhandene Liquidität, die bereits realisierten Geldeinkommen aus Profit und Lohn, bei Unternehmen und Privathaushalten nie aus. Es muss beständig neues Geld, mehr Geld als Zirkulationsmittel in den Wirtschaftskreislauf gepumpt werden. Dieser objektive Zusatzbedarf von Geld als Zirkulationsmittel zur Realisierung des Mehrwerts  kann jedoch nur befriedigt werden, indem zusätzliches Geld als Kapital, also mit Anspruch auf Verwertung durch Zins, in die Zirkulation kommt. Die „Dienstleistung“ des Finanzkapitals am Industriekapital ist ebenso wenig uneigennützig, wie die „Dienstleistung“ des Industriekapitals am Kunden. Das Finanzkapital verlangt als kapitalistisches Unternehmen einen Profit in Gestalt des Zinses. Das zusätzlich benötigte Geld (Zirkulationsmittel) für die Erweiterung der Kapitalproduktion ist in Gestalt des Kredites nur zu haben, wenn es als Geldkapital geboren wird. Indem dieses Geld, das ja eigentlich nur dazu dienen soll, dass mehr produzierte Produktionsmittel und Konsumtionsmittel gekauft werden können, einen Anspruch auf wundersame Selbstvermehrung hat, wird es zu einer Maschine der Geldvermehrung und zugleich zu einer Maschine zur Vermehrung der Ansprüche auf Profit. Dies ist letztlich das ganze Geheimnis der verselbständigten Aufblähung des Finanzkapitals und ganz und gar unvermeidlich im Kapitalismus. Alle Versuche, die Auswüchse dieser Entwicklung auf der Basis kapitalistischer Produktionsverhältnisse beschneiden zu wollen, werden daran scheitern, dass der Geldbedarf (zusätzliches Geld als Zirkulationsmittel) für die erweiterte Reproduktion von Kapital nur dadurch befriedigt werden kann, dass dieses Geld als Kapital auf die Bühne tritt. Die neoliberalen Praktiken der Vermehrung des Geldes durch Vermehrung der Profitansprüche erwachsen also aus den Erfordernissen der notwendigen Erweiterung der Kapitalreproduktion („Realwirtschaft“). Diese Praktiken könnten auf der Basis des Systems nur beendet werden, wenn Kredit und Zins verschwinden. Wenn aber der Kredit verschwindet, bricht der ganze Kapitalismus zusammen. Würde der Zins verboten, dann würde dem Geld verboten Kapital zu sein. Eine ebenfalls ziemlich wirklichkeitsfremde Lösung des Problems.

Der Versuch, die beständige Tendenz zur Überproduktion mittels Kredit zu überwinden oder zu lindern, führt unvermeidlich zur Überproduktion von Geld als Kapital. Je höher die Produktivkraft der Arbeit und je stärker daher die Überproduktion an Waren aller Art (gemessen an den bereits erzeugten Geldeinkommen), desto größer die Bedeutung des Kredits. Je aufgeblähter der Kredit und der damit verbundene Zinsanspruch, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Überproduktionskrise von Waren ihren Ausgang nimmt von der Überproduktionskrise des Geldkapitals. Der Kredit löst die Schwierigkeiten der Verwertung des Industriekapitals durch Steigerung der kaufkräftigen Nachfrage nur, indem er die Schwierigkeiten der Verwertung des Gesamtkapitals durch uneinlösbare Zinsansprüche potenziert.

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Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.