Nach neuen, heftigen
Zusammenstößen auf den Antillen am vorletzten Wochenende kehrt
dort nun vorerst Ruhe ein. Unterdessen fing es auf der Insel La
Réunion an zu rappeln… - Auf Guadeloupe droht die französische
Staatsmacht, am „Rädelsführer“ des ‚Kollektivs gegen Ausbeutung’
(LKP) Rache zu nehmen. Sie leitete ein Ermittlungsverfahren
gegen ihn, unter dem völlig irren Vorwurf, „Rassenhatz gegen
Weiße“ betrieben zu haben…
Kaum
ist an einem Unruheherd relative Ruhe eingekehrt, bricht am
nächsten ein heftiger sozialer Konflikt auf. In den
französischen „Überseebezirken“ (départements d’outre-mer, DOM)
herrscht seit Wochen sozialer Aufruhr. Auf der Karibikinsel
Guadeloupe begann der Generalstreik am 20. Januar 2009, und ging
am 5. März dieses Jahres zu Ende. Das Kollektiv, das den Protest
trug – ‚Liannay kont pwofitasyo’n, auf Kreolisch „Zusammen gegen
Ausbeutung“ – und dem 49 Organisationen angehörten, unter ihnen
alle Gewerkschaften auf der Insel, konnte seine Ziele weitgehend
erreichen. Nun steht aber noch ein zäher Kampf in den einzelnen
Betrieben um die Durchsetzung des Abkommens vom Abend des 4.
März, das nicht von allen „Arbeitgebern“ anerkannt wird, bevor.
Auf
der ebenfalls zu den französischen Antillen gehörenden Insel La
Martinique, wo der Generalstreik etwas später anfing – am 5.
Februar – ging er voraussichtlich in der Nacht vom Dienstag (10.
März) zum Mittwoch, den 11. März zu Ende. Zu dem Zeitpunkt wurde
ein Abkommen über die Anhebung aller niedrigen Löhne
abgeschlossen; zuvor hatte es zwar bereits ein Rahmenabkommen
vor circa 14 Tagen gegeben, aber zwischenzeitlich waren die
Verhandlungen zu den näheren Bestimmungen blockiert geblieben.
Am darauffolgenden Wochenende wurde zudem ein „Abkommen zur
Krisenbeendigung“ vom 14. März (Accord de sortie de crise)
unterzeichnet. - Auch hier konnten, im Wesentlichen, die
Forderungen der Protestbewegung erfüllt worden.
Doch
in einem anderen französischen „Überseebezirk“, auf La Réunion –
im Indischen Ozean zwischen Madagaskar und der Insel Mauritius
gelegen -, ging der Streik gleichzeitig erst los. Am 5. und 10.
März 2009 fanden erstmals generalstreiksförmige
Arbeitsniederlegungen statt. Am 11. März wurden, nach einer
Nacht heftiger Unruhen in einem „sozialen Brennpunkt“ der Stadt
Saint-Denis-La-Réunion, die Verhandlungen über die Erhöhung der
Löhne und Senkung der Preise wieder aufgenommen. In jener Nacht
waren mutmablich
20 Polizisten verletzt wurden, und es war mit scharfer Munition
auf einen Gendarmeriebeamten geschossen worden (der am Arm
verletzt wurde und ein paar Stunden im Krankenhaus verbringen
musste).
In
allen drei Fällen wechselten sich Phasen breiter sozialer
Mobilisierung, in Form von – gemessen an der Einwohnerzahl –
riesigen Demonstrationen, ab mit Phasen militanter
Auseinandersetzungen. So wurden in den Tagen ab dem 16. Februar
auf Guadeloupe Barrikaden errichtet, Straben
abgesperrt, und jugendliche „Aufrührer“ schossen mit scharfer
Munition. Nach dem Tod eines 48jährigen Gewerkschafters –
Jacques Bino, der mutmablich
von jungen „Hitzköpfen“ irrtümlich für einen Zivilpolizisten
gehalten wurde – in der Nacht zum 18. Februar d.J. kühlte sich
die Lage zunächst temporär wieder ab.
Heftige Zusammenstöbe
zwischen Polizei und „Aufrühern“ gab es am o6. März dieses
Jahres auch auf La Martinique - wo die Austragung sozialer
Konflikte normalerweise „moderater“ abläuft als auf Guadeloupe,
wo radikalere politische Traditionen bestehen. In ‚Libération’
beschreibt der martiniquaisische Schriftsteller Alfred Alexandre
die Szenen und spricht davon, nur „Vermittler“ der –
progressiven - Stadtregierung in der Inselhauptstadt
Fort-de-France hätten an jenem Freitag (o6. März) verhindert,
dass den Riotpolizisten auf dem zentralen Platz von
Fort-de-France ernsthaft etwas zustobe.
