Daniel Kahn and the Painted Bird

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on Wladek Flakin

03/10

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Keine jüdische Hochzeit wäre komplett ohne lebensfreudige MusikerInnen mit Akkordeons, Klarinetten und Geigen, die in der jiddischen Sprache singen. Klezmer-Musik gibt es seit dem Spätmittelalter. "Daniel Kahn and the Painted Bird Musik" sind von Klezmer inspiriert, aber keine TraditionalistInnen. Sie machen Musik für die Gegenwart.

Eines ihrer Lieder ist aus der jüdischen ArbeiterInnenbewegung, "Arbeitslosenmarsch". Mordechai Gebirtig hat es vor hundert Jahren geschrieben. 2003 ist eine Coverversion der italienischen Skaband Banda Bassotti erschienen. Es geht Daniel Kahn bei diesem Lied nicht um Nostalgie für die damalige Bewegung. Im vorigen Jahr las er in der New York Times, dass in ganz Kalifornien Zeltstädte von Arbeitslosen entstehen. "Wir fühlen uns oft hilflos angesichts von Problemen, die den Menschen seit jeher begegnen" erzählt er. Deswegen machte er eine englische Übersetzung des jiddischen Refrains ("Ejn, zwej, draj, fir / arbetsloze senen mir"; "One, two, three, four/ join the marching jobless Corps"). Zu seinem Repertoire gehören viele weitere alte Lieder in Jiddisch und in englischer Übersetzung. Auch Tucholskys "Rosen auf den Weg gestreut (Küsst die Faschisten)" singt Kahn auf Deutsch und Englisch.

Er stammt aus Detroit, Hauptstadt der neuen, suizidalen Welt, wie Henry Miller in den 1940ern meinte, später dann Geburtsstadt erst von Punk und dann von Techno. "Detroit stirbt seit sehr langer Zeit" sagt Kahn im Gespräch mit jW, lacht und erzählt von den leerstehenden Fabriken, in die er sich als Kind verliebt hat. "Communities", die nur noch in dunklen Erinnerungen existieren, faszinieren ihn; Industrieruinen in Michigan, die nur noch von wilden Hunden bewohnt werden; ein kleines Dorf in Ostpolen, wo vor hundert Jahren 90 Prozent der Bevölkerung Jiddisch sprachen; das Viertel "Lower Ninth Ward" in New Orleans, das von Schwarzen bewohnt und nach dem Hurrikan lange nicht wieder aufgebaut ist.

Von Detroit zog Kahn nach New Orleans, wo er Klezmer kennenlernte, in den Bars, in denen es neben Jazz und Big Band gespielt wurde. Dieses Durcheinander hat Kahn bis heute geprägt. Und die Klezmer-Musik hat ihn dazu gebracht, Jiddisch zu lernen. Es gebe kaum noch MuttersprachlerInnen, die es überliefern könnten.

Kahn war in New Orleans nicht nur in der Klezmer-Szene, sondern auch Teil der ArbeiterInnenbewegung; ein Gewerkschafter bei der SEIU, der Proteste von KrankenhausmitarbeiterInnen gegen Privatisierungen organisierte und die Mindestlohnkampagne einer Hilfsorganisation für Arme, ACORN, die von Rechten gehasst wird. "Darauf bin ich auch verdammt stolz", sagt Kahn.

Jiddische Texte werden von ihm nicht nur übersetzt, sondern auch verfaßt. Sein Lied zu den Bedingungen des "Klezmer-Bundes" enthält die Forderung der fiktiven Gewerkschaft nach unbeschränktem Alkoholgenuß: "Sonst verweigern wir!"

Der Spaß hört auf bei seinem Lied "Ankam", hebräisch für Rache. Es handelt von einem jüdischen Partisanen, der nach dem Zweiten Weltkrieg versucht, sechs Millionen Deutsche umzubringen. Erstaunlicherweise hat es diesen Abba Kovner wirklich gegeben. "Ich hatte einfach keine Lust mehr, traurige Lieder über den Zweiten Weltkrieg zu singen", sagt Kahn. Die Zeile mit den "Six Million Germans" sei provokativ, aber eigentlich müsste die Provokation sein, über sechs Millionen Juden zu singen. Nur würde das keiner hören wollen.

Kahn geht es auch nicht um "Vergangenheitsbewältigung", wie er auf Deutsch sagt, sondern um "Gegenwartsbewältigung", d.h. um die heutigen Probleme im historischen Kontext. Es sind "die Träume der Vergangenheit", die Kahn mit seiner Musik am Leben erhalten will. Er nennt ein paar: "Internationalismus, Solidarität, Sozialismus, Revolution".

Entsprechend seines sozialen Engagements trat Daniel Kahn Anfang November im besetzten Audimax an der Universität Wien auf. "Chaotisch und wunderschön" fand er die Aktion. Doch er meint auch, in Bezug auf die Lehren von 1968, dass die Unibesetzungen inhaltlich zu beschränkt blieben. "Man kann kaum erwarten, dass BusfahrerInnen in den Streik treten, nur weil die StudentInnen ihre Lerninhalte nicht mögen." Aber umgekehrt kümmern sich Gewerkschaften auch nur um die Probleme ihrer eigenen Mitglieder.

Wie jiddische ArbeiterInnenlieder es schon vor 100 Jahren taten, kann die Musik dazu beitragen, das Gemeinsame der verschiedenen Bewegungen herauszustellen.

"Daniel Kahn and the Painted Bird" treten im März in über einem Dutzend Städten in Deutschland und der Schweiz auf. Sie hatten sich in Berlin versammelt, um eine neue Platte im Studio aufzunehmen, obwohl die Band sonst über mehrere Länder zerstreut wohnt – "in der Diaspora" eben.

Tourdaten:

4.3.: Die Gems, Singen; 5.3.: Charivari, Ulm; 6.3.: Forum 2 im Olympiadorf, München; 7.3.: Treibhaus, Luzern; 8.3.: E-Werk, Freiburg; 10.3.: Sous Le Pont, Bern; 12.3.: Klezmerfestival, Fürth; 13.2.: Alte Kirche, Rulfingen; 14.3.: Brotfabrik, Frankfurt am Main; 15.3. Waggonhalle, Marburg; 16.3.: Steinbruch, Duisburg; 18.3.: Varieté Chat Noir, Trier; 19.3.: Neue Schmiede, Bielefeld; 20.3.: Life House, Stemwede; 22.3.: Kaffee Burger, Berlin; 24.2.: Schlosskeller, Waldshut-Tiengen; 29.4: Theaterstübchen, Kassel; 30.4.: Lagerhalle, Osnabrück;

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel und die Tourdaten vom Autor, der bei RIO, der Revolutionären Internationalistischen Organisation, www.revolution.de.com mitarbeitet.

Mehr zu Daniel Kahn and the Painted Bird siehe: - www.paintedbird.net