Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Die Kläranlage der Demokratie
Enthüllungen über die Enthüller

03/09

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Ein Buch hat die Pariser Enthüllungszeitung ‚Le Canard enchaîné’ einmal aus der Nähe auf’s Korn genommen

Darf man eine Institution „entwürdigen“, auch dann, wenn sie eine wichtige demokratische Funktion ausübt? Doch, man darf, dürften die meisten unter uns wohl antworten. Mit „Ja“ beantworteten sich jedenfalls die beiden Autoren Karl Laske – Journalist bei der linksliberalen Tageszeitung ‚Libératio’n – und Laurent Valdiguié,  der ansonsten beim Regenbogenmagazin ‚Paris Match’ tätig ist, die Frage. Und so verfassten beide zusammen ein Buch über die „Investigations- und Satirezeitung“ namens ‚Le Canard enchaîné’, die jeden Mittwoch erscheint und mit ihren Enthüllungen über die Machenschaften der Regierenden des Öfteren manche dicke Bombe platzen lässt. Nun sollte sie öffentlich mit Hintergründen ihres eigenen Tuns konfrontiert werden, durchaus zum starken Verdruss einiger ihrer Repräsentanten. Ende 2008 erschien also ‚Le vrai Canard’ (Die wahre Ente). 

Es ist nicht das erste gemeinsame Buch, das die beiden Autoren zusammen schrieben: Sie haben bereits gemeinsam ein anderes unter dem Titel ‚Machinations’ (Machenschaften, Manipulationen) über die so genannte Clearstream-Affäre verfasst. Bei diesem Korruptions- und Bespitzelungsaffäre an der Staatsspitze standen sich im Jahr 2005 die damaligen obersten Repräsentanten des Staates, Präsident Jacques Chirac und Premierminister Dominique de Villepin, und ihr Innenminister Nicolas Sarkozy auf der anderen Seite gegenüber. Sarkozy hatte denen, die an Manipulationen gegen ihn beteiligt seien, damals ein vorzeitiges „Ende am Fleischerhaken“ versprochen. Stilecht. Laske hatte darüber hinaus Mitte der neunziger Jahre ein Buch über den Genfer Nazibankier François Genoud - Testamentsvollstrecker von Joseph Goebbels - und seine intensiven politischen und finanziellen Aktivitäten, vor seinem Tod 1996, verfasst.  

Beide verstehen es also durchaus, im Schlamm zu wühlen, um zu ihren Rechercheergebnissen zu kommen. In diesem Falle nahmen sie sich aber einen Untersuchungsgegenstand vor, der vielen als eine quasi heilige Institution der Demokratie gilt. Einige Spritzer auf einer blütenweiben Weste zu hinterlassen, oder eher: ihr Vorhandensein aufzuzeigen – so kann man ihr Anliegen und ihre Vorgehensweise durchaus treffend zusammenfassen.  

„Respektlos“ also ist ihr Ansatz zu nennen. Aber respektlos, das war lange Zeit zuvörderst das Markenzeichen der „Gefesselten Ente“ – dies bedeutet der Titel der Wochenzeitung wörtlich übersetzt – selbst. 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, war sie als Zeitung gegen Zensur und Kriegspropaganda entstanden. Sie schwamm also damals ziemlich eindeutig gegen den Strom: gegen jenen Mainstream, der seinerzeit eine Flut nationalistischer Schlammwellen mit sich führte. Dieses Gründungsanliegen widerspiegelte auch der Name der „Gefesselten Ente“: Das Adjektiv in ihrem Titel bezog sich eindeutig auf die damalige allgegenwärtige Zensur. Das Wort ‚canard’ (Ente) dient im Französischen wiederum schon lange als Synonym für eine Zeitung.  

