Die Linksverteidiger des Kapitals in der Wirtschaftskrise

von Horst Schulz

03/09

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Heimtückischer Idealismus

Es gibt eine Form der Kritik, die ihren eigentlichen Gegenstand nicht nur schont, sondern glorifiziert - und ihn auf diesem Wege retten will. Martin Luther hat mit seiner Kritik des Ablasshandels die christliche Kirche beschützt und den christlichen Glauben sowieso, denn es war die Zeit der größten Unruhe unter den Gläubigen der Christenheit. Wer sich heute um die Institutionen der bürgerlichen Demokratie verdient machen will, der muss nur den Nachweis führen, dass die Kanzlerin der Würde ihres Amtes nicht recht gewachsen ist. Er geht also wählen. Wer die Rettung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung im Visier hat, kann im Falle einer verheerenden Krise nichts Besseres tun, als die moralische und fachliche Unfähigkeit ihrer Funktionäre zu beklagen, wenigstens aber deren Fehlleistungen. Wenn der deutsche Bundespräsident Horst Köhler, selbst ein erfolgreicher Karrierist im internationalen Bankenwesen, die aktuelle Ausformung der Finanzmärkte frühzeitig als „Monster“ (1) bezeichnet hat, dann war das eine bemerkenswert kluge Verteidigung des Kapitalismus, weil sie die Missbildung dieser Finanzmärkte nahe legt, ihre Abartigkeit dem Betrachter in den Blick bringt und nicht ihre Notwendigkeit, nicht die innige Abhängigkeit des Leihkapitals vom industriellen Kapital. Das mag ein theoretischer Fehler sein, aber Klassenkampf ist auch etwas anderes als Wahrheitssuche. Von seinem Standpunkt aus ist die Sache einfach und klar abgemacht, er wiederholt lediglich das, was die bekennenden Wirtschaftsbürger seit Generationen ihrem Publikum erzählen: Der Markt ist perfekt, aber der Mensch leider ein Sünder.

Perfide wird die Sache dann, wenn erklärte Systemkritiker – man will doch einen Sozialismus! - in eben dieser Manier verfahren und wie die Partei DIE LINKE aus den Kalamitäten des Bankgewerbes im Herbst 2008 eine „Finanzmarktkrise“ herausdeuten, bei der es sich „um Marktversagen“ handeln soll und um „ein Versagen der Politik, welche die Finanzmärkte entfesselt hat“ (2). Diesen Parteileuten geht es unverhohlen darum, das „Vertrauen wieder aufzubauen“, das einmal mehr verloren wurde, denn wie sonst werden die nützlichen Menschen dieses Gemeinwesens sich ihr Elend weiterhin gefallen lassen? Die linke Deutung der „Finanzmarktkrise“ kann man daher getrost als den vorsätzlichen Versuch auffassen, die kapitalistische Produktionsweise als Grundlage der Wirtschaftskrise zu verdunkeln, wofür wenigstens zwei Gründe auf der Hand liegen: Erstens traut sich der sozialdemokratische Spießbürger durchaus eine Krisenlösung zu, wenn die sich darin erschöpft, das zu verbieten, was ihm spanisch vorkommt. Zweitens will er nicht lassen vom Segen spendenden Kapitalismus, der seinen Horizont bestimmt. Ganz im Gegenteil ist die Domestizierung des Kapitals die höchste seiner sozialistischen Vorstellungen; im Gegensatz zum modernen „Raubtierkapitalismus“ peilt er eine Art Haustierkapitalismus an, in dem die Kapitalisten maßvoll ihren harmlosen Geschäften nachgehen und dabei nach Kräften für das Gemeinwohl sorgen. Dieses reaktionäre Ideal der LINKEN begegnet uns auf Schritt und Tritt (3), mal ausdrücklicher und mal versteckter. So überflüssig ihre Anstrengungen zur Verwirklichung ihres Ideals von Kapitalismus und Marktwirtschaft auch sind, da ja die Wirklichkeit dem Ideal in der Form des meist elenden Lebens vorausgesetzt ist, so wirksam sind sie leider bei der Aufrechterhaltung eben dieses Elends. Während die materialistische Betrachtung der Dinge das Ideal bloß als verhimmelte Form der alltäglichen Realität nimmt und die Krisenphänomene als die Geburtswehen einer kommenden Gesellschaft, mobilisiert der linke Idealismus die Angst vor der notwendigen Veränderung zur Verewigung gerade der Zustände, die die vermeintlichen Missstände immer und immer wieder hervorbringen.

Unwissenheit als Systemeigenschaft

Mit der verlangten Überführung des Bankgeschäfts in öffentliche Hände oder auch der geforderten Bestrafung der mutmaßlich Verantwortlichen für die aktuellen Finanzmarktverwerfungen (4) wird das Wesentliche berechnend übersehen: In einer Marktwirtschaft täuschen sich die Beteiligten systematisch über ihren gesellschaftlichen Produktionszusammenhang, den sie ja nicht gemeinschaftlich verabreden, sondern als Privatpersonen voneinander unabhängig und bewusstlos organisieren. Weil sich ihre Gesellschaftlichkeit ihnen nur in Wertausdrücken (Preisen) darstellt und sich ihnen so zugleich verbirgt, weil sie erst im Nachhinein anhand mysteriöser Zeichenwerte erfahren, ob sie bei ihrer Produktion das richtige Maß getroffen haben oder nicht, liegen die Planetenbahnen den Menschen klarer vor Augen als ihre eigenen Bewegungsformen. Strafen oder Gehaltskürzungen für die Finanzmanager werden daran so wenig ändern wie ein verstaatlichtes Bankenwesen (5).

