Peter Trotzig
Kommentare zum Zeitgeschehen

Mehr Netto vom Brutto!?

03/10

trend
onlinezeitung

So lautet eine zentrale Parole der FDP, unter der die soziale Reaktion vorangetrieben werden soll. Über Senkung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen soll das Kapital entlastet werden, sollen soziale Leistungen – ob finanziert aus Steuermitteln oder Sozialversicherungsbeiträgen – immer weiter zusammengestrichen werden. Wer mehr soziale Vorsorge betreiben will darf, das als Privatperson tun. Effekt für die LohnarbeiterInnen:

  1. die Masse hätte (vielleicht nominell) mehr Netto vom Brutto, muss aber aus diesen netto erhaltenen Löhnen und Gehältern mehr zahlen, wenn das bestehende Niveau an sozialer Versorgung z.B. im Krankheitsfall gehalten werden soll.

  2. Erstmals seit 1949 sind im vergangenen Jahr die Bruttolöhne gesunken. Dagegen hat die FDP nichts einzuwenden. Brutto darf sinken und es darf sogar Netto sinken, Hauptsache es ist mehr vom Brutto.

Die Parolen der FDP sind Rattenfängerparolen, mit denen Lohnabhängige geködert werden sollen, um die Interessen des Kapitals zu bedienen. Profiteur einer solchen Entwicklung ist einzig das Kapital. Es profitiert doppelt:

  1. Sinken seine Ausgaben für Löhne (auch die Sozialversicherungsbeiträge sind Lohnbestandteile)

  2. Findet es neue Anlagemöglichkeiten für Kapital (private Versicherungen)

Muss man diese Parole der FDP also im Interesse der Lohnabhängigen absolut ablehnen?

Durchaus nicht! Hätte die Linke eine einheitliche und klare Position zum „Sozialstaat“, den Sozialversicherungen, dann ließe sich diese Parole gut einbauen in eine antikapitalistische Politik.

Die Begründung einer solchen Politik sähe in Grundzügen etwa so aus:

Man nehme die gesetzliche Unfallversicherung als Vorbild. Sie wird allein aus „Arbeitgeberbeiträgen“ bestritten. Ihre Leistungen erhalten Lohnabhängige nach Arbeitsunfällen.

Arbeitslosigkeit ist auch eine Art von „Arbeitsunfall“, für den Lohnabhängige nichts können. Also soll die Arbeitslosenversicherung allein aus „Arbeitgeberbeiträgen“ finanziert und die jetzt vom Nettolohn abgezogenen Sozialversicherungsbeiträge an die LohnarbeiterInnen ausbezahlt werden.

Selbstverständlich müssten die „Arbeitgeberbeiträge“ in einer Größenordnung angehoben werden, die den Wegfall der Sozialversicherungsbeiträge von Lohnabhängigen kompensiert.

Gleiches sollte mit Krankenversicherung und Rentenversicherung passieren.

So hätten Lohnabhängige wirklich deutlich mehr Netto vom Brutto.

Die Verwirklichung solcher Reformen erscheint selbstverständlich ganz unrealistisch und illusorisch in Kapitalismus, weil es die Möglichkeiten der Profitproduktion massiv einschränken würde. Es wäre trotzdem eine ganz und gar „vernünftige“ Argumentation, weil eigentlich allen klar sein müsste, dass in jeder Gesellschaft soziale Leistungen für diejenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht durch Arbeit zu ihrer Reproduktion beitragen, nur aus den gesellschaftlich produzierten Überschüssen bestritten werden können. Heute fallen diese Überschüsse in Form des Profits der Unternehmen in die Hände von Managern und vermögenden Geldbesitzer, Investoren. Sie „verwalten“ diese Überschüsse als Privatpersonen und Funktionäre des Kapitals angeblich „im Interesse der Allgemeinheit“. Sie verwalten die Überschüsse tatsächlich ausschließlich in ihrem eigenen Interesse, zur Vermehrung ihres Eigentums am „Produktivvermögen“, wie ihrer teils riesigen privaten Geldvermögen. Für die nicht arbeitenden Vermögenden ist es sowieso Realität, dass ihre gesamten Einkommen aus den Überschüssen der gesellschaftlichen Produktion bestritten werden.

Würden solche Reformen durchgeführt, dann bliebe sowohl für den Luxus der Reichen wie für die Akkumulation von Kapital spürbar weniger übrig. Den Interessen der Lohnabhängigen wäre in diesem System soweit Rechnung getragen, als überhaupt nur möglich. Man könnte meinen, der Grundsatz „arbeiten um zu leben und nicht leben, um zu arbeiten“ sei dann weitgehend verwirklicht.

Allein die Forderung nach solchen Reformen, würde jedoch die Interessen der Lohnabhängigen denen des Kapitals schroff gegenüber stellen. Würde eine große Zahl der LohnarbeiterInnen, womöglich ihre Mehrheit, für solche sozialen Reformen jenseits aller ökonomischen Vernunft, aber in vollem Bewusstsein einer sozialen Vernunft, den Kampf beginnen, dann stellte sich die Systemfrage sehr schnell. Sie würde sich stellen durch den entschiedenen Widerstand der Sachwalter des Kapitals und sie würde sich vor allem stellen, weil entschieden werden müsste, ob die Menschen sich weiterhin den ökonomischen Sachzwängen des Kapitals unterwerfen, oder ob sie ihre sozialen Interessen durchsetzen wollen … notfalls auch durch den Beginn einer sozialen Revolution.

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.