Als ihren Feind erkor sich die frisch gegründete Zeitung damals die Vertreter des ‚bourrage de crâne’ (wörtlich: das Schädel-Vollstopfen), wie sie die chauvinistische Propaganda bezeichnete. Ihr Titelblatt zieren seit damals und bis heute einige stilisierte Entenviecher, die einen Offizier, einen Pfaffen und einen Bourgeois karikieren. Anarchistische oder ihnen nahe stehende Orientierungen hatten durchaus ihren Platz in der Zeitung, die in den ersten Jahren oft mit weiben Kästen erschien, mitunter mit dem Zusatzvermerk: „Hier hätte ein Artikel gestanden, wäre nicht die Zensur gewesen..“ Dies verhinderte nicht, dass in der Ära der Kollaboration mit den Nazis und des Zweiten Weltkrieg einige Journalisten der Zeitung in braune Gefilde abdrifteten und in „Collabo“-Organen publizierten. Dies hängt sicherlich auch mit der besonderen Konstellation im damaligen Frankreich zusammen: Ein Gutteil der öffentlichen Meinung des Landes interpretierte den Zweiten Weltkrieg in der Anfangsphase überwiegend auf der Folie des Ersten, der Frankreich – vor allem Ostfrankreich - wie kaum ein anderes Land zerstört hinterlassen hatte. Eine pazifistische Grundströmung war also quer zu den politischen Lagern weit verbreitet und fest verankert. Auch ein Teil der extremen Rechten ging mit einer Grundhaltung gegen einen neuen Weltkrieg – der von ihnen als Krieg für die Juden dargestellt wurde – hausieren. Dies erleichterte Übergänge in ihr ideologisches Lager. Auch Teile der Redaktion des vormaligen Canard blieben davon nicht verschont. 

Nach der Befreiung von 1944 – die vormaligen Kollaborationsjournalisten hatten nun in der Regel Schreibverbot – gründete sich die Zeitung, unter mabgeblicher Beteiligung der Witwe ihres (verstorbenen) „Gründervaters“ Maurice Maréchal, wieder. Und sie blieb nun zunächst auf einem libertären, antimilitaristisch und antiautoritär geprägten Kurs, in einem Klima, das durch die französischen Kolonialkriege chauvinistisch aufgeheizt wurde. Laske und Valdiguié erinnern etwa an den Zeichner Henri Monier, der in den fünfziger Jahren eine „Vereinigung für die zwölf Arbeiten des Herkules“ gründete. Erste Aufgabe: „Auf die Flamme am Grabmal des unbekannten Soldaten pinkeln, damit sie ausgeht.“ Redakteure des Blattes werden deswegen festgenommen und nach einigen Verhören wieder auf freien Fub gesetzt. Die Vereinigung muss aufgelöst werden. 

Die Aranda-Affäre: Dreh- & Angelpunkt in der Redaktionsgeschichte 

Der grobe Wendepunkt in der Geschichte der Zeitung erfolgt 1972. In jenem Jahr wird ein Herr namens Gabriel Aranda in der Redaktion vorstellig. Es handelt sich um einen früheren Journalisten, der anderthalb Jahre lang als Angestellter im Ministerium für Bauwesen und Infrastruktur tätig war. Er kündigt den Journalisten an, unter mehreren Bäumen im Pariser Umland fänden sie Unterlagen vergraben, die Hinweise auf Umtriebe der Baumafia und Korruption in den Ministerien enthielten. Die Journalisten buddeln nach - und lösen einen heftigen Korruptionsskandal aus. 

Laske und Valdiguié - die der Aranda-Affäre ein eigenes Kapitel widmen - gelingt es, auf interessante Weise ihre Hintergründe zu rekonstruieren. Zur damaligen Zeit gibt Gabriel Aranda zunächst an, seine Beilhilfe zur Enthüllung habe politische Gründe: In israelischem Interesse habe er auf die Lieferung von 110 Mirage-Kampfflugzeugen an Libyen aufmerksam machen und sie verhindern wollen. Alsbald stellt sich jedoch heraus, dass es mit seinen politischen Beweggründen nicht weit her ist. Aranda erweist sich als Hochstapler, der zehn Jahre zuvor bereits die US-amerikanische und die sowjetische Botschaft in Aufruhr versetzt hatte: die Amerikaner, um ihnen brisante Nachrichten über „Weltherrschaftspläne der Sowjets“ zukommen zu lassen. Und Letztere, um Informationen von ihnen anzufordern, „denn da ich und Andere hinter ihr Geheimnis gekommen sind, ist es besser, wenn ich es veröffentliche und so eine kontrollierte Explosion hervorrufe“. (Auch die französische Regierung nervte er damals, indem er infolge der vorausgegangenen Episoden eine Erlaubnis zum Waffenbesitz von ihr verlangte…)  

