So
lautet eine zentrale Parole der FDP, unter der die soziale
Reaktion vorangetrieben werden soll. Über Senkung von Steuern
und Sozialversicherungsbeiträgen soll das Kapital entlastet
werden, sollen soziale Leistungen – ob finanziert aus
Steuermitteln oder Sozialversicherungsbeiträgen – immer weiter
zusammengestrichen werden. Wer mehr soziale Vorsorge betreiben
will darf, das als Privatperson tun. Effekt für die
LohnarbeiterInnen:
-
die
Masse hätte (vielleicht nominell) mehr Netto vom Brutto, muss
aber aus diesen netto erhaltenen Löhnen und Gehältern mehr
zahlen, wenn das bestehende Niveau an sozialer Versorgung z.B.
im Krankheitsfall gehalten werden soll.
-
Erstmals seit 1949 sind im vergangenen Jahr die Bruttolöhne
gesunken. Dagegen hat die FDP nichts einzuwenden. Brutto darf
sinken und es darf sogar Netto sinken, Hauptsache es ist mehr
vom Brutto.
Die
Parolen der FDP sind Rattenfängerparolen, mit denen
Lohnabhängige geködert werden sollen, um die Interessen des
Kapitals zu bedienen. Profiteur einer solchen Entwicklung ist
einzig das Kapital. Es profitiert doppelt:
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Sinken seine Ausgaben für Löhne (auch die
Sozialversicherungsbeiträge sind Lohnbestandteile)
-
Findet es neue Anlagemöglichkeiten für Kapital (private
Versicherungen)
Muss
man diese Parole der FDP also im Interesse der Lohnabhängigen
absolut ablehnen?
Durchaus nicht! Hätte die Linke eine einheitliche und klare
Position zum „Sozialstaat“, den Sozialversicherungen, dann ließe
sich diese Parole gut einbauen in eine antikapitalistische
Politik.
Die
Begründung einer solchen Politik sähe in Grundzügen