Die Unwissenheit der Beteiligten ist unvermeidlich auf der Grundlage der Warenproduktion, in der ja die gesellschaftliche Arbeit in Form der Privatarbeit geleistet wird. Die unsichtbare Hand ist daher ja auch der Stolz und die immerwährende Hoffnung der Marktwirtschaftler, denn sie brauchen kein Wissen, wenn diese Hand es richtet. Entgegen aller Erfahrung und vernünftigen Überlegung vermuten sie eine geheimnisvolle Kraft des Marktes, die die Privathandlungen und individuellen Pläne unzähliger Warenproduzenten zum Gemeinwohl fügt. Daran glauben die meisten Marktwirtschaftler beinahe genau so, wie in frühester Zeit unsere Vorfahren an Gespenster geglaubt haben. Ihr Dogma von der Selbstregulierung des Warentauschs zum Wohle aller Beteiligten steht nun wieder einmal in einem merkwürdigen Kontrast zu der Beschuldigung der Finanzleute, die nun wirklich keine bewussten Eingriffe zur Lenkung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses vornehmen können, sondern sich auf die Ausbeutung der ihnen zufälligen Geschäftslagen beschränken müssen und deren Tätigkeit einem Glücksspiel immer ähnlicher sieht als einer verständigen Operation mit einem beabsichtigten Ergebnis. Mangels einer Übersicht über die Handlungen voneinander isolierter und miteinander konkurrierender Marktteilnehmer können diese Charaktere nicht wirklich verantwortlich sein für Erfolg und Misserfolg ihrer eigenen Unternehmungen, soweit diese abhängen vom Erfolg und Misserfolg eben der übrigen Marktteilnehmer. Verantwortlich sind sie dagegen für die Verbreitung der schädlichen Illusion von ihrer besonderen Bedeutung für das Gemeinwohl. Ihr Betrug liegt in der Behauptung ihrer Notwendigkeit für den gesellschaftlichen Lebensprozess überhaupt. Wir können nicht glauben, dass diese Zeichendeuter wirklich nicht einmal wissen, dass sie nichts wissen, denn nirgendwo sind Schaumschlägerei und fauler Zauber einträglicher als dort, wo das „Blendwerk des Geldes“ den Durchblick verstellt. Nirgendwo ist die Autorität einer Berufsgruppe von größerer Bedeutung als dort, wo der Glaube regiert, weil es kein wirkliches Wissen geben kann. Und in religiösen Dingen genügt bekanntlich der Schein. Jeder, der einmal einen Anlageberater aufgesucht hat, der weiß, wovon hier die Rede ist. Wenn diese Leute von ihrer parasitären Existenz wirklich keine Ahnung haben, dann nur deshalb, weil sie die Gedanken gewaltsam abwehren, die sich ihnen aufdrängen. Selbst den gesellschaftlichen Formwechsel des Arbeitsproduktes, der ihre Aufmerksamkeit beansprucht, erkennen die Finanzleute oft nicht als solchen, geschweige denn als den Ausdruck des Stoffwechselprozesses der Gesellschaft. Sie schöpfen ihre professionellen Überzeugungen von der glatten Oberfläche des gesellschaftlichen Verkehrs, vom Markt, oft vom Kauf und Verkauf bloßer Ansprüche auf den gesellschaftlichen Mehrwert, während ihnen die Kernstruktur der kapitalistischen Produktionsweise notwendig ein Buch mit sieben Siegeln bleiben muss, auch weil die Geschäftsgeheimnisse der beteiligten Unternehmen jede Einsichtnahme grundsätzlich verweigern. Auch in den anderen Abteilungen der offiziellen Zeichendeutungskunst wird das Problem gefühlt. Zu den Konjunkturprognosen etwa gibt es kaum geteilte Meinungen: Es handelt sich um ein Geflecht von Unterstellungen, Erwartungen, Mutmaßungen, Ahnungen oder einfach nur Weisungen, das kaum belastbarer ist als eine Kaffeesatz - Lesung oder die Deutung der Zukunft aus den Eingeweiden von Opfertieren oder aus den Flugbahnen der Vögel. Nicht einmal die amtlichen Wirtschaftswahrsager, deren manche sich dem Publikum sogar bis zur Gemeinheit verlogen als interessenlose Weise vorstellen, müssen haften für ihre regelmäßigen Fehlprognosen. Warum die Banker für ihr „Versagen“? Die bescheuerten Zeichendeutungen dieser Weisen sind alljährlich ein beliebtes Maß, an dem sich die weniger berufenen Deuter ergötzlich aufrichten, und sie sind überhaupt nicht vergleichbar mit den wissenschaftlichen Prognosen eines Hobbygärtners (6). Oft ist solchen Experten nicht einmal die einfache Deutung der Vergangenheit möglich, schon weil sie bedrängt werden in ihrem blinden Tun von vielfältigen und einflussreichen Interessen, die die Auslegung der Zeichen so und nicht anders wollen. Die herrschende Wirtschaftslehre sagt ja frei heraus, wie könnte sie es auch leugnen, dass die Preise Marktsignale sind und nichts zu tun haben mit exakten Aussagen über einen Stand der Dinge, sondern dunkle Zeichen sind, geheime Hinweise auf die tatsächlichen oder kommenden Verhältnisse, deren Deutung gewissen Eingeweihten ein Broterwerb ist (7). Schon bei den einfachsten Aufgabestellungen muss der Sachverstand tippen. Nehmen wir eine Preissteigerung. Ob sie den erhöhten Produktionskosten einer Ware geschuldet ist, ob einer gefälschten Statistik, einer wilden Spekulation oder der vorübergehenden Angebotsverknappung eines Rohstoffs, ob vielleicht der Geldwertverfall oder die staatliche Geldfälschung verantwortlich sind, das ist jedes Mal eine spitzfindige Kontroverse, in der sich Unmengen akademische Streber manchmal für ein ganzes Berufsleben in Position bringen.