Als Hintergründe seines Hinweises auf das Dokumentenversteck erweisen sich Konflikte innerhalb des gaullistischen Lagers sowie der Baumafia - über ein paar Ecken ist Aranda mit dem damaligen Landwirtschaftsminister Jacques Chirac lieert, der dabei ist, die gaullistische Partei zugunsten eigener Interessen aufzurollen. Die Veröffentlichung kompromittierender Informationen über seine innerparteilichen Gegner erlauben es Chirac, eigene Schachfiguren auf dem politischen Spielfeld zu platzieren. 

Interessant ist, wie nun ein damaliger Journalist des Canard die Affäre im Nachhinein bewertet. „Ich spürte, dass es eine interne Manipulation bei der Gaullistenbewegung gab. Aber die Essenz/das Wesen (l’essence) dieses Berufs besteht darin, manipuliert zu werden. Folglich störte mich das nicht“ bekennt der frühere Journalist Thierry Pfister - mit 35 Jahren Abstand. Aus aktuellen Anlässen heraus hätte ein Mitarbeiter der Enthüllungszeitung dies sicherlich nicht derart offen bekannt. 

Von der Satirezeitung zum Briefkasten für rivalisierende Politikerfraktionen... 

Ab diesem Zeitpunkt hat sich der Canard enchaîné einen Ruf als „Investigations- und Enthüllungszeitung“ erworben. Im Laufe des Jahres 1973 versucht die Regierung mehrfach, Gespräche der Journalisten abzuhören. Zunächst werden die Telefone abgehört und später werden, im Dezember, Wanzen in den Redaktionsräumen installiert – was einen „Watergate-Skandal à la française“, wenige Monate nach dem Original in den USA, auslöst. In darauffolgenden Jahren gelingt es der Wochenzeitung, einige gröbere Skandale an die Öffentlichkeit zu bringen. Dazu zählt, 1979, die Affäre um die Diamanten, welche der  zentralafrikanische Diktator und selbsternannte „Kaiser“ Jean-Bédel Bokassa – ein Despot, der zur französischen neokolonialen Einflusssphäre gehört – Frankreichs Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing als Geschenk für seine Gattin persönlich offerierte. Dazu zählen auch Informationen über die „Boulin-Affäre“, die im selben Jahr ausbricht: Der gaullistische Arbeitsminister Robert Boulin war am 30. Oktober 1979 tot aufgefunden wurden. Die offizielle Version lautet „Selbstmord durch Ertrinken“, in einem Teich. Es stellt sich aber heraus, dass das fragliche Gewässer lediglich ein knietiefer Tümpel ist, in dem der Minister offenkundig tot abgelegt worden ist. (Vgl. http://fr.wikipedia.org/wiki : „Wassertiefe 50 cm“) Allem Anschein nach wusste er zu viel über illegale Machenschaften und wurde deshalb durch die damals noch existierende „Parallelpolizei“ der gaullistischen Partei, den SAC (Service d’Action civique), beseitigt. Der ‚Canard’ vermag einiges Licht ins Dunkel zu bringen. Offiziell ist der Tod des Ministers freilich bis heute unaufgeklärt.

Der ‚Canard’ wirkt in jenen Jahren wie eine Kläranlage der Demokratie. Er kann einige wichtige Enthüllungen über Umtriebe und Machenschaften des politischen Führungspersonals enthüllen – wird dabei jedoch regelmäbig von anderen Teilen des politischen Establishments, konkurrierenden Persönlichkeiten oder rivalisierenden Flügeln, mit Informationen „gefüttert“.  