Denn „dort (in den Armenvierteln), wo Crack, Verbrechen,
Waffenhandel, Arbeitslosigkeit und ein Gefühl, durch die
Gesellschaft aufgegeben worden zu sein“ den Alltag mit prägten,
habe man in Teilen der Jugend kaum etwas zu verlieren. „Dort
werden die ‚Milizionäre, die aus Frankreich kommen’ erwartet,
wie die Kugel auf ihr Ziel wartet.“ Aber in breiteren Teile in
der Inselbevölkerung erinnere man sich auch daran, wie in den
60er und 70er Jahren die Rebellen der antikolonialistischen
Generation behandelt worden seien: „geschlagen, gejagt, aus
Fernsehen und Radio verbannt, willkürlich verhaftet,
ausgegrenzt, vor den Staatssicherheitsgerichtshof überstellt“.
Deshalb sehe man dort die „Robocops“ (Roboter-Bullen), wie sie
mit einem französischen Ausdruck bezeichnet werden, höchst
ungern, wenn sie „ihre Tränengasgranaten auf Plätze des
historischen Andenkens werfen“. Soweit der Schriftsteller. (Vgl.
‚Libération’ vom 12. März o9)
Und
auf La Réunion erschütterten Riots bereits in der ersten Woche
nach Ausrufung des Generalstreiks, Anfang März 2009, das
Quartier ‚Le Chaudron’ - Der Kessel -, ein Armenviertel der
Inselhauptstadt Saint-Denis-la-Réunion. (Bei Unruhen im Jahr
1991 hatte es auf La Réunion Tote unter den Protestierenden
gegeben.)
Gewalt „entblockiert“ Verhandlungen
Das
Aufflammen der Gewalt stellte jeweils eine Reaktion auf eine
„blockierte Situation“ dar, wo die Verhandlungen festzustecken
schienen und sich die Staatsmacht zu keinen substanziellen
Zugeständnissen bereit erwies. Im Falle von La Martinique
bildeten die Unruhen und Konfrontationen mit der Staatsmacht
zudem eine Reaktion auf eine Provokation der „Béké“, der aus
Nachfahren der früheren weiben
Sklavenhalter bestehenden Gutsbesitzerkasten, in deren Teile
wesentliche Teile der Inselökonomie liegen.
Ihre
Repräsentanten hatten an jenem Freitag zu einer Kundgebung gegen
die Streikenden und gegen ihre Forderungen aufgerufen, was viel
böses Blut hervorrief und selbst die französische
Zentralregierung nicht entzückt haben dürfte . Allerdings
wertete es der neue Chef der Regierungspartei UMP und frühere
Pariser Sozialminister (bis Januar 2008), Xavier Bertrand, in
einer ersten Stellungnahme als skandalös, dass man „das
Demonstrationsrecht“ dieser elitären Kaste „nicht respektiere“.
Regierende Rechte bei Frage nach taktischem Umgang mit der
Revolte gespalten
In
Wirklichkeit ist die politische Klasse in Paris jedoch
gespalten: Der französische „Staatssekretär für
Übersee-Angelegenheiten“, Yves Jégo, etwa hält die politische
Linie der reationärsten „Béké“-Kreise für nicht durchsetzbar und
zeigte sich in seinen öffentlichen Stellungnahmen von einem
„archaischen Patronat“ – also einem nicht zeitgemäb
auftretenden Arbeitgeberlager – entsetzt. Es einfach zu
unterstützen, ist in seinen Augen aus Sicht des französischen
Zentralstaats nicht haltbar. Dagegen setzte ein anderer Teil des
Regierungslagers offenkundig auf eine repressive „Lösung“
und/oder darauf, dass der Ausstand auf den Inseln sich entweder
im Laufe der Wochen „totlaufen“ oder aber in Gewalt umschlagen
würde – welche es erlaube, die Protestierenden zu isolieren oder
repressiv niederzuschlagen. Letztere Position scheint lange
Wochen hindurch auch jene des Elysée-Palasts unter Präsident
Nicolas Sarkozy gewesen zu sein, bevor die Regierung dann
letztendlich doch noch eher beruhigend auf das Geschehen
einwirkte.