Die Heilkraft des Geldes

Ohne Zweifel lebt auch das Personal der privaten wie der öffentlichen Bankinstitute in einer systematischen Unwissenheit, und wenn es aus nahe liegenden Gründen erhebliche Anstrengungen zur Verdunkelung dieser Tatsache macht, dann glauben die idealistischen Linken das alles aufs Wort! Statt die so genannte Finanzmarktkrise als eine willkommene Demaskierung der diversen Priesterkasten zu betrachten, bemühen sie sich um die Rehabilitierung dieser Parasitenstämme, deren Notwendigkeit für die kapitalistische Gesellschaft hier freilich so wenig bestritten werden soll wie die Notwendigkeit des Klerus für die feudale Gesellschaft des Mittelalters. In dem Moment der höchsten Gefahr bewährt sich der Reformismus mit Hingabe und beweist seinen unschätzbaren Wert für die kapitalistische Veranstaltung! So richtig erfolgreich sind die Reformisten eben erst dann, wenn auch das Kapital ihre Reformen verlangt. Weil sie schon immer die Regulierung der Finanzmärkte zur Verbesserung der kapitalistischen Wirtschaftsweise gefordert haben, schlägt jetzt ihre große Stunde. Und ihre Vorschläge laufen als konsequente Therapieangebote der Diagnose „Finanzmarktkrise“ hauptsächlich auf eine Sanierung des maroden Bankenwesens hinaus, auf die Aufmöbelung der gerade zertrümmerten Kultstätten des Geldfetischs. Mit ihrer Vorstellung von den Finanzmarktkrisen wird ihnen der Kapitalismus beherrschbar, nicht zuletzt deswegen, weil sie diese Krisen dem Fehlverhalten der finanzpolitischen Funktionäre zuordnen. Der theoretische Unsinn der Sonderung von „Realökonomie“ und „Finanzmarkt“ erweist sich so als ein nützlicher Fehler zur Festigung der bestehenden Verhältnisse. Nur in dieser Funktion liegt der Reiz des falschen Argumentes. Das Geld erscheint einerseits als Krisenursache und andrerseits als das universale Heilmittel – und gerade nicht als bloße Wertform der Ware. Aus dieser Sicht kommt alles nur auf die richtigen Priester an und auf die fachgemäßen Rituale, also auf die kundige Verwendung des Geldes. Und wo der Geldfetisch so zum geeigneten Heilmittel gerät, da erscheint auch die Verstaatlichung des Bankenwesens als die Erfolg versprechende Maßnahme im Kampf gegen die Missstände. Wo das Versagen der Verantwortlichen, ihr Unverständnis der wahren Zusammenhänge oder ihr charakterloses Fehlverhalten, zur Ursache der Wirtschaftskrise gemacht wird, da lässt diese sich auch grundsätzlich verhindern. Das richtige Personal muss her. Das System ist entlastet, nicht wesentlich anders als in den anderen bürgerlichen Ökonomielehren auch.

Wenn dagegen der wissenschaftliche Sozialismus das Geld als Wertform der Waren und die Preise als ihr ideelles Geldsein entziffert hat, dann hat er nicht nur hinter den Preisen gesellschaftliche Verhältnisse entdeckt, sondern auch deren prinzipielle Verschleierung und damit eine systematische Ahnungslosigkeit auch der professionellen Geldpriester. Die wissenschaftliche Entdeckung, nach der Geld als bloße Existenzform der Ware keine eigenständige Bedeutung hat, hat dem reformistischen Fehler zwar längst theoretisch den Boden entzogen, aber die Behauptung der selbständigen Finanzkrisen wie ihrer Heilung durch Finanzmarktmanipulationen sind dermaßen nützlich zur Verteidigung der herrschenden Gesellschaftsordnung, dass die Marxsche Entdeckung dagegen keine günstige Aufnahme finden kann.

Überfluss als Mangel

Nimmt man Maß an der Aufregung der bürgerlichen Welt, dann war es niemals schlechter um den Kapitalismus bestellt als gerade jetzt. Geld ist in einem Ausmaß vernichtet worden, dass man eine spontane Geldfälschung in bisher ungeahnter Größenordnung für nötig gehalten hat, um den Kreislaufkollaps des kapitalistischen Reproduktionsprozesses zu verhindern. Die gesellschaftliche Produktion des materiellen Reichtums ist wieder einmal so offen und wuchtig gegen ihre enge bürgerliche Form gedonnert, dass die herrschenden Klassen in arge Bedrängnis und daher in Aufruhr geraten sind: Weil ihre bornierte Form des Reichtums zerrinnt, suchen sie ihr Heil in staatlichen Schwindelgeschäften - wenn sie können.


Wenn Geld die Wertform der Ware ist, dann deutet jede wirkliche Geldkrise oder „Finanzmarktkrise“ auf eine Krise der Warenproduktion hin und die „Geldvernichtung“ auf „Wertvernichtung“. Damit Werte der Waren sich wirklich in Geld verwandeln und ihre Gebrauchswerte in die Konsumtion eingehen, damit also Wert und Gebrauchswert der Ware sich realisieren, darf die Ware nicht im Übermaß produziert worden sein, weil sonst ihr Preisverfall unvermeidbar ist und der Produzent dann seine Kosten womöglich nicht erlösen kann. Weil Maß und Übermaß der Warenproduktion nicht in einem verabredeten Plan bestimmt werden, sondern den Beteiligten notwendig unbekannte Größen sind, ist die Überproduktion, wenn auch eine beschränkte Überproduktion, notwendig die Regel. Die Warenproduktion folgt dem bornierten Zweck des Profits und muss daher einerseits knapp sein, weil sonst der Preisverfall sich einstellt, andrerseits aber kennt der Profit kein Genug und treibt die Warenproduktion beständig voran. Denn je mehr Waren ein Produzent bei sonst gleichen Bedingungen produziert und absetzt, desto größer ist sein Profit, der ja seine Produktion überhaupt erst veranlasst hat. Die verlangte Knappheit der produzierten Waren steht daher im Widerspruch zum verlangten Höchstprofit. Der Profit ist die Triebkraft der Produktion und zugleich ihre Schranke.