Bis heute hat sich diese Funktion grundsätzlich bewährt. Einige Jahre lang verliert der ‚Canard ‚sie jedoch einzubüben. Unter dem „sozialistischen“ Präsidenten François Mitterand verliert die Zeitung, genau wie andere Publikationsorgane – etwa die linksliberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ -, in der Anfangsphase jegliche kritische Distanz zu den neuen politischen Machthabern. So lange waren die Linksparteien in der Opposition gewesen, so sehr hatte sich ein Teil der Presse mit der bisherigen Opposition identifiziert, so stark sind die Hoffnungen auf einen politischen Wechsel, dass nach dem „Wechsel“ vom Mai 1981 zunächst eine gewisse Euphorie in die Redaktionsräume Einzug hält. Sie droht zu einer gewissen Blindheit zu führen, zumal es einen Hin- und Her-Personalwechsel zwischen der Redaktion und Regierungsorganen gibt. In den siebziger Jahren war der Redakteur Nicolas Brimo direkt von einer sozialdemokratischen Parteizeitung gekommen, umgekehrt wird der bisherige Redakteur des ‚Canard’ Thierry Pfister nun Sprecher des neuen („sozialistischen“) Premierministers Pierre Mauroy. Die Zeitung wird für viele Leser/innen relativ unattraktiv, ja uninteressant. Verkaufserlös und Gewinne des ‚Canard’ brechen ein: Betrug ihr Jahresgewinn bis dahin – in heutige Währung umgerechnet – regelmäbig rund eine Million Euro, so sieht die Zeitung ihn für den Zeitraum von 1982 bis 1985 auf quasi Null zusammenschrumpfen. Redakteur Brimo erklärt zehn Jahre später einem Doktoranden, der eine Dissertation über den ‚Canard’ verfasst, dahinter stünde eine finanzielle Fehlentscheidung: „Wir haben 1982 zu lange damit gewartet, den Kaufpreis zu erhöhen.“ In Wahrheit ist das Grundproblem politischer und journalistischer Natur.  

Der Antritt einer „harten“ Rechtsregierung unter Premierminister Jacques Chirac, 1986, „rettet“ den ‚Canard’: Es finden wieder harte soziale und politische Konflikte statt (Studierenden-, Eisenbahnerstreikt) und es dürfen wieder Skandale enthüllt werden. Der Jahresgewinn für 1986 liegt plötzlich wieder bei über einer Million Euro. Später liefern die handfesten Korruptionsskandale der späten Mitterrand-Ära – nach der Wiederwahl des Präsidenten im Jahr 1988 – und, stärker noch, unter Chirac als Staatsoberhaupt von 1995 bis 2007 der „Enthüllungszeitung“ genügend Stoff für ihr Publikum. - Auch Nicolas Sarkozy scheint übrigens skandalträchtig genug: Seit dem Antritt des neuen Präsidenten vor nunmehr knapp zwei Jahren sind die Verkaufszahlen des ‚Canard enchaîné’ um rund 20 Prozent geklettert. Aber wie Laske und Valdiguié en détail beschreiben, haben Sarkozy, seine Berater und sein Umfeld zuvor (vor allem, als es noch galt, Sarkozys Vorgänger und Rivalen Chirac Schaden zuzufügen) der Zeitung sehr häufig mehr oder minder brisante Informationen zugespielt. Und sie – erfolgreich - als Briefkasten genutzt, um im Machtkampf innerhalb der bûrgerlichen Rechten Oberwasser zu gewinnen. 

Peinliche Panne: Die ‚Affaire Yann Piat’ 

Als Ausputzer, der den Stoff für Skandale – den Andere ihm, in Form von Fotokopien kompromittierender Dokumente, zur Verfügung stellen – liefert, hat der ‚Canard’ in Zeiten, wo politisch gestritten wird, eine öffentlich akzeptierte Aufgabe. Bisweilen passieren ihm jedoch auch Pannen und Unfälle bei der Ausübung dieses Jobs. So gehen dem Redakteur André Rougeot Mitte der neunziger Jahre gründlich die Gäule durch, nachdem er aus einer „Quelle“ mit Informationen über einen vermeintlichen Mordskandal an der Spitze der Republik gefüttert worden ist.  