Ein
sehr schlechtes Zeichen ist allerdings, dass die
Staatsanwaltschaft in der Inselhauptstadt Pointe-à-Pitre – auf
Guadeloupe – am o6. März o9 ein Strafverfahren gegen den
(schwarzen) Sprecher des Kollektivs LKP, Elie Domota,
einleitete. Dem 42jährigen wird in dem Ermittlungsverfahren, das
von Amts wegen eröffnet wurde, „Aufstachelung zum Rassenhass“ –
so lautet ein Delikttatbestand des französischen
Strafgesetzbuchs, vergleichbar dem deutschen
Volksverhetzungsparagraphen – vorgeworfen. Gegen Weibe.
Was
hatte er verbrochen? Elie Domota hatte jenen Arbeitgebern, die
nicht zur Anerkennung und Umsetzung des am 4. März
abgeschlossenen Abkommens bereit seien, damit gedroht, sie
müssten auf Dauer die Insel verlassen: „Wir werden es nicht
zulassen, dass eine Bande von Béké wieder die Sklaverei
einführen möchte.“ Dies wurde von Amts wegen als Rassenhatz
gegen Weibe
gewertet. In Wirklichkeit bezeichnet der Begriff „Béké“ aber
mitnichten eine Hautfarbe, sondern die Zugehörigkeit zu einer
fest definierten sozialen Gruppe. Ein Eintrag im französischen
Wikipedia erklärt beispielsweise, als Béké bezeichne man auf den
französischen Antillen „die Nachfahren der frühen, Sklaven
haltenden Siedler“. Und im übrigen auch nicht alle ihrer
Nachfahren. Denn wer in diesen Kreisen eine „Mischehe“ mit
Dunkelhäutigen eingeht, wird – auch heute noch – regelmäbig
von seiner Klasse oder Kaste verbannt und ausgeschlossen.
Die
Staatsanwaltschaften in Frankreich sind an Weisungen aus dem
Justizministerium gebunden – nicht jedoch die Richter/innen -,
so dass klar ist, dass die politischen Machthaber in
Point-à-Pitre und Paris dieses Ermittlungsverfahren
unterstützen. Schon zuvor zeichnete sich ab, dass zumindest
Teile des regierenden Bürgerblocks in Paris das LKP eine
ziemlich irre Ecke drücken möchten und auf Rache sinnen. So
bezeichnete der Abgeordnete der französischen Regierungspartei
UMP, Frédéric Lefebvre – ein Provokateur, der oft als
Lautsprecher Nicolas Sarkozys agiert – das LKP Anfang März als
‚tontons macouts’ (ungefähr: Macheten-Onkel). Dadurch verglich
er das Protestkollektiv mit einer Miliz, die unter dem
haitianischen Diktator Duvalier, gestürzt 1986, mit brutaler
faschistischer Gewalt gegen Oppositionelle vorging und in der
gesamten Karibik einen finsteren Namen im kollektiven Gedächtnis
hinterlassen hat.
(Auch
mehrere französische Antirassismusbewegungen – unter ihnen jene,
bei denen der Verfasser dieser Zeilen im Hauptberuf als Jurist
tätig ist - erhielten in der vergangenen Wochen Anfragen aus
ganz bestimmten Kreisen von den Antillen. Dabei ging es darum,
angebliche „rassistische Äuberungen“
aus den Kreisen der Protestbewegung zu signalisieren, die sich
gegen Weibe
richteten. An mindestens drei französische
Antirassismusorganisationen wurde so das Ansinnen gerichtet, sie
mögen als Nebenkläger auftreten, um eine Strafanzeige
diesbezüglich zu unterstützen. Bei jener Vereinigung, für die
der Autor arbeitet, wurden die Urheber dieses Ansinnens jedoch
unverzüglich „zum Scheiben
geschickt“, wie man es im Französischen ausdrückt, wenn man eine
ordentliche Abfuhr erteilt..)
Auf dem Spiel steht: die Macht der Sklavenhalter-Nachfahren
Aber
worum ging und geht es bei den Streiks und massiven Strabenprotesten?
Im Mittelpunkt steht tatsächlich die wirtschaftliche Dominanz
und soziale Vormachtstellung der Béké. Jene setzt sich, trotz
der definitiven Abschaffung der Sklaverei in allen zu Frankreich
gehörenden Gebieten im Frühjahr 1848, bis heute fast ungebrochen
fort.