Wenn jetzt selbst den Eliteeinheiten der Bankenwelt das Geld ausgegangen ist, dann werden wohl für die kapitalistischen Zustände viel zu viele Güter produziert worden sein. Der Phase der Kredit- und schließlich der Produktionseinschränkung voraus gingen tatsächlich wahre Produktionsorgien, also eine Phase der industriellen Produktion unter Hochdruck, die von der Öffentlichkeit unter dem Titel „Globalisierung“ auch breit zur Kenntnis genommen worden ist. Die kapitalistische Produktion hat wieder einmal spektakulär über ihre Aneignungsverhältnisse hinausproduziert. Während die massenhafte Produktion der Häuser, Automobile oder Maschinen prächtig funktioniert hat, misslingt offenbar die Erweiterung des individuellen wie des gesellschaftlichen Lebens mit diesen Arbeitsprodukten. Die Produktion gerät ins Stocken, weil die Zirkulationskanäle überfüllt sind, und die Zirkulationskanäle sind überfüllt, weil die produzierten Waren keine zahlungsfähigen Abnehmer finden. Und zahlungsfähig muss die Nachfrage heutzutage schon sein, denn die Verwandlung der Ware in Geld ist die unerlässliche Forderung der kapitalistischen Produktionsweise.

Die revolutionäre Produktivkraft der Arbeit

Als ein monumentaler Wegweiser hin zur Beseitigung des Geldwesens durch die Entfesselung der Produktion wird allerdings die aktuelle „Geldvernichtung“ durch die relative Überproduktion bisher leider kaum betrachtet. Wenn aber die verlangte Geldform des Arbeitsproduktes ein katastrophales Hindernis der Produktion geworden ist, dann ist auch die Beseitigung dieser Produktionsschranke eine gesellschaftliche Notwendigkeit geworden. Wo der Austausch der Waren und daher auch ihre Konsumtion misslingen, weil ihre notwendige Verwandlung in Geld an ihrer Reichlichkeit scheitert, da ist das Drängen einer neuen Ordnung der Dinge unübersehbar. An dem Zusammenbruch der Bankgesellschaften etwa zeigt sich jetzt die revolutionäre Kraft der gesellschaftlichen Arbeit.

Zum Zwecke der Profitsteigerung entwickelt das Kapital die Produktivkraft der Arbeit fortwährend als ein Instrument zur Lohnsenkung und damit zur Ausbeutung der Arbeitskraft mit legendären Erfolgen. Bei der heutzutage notwendigen Verwandlung des in der Ware enthaltenen Mehrwerts in Geld ist es allerdings weit weniger erfolgreich, was sich regelmäßig als Überproduktion zeigt, die den Vermögenden die Werte verdampft und den Arbeitenden die Jobs vernichtet. Die Produktivkräfte, so lautet die bekannte Formel des wissenschaftlichen Sozialismus für diese Tatsache, kollidieren mit den Produktionsverhältnissen.

Die Überproduktion von Waren, die als Kapital produziert worden sind, ist natürlich nicht dasselbe wie die Überproduktion von Autos, Maschinen oder festen Behausungen, die den Bedarf decken und den Produzenten Lebensgenuss verschaffen. Die kapitalistische Warenproduktion hat dermaßen komplexe Bedingungen, dass manche Beobachter sie selbst für die Lösungsform einer komplexen Aufgabenstellung halten – und nicht für das Problem. Sie bilden sich ein, die gesellschaftliche Produktion überhaupt sei von dieser Komplexität und nicht die spezifisch kapitalistische Produktionsweise als eine besondere Form des Privateigentums. Diese verwickelten Bedingungen sollen hier nicht näher behandelt werden, soviel aber ist unübersehbar: Die Waren werden kapitalistisch überhaupt nur produziert, wenn sie zu einem Preis verkauft werden können, der nicht nur die Produktionskosten deckt, sondern darüber hinaus auch noch einen Profit abwirft, der dem Unternehmer einen Gewinn lässt, dem Geldgeber einen Zins und dem Grundrentner die Mieteinnahme, denn alle diese Figuren müssen gut leben, akkumulieren und Steuern zahlen.

Die Verwandlung der bereits produzierten Ware in Geld misslingt und ihre weitere Produktion wird eingestellt, wenn diese Bedingungen des Preises nicht erfüllt werden. Bekommt der fungierende Kapitalist keinen Gewinn, der müßige keinen Zins und der Rentner nicht seine Rente, dann wird der Betrieb abgewickelt – und der Arbeiter bekommt keinen Lohn. Damit sind die Existenzbedingungen des Lohnarbeiters benannt oder der Zweck der kapitalistischen Produktion: der Profit – und damit auch das Dasein der verzehrenden Klassen. Ob ein solcher Preis, der der Produktion vorausgesetzt ist, wirklich erzielt werden kann, das ist alles andere als sicher in einer Produktionsweise, in der voneinander unabhängige Produzenten für einen weitgehend anonymen Markt produzieren, denn weder kennen sie ihre künftigen Kunden noch wissen sie, wie sich die Verhältnisse entwickeln werden, die über ihre Kundschaft entscheiden. Wenn sie die Produktion aufnehmen, dann spekulieren die Produzenten bloß auf ausreichende Preise für ihre Ware und daher auf ihren Erfolg, denn es gibt ja ausdrücklich keine Vorkehrungen zur Sicherstellung ihres Vorhabens. Im Gegenteil riskieren sie den Verlust ihres Kapitals.