Rougeot hat damals in der Redaktion eine randständige Position inne und muss deshalb froh darüber sein, dass er eine Gelegenheit erhält, sich zu profilieren. Im Februar 1994 ist die rechtsliberale Abgeordnete Yann Piat an ihrem Wohnsitz an der Côte D’Azur ermordet worden. Piat hatte ihre ersten Schritte in der Politik, aus persönlichen Gründen – sie war als Kind die Adoptivtochter von Jean-Marie Le Pen -, auf der extremen Rechten begonnen. 1988/89 hatte sie sich jedoch mit diesem aufgrund seiner antisemitischen Äuberungen zerstritten und von ihrem Übervater distanziert. Ihr späteres politisches Engagement, auf der bürgerlichen Rechten, war in hohem Mabe von einem Kampf gegen das Organisierte Verbrechen – an der Côte d’Azur ein reales Problem – motiviert. Ihre Ermordung ist das Werk von örtlichen Kleinkriminellen, denen sie im Wege stand und die sich selbst für grobe Mafiapaten hielten: Die Täter können sehr schnell festgenommen werden. Teilen der Öffentlichkeit genügt dies jedoch nicht, die Aufdeckung des Verbrechens ist ihnen zu unspektakulär, und sie lechzen nach einer Verschwörungstheorie.  

Eine „Quelle“, die sich als General des militärischen Nachrichtendiensts ausgibt, alimentiert den Redakteur Rougeot dann im Jahr 1996 mit spektakulären Neuigkeiten: Es handele sich in Wirklichkeit um einen politischen Auftragsmord, der vom damaligen Verteidigungsminister François Léotard sowie dem damaligen – und jetzigen – Bürgermeister von Marseille, Jean-Claude Gaudin, angeordnet worden sei. Die Abgeordnete Piat habe ihre Geschäfte gestört, die darauf beruht hätten, dass mafiöse Interessen in zum Verkauf stehende Gelände der Armee investieren sollten. Die beiden Politiker werden zwar nicht beim Namen genannt, sondern tauchen anonymisiert auf – L’Encornet et Trotinette („Einhorn und Tretroller“) -, sind jedoch hinreichend genau identifizierbar. André Rougeoet publiziert zunächst eine Artikelserie und später, im Herbst 1997, ein ganzes Buch zu der „Affäre“. Die beiden Politiker erstatten bei dessen Erscheinen umgehend Strafanzeige.  

Das Problem für den Journalisten, das alsbald eines für seine Zeitung wird: Die ganze Affäre ist total auf Sand gebaut, die Artikelkampagne beruht auf falschen Informationen. Der angebliche „General“ – Jojon – ist in Wirklichkeit ein Angestellter im Ruhestand, der wegen Hochstapelei vorbestraft ist. Als der Betrüger durch die Medien ausfindig gemacht und, in Pantoffeln vor seinem Haus stehend, von zahllosen Fernsehkameras gefilmt wird, ist für die Redaktion Schicht im Schacht. Der Chefredakteur muss eifrig dementieren, dass die Recherche irgend etwas mit seiner Zeitung zu tun habe – das Buch sei völlig „auberhalb der Redaktionsarbeit entstanden“ - , und die Direktion des Canard rechtfertigt sich um ihr Leben.  

Damals muss die Wochenzeitung zeitweise um ihre Existenz fürchten, bewerten Laske und Valdiguié die Affäre im Nachhinein. Denn offenkundig hatte sie jegliche Überprüfung der Informationen, jedwede Gegenrecherche und jede Kontrolle der Arbeit ihres übereifrigen Redakteurs unterlassen. Dass die Angelegenheit durch die übrigen Medien kaum ausgeschlachtet und nicht stärker zu Ungunsten des Canard ausgenutzt wird, belegt in den Augen der beiden Buchverfasser die „Einschüchterungsfähigkeit“ der Zeitung. Regelmäbig mit Informationen aus den Inner Circels der Politik und des Staatsapparats alimentiert, kann die Zeitung potenziell so manche politische Karriere ruinieren. Noch etwas ist interessant an der Affäre um den groben Recherchefehler: An führender Stelle war man offenkundig überzeugt, dass die falschen Informationen im Canard vom polizeilichen Nachrichtendienst Renseignements Généraux (RG) – einem vergröberten Pendant zu den deutschen Verfassungsschutzämtern – stammen. Ex-Verteidugungsminister Léotard fordert in einem von Zorn erfüllten Beitrag für ‚Le Monde’ „die Abschaffung eines Diensts im Innenministeriums“, der „eine Küche für Falschinformationen“ geworden sei. Der Hinweis ist codiert, wird jedoch durch Laske und Valdiguié übersetzt und ist ihnen zufolge damals auch verstanden worden. Auf verschiedenen Seiten erachtete man den Hinweis auf die vermeintliche Urheberschaft der RG offenkundig für plausibel. Dies deutet auf die oftmals genutzten Quellen der „Investigationszeitung“ hin. 

