Algerien: Lebenslänglich für Bouteflika?

von Bernard Schmid

03/09

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Der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika (Boutefliqa) bereitet sich auf eine „triumphale“ Wiederwahl vor. Das Regime, das unter seiner Regentschaft seit 1999 stark präsidentialistische und bonapartistische Züge angenommen hat, konnte sich stabilisieren – dank prall gefüllter Staatskassen durch die Ölrente. Der „soziale Frieden“ wird im Moment erkauft. Auch der staatsnahe Gewerkschaftsdachverband UGTA unterstützt el-Presidente. Doch das „Erfolgsmodell“ steht auf tönernen Füßen. Und was in einigen Jahren kommt, falls die Erdöleinnahmen verknappen sollten, steht im Augenblick in den Sternen.

Die Sterne, ja, dieselben hatten Loth Bonatéro wohl eher schlecht beraten. Der 54jährige Astrologe und angebliche Wissenschaftler – Urheber äuerst zweifelhafter Theorien zur Erdbebenforschung – zählt zu den Bewerbern, deren Kandidatur bei der anstehenden Präsidentschaftswahl zurückgewiesen wurde. Abgelehnt wurden vom algerischen Verfassungsgericht insgesamt fünf Bewerber, unter ihnen die Vorsitzenden dreier Zwergparteien, welche die formalen Voraussetzungen für eine Kandidatur nicht erfüllen konnten. Die Bewerber mussten entweder 75.000 Unterstützungsunterschriften von Bürgern aus mindestens 38 ‚Wilayat’ (Verwaltungsbezirken) – von insgesamt 48 – oder aber jene von 60 Mandatsträgern in Parlamenten beibringen.

Eingereicht hatten ihre Unterlagen, bis zum Stichdatum am 23. Februar dieses Jahres, insgesamt elf Bewerber. Alle zeigten sich überzeugt, sie hätten genügend Unterschriften aufbringen können. Unter ihnen auch der Astrologe Bonatéro. Bei mehreren von ihnen stellte sich aber heraus, dass die notwendige Anzahl nicht erreicht war. Die Liste der verbleibenden sechs Kandidaten, die nun antreten dürfen, wurde am 2. März publiziert. Am letzten Donnerstag (19. März) – dem ersten Tag des algerischen Wochenendes, da der Freitag als muslimischer Gebetstag dem europäischen Sonntag entspricht – fing nun der offizielle Wahlkampf an. Er wird bis zum 6. April dauern. Drei Tage später wird dann das nächste algerische Staatsoberhaupt gewählt.

Boutefliqa/Bouteflika for ever?

Der neue Präsident dürfte der alte sein: Abdelaziz Bouteflika. (Die korrekte Transkription aus dem Arabischen wäre im Prinzip ‚Boutefliqa’, aber die Schreibweise mit dem „k“ hat sich im Französischen und im Deutschen eingebürgert. Eigentlich ist sie unkorrekt, das „k“ und das „q“ bezeichnen zwei unterschiedliche Buchstaben im Arabischen: ‚qalb’ ist das Herz, aber ‚kalb’ der Hund... Ähnliches gilt für den Namen des Iraq, der folglich im Englischen auch mit „q“ transkribiert wird. (FUSSNOTE 1))

Schon beim Einreichen seiner Bewerbungsunterlagen hat Abdelaziz Bouteflika, der im Alter von 72 Jahren für seine Wiederwahl kandidiert, keine halben Sachen unternommen: Wo 75.000 Unterschriften erforderlich waren, legte er gleich ein Paket von über vier Millionen (!) Unterstützungserklärungen ab. Diese Zahl entspricht über einem Fünftel der Wahlberechtigten in dem nordafrikanischen Land, das gut 30 Millionen Einwohner/innen hat, die aber in ihrer Mehrheit sehr jung sind.