Trotz dieser massiven Produktionsbehinderung, die sich ebenso in dem Riesenheer der Arbeitslosen ausdrückt, in der Masse der Menschen, die nicht arbeiten dürfen, wie auch in den unzähligen Arbeitsstunden, die Monat für Monat mit nutzlosen oder schädlichen Tätigkeiten vergeudet werden, trotz dieser Hemmung der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion ist jetzt wieder einmal zuviel für die herrschenden Verhältnisse produziert worden! Wenn der beschränkte Zweck der kapitalistischen Produktion die regelmäßigen Überproduktionskrisen nicht verhindert, dann wirft das ein Licht auf die unbändige Gewalt der gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit und lässt die Möglichkeiten einer planmäßigen Reichtumsproduktion erahnen, die nicht Maß nehmen muss am Profit!

Solange aber die Steigerung der Produktivkraft der Arbeit nicht zur Deckung des Bedarfs für alle und nicht zur Reduzierung der individuellen Arbeitszeit für die Arbeiter stattfindet, sondern lediglich zur Steigerung der Lebensbedingungen für die Bourgeoisie in der Form des Profits, werden auch die Überproduktionen als verwüstende Katastrophen nicht ausbleiben. Die Überproduktionskrisen beweisen, dass die industrielle Produktionsweise mit ihren gesellschaftlichen Produktivkräften der engen bürgerlichen Aneignungsweise entwachsen ist. Das zeigt sich jetzt wieder grell, wenn die kapitalistischen Aneignungsverhältnisse – Gewinn, Zins, Grundrente – über die Einstellung der Produktion befinden, während die Bedürfnisse der Produzentenklasse massenweise unbefriedigt bleiben. Bloß weil die Geldform des Mehrwerts infolge der Überproduktion nicht gelingt und daher die müßigen und schädlichen Gesellschaftsklassen auch keine Geldeinkommen erhalten, wird auch der gesellschaftliche Stoffwechselprozess unterbrochen.

Erst wenn die Produktivkräfte der industriellen Arbeit ihren Kapitalcharakter abgestreift haben und damit auch ihren engen Klassencharakter, werden sie sich darstellen als das, was sie ihrer „Natur“ nach sind: gesellschaftliche Produktivkräfte. Als gesellschaftliche Produktivkräfte erst wirken sie für die ganze Gesellschaft – und nicht bloß für die herrschenden Klassen mit den notwendigen Folgen von katastrophalen Überproduktionen und Massenelend.

Der Schein der Geldkrise

Betrachtet man die aktuelle Krise nach ihrem Grundphänomen, also als eine kapitalistische Überproduktion von Waren, dann gewinnt man die Perspektive der gesellschaftlichen Umwälzung, die zuzustellen sich die Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus gerade bemühen. Den reformistischen Bestrebungen, die die Schwierigkeiten mit Finanzmanipulationen lösen wollen, kommt allerdings die verkehrte Darstellung des Sachverhaltes an der gesellschaftlichen Oberfläche entgegen. Sie nehmen den scheinbaren Zusammenhang gerne als den wirklichen, weil damit ihnen auch die Aufgabe lösbar erscheint. Der Verkauf der Waren des Produzenten - die Verwandlung seines Warenkapitals in Geld -, diese notwendige Phase der Reproduktion des industriellen Kapitals, ist im Rahmen der kapitalistischen Arbeitsteilung zur speziellen Aufgabe einer besonderen Sorte Kapital geworden, zur Aufgabe des Kaufmannskapitals. Dieses Kaufmannskapital, das dafür einen Bankkredit in Anspruch nehmen mag, gibt dem Warenproduzenten Geld gegen Ware, wodurch für diesen zwar die Verwandlung seiner Ware in Geld bereits gelungen ist, nicht aber die Metamorphose der Ware überhaupt. Zwar besitzt der Produzent jetzt das zum erneuten Ankauf seiner Produktionsbedingungen nötige Geld, aber der Kaufmann muss die Ware noch einem individuellen oder produktiven Konsumenten verkaufen, wenn sich ihr Gebrauchswert und damit ihr Wert realisieren sollen. Gelingt dem Kaufmann dieser Verkauf der Waren nicht, dann ist der Kreislaufprozess der Ware unterbrochen, ohne dass der Produzent das schon mitbekommen hat. Das vom Kaufmann vorgeschossene Geld ist „vernichtet“, und wenn er die Ware fremdfinanziert hat, dann erhält die Bank keine Rückflüsse, wodurch sie selbst zahlungsunfähig werden kann, wenn sie zu bestimmten Zahlungsterminen Geld als Zahlungsmittel braucht. Die Handelskrise, die der Überproduktion entspringt, erscheint daher an der Oberfläche schon als Finanzkrise, während der Produzent längst mit der Reproduktion der Ware beschäftigt ist und von der notwendigen Einschränkung seiner Produktion womöglich noch nichts ahnt. Aus der zeitlichen Abfolge im Bewusstsein der arbeitsteilig Beteiligten schließen die oberflächlichen Beobachter gerne auf Ursache und Wirkung – und erzählen uns dann ihre Gespenstergeschichten vom „Übergreifen der Finanzmarktkrise auf die Realwirtschaft“.

Obgleich die Bewegung des Kaufmannskapitals nichts weiter ist als eine Teilbewegung des industriellen Kapitals innerhalb der Zirkulation (W-G), erscheint durch ihr Dazwischentreten der Sachverhalt also ganz verkehrt. Es ist aber gerade diese Verkehrtheit, die den Reformisten ihre Chance eröffnet, ihr falsches Bild von der Wirkungsweise des Prozesses aufrecht zu erhalten. Es handelt sich dabei nicht mehr um einen theoretischen Fehler, der beinahe so lange schon ausgeräumt ist, solange es kapitalistische Wirtschaftskrisen gibt (8). Niemand muss den oberflächlichen Standpunkt der Finanzleute einnehmen (9). Und wie lange schon gibt es nun die Überproduktionskrisen, für die die bürgerlichen Priesterkasten stets irgendeine Erklärung gefunden haben, die immer wieder von dem eigentlichen Sachverhalt abgelenkt hat.