André Rougeoet wird unehrenhaft aus der Redaktion gefeuert. Auch später noch unterlaufen jedoch „Recherchepannen“. In jüngerer Zeit, im August 2008, lässt sich der Canard bei einem Plagiat ertappen: Von ihm veröffentlichte Hinweise auf Fehler der französischen Armeeführung, die zum Tod von zehn Soldaten beim Afghanistan-Einsatz in einem Hinterhalt führen, sind offenkundig zuvor bereits auf mehreren Blogs publiziert worden. Sie stammen unter anderem vom Verteidigungsexperten der linksliberalen Tageszeitung Libération. Die Wochenzeitung hatte die Angaben aus anderen Quellen zusammen mit Tippfehlern und einem Rechenirrtum übernommen. Die angebliche exklusive Enthüllung war gar keine. 

Zu den Hinter- und Beweggründen der Verfasser 

Sicherlich haben Laske und Valdiguié keine „neutrale“, „objektive“ Studie veröffentlicht, sondern eine Art von Anklageschrift zu Lasten des ‚Canard enchaîné’. Die Darstellung ihrer Rechercheergebnisse, auf fast 500 Seiten, ist ziemlich offenkundig im negativen Sinne gebürstet. Allerdings verfolgen sie dabei, angenehmerweise, keine ideologische Zielsetzung vergleichbar jener der beiden Autoren eines dickleibigen „Enthüllungsbuchs“ über Le Monde im Jahr 2003, Pierre Péan und Philippe Cohen – die damals das nationalistische Ziel verfolgten, der Pariser Abendzeitung mangelnde Vaterlandsliebe vorzuhalten.
(Vgl. http://jungle-world.com/artikel/2003/12/10301.html oder
http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2003/nr12/Kultur/5186.html

Persönliche Motive jedoch mögen bei den beiden Verfassern durchaus eine Rolle spielen: Als Reaktion auf das Erscheinen ihres Buches publizierte der Canard Ende vergangenen Jahres die Bewerbungsschreiben, die beide Autoren noch vor wenigen Jahren an die Redaktion richteten, die jedoch abgelehnt worden waren. „Verbitterung, Neid und enttäuschte Karrieresucht“ wittert die Redaktion deshalb hinter ihrer „Brandschrift“. Wer im Glashaus sitzt, der möge nicht mit Steinen werfen, so lautet ihre Botschaft. In ihrem ausführlichen Dementi, das im November 2008 im ‚Canard’ abgedruckt wurde. 

 Der Streit um das Buch ist seitdem abgeebbt, und in den drei Monaten, die es nunmehr auf dem Markt ist, hat es erstaunlich wenige Polemiken und Diskussionen darum gegeben. Ein neuer Beweis für die „Einschüchterungsmacht“, welche die Verfasser der Wochenzeitung zuschreiben? Vielleicht. Aber vielleicht auch nur ein Hinweis darauf, dass dem Canard – bei aller Kritik an seiner konkreten Arbeit – dennoch in breiten Kreisen eine positive Grundfunktion zuerkannt wird. Wer in der Kläranlage der Demokratie arbeitet, darf sich auch einmal die Hände schmutzig machen, und man möge nicht über den Geruch klagen.