Neben den drei wichtigsten politischen Parteien in Algerien unterstützen ihn auch die acht gröten „Organisationen der Zivilgesellschaft“ – darunter der staatsnahe Gewerkschaftsdachverband UGTA und der Unternehmerverband FCE.


UGTA pro Boutefliqa

Was die Menschen dazu bewegte, dem quasi offiziellen Kandidaten des Staatsapparats – für den der einzige Kanal des algerischen Staatsfernsehens (ENTV) und die örtlichen Verwaltungen unverhohlen Werbung betreiben - ihre Unterschrift anzuvertrauen, liegt ziemlich klar auf der Hand. Der gute alte Klientelismus funktioniert wie geschmiert, wobei die örtlichen Verwaltungsapparate ungeniert für die (Vor-)Wahlpropaganda Boutefliqas/Bouteflikas, für seine Auftritte und wohl auch beim Unterschriftensammeln mit Hand anlegen.

In den Wochen und Monaten vor der Wahl hagelte es nur so Ankündigungen vermeintlicher sozialer Wohltaten. Ende Februar kündigte die Regierung etwa an, der algerische Mindestlohn SNMG, der (seit Ende 2006) 12.000 Dinar – umgerechnet gut 100 Euro – monatlich beträgt, werde in Bälde erhöht. Über die näheren Details wird freilich eine tripartistische, also aus Vertretern von Staat, UGTA und Arbeitgeberverbänden zusammengesetzte, Kommission nach dem Wahldatum entscheiden. Die Stipendien der Studierenden sollen um 50 Prozent aufgewertet werden. Doktoranden, Forscher oder Universitätsassistenten werde künftig eine monatliche Unterstützungszahlung in Höhe des Mindestlohns erhalten und so nicht länger auf Nebenjobs angewiesen sein. Nicht zuletzt werden die Schulden von 110.000 Landwirte, die sich insgesamt auf umgerechnet 410 Millionen Euro belaufen, durch die Staatskasse übernommen. Dies alles verkündete Bouteflika bei Inlandsreisen zwischen dem 24. Februar und dem 4. März 2009, also noch kurz vor der offiziellen Wahlkampfphase.

Wie die Wahl ausgehen wird, lässt sich also unschwer erahnen: Der für seine Wutausbrüche berüchtigte, kleinwüchsige Präsident dürfte für weitere fünf Jahre ins Amt gewählt werden. Auch ohne offenen Betrug und Manipulationen, die der amtierende Staatschef gar nicht nötig haben wird – abgesehen davon, dass mutmalich die Zahlen über die Wahlbeteiligung offiziell geschönt werden dürften. Denn bei den letzten beiden Wahlgängen, zum nationalen und den Kommunalparlamenten, im Jahr 2007 ging jeweils nur ein starkes Drittel wählen, sofern die Zahl überhaupt zutrifft. Ansonsten stellt sich wohl nur die Frage, ob Bouteflikas behaupteter „Wahltriumph“ eher auf einem Ergebnis wie jenem vom April 1999 – offiziell 74 Prozent der abgegebenen Stimmen – oder eher einem ähnlich dem vom April 2000 (offiziell 85 %) beruhen wird.

Auch an die so genannte politische Klasse war im Vorfeld gedacht wurden. Bevor die Abgeordneten im November 2008 die Hand hoben, um über eine Verfassungsänderung abzustimmen – die das bislang geltende Verbot einer dritten Amtszeit für das Staatsoberhaupt, durch die verfassungsrechtliche Beschränkung auf zwei Mandate, aufhob – wurden ihre Diäten verdreifacht. Die Abgeordnetengehälter betragen nunmehr 3.000 Euro pro Monat, für die groe Mehrheit der Algerier ein Schwindel erregender Betrag.

Politische Parteien marginalisiert

Erstmals ist in diesem Jahr keine der gröeren politischen Parteien des Landes mit eigenen Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl vertreten. Die Nationale Befreiungsfront (FLN) – Einheitspartei seit der Unabhängigkeit von Frankreich bis zur Staatskrise Ende 1988 -, die später als zweite Staatspartei konzipierte Nationale Demokratische Sammlung (RND) sowie die institutionalisierte Islamistenpartei MSP-Hamas – die den internationalen Muslimbrüdern nahe steht - unterstützen alle drei Abdelaziz Bouteflika. Seit nunmehr fünf Jahren bilden sie zusammen eine Regierungskoalition, in der die einzelnen Parteien neben dem übermächtigen Präsidenten aber kaum zu Wort kommen.

Aber auch die beiden traditionellen „republikanischen“ Oppositionsparteien FFS (Front der sozialistischen Kräfte) und RCD (Sammlung für Kultur und Demokratie) – die beide den Hauptteil ihrer Basis in der Berberregion Kabylei haben – verzichteten in diesem Jahr auf eine Kandidatur. Angesichts der erdrückenden Übermacht des Präsidentenlagers erachteten sie eine solche als sinnlos. Andere, kleinere Oppositionsparteien führen eine Kampagne für den aktiven Boykott der Wahl. Aber richtig motiviert dazu sind die Oppositionsparteien auch wieder nicht. Denn eine jüngste Entscheidung der Regierung sorgt dafür, dass alle Parteien – also auch jene, die keine Kandidaten ins Rennen schicken – in den Kommissionen zur Überwachung der Wahlprozess vertreten sein werden. Neben den Wahlbeobachtern von UN, Afrikanischer Union und voraussichtlich zahlreichen NGOs. Diese Präsenz hat freilich nicht nur den Vorteil, den regulären Ablauf einer Wahl zu überwachen, an deren Ausgang nur höchst geringe Zweifel bestehen. Daneben winkt den Mitgliedern der Wahlkommissionen nämlich auch eine Bezahlung. Deswegen rennen Opportunisten, Geschäftemacher, Glücksritter und Karrieristen derzeit allen Parteien – von den Staatsparteien bis hin zur linksradikalen „Sozialistischen Arbeiter-/Werktätigenpartei“ (PST), die nicht kandidiert – die Türen mitsamt den Fenstern ein.

Andere KandidatInnen: Nur Sparringspartner? ‚Fünf Fründe sollt Ihr sein...’

Die fünf Kandidaten, die neben Bouteflika (Boutefliqa) antreten, werden in der öffentlichen Meinung überwiegend als „Sparringspartner“ betrachtet – oder, im Volksmund, als „Kaninchen“: Der Blick des Betrachters verfolgt den Lauf des Kaninchens, unterdessen zieht hinter ihm die Karawane durch...

Dies trifft mutmalich fûr Louisa Hanoune noch am wenigsten zu. Die energische 55jährige, die unter dem Einparteienstaat in den achtziger Jahren in Haft sa, ist die erste Frau in der arabischen Welt, die eine politische Partei anführt. Sie ist Generalsekretärin der „Partei der Werktätigen“ (PT), die ursprünglich aus der Ecke des dogmatischen Trotzkismus stammt. Statt auf Proletariat und Internationalismus setzt sie aber seit Jahren vor allem auf einen Linksnationalismus, der zwar das internationale Kapital, die Weltbank und die äueren Entwicklungshemmnisse für Algerien zu Recht kritisiert – aber sich gegenüber der algerischen Oligarchie ausgesprochen konziliant zeigt. Innenpolitisch steht Louisa Hanoune für einen Kurs halbherziger Unterstützung für Boutefliqa – bei gleichzeitiger Betonung sozialer Forderungen und Anklage des Elends -, auenpolitisch steht sie für einen Kurs der Annäherung an Kuba, Venezuela und Bolivien. Mit über 20 Abgeordneten ist ihre Partei die stärkste Oppositionskraft im Parlament, womit sie allerdings nicht sehr viel ausrichten kann. Ihr dürfte ein Achtungserfolg winken.

Drei weitere Kandidaten repräsentieren Abspaltungen von der früheren Einheitspartei FLN. ‚Mohamed Saïd’ (alias, mit bürgerlichem Namen, Mohand Oussaïd Belaïd), dessen Partei der Freiheit und Gerechtigkeit (PLJ) sich soeben noch im Zulassungsverfahren befindet, vertritt dabei den nationalreligiösen Flügel. Jenen nationalreligiösen Flügel, der früher vom langjährigen FLN-Minister Ahmed Taleb Ibrahimi – mit offener Flanke zu den Islamisten, deren illegalisierte Fraktionen ihn bei den Präsidentschaftswahlen 1999 und 2004 zum Groteil unterstützt hatten – verkörpert wurde; dessen Berater und Wahlkampfdirektor (2004) war der jetzige Kandidat Mohammed Saïd just gewesen.

Moussa Touati, der eine „Algerische Nationale Front“ (FNA) anführt und zur neuen nationalistischen Partei aufbauen möchte, wird am meisten durch die Medien gehätschelt und zum angeblichen groen Herausforderer Bouteflikas hochstilisiert. Auf ihn trifft die Kennzeichnung als Sparringspartner, ergänzt um einen Karrieristen, am ehesten zu.

Ali Faouzi Rebaïne von der Kleinpartei Ahd54 – symbolisch für ‚al-ahd’, den Schwur, und das Beginn des antikolonialen Befreiungskriegs 1954 – war zu Zeiten des Einparteienregimes ehemals im Gefängnis und wurde zeitweise sogar gefoltert. Er verkörpert den enttäuschten Teil der „revolutionären Familie“, wie in Algerien nach der Unabhängigkeit von 1962 die Witwen und Waisen von Teilnehmern am Befreiungskrieg genannt wurde. Groe Teile dieser „revolutionären Familie“ hatten materiell privilegierte Positionen inne, aber ihre Aura verblasste im Laufe der Jahre, und mit den Dokumenten zur Anerkennung als „Märtyrerfamilie“ wurde viel Schindluder betrieben. Rebaïne und andere empörten sich darüber, dass solche Dokumente käuflich waren und für Vetternwirtschaft und als Türöffner bei Geschäften genutzt wurden. Seine Partei verkörpert allerdings nur eine kleine Spaltung innerhalb der früheren sozialen Basis des Regimes, konnte jedoch nach auen hin nie größere Bedeutung erlangen. Über die lokale Ebene (wo sie einige Dutzend Kommunalparlamentarier stellt, nebst zwei Parlamentsabgeordneten) hinaus konnte sie jedoch keine reale Bedeutung gewinnen.

Zuletzt tritt auch eine der Variante des institutionalisierten und domestizierten Islamismus an, in Gestalt der Bewegung ‚al-Islah’ (Die Reform), die früher vom charismatischen konservativ-moralistischen Prediger Abdallah Djaballah verkörpert wurde. Sein jetziger Nachfolger als Präsidentschaftskandidat, Djahid Younsi, besitzt jedoch bei weitem nicht seine Aura. Er wird in Kommentaren zum Wahlkampf als „Däumling“ (‚petit poucet’, so das Wochenmagazin ‚Jeune Afrique’ vom o8. März) gehandelt.

Bis vor kurzem, also bis zum Beginn der offiziellen Wahlkampfphase am 19. März, blieben die fünf „kleineren“ Kandidat/inn/en in den Massenmedien und in der offiziellen Sphäre relativ unsichtbar. Im einzigen Kanal des algerischen staatlichen Fernsehens war überwiegend Amtsinhaber Boutefliqa zu sehen, wie er durch die Lande zog und „soziale Wohltaten“ respektive Versprechen unter die Leute brachte. Nun hat sich dies seit der Eröffnung des offiziellen Wahlkampfs zwar doch geändert, und auch die „kleineren“ Bewerber/innen kommen nunmehr zu Wort. So waren in den 13 Uhr-Nachrichten des algerischen Fernsehens an diesem Sonntag, 22. März auch – für jeweils circa fünf Minuten – längere Ausschnitte aus Auftritten und Reden von Louisa Hanoune und eines weiteren Mitbewerbers zu sehen & hören. Aber den meilenweiten Abstand zu Bouteflika, mit seinem monströsen „Vorsprung“, dürften sie damit wohl kaum noch „aufholen“ dürfen...

Islamisten: Strategie? voll Panne...

Die ‚radikalen’/pseudo-revolutionären, auf Umsturz und „autoritäre Revolte“ abzielenden Varianten des politischen Islam rufen hingegen, wie immer, zum Boykott des Urnengangs auf. Die algerischen bewaffneten Salafisten, die seit drei Jahren als „Al-Qaïda im Land des islamischen Maghreb“ (AQMI) firmieren, erlieen eigens eine Fatwa, um die Wahlteilnahme als „Häresie“ zu bezeichnen. Gröere Bedeutung oder einen politischen Einfluss auf den Urnengang wird dies aber nicht haben – sondern lediglich ein Sicherheitsproblem darstellen. Das Wochenmagazin ‚Jeune Afrique’ meint, AQMI würde gar zu gern „einen (Anm.: toten) Kandidaten oder ausländischen Wahlbeobachter zu ihren Jagdtrophäen gesellen“. Deshalb wird die Wahl von aufwändigen Sicherheitsvorkehrungen begleitet sein. AQMI hatte im September 2007 versucht, Bouteflika zu töten, ihre Bombe auf einem öffentlichen Platz in Batna jedoch zu früh gezündet.

Ein anderer radikaler Islamist, der jedoch nicht im bewaffneten Untergrund sitzt – sondern in Washington, wo er in den Bürgerkriegsjahren vor 1996 als quasi diplomatischer Vertreter der damaligen „Islamischen Rettungsfront“ (FIS) behandelt wurde – riet unterdessen vom Boykott ab.Anwar Haddam meldete sich Mitte Februar o9 zu Wort und erklärte, der Aufruf zum Wahlboykott sei eine hilf- und nutzlose Geste. Stattdessen möge das Wahlvolk sich lieber unter den Oppositionskandidaten „auf das kleinste Übel einigen“. Ansonsten rief der die Armee zu einem Putsch gegen Bouteflika auf und forderte die Bestrafung jener Militärs, die in den neunziger Jahren an führender Stelle gegen eine Verständigung mit den Islamisten eintraten. Dass Anwar Haddam jedoch ausgerechnet an die Armee, die 1992 seiner Partei den Weg zum damals sicher geglaubten Wahlsieg versperrt hat, appelliert, belegt vor allem seine eigene strategische Ratlosigkeit.

Nicht nur die Islamisten und die traditionellen Parteien auf Regierungs- und Oppositionsseite wie FLN und FFS, sondern auch die Armeespitze selbst sind heute politisch marginalisiert. Zu Anfang des Jahrzehnts war die Armeeführung noch über die Politik Bouteflikas – den die Militärs im April 1999 erstmals ins Amt geholt hatten – gespalten. Im Auftrag der dominierenden Fraktionen im Staatsapparat richtete der damalige neue Präsident Amnestie- und Reintegrations-Angebote an die früheren bewaffneten Islamisten, um dem militärischen Konflikt ein Ende zu setzen. Tatsächlich kehrte daraufhin Ruhe ein, gekoppelt mit einer autoritären Aufforderung zur Beendigung politisch-ideologischer Grabenkämpfe. Aber die oberen Ränge der Offiziere waren darüber gespalten, wie weit seine „Aussöhnungspolitik“ an die Adresse der Islamisten gehen dürfe. Bouteflika setzte sich nicht nur durch, sondern schickte seine wichtigsten Widersacher aufs Altenteil. Der frühere Generalstabschefs Mohammed Lamari entschied im August 2004, in Rente zu gehen. Der General und frühere Präsidentenberater Larbi Belkheir wurde 2005 als Botschafter nach Marokko weggelobt. Heute konstatiert die Zeitschrift ‚Afrique Magazine’ (No. März 2009), dass erstmals tatsächlich der Präsident die erste Geige spiele und das politische Spiel beherrsche. Hingegen seien die Generäle – die bis dahin, seit der Unabhängigkeit 1962, Jahrzehnte hindurch den Ton angaben – heute dazu verdonnert, eine sekundäre Rolle zu spiele. Zum ersten Mal hänge der Ausgang der Wahl in keiner Weise von ihnen ab.