Der Druck der neuen Ordnung

Denn Krisen aus Überfluss bieten eine verblüffende Lösungsform an, nämlich die Beseitigung der Produktionsweise, die die Notlage der unmittelbaren Produzenten zur Voraussetzung hat! Überfüllte Warenlager sind ein schlechtes Argument für kapitalistische Zwangsarbeit, ein schlechtes Argument also für die Lohnarbeit; sie verlangen eine Erklärung und erschüttern die Glaubenssätze von der allgemeinen Wohlfahrt in der bestehenden Ordnung. In der Überproduktion steckt der Geist der Auflehnung. Warum denn sonst berichten die Ideologen der Bourgeoisie so aufdringlich von faulen Bankkrediten, wenn offenkundig wieder einmal Bauarbeiter obdachlos geworden sind, weil sie zu viele Wohnungen gebaut haben?

Man sollte sich daher keine Illusionen machen und von den Reformisten auch keine bessere Einsichten erwarten: DIE LINKE wird bis zuletzt festhalten an den falschen Vorstellungen, die ihre einträglichen Illusionen nähren. Der falsche Schein der Dinge, der der Warenzirkulation entspringt, ist für die Verteidiger dieser Gesellschaftsordnung nicht weniger nützlich, als es die scheinbare Bewegung der Sonne um die Erde für die katholische Kirche des Mittelalters gewesen ist. Brecht hat die vergeblichen Bemühungen Galileis eindrucksvoll auf die Bühnen gebracht: Die gelehrten Pfaffen wollten nicht durchs Fernrohr sehen, weil sie um den Bestand ihrer gottgewollten Ordnung fürchteten, die ihnen den Zehnten eintrug.

Nimmt man die Wirtschaftskrise als ein notwendiges Ergebnis einer notwendigen Überproduktion und nicht als eine zufällige Fehlentwicklung, dann muss man sie wohl interpretieren als eine erneute heftige Selbstkritik der kapitalistischen Produktionsweise, als den praktischen Ausdruck der Notwendigkeit einer anderen Produktionsweise. Hier klopft nicht mehr zaghaft und leise das Reich der Freiheit an! Nein, es handelt sich eher um ein Beben, so wie man es aus der Geologie kennt, wenn die Verschiebungen der tektonischen Platten eine neue Oberfläche der Erde hervorbringen. Die Produzenten geraten zunehmend unter Druck, sich den selbst produzierten gesellschaftlichen Reichtum anzueignen und so die bestehenden Aneignungsverhältnisse durch andere ersetzen, durch eine Organisation der Dinge, die früher einmal die Bezeichnung „Kommunismus“ erhalten hat, mit der damals etwas sehr Selbstverständliches bezeichnet worden ist, nämlich die bewusste gesellschaftliche Gestaltung des materiellen Lebensprozesses – im Unterschied zu seiner bewusstlosen Einrichtung. Der Mangel aus Überfluss drückt in der Krise radikal die geschichtliche Energie und Aufgabenstellung aus, um deren Vernebelung es den Verfechtern der bestehenden Ordnung zu tun ist. In der Form dieses verrückten Widerspruchs zeigt sich die Beschränktheit der kapitalistischen Produktionsweise, die die Produktivkräfte universell entwickelt hat, deren enge Aneignungsweise aber ihre mögliche Entfaltung verhindert. Ihre Wirtschaftskatastrophen weisen energisch auf die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Organisation der gesellschaftlichen Arbeit hin. Wenn ihre produktiven Kräfte nicht mehr destruktiv wirken sollen, dann müssen sie in den Dienst der ganzen Gesellschaft gestellt werden, der sie ja auch ihr Dasein verdanken. Wenn die gesellschaftlichen Produktionspotenzen nicht mehr zu verheerenden Verwertungskrisen führen sollen, dann dürfen sie auch nicht mehr der Verwertung dienen, sondern müssen zur Deckung eines festgestellten Bedarfs zum Einsatz kommen.

Sozialismus oder Barbarei

Wenn die unter dem Kapital entwickelten Produktivkräfte jetzt wieder einmal gewaltsam andere Produktionsverhältnisse fordern, dann stellt sich damit erneut die bekannte Alternative mit erbarmungsloser Deutlichkeit: Sozialismus oder Barbarei, Planung der Produktion des Notwendigen oder die Konkurrenz um das Notwendige. Entweder nehmen die assoziierten Produzenten ihren gesellschaftlichen Produktionsprozess unter ihre Kontrolle – oder die Umgestaltung der Verhältnisse verläuft in unkontrollierten Bahnen mit ungewissen Ergebnissen. Entweder wird weltweit von den Beteiligten die bewusste Organisation ihrer Arbeitsteilung in Angriff genommen – oder es wird mit der Rücksichtslosigkeit einer Naturgewalt festgestellt, wer die Verluste der Überproduktion zu tragen hat. Die Kapitalisten sind bekanntlich Brüder, wenn es um die Verteilung der Beute geht. Bei der Verteilung der Verluste kennen sie dagegen keine Verwandten, denn jeder will die Last von sich abwälzen, und zwar mit allen, also auch mit außerökonomischen Mitteln (10). Nichts liegt näher als militärische Verheerungen, wenn die industriellen unvermeidlich geworden sind. Weit ist es daher nicht hergeholt, wenn man von der Kapitalistenklasse, deren eigentümliche Verkehrsform die Konkurrenz ist, auch die letzte Konsequenz der Konkurrenz als den Lösungsweg aus ihrer Notlage erwartet.