Ein fragwürdiges „Innenleben“

 Nicht uninteressant ist zuletzt auch der Hinweis auf das Redaktionsleben des Canard enchaîné hinter den Kulissen, das Laske und Valdiguié vor ihren Lesern ausbreiteten. Aus einer früheren libertären, subversiven Angelegenheit – bei der insbesondere der Antimilitarismus ihrer Journalisten eine wichtige Rolle spielte – ist ihnen zufolge längst ein eingefahrener, durchhierarchisierter, ausgetrockneter Betrieb geworden. Eigeninitiative ist weitgehend zugunsten eigenmächtiger Entscheidungen der Chefs erstickt. An der Spitze stehen inzwischen fast ausschlieblich Männer über 70, die die Verbreitung von Enthüllungsinformationen als Geschäft, und durchaus nicht aus Lust an der Subversion, betreiben.

Zu den relativ finsteren Kapiteln in der Darstellung der beiden Buchverfassern zählt die Beschreibung redaktioneller Abläufe und der Entscheidungsstrukturen – das Eigenkapitel der Zeitung liegt theoretisch in den Händen ihrer Mitarbeiter. Doch faktisch müssen diese bei ihrem Eintritt in die Redaktion eine Blankounterschrift unter eine Erklärung setzen, derzufolge sie die ihnen übergebenen Aktien „freiwillig“ wieder abgeben. Die Redakteure stimmen auf den Mitgliederversammlungen nur als „Strohmänner“ der tatsächlichen Hierarchie. Die reale Macht liegt demnach in den Händen der Familie des Zeitungsgründers Maréchal und einiger Chefs, die Ihresgleichen im Laufe der Jahrzehnte in ihre Runde kooptiert (= von oben ausgesucht) haben. Vor allem aber beinhaltet die Funktionsweise der Zeitung, folgt man den Autoren, ein gerüttelt Mab an Frauenfeindlichkeit. Jahrzehnte lang arbeitetenn keine Frauen beim ‚Canard’, und weibliche Journalistinnen wurden als Störenfriede und Eindringlinge beäugt. Seit 1985 gab es eine einzige Redakteurin, Sylvie Caster, die von ‚Charlie Hebdo’ her kommend zum ‚Canard’ überwechselte. Aber sie wurde zum Opfer eines regelrechten Mobbings und warf nach gut zehn Jahren entnervt das Handtuch. Eine Studentin der politischen Soziologie – Michel Mehanna -, die im Jahr 1996 eine Diplomarbeit über das Innenleben des ‚Canard’ verfassen konnte, welche von den Verfassern aufgestöbert wurde, beschrieb diese Strukturen. Ihr gegenüber beriefen sich Redakteure unter anderem darauf, dass sie keine Frauen einstellen wollten, „weil wir gerne unter uns sind und nach Feierabend zusammen Poker spielen“. Und mehrfach fiel das Argument: „Frauen arbeiten bei uns zwar keine, aber kürzlich wurde sogar ein Homosexueller eingestellt. Das ist allein schon eine Revolution in der Redaktion...“ (Heute arbeiten, inzwischen, zwei weibliche Redakteurinnen beim ‚Canard’. Sylvie Caster hingegen, nach jahrelangem Mobbing, gekündigt worden.)

Die Chefredaktion des ‚Canard’ versuchte daraufhin, nachdem ihr der Inhalt der Diplomarbeit bekannt geworden war, mit allen Mitteln Druck auf die Universität auszuüben und die Annahme der Arbeit durch die Hochschule zu verhindern. Der verantwortliche Professor lehnte es jedoch ab, sich „einschüchtern“ – so die Wortwahl von Laske und Valdiguié – zu lassen. Versuchte Zensur durch eine Enthüllungs- und Satirezeitung: Ein Treppenwitz der Geschichte, von dem das breitere Publikum ohne das Buch über „Den wahren Canard“ mutmablich nichts erfahren hätte.