Bonapartismus an der Macht: erfolgreich dank Beendigung des Bürgerkriegs – und Ölrente

Dass Abdelaziz Bouteflika (Boutefliqa) eine solche Zentralisierung der politischen Macht in seinen Händen gelingen konnte, dafür sind zwei wichtige konjunkturelle Faktoren verantwortlich. Zum Ersten kam er 1999 in einer Phase ins Amt, als die bewaffneten Islamisten – dadurch, dass sie durch ihre Kampfmethoden und ihren Tugendterror jene Unterklassen, die ihnen gegenüber zuvor oft freundlich eingestellt waren, abgeschreckt hatten – den Bürgerkrieg de facto bereits verloren hatten. Dass das Blutvergieen jedenfalls in den städtischen Zentren seit zehn Jahren drastisch abgenommen hat, wird in breiten Kreisen ihm zugute gehalten.

Zum Zweiten konnte Bouteflika zu erheblichen Teil vom Erdölpreis profitieren: Das Barrel Rohöl kostete auf den Weltmärkten rund 10 Dollar, als er erstmals auf dem Präsidentensessel Platz nahm. Es kostete auf dem Höhepunkt des Preisanstiegs vor nunmehr anderthalb Jahren bis zu 175 Dollar, derzeit ist der Preis wieder auf rund 40 Dollar gesunken. Diese auerordentliche Glücksfall – aus Sicht der Regierungen Erdöl produzierender Länder – führte dazu, dass der algerische Staat auf prall gefüllten Kassen sitzt. Seine Devisenreserven sollen derzeit über 140 Milliarden Dollar betragen. Das nordafrikanische Land, das vor genau fünfzehn Jahre, in der schlimmsten Phase des Bürgerkriegs, bei den internationalen Finanzinstitutionen um eine Stundung seiner Kredite betteln und drakonische Auflagen hinnehmen musste, hat heute fast alle seine Schulden abbezahlt. Von 25 Milliarden Dollar bei Amtsantritt Bouteflikas (Boutefliqas) blieben im zurückliegenden Jahr noch rund vier Milliarden.

Gleichzeitig konnte auch die horrende Arbeitslosigkeit zumindest gelindert werden: Von offiziell knapp über 30 Prozent (im Jahr 2000) sank sie laut amtlichen Statistiken auf etwas unter 15 %. Sicherlich sind dabei auch einige „faule“ Effekte im Spiel, da man es auch auf Seiten des algerischen Staates inzwischen gelernt hat, eine Statistik zu frisieren. Aber real dürfte die Staatsmacht aufgrund ihrer finanziellen Situation in den letzten Jahren in der Lage gewesen sein, eine Reihe von Aufträgen zu vergeben und gleichzeitig Kredite zur Existenzgründung – auch „faule“ Kredite, die de facto auf Nimmerwiedersehen vergeben wurden – zu gewähren. So konnten eine Reihe von, besonders jungen, Leuten „zumindest beschäftigt“ werden. Da konnten sie nicht allzu sehr auf dumme Ideen verfallen...

Insgesamt fällt es ‚Boutef’ vor diesem Hintergrund nicht schwer, gerade jetzt einige vermeintliche soziale Wohltaten zum richtigen Zeitpunkt zu verteilen. Und doch ist das „Erfolgsmodell“ Bouteflikas längerfristig auf absolut tönernen Füen errichtet. Es beruht allein auf dem Abschöpfen der Erdöl-Rente, von welcher der algerische Staat in der bestehenden internationalen Arbeitsteilung weitestgehend abhängig bleibt. Während das Land in der staatssozialistischen Phase der 70er Jahre aus dieser Abhängigkeit und aus der strukturellen Unterentwicklung auszubrechen versuchte – die Ölrente sollte in den Versuch einer autozentrierten wirtschaftlichen Entwicklung reinvestiert werden – zeichnet sich heute nicht dergleichen ab. Bei Nahrungsmitteln, für welche die Importkosten von 2,5 Milliarden Dollar (1996) auf 7,7 Milliarden im vergangenen Jahr kletterten, und Medikamenten bleibt Algerien von Importen und Fremdversorgung abhängig. Die Gesamtrechnung für die Importe betrug im Vorjahr 30 Milliarden Dollar, gegenüber acht Milliarden im Jahr 1996. Das ist im Augenblick nicht tragisch, da die Öl- und Gasexporte gleichzeitig im Jahr 2008 noch stattliche 67 Milliarden einfuhren – 1999 waren es noch 12 Milliarden gewesen. Aber wehe, wenn der Rohstoffpreis auf den Weltmärkten absinkt!

Nachdem der astronomische Höhenflug des Rohölpreises im vorigen Jahr zu Ende ging und eine relative Senkung eintrat, sind nunmehr schon Teile der Groprojekte in Algerien gefährdet. Die erste Autobahn, die das Land von West nach Ost durchquert, ist – überwiegend durch chinesische Firmen – fast fertig gestellt und wird wohl 2010 in Betrieb genommen. Aber bei den riesigen Wohnungsbauprojekten ist einiger Rückstand eingetreten. Auch bei der versprochenen Métro für die Hauptstadt Algier kommt es zu beträchtlichen Verzögerungen. Andere Projekte könnten möglicherweise aufgegeben werden.

Na, wenigstens tat Boutefliqa etwas für sein Seelenheil...

Das Wichtigste, was Bouteflika/Boutefliqa der Nachwelt hinterlassen möchte, ist der neue gigantische Moscheebau in Algier: Der Welt gröte Moschee (mit 20.000 Plätzen) wird dort für drei Milliarden Dollar – Milliarden, nicht Millionen – errichtet. Möglicherweise sieht Bouteflika sich in Teilbereichen als Träger eines quasi messianischen Projekts. Viele Beobachter gehen davon aus, dass der Präsident – der Ende 2005 in Paris eine Notoperation erlitt und nur knapp überlebte, dessen Gesundheitszustand offenbar schlecht ist und der oft Monate lang nicht in Erscheinung tritt – in den kommenden Jahren im Amt stirbt. Seine letzte Amtsperiode könnte so etwas wie sein eigener Nachruf auf ihn selbst werden. Aber was dann nach ihm kommt, ist völlig ungewiss.

Politik in Algerien lässt sich in Jahrzehnte einteilen, nicht in Jahren messen. Die 60er Jahre waren jene des Aufbaus nach dem antikolonialen Befreiungskrieg, des Aufbruchs und des politischen Enthusiasmus. Die staatssozialistischen Siebziger waren die Jahre des Industrialisierungsexperiments, der antifeudalen Landreform. Die Periode der 80er Jahre lässt sich auf den Nenner der Stagnation, des Rückgangs, der wirtschaftsliberalen Gegenreformen und des dominierenden Schwarzmarkts bringen. In den 90er Jahren kämpfte die Staatsmacht ums Überleben, während die Gesellschaft letztendlich den Ansturm der reaktionären Utopie des Islamismus verwarf und abwehrte. Ab 2000 brach die Ära des triumphierenden Bonapartismus an. Aber für die Zeit danach zeichnet sich im Augenblick nur ein riesengroes Fragezeichen ab – vor dem Hintergrund der Welt gröter Moschee, deren Minaretthöhe, einmal fertig gestellt, stolze 300 Meter betragen wird.


FUSSNOTEN:

ANMERKUNG 1: NUR GANZ AM RANDE BEMERKT: Es war einmal ein in Köln wohnhaftes Schnöselchen, das vorgeblich dort Philosophie studiert – aber in Wirklichkeit wohl sich hauptsächlich einer Tätigkeit namens „selbstreferenzielle Ideologieproduktion“, Unterabteilung: neokonservative Propaganda für Gläubige, hingibt. Es griff in diesem Zusammenhang jüngst den Verfasser dieser Zeilen scharf an. So gehe das ja nicht mit der Rechtschreibung (respektive: Transkription, werter Herr), monierte unser Schnöselchen. Das böse Vergehen des Verfassers: Er hatte den Iraq mit einem „q“ hinten geschrieben, wie es in der – auf dem Englischen basierenden – internationalen Lautschrift allerdings nun mal relativ üblich ist.

„Rechtschreibanarchismus“, donnerte unser schwer deutsches, pardon: ‚antideutsches’, Schnöselchen dazu. Denn da könnte ja jeder kommen und einfach schreiben, wie er will! (Vgl. http://prodomo.50webs.net ) Wirklich schlimm, dieses Wort, so wie der Verfasser – den unser Schnöselchen aus unerfindlichen Gründen mit dem Vornamen anspricht, als hätten wir schon einmal zusammen die Säue gehütet - es schreibt: „...nämlich Iraq (es ist eines von vielen nur Bernhard selbst zugänglichen Mysterien, dass er ständig vorsätzlich Wörter anders schreibt als es der Duden angibt).“ Herr Wachtmeister, Herr Wachtmeister, halt, herkommen: Da schreibt’s einer anders, als der Duden es erlaubt! Das muss sofort verhindert werden!

Ein böses Treiben also. Dafür soll es freilich auch eine rationale Erklärung, eine einfache sogar, geben. Ja doch, nämlich: In den semitischen Sprachen Arabisch und Hebräisch, aber auch im Persischen bezeichnet - in der Transkription mit lateinischer Schrift – der Buchstabe „q“ einen anderen Laut als das „k“. Der fragliche Buchstabe findet sich unter anderem in Begriffen oder Namen wie „Iraq“ „Qoran“, „Tariq“, „Al-Qaida“, „Boutefliqa“ oder auch „Qadhafi“, sofern man Letztere richtig – also der Aussprechweise im arabischen Original entsprechend – transkribiert. So wird es im Englischen auch in der Regel gehandhabt, hingegen ist die Praxis im Deutschen wie im Französischen oft lasch, launenhaft und uneinheitlich (mal sieht man „Al-Qaida“, dann wieder „Al-Kaida“, wobei Letzteres einfach sprachlich falsch ist).

Man muss kein Arabisch können, man muss die internationalen Transkriptionsregeln nicht beherrschen und noch weniger sich zwingend daran halten – völlig gebongt. Aber bevor man armes kleines nichtwissendes Schnöselchen mächtig die Klappe aufreißt, um Anderen eine vermeintliche Lehre zu erteilen, sollte man sich vielleicht doch lieber vorher erkundigen, ob es mit der Sache irgendeine Bewandtnis haben könnte, die sich vielleicht nur eigener Kenntnis entzieht. Ansonsten darf unser Schnöselchen es gern einmal probieren, jemandem im Arabischen beispielweise als „mein Hund“ (kalb-i) statt „mein Herz“ (qalb-i) zu bezeichnen. Auf die Reaktionen dürfen wir gespannt sein, und Monsieur darf uns dann im Anschluss darüber berichten. – Auch ansonsten ist der oben (kurz) zitierte Artikel ausgesprochen amüsant, denn Lächerlichkeit tötet, vgl. also http://prodomo.50webs.net

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.