Die Überproduktionskrise lässt sich also betrachten als eine sichtbare Bankrotterklärung der bürgerlich verfassten Gesellschaft, die den Reichtum, den sie möglich gemacht hat, gar nicht fassen kann, aber auch als eine nachdrückliche Aufforderung zur Neuordnung der Dinge: zur Einrichtung solcher Produktionsverhältnisse, die den modernen Produktivkräften gewachsen sind. Wenn die heute universell entwickelte produktive Kraft der Arbeit unter der blinden Regie des Kapitals sich auch als universelle Zerstörungskraft darstellt, was mühelos den täglichen Weltnachrichten zu entnehmen ist, dann ist es verbrecherisch, sie in dieser Weise weiterhin wirken zu lassen, sie also naturwüchsig und daher unkontrolliert wirken zu lassen. Wenn diese Verhältnisse nun selber mit großer Energie ihren Konkurs anmelden, wie soll man dann die Anstrengungen beurteilen, die die Stabilisierung der Finanzmärkte zur Bewahrung der überlebten Verhältnisse anpeilen.

Wenn in der Form von Krisen die verborgene Grundlage der kommenden Gesellschaft nach Art eines Naturgesetzes jetzt ihre Forderungen geltend macht, dann wollen selbst Linke die Wirkungen dieses Gesetzes unterdrücken – durch gesetzliche Vorschriften zur Regulierung des Finanzwesens. Das letzte Wort der Klassenharmonie der Reformisten ist der staatliche Zwang zur alten Ordnung, und der Kampf gegen die vermeintlichen Missstände endet als ekelhafte Verteidigung der Zustände und mit der Aufrüstung des ideellen Gesamtkapitalisten zur Verteidigung der Mehrwertsproduktion. Die Gesetze gegen die Wirtschaftskrise, die etwa DIE LINKE anstrebt, sind daher nicht nur lächerlich, sie geben uns auch Auskunft über die gesellschaftlichen Verhältnisse, die dieser Verein uns zur Verwirklichung seiner Ideale zumutet: Beschränkungen, verschärfte Beschränkungen, Bespitzelungen, Kontrollen, Genehmigungen, Eindämmungen, Transaktionssteuern usw. – also Beschränker, Spitzel, Kontrolleure, Genehmiger, Eindämmer, Steuereintreiber usw. Der bürgerliche Staatsterror als sozialistisches Programm! Im Naturzustand waren die Menschen vermutlich besser dran! Aber wir haben heutzutage die in den Jahrtausenden erworbenen produktiven Kräfte der Arbeit zur planvollen Einrichtung vernünftiger und reichhaltiger Lebensbedingungen (11). Wer verhindert diese Einrichtung eigentlich?