Noch brisanter ist jedoch, dass aus dem Inneren der ‚Canard’-Redaktion offenkundig auch Material über die angegriffene Diplomarbeit an die rechtsextreme Wochenzeitung ‚Minute’  zugestellt worden ist. Letztere publiziert Auszüge aus den Informationen, die durch die Arbeit der Studentin zu Tage gefördert worden sind. Dabei handelt es sich jedoch nur um ein Manöver – bei dem ‚Minute’ der wesentlich etablierteren Mittwochzeitung (das rechtsextreme Blatt erscheint seinerseits am selben Wochentag) scheinbar oder tatsächlich Schaden zufügen mochte, das aber vor allem die Autorin der Diplomarbeit diskreditiert. Denn in Zukunft soll, unter Verweis auf den anrüchigen Veröffentlichungsort, ihre eigene Arbeit angegriffen oder unter ein Tabu gestellt werden. Die Lieferung der Informationen an ‚Minute’ geht aber höchstwahrscheinlich auf Quellen in der ‚Canard’-Redaktion selbst zurück.

Bei Laske und Valdiguié erfuhren die aufmerksamen Leser/innen aber zuvor auch, dass es ohnehin Querverbindungen zwischen beiden Wochenzeitungen zumindest in der Vergangenheit gegeben hat. So zitiert das Autorenduo in seinem Buch frühere Mitarbeiter der rechtsextremen Zeitung ‚Minute’ (die selbst in den 60er Jahren noch eine hohe Auflage hatte und damals als relativ populäre Enthüllungszeitung wirkte, jedoch später einen Niedergang erfuhr), der – infolge redaktionsinternen Streits bei ‚Minute’ – in den frühen 1970er Jahren durch den ‚Canard enchaîné’ als Autor gewonnen werden konnte. - Auch wenn es wohl keine unmittelbaren Verbindungen zwischen beiden Redaktionen gegeben hat oder gibt, so ist doch auch ferner nicht von der Hand zu weisen, dass beide Zeitungen möglicherweise mitunter aus ähnlichen Quellen schöpfen. Denn wie Ende 2008 die Enthüllungen über die Aufzeichnungen des früheren RG-Chefs – also Leiters der polizeilichen Nachrichtendienst-Abteilung – Yves Bertrand zum Vorschein brachten, fütterte der Polizeiapparat oft auch ‚Minute’ mit Informationen über Missstände oder über bestimmte prominente Zeitgenossen. Die Enthüllungsgeschichte (dieses Mal u.a. vom bürgerlichen Wochenmagazin ‚Le Point’ losgetreten) führte zu Fortsetzungsstorys in mehreren Presseorganen. Damals, im Dezember 2008, war dann auch in ‚Libération’ zu lesen, dass z.T. die rechtsextreme Zeitung ‚Minute’ und der damals als links und antifaschistisch geltende Enthüllungsjournalist Thierry Meyssan vom Apparat gleichzeitig mit Nachrichten gefüttert wurden. Thierry Meyssan, der damals das Büro ‚Réseau Voltaire’ leitete, ist inzwischen völlig abgedreht und abgedriftet, und endete als rechter Verschwörungstheoretiker (an der Seite des rechtsextremen Investigations- und Skandalautors Emmanuel Ratier). Unter Umständen hängt dieses ‹wahnwitzig anmutende Abdriften sogar damit zusammen, dass dieselben Personen aus verwandten Quellen mit ähnlichen Informationen gespeist wurden...? 

Fazit  

Sei es, wie es sei: Investigationsjouralismus ist eine ehrbare Tätigkeit, da er dem Publikum mitunter doch interessante Einblicke hinter die Kulissen der etablierten Politik gewährt. Doch die ganz grobe Frage, die wirklich interessante politische Frage lautet dabei: Wer verfolgt welche Interesse dabei, dass er diese oder jene Nachrichten herausrückt und diesen und jenen Einblick ermöglicht?  

Dabei kann die Bewertung nur unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob ein zur radikalen Linken (der damaligen LCR) angehörender Ministerialbeamter – wie 1971 geschehen – in Eigeninitiative dem ‚Canard enchaîné’ die skandalöse Steuererklärung des Premierministers (Jacques Chaban-Delmas) zuspielt und ihn dadurch „hochgehen“ lässt; oder ob die Redaktion der Zeitung sich von hoch platzierten Stellen im Polizeiapparat „füttern lässt“. Der Amüsiereffekt beim Publikum dürfte ähnlich ausfallen. Aber die dadurch verfolgten politischen Absichten könnten unähnlicher kaum sein. Beobachten wir also die Enthüller, bei jedem ihrer Knüller!

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.