Erst
vor kurzem noch löste einer ihrer führenden Repräsentanten auf
La Martinique - Alain Huyghues-Despointes, einer der führenden
Unternehmer der französischen Überseegebiete, Nummer 114 in der
Rangliste der Superreichen Frankreichs - einen handfesten
Skandal aus. Am 6. Februar 2009 hatte er im Regionalfernsehen
„die Rassenmischung“ für die Unruhen verantwortlich gemacht. In
„Mischlingsfamilien“ herrsche ihm zufolge Unordnung, da „die
Kinder unterschiedlicher Hautfarbe“ seien. „Wir“, die Beke,
„haben immer auf die Reinhaltung unserer Rasse geachtet“, meinte
er und war dabei völlig ernst. Und dann fiel der Satz, aufgrund
dessen inzwischen viele Einwohner der Karibikinsel, aber auch
eine französische antirassistische Vereinigung – letztere von
Paris aus - inzwischen Strafanzeige gegen ihn bei der
Staatsanwaltschaft der Inselhauptstadt Fort-de-France erstattet
haben: „Die Historiker neigen dazu, die Probleme ein bisschen zu
übertreiben. Sie reden überwiegend von den negativen Seiten der
Sklaverei. Aber es hat auch positive Seiten gegeben.“ Auf die
Nachfrage, was denn die positiven Seiten gewesen seien, führte
er aus: „Manche Herren (von Sklaven) sind auch sehr menschlich
gewesen.“
Die
Sklaverei ist seit wenigen Jahren, seit einem Gesetz aus dem
Jahr 2001 (der ‚Loi Taubira’), durch die Französische Republik
offen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt.
Insofern hat Huyghues-Despointes, den Klägern zufolge, den
Straftatbestand der Leugnung oder Apologie eines Verbrechens
gegen die Menschlichkeit erfüllt. Die Sklavenhaltung war auf den
französischen Antillen zunächst 1794 unter der Revolution
abgeschafft worden. Auf der Insel Guadeloupe, wo die Gesandten
der Pariser Jakobiner sich mit den freigelassenen Sklaven
verbündeten, wurde mit den führenden Vertretern der „Béké“ nach
dem RR-Prinzip („Rübe unter“) verfahren. Nicht so auf La
Martinique, denn die Insel war zwischenzeitlich für einige Jahre
unter britische Herrschaft geraten, und die feudalen
Sozialstrukturen wurden dort bewahrt. Und dies weitgehend bis
heute. Bis heute sind es auch die wichtigsten Béké-Familien von
La Martinique, denen nicht nur auf ihrer „eigenen“ Insel,
sondern auch im benachbarten Guadeloupe – wo die alte
Feudalklasse durch die historischen Ereignisse bedingt „ausfiel“
- grobe
Teile der Inselökonomie gehören.
Auf
den Antillen existiert eine Form kolonialer Ökonomie, die
weitgehend am Tropf der „Metropole“, also des europäischen
Frankreich, hängt. Neben den Tourismuseinnahmen - die in den
letzten Wochen aufgrund des Generalstreiks und der dadurch zum
Erliegenden gekommenen Treibstoffversorgung weitgehend
ausbleiben - basiert die Inselwirtschaft weitgehend auf
landwirtschaftlichem Großgrundbesitz und auf Einfuhrmonopolen.
Letztere, die berühmte „Containerwirtschaft“, befindet sich nach
wie vor fest in der Hand von Angehörigen der „Béké“. Daraus
resultieren die immensen Preisunterschiede zur Metropole, zum
europäischen Festlandfrankreich - wie beispielsweise im Falle
der inzwischen sprichwörtlich gewordenen Zahnbürste, die im
europäischen Frankreich einen Euro und in Guadeloupe 4,50 Euro
kostet. Die so genannte freie Konkurrenz – die dem in der
wirtschaftsliberalen Theorie entgegenstünde - kann diese
Mechanismen nicht aushebeln, da aufgrund der geographischen
Inselsituation nur wenige Vertriebswege existieren, die fest in
der Hand der örtlichen Monopole liegen.
Deswegen beruhte die faktische Kolonialökonomie auf
Monopolpositionen, die faktisch fest in der Hand der alten; weiben
„Béké“-Elite liegen. Aber auch europäische Firmen, etwa vom
französischen „Festland“, profitieren von den „politisch
festgesetzten“ Preisen – die wichtigsten Verbraucherpreise, die
auf einer offiziellen Liste aufgeführt sind, werden vom
Präfekten (juristischen Vertreter des französischen
Zentralstaats) festgelegt – und den dadurch ermöglichten
Superprofiten. So verkauft der französische Erdöl-Multikonzern
TOTAL auf Guadeloupe Treibstoff zu weit überhöhten Preisen, und
streicht dabei selbst einen deutlichen Extraprofit ein. Zudem
ist etwa der oben zitierte Alain Huyghues-Despointes, der
reichste Mann auf den Karibikinseln, offizieller Lizenzinhaber
für den Verkauf von rund 400 Industrieprodukten auf Guadeloupe
und La Martinique, die an ihm vorbei dort nicht vertrieben
werden können. Deren europäische Herstellerfirmen und die „Béké“
teilen sich die Extraprofite unter sich auf.
Die
Lebensmittelpreise sind gegenüber denen auf dem französischen
„Festland“ um rund 40 Prozent überhöht, und ein
Untersuchungsbericht im Auftrag des französischen Parlaments kam
zum Ergebnis, diese Preisunterschiede seien absolut nicht durch
die objektiven Transportkosten zu rechtfertigen. Zumal die
Inhaber von Einfuhrlizenzen sich nicht scheuen, auch dort
relativ hohe Transportkosten zu erzeugen, wo es schlichtweg
unnötig wäre. Den Kindern und Jugendlichen in den Schulkantinen
auf den französischen Antillen werden Früchte aus Neuseeland
serviert. Unnötiger geht es nicht: Aufgrund des geradezu
paradiesischen Klimas wachsen so gut wie alle Tropenfrüchte
direkt nebenan. Aber der Import von Kiwis aus Neuseeland wirft
Einfuhrprofite ab. – Und selbst Fruchtsaft, der auf den Antillen
selbst hergestellt wird, oder Bananen, die dort angebaut werden,
sind auf den Inseln oft teurer im Verkauf als auf dem 8.000
Kilometer entfernten französischen Festland. Ein völlig irres
System...
Insofern stellt sich die Frage nach der Umverteilung der
Reichtumspositionen auf den Inseln, aber für manche politische
Bewegungen auch jene nach der politischen Unabhängigkeit von
Frankreich (oder, im Falle der KP Guadeloupes, nach Autonomie im
französischen Staatsverband bei gleichzeitiger Integration in
die Karibikregion). Aber in der Vergangenheit wurden
Unabhängigkeitsbewegungen mehrfach blutig unterdrückt. Die
Niederschlagung von Demonstrationen und Streiks im Mai 1967
kostete 110 Todesopfer, ebenso blutig fiel die vorangegangene
Repressionswelle im Februar 1952 hochgradig blutig aus. Heute
wäre dieser Schritt allerdings für die französische Staatsmacht
schwerer zu unternehmen, da Handy-Kameras und Internet dafür
sorgen würden, dass die Bilder alsbald um die Welt gingen. (Der
Sprecher des LKP, Elie Domata, hatte den Repressionskräften
unter anderem auch öffentlich gedroht: „Falls es Tote in unseren
Reihen gibt, so wird es auch Tote auf der anderen Seite geben.“
Anscheinend hatte dies eine gewisse Wirkung nicht völlig
verfehlt.)
Im
Laufe des Februar 2009 waren zunächst sechs und dann nochmals
vier Hundertschaften „mobiler Garden“ der französischen
Gendarmerie – eine Elitetruppe der „Ordnungshüter“, die dem
Verteidigungsministerium untersteht – auf Guadeloupe und La
Martinique verlegt worden.
Unabhängigkeitsforderung oder sozialer Aufstand
Die
letzte oppositionelle Bewegung, die Forderungen gegen das Elend
offen mit der Unabhängigkeitsfrage verknüpfte und aus der heraus
Einzelne – unter ihnen namhafte Intellektuelle und Lehrer – zu
Bombenanschlägen gegen französische Institutionen übergingen,
wurde 1985 brachial niedergeschlagen. Daraus haben die
Oppositionskräfte auf Guadeloupe gelernt. Zwar treten die
wichtigsten sozialen Oppositionsbewegungen in der Regel auch für
die Unabhängigkeitsforderung ein. Etwa der Gewerkschaftsbund
UGTG auf Guadeloupe, der die Mehrheitsheitsgewerkschaft der
Insel – mit 52 Prozent der Stimmen bei den letzten
Arbeitsgerichtswahlen Anfang Dezember 2008 stellt.
Aber
in diesem Jahr hiellt die soziale Protestbewegung sich mit der
politischen Unabhängigkeitsforderung zurück, die in keinem der
Forderungskataloge auftaucht. Um die Einheit mit
Oppositionskräften in der „Metropole“ zu ermöglichen und nicht
vom französischen Staat von den Bewohnern des europäischen
Frankreichs isoliert zu werden, rücken ihre Wortführer ausschlieblich
soziale Forderungen in den Vordergrund. Soziale Inhalte, die
auch für Menschen auf dem französischen „Festland“ verbindend
wirken können. Gleichzeitig ist es momentan eher die
französische Rechtspresse, die – in denunziatorischer Absicht –
den Gedanken einer Unabhängigkeitsbewegung in den Raum wirft. In
seiner Ausgabe vom 26. Februar o9 behauptet das
konservativ-liberaler Pariser Wochenmagazin ‚L’Express’
beispielsweise, die sozialen Forderungen der Bewegungen seien
nicht ernst zu nehmen, denn diese wolle „ohnehin nicht ernsthaft
verwandeln“, sondern nur – auf dem Umweg über das Herbeiführen
eines Chaos – die Inseln in die Unabhängigkeit treiben.
Eine
Umfrage des konservativen Wochenmagazins ‚Figaro Magazine’ ergab
zur selben Zeit, dass 51 Prozent der Festlandsfranzosen (und 68
% der Wähler der extremen Rechten, laut manchen anderen Umfragen
auch bis über 75 %) sich für eine Unabhängigkeit der Antillen
aussprächen – die Frage war so gestellt worden, dass sie dem
Publikum suggerierte, dass die Karibikinseln „uns viel kosten“.
(Auf Guadeloupe selbst vertreten die für die Unabhängigkeit
eintretenden Parteien circa 20 % der Stimmen. Ein Teil der
örtlichen Gesellschaft ist gegen die Unabhängigkeitsforderung,
u.a. weil sie davon ausgeht, dass man mit einem französischen
EU-Pass besser in der Welt reisen könne als mit einem
„karibischen Inselpass“.) Insofern wird die
Unabhängigkeitsforderung zumindest im Augenblick eher von rechts
her in den Raum geworfen, um zu Spaltung und Entsolidarisierung
zu führen.
Demgegenüber stellte das Netzwerk Liannay kont pwofitasyon (LKP)
vor allem soziale Forderungen in den Vordergrund, die eine
Solidarisierung auch der Festlandsfranzosen ermöglichen sollten.
Auf dem Höhepunkt des Streiks in Guadeloupe demonstrierten auch
in Paris zwischen 10.000 und 20.000 Menschen auf einem
Solidaritätsmarsch für die Antillenbewohner am 21. Februar.
Französische Linke – eine Delegation der französischen KP,
Olivier Besancenot vom NPA (Neue Antikapitalistische Partei),
der frühere Sprecher einer internationalistische
Bauerngewerkschaft (und jetzige Grünen-Kandidat zur
Europaparlamentswahl) José Bové – reisten gleichzeitig auf die
Insel Guadeloupe, um ihre aktive Solidarität auch vor Ort
auszudrücken.
„Unidentifiziertes politisches Objekt“
Das
LKP, das die Tageszeitung ‚Libération’ in ihrer Ausgabe vom o4.
März als „Unidentifiziertes politisches Objekt“ beschrieb und
ausführlich untersuchte, setzt sich aus einem Geflecht von
Gewerkschaften, kulturellen Vereinigungen wie etwa
karibikfranzösischen Karnevalsgruppen, Stadtteilgruppen und
ähnlichen Initiativen zusammen. Insgesamt sind es 49 an der Zahl
– es hätten auch an die 100 werden können, aber die Leiter des
Kollektivs zogen es vor, seine Grenzen nicht zu sprengen, um
eine gewisse Homogenität bei den Forderungen und im Vorgehen zu
wahren. Unterdessen formierte sich auch auf La Martinique eine
ähnliche, aber nicht ganz so breite Allianz – unter führender
Rolle der örtlichen Gewerkschaften -, das „Kollektiv vom 5.
Februar“, um den Ausstand zu organisieren, der an jenem Tag
begann. (Der karibische Karneval spielt allem Anschein nach
überall eine wichtige Rolle als sozialer Mobilisierungsfaktor,
jedenfalls hören zwei der wichtigsten jüngsten Krawalldaten auf
der Insel La Martinique auf den Namen „Rosenmontags-“ und
„Aschermittwochsunruhen“... Vgl. den Beitrag des Schriftsteller
Alfred Alexandre in ‚Libération’ vom 12. März...)
Und
auch auf La Réunion führt nun ein ähnliches Bündnis aus
gewerkschaftlichen, sozialen und „zivilgesellschaftlichen“
Kräften den Ausstand seit den beiden Generalstreiktagen vom 5.
und 10. März an. Es hört dort auf den Namen COSPAR, als Kürzel
für „Kollektiv der sozialen, politischen und initiativfömigen
Organisationen von La Réunion“ (‚Collectif des organisations
sociales, politiques et associatives de La Réunion’). Auch die
Insel La Réunion ist eine frühere Sklavenhalterzone unter
französischer Herrschaft. Auch dort wurde die Sklaverei, ähnlich
wie auf La Guadeloupe, erstmals von 1794 und 1802 und definitiv
dann im Jahr 1848 abgeschafft. Allerdings ist die Bevölkerung
auf La Réunion noch viel durchmischter als auf den Antillen, da
sich hier auch gröbere
Bevölkerungsanteile asiatischer Herkunft oder auch mit
Ursprüngen von Madagaskar befinden. Letztere, vor allem die
Hindus und chinesischstämmigen Bewohner, sind ihrerseits oft im
Handel aktiv.
Vom Streik zum (zu den) Abkommen
Die
zentrale Forderung auf den Antillen lautete einerseits, alle
niedrigen Löhne um 200 Euro zu erhöhen, beinhaltete andererseits
aber auch die Senkung vieler Preise – die in der Regel vom
Präfekten (juristischen Vertreter des Zentralstaats) festgelegt
werden – und spezifische Forderungen wie die nach einem
Entschädigungs- und Entgiftungsprogramm für die Opfer von
Pestiziden, die in früheren Jahrzehnten auf den
Monokultur-Bananenplantagen der Grobgrundbesitzer
eingesetzt wurden. - Auch auf La Réunion werden vom ‚Cospar’ nun
ähnliche Forderungen erhoben. An zentraler Stelle wird bei den
aktuell laufenden Verhandlungen auch hier um die geforderte
Lohnerhöhung um 200 Euro (für alle niedrigen Einkommen)
gestritten und gefeilscht.
In
den letzten Februartagen, am 26. und 27. Februar, zeichneten
sich Konturen eines Abkommens zwischen den wichtigsten sozialen
Akteuren ab. Es würde in etwa beinhalten, dass die Arbeitgeber
auf der Insel 50 Euro aus eigener Tasche auf die niedrigen Löhne
(bis circa 1.400 Euro netto, dem 1,4fachen des gesetzlichen
Mindestlohns SMIC) hinzulegen und nochmals 50 Euro, die ihnen
der Staat durch eine Senkung von Steuern oder Sozialabgaben
erlässt. Nochmals 80 Euro würden als Sonderprämie aus
staatlichen Mitteln bezahlt, die allen unteren Lohngruppen bis
zum 1,4fachen SMIC – freilich gestaffelt – zugute kommen soll.
Dadurch würden die Lohn- und Gehaltsempfänger zumindest
zeitweise 180 Euro pro Monat mehr in der Tasche haben (was
annäherungsweise an die 200 Euro-Forderung herankäme),
finanziert würde die Beinahe-Erfüllung dieser Forderung jedoch
aus unterschiedlichen Quellen.
Das
Abkommen, das in der Nacht vom 4. zum 5. März o9 auf Guadeloupe
unterzeichnet wurde, sieht nunmehr einen ähnlichen Mix vor, der
nunmehr das Erreichen der 200 Erhöhung für alle tiefen Löhne
(bis zum 1,4fachen des Mindestlohns SMIC) sichert. Auch die
Stipendien von Studierenden wurden ihrerseits um 200 Euro
erhöht. Zudem wurden verschiedene Preissenkungen garantiert, und
das Bereitstellen eines Kontingents vergünstigter Flugtickets
zwischen Guadeloupe und Festlandfrankreich zu 340 Euro – da auch
die überhöhten Flugpreise der einzigen die Route befliegenden
Luftfahrtgesellschaft kritisiert worden waren – wurde ebenfalls
festgeschrieben. Nicht zuletzt wurde jungen, diplomierten
Inselbewohnern eine bevorzugte Einstellung auf Arbeitsplätze der
öffentlichen Hand zugesichert, um zu verhindern, dass diese
immer wieder durch europäische Franzosen aus der Metropole
aufgefüllt werden, während die Arbeitslosigkeit auf den Inseln
horrend bleibt (derzeit laut offizieller Statistik 23,5 % auf
Guadeloupe).
Ähnliche Modalitäten sieht auch das Abkommen auf La Martinique
vor. Dort hatte die örtliche Führung der Gewerkschaft CGT – die
auf La Martinique der trotzkistischen Partei Lutte Ouvrière (LO,
Arbeiterkampf) nahe steht – nochmals kurzfristig nachgelegt und
eine Erhöhung um 250 Euro statt 200 gefordert, war jedoch damit
gescheitert.
Ausblick
Die
entscheidende Frage wird jedoch sein, welche Unternehmen das
jeweilige Abkommen auch respektieren. Bislang zeichnet sich ab,
dass viele kleine, selbst von den Inseln stammende Arbeitgebern
bereit sind, es umzusetzen – während vor allem die Grobunternehmen
in den Händen von Béké oder Europäern dies bislang zu verweigern
scheinen.
Das
LKP hat nun angekündigt, durch die einzelnen Betriebe zu ziehen
und dort massiven sozialen Druck für die Einhaltung und
Umsetzung des Abkommens zu sorgen. Die damit verbundene Drohung
von LKP-Sprecher Elie Domatas, jene Unternehmer, die dazu
dauerhaft nicht bereit seien, hätten nicht ihren Platz auf der
Insel, wurde nun zum Anlass genommen, um das – skandalöse –
Ermittlungsverfahren aufgrund angeblichen „Rassismus“ gegen ihn
einzuleiten. Ein Teil der regierenden Rechten möchte ganz
offenkundig Rache nehmen an einer sehr erfolgreichen sozialen
Bewegung.
Am
07. März wurde die Prozedur zur ‚extension’ (wörtlich:
„Ausdehnung“) des Abkommens auf Guadeloupe, das bedeutet in
deutscher Terminologie: zu seiner AVE
(Allgemeinverbindlich-Erklärung), lanciert. Das bedeutet aber
zunächst nur, dass - um den 20. März - die Nationale
Tarifkommission (Commission nationale de la négociation
collective) zusammentreten wird, in der die einzelnen
Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sowie die Staatsvertreter
sich für oder gegen die anvisierte ‚extension’ aussprechen
können. Im Anschluss wird die Kommission ein Mehrheitsvotum
abgeben, wobei ihr Beschluss jedoch den zuständigen Minister
nicht bindet. Daraufhin wird dann der Pariser Arbeits- und
Sozialminister entscheiden, das Abkommen „auszudehnen’ oder
nicht. Gibt der Minister tatsächlich dem Verlangen der
Kommission nach ‚extension’ (falls denn ihr Mehrheitsbeschluss
so lautet) - oder sollte er, was sehr viel seltener vorkommt,
sie durchführen, ohne dass die Kommission ihr zustimmt oder sie
fordert - dann wird dieses Abkommen künftig für alle Arbeitgeber
auf der Insel rechtsverbindliche Wirkung haben. Sie müssten also
in diesem Falle die Lohnerhöhungen zahlen und das Abkommen
respektieren, auch wenn sie es nicht anerkennen oder ihre
Verbände es nicht unterzeichnet haben. Bislang äußert der
zuständige Minister (Brice Hortefeux) sich jedoch ausgesprochen
zurückhaltend zur Sache selbst - ob es also eine
Allgemeinverbindlicherklärung des Abkommens geben wird oder
nicht -, sondern vertröstet auf das Datum des Zusammentritts der
Kommission.
Ab
dem 16. März o9 wird der französische Staatssekretär für
Übersee-Angelegenheiten, Yves Jégo, nun (erneut, wie Anfang
Februar) auf die Antillen reisen. Präsident Nicolas Sarkozy wird
dort im April 2009 erwartet. Nachdem in den „Überseegebieten“
wieder Ruhe eingekehrt sein wird, möchte Sarkozy dort - Insel
für Insel - „Generalstände für die Zukunft Überseefrankreichs“
abhalten. Also große Kongress mit den verschiedenen
gesellschaftlichen Akteuren. Ob aus deren Sitzungen etwas
Vernünftiges herauskommen wird, bleibt abzuwarten.
Editorische
Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir
vom Autor für diese Ausgabe.