Fußnoten


(1) "Jetzt muss jedem verantwortlich Denkenden in der Branche selbst klar geworden sein, dass sich die internationalen Finanzmärkte zu einem Monster entwickelt haben, das in die Schranken gewiesen werden muss" (Horst Köhler, stern.de, 14.05.2008).
(2) „Die Finanzmarktkrise ist zugleich eine Krise der Demokratie, der Wirtschafts- und Sozialordnung. Die Politik wird von den Finanzmärkten nicht nur kontrolliert, sie wird von ihnen beherrscht. Hier nur von Marktversagen zu sprechen, ist unzureichend – es handelt sich um Marktversagen und ein Versagen der Politik, welche die Finanzmärkte entfesselt hat. Nur eine grundlegende Neuordnung der Wirtschafts- und Sozialpolitik wird Vertrauen wieder aufbauen können, nur eine Umverteilung von Reichtum wird den Anlagedruck an den Finanzmärkten beseitigen können. Die Finanzmarktkrise zwingt den Staat zum Eingreifen. Es ist grob fahrlässig, dass die Bundesregierung erst jetzt zum Handeln bereit ist!“ (Bundestagsfraktion DIE LINKE; Entschließungsantrag vom 16.10.2008).
(3) Sehr schön kann das auch die Linke der Linken: „Das gesamte Finanzsystem muss in öffentliche Hand überführt und die Geschäftspolitik der Banken demokratisch gesteuert werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Banken ihre Kreditpolitik künftig am Gemeinwohl ausrichten und Kapital in sinnvolle Investitionsprojekte leiten, statt sich auf der Suche nach immer höheren Renditen auf den globalen Finanzmärkten zu verzocken“ (Sarah Wagenknecht, „Das gesamte Finanzsystem gehört in öffentliche Hand“, 9.1.2009, Homepage: DIE LINKE)). Das Finanzsystem, können wir dagegen nur sagen, gehört nicht in öffentliche Hand, es gehört abgeschafft – mit all seinen Voraussetzungen und Konsequenzen. Dies fordern die produktiven Kräfte der gesellschaftlichen Arbeit so nachhaltig, dass die Bourgeoisie ihre letzten Reserven mobilisieren muss, um davon abzulenken.
(4) Auch DIE LINKE hat natürlich ernstlich im Fehlverhalten der Manager eine entscheidende Krisenursache gesehen und eilig vorgeschlagen, z.B. „hochriskante Finanzprodukte vom Markt zu nehmen“, „Leerverkäufe zu verbieten“ und „Hedgefonds in Deutschland die Lizenz entziehen“. Schließlich forderte sie auch ein „Gesetz zur Begrenzung von Managergehältern“ und verlangte „Manager verschärft in Haftung zu nehmen“ (Bundestagsfraktion DIE LINKE; Entschließungsantrag vom 16.10.2008). Man kann das Säuberung nennen, also das Ausmisten des kapitalistischen Saustalls. Bloß um den Abriss zu verhindern.
(5) Was DIE LINKE ansteuert, wenn sie die öffentliche Kontrolle des Bankenwesens einfordert, das ist tatsächlich nichts weiter als das bewährte Sparkassenwesen! Lokale Kreditinstitute als Heilmittel gegen eine weltweite Überproduktionskatastrophe verraten auch schon einiges von dem reaktionären Gehalt des modernen Vulgärsozialismus: „Der Finanzsektor gehört in öffentliche und gemeinwirtschaftliche Kontrolle, so wie die Sparkassen und Genossenschaftsbanken dies ohnehin schon sind. Diese erweisen sich im aktuellen Finanzcrash als einzig stabiler Stützpfeiler, ohne den die Realwirtschaft schon viel stärker getroffen wäre. DIE LINKE will, dass die deutsche Bank die Sparkasse ist. Der private Bankensektor hat abgewirtschaftet und seine historische Überlebtheit ist offensichtlich. Das Bankgeschäft ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und muss deshalb auch öffentlich und gemeinwohlorientiert organisiert werden“ (DIE LINKE, Beschluss des Bundesausschusses vom 11. Januar 2009; Für einen wirtschaftspolitische Neuanfang – Programm gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise).
(6) „Besondere Beachtung fand, dass der Zuwachs des BIP für das Jahr 2002 durch den SVR um das Vierfache überschätzt wurde. Überspitzt formuliert könnte man fragen, ob diese Überschätzung wirklich auf Irrtum beruhte oder dem Bestreben des Bundesfinanzministers nach einem wenigstens a priori ausgeglichen Haushaltsvoranschlag Reverenz erwies. Eine vergleichbare Überlegung drängt sich auf angesichts des „politischen Bias“ (DG, 2002,b) der SVR-Prognosen der letzten zehn Jahre. Auch die unglaublichen Fehleinschätzungen zum „Aufschwung Ost“ von Horst Siebert (1990) wären hier einzuordnen: Statt der von ihm für möglich gehaltenen Zuwachsraten zwischen +10 und +25 Prozent im ersten Jahr und +10 bis +20 Prozent im zweiten Jahr gab es tatsächlich Änderungsraten von – 15,6 Prozent im ersten Jahr und –19,2 im zweiten Jahr“ (Deutsche Bank Research, Vom Elend der Konjunkturprognosen, 3. November 2004).
(7) Mir fällt dazu immer der Tacitus ein, der die Zeichendeutung der alten Germanen so anschaulich beschrieben hat. Er berichtet in seinem „Germania“ von dem Losorakel unserer bärenhäutigen Vorfahren. Diese Kerle schnitzten nämlich kleine Stäbchen aus Buchenholz („Buchstaben“), ritzten „gewisse Zeichen“ („Runen“: Geheimnisse) in sie hinein und warfen sie „ganz aufs Geratewohl und wie es der Zufall fügt“ auf ein weißes Laken. Während des folgenden mit einer Befragung der allerhöchsten Instanz verbundenen Gebets las („lesen“!; engl. „read“: „raten“!) ein Priester drei dieser Buchenstäbchen mit Blick gen Himmel auf und deutete anschließend die eingeritzten Zeichen. Diese fabelhafte Form der Erkenntnis hat sich offenbar recht lange gehalten. Aus Gründen der Fairness sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass Tacitus nichts darüber berichtet, ob die Priester bei den alten Germanen nur einen fremden Auftrag gegen Bezahlung erledigt oder ob sie bei diesem Hokuspokus auch sich selbst betrogen haben.
(8) „Die Form, in der die Überproduktion sich versteckt, ist immer mehr oder weniger Ausdehnung des Kredits“ (Engels an Marx, 11.12.1857). Auch Rodbertus hat schon früh die seltsame Verkehrung von Ursache und Wirkung beobachtet. Bereits 1850 schrieb er: „Die dominierenden Geldinstitute hatten es nämlich seit 1826 als ihre Pflicht erkannt, ähnlichen Krisen wo möglich vorzubeugen. Sie, die gleich dem größten Theile der Handelswelt ihre Überzeugungen nur von der Oberfläche des Verkehrs schöpften, sahen die letzten Ursachen solcher Uebel in nichts Anderem als in maaßlosen Speculationen, die unbesonnener Credit hervorrufe. Sie suchten daher, wenn ihnen Anzeichen eines neuen Ausbruchs zu drohen schien, wie Ärzte, die nach den oberflächlichsten Symptomen kuriren, durch die verschiedenen Mittel, die ihnen zu Gebote stehen, den Credit zu schwächen“ (Robertus-Jagetzow, Sociale Brief an von Kirchmann, Erster Brief, Berlin 1850, zitiert nach Diehl/ Mombert, Wirtschaftskrisen, S.143).
(9) „Wenn, wie der Leser zu seinem Leidwesen erkannt hat, die Analyse der wirklichen, innern Zusammenhänge des kapitalistischen Produktionsprozesses ein sehr verwickeltes Ding und eine sehr ausführliche Arbeit ist; wenn es ein Werk der Wissenschaft ist, die sichtbare, bloß erscheinende Bewegung auf die innere wirkliche Bewegung zu reduzieren, so versteht es sich ganz von selbst, dass in den Köpfen der kapitalistischen Produktions- und Zirkulationsagenten sich Vorstellungen über die Produktionsgesetze bilden müssen, die von diesen Gesetzen ganz abweichen, und nur der bewusste Ausdruck der scheinbaren Bewegung sind. Die Vorstellungen eines Kaufmanns, Börsenspekulanten, Bankiers sind notwendig ganz verkehrt“ (MEW 25/324f).
(10) „Der Verlust ist unvermeidlich für die Klasse. Wieviel aber jeder einzelne davon zu tragen, wieweit er überhaupt daran teilzunehmen hat, wird dann Frage der Macht (!) und der List (!), und die Konkurrenz verwandelt sich dann in einen Kampf der feindlichen Brüder. Der Gegensatz zwischen dem Interesse jedes einzelnen Kapitalisten und dem der Kapitalistenklasse macht sich dann geltend, ebenso wie vorher die Identität dieser Interessen sich durch die Konkurrenz praktisch durchsetzte“ (MEW 25/263).
(11) „Die Arbeiterklasse … hat keine Ideale zu verwirklichen; sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoß der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben“ (MEW 17, S. 343)).

 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor. Erstveröffentlicht wurde der Text bei
http://www.proletarische-briefe.de/ am 3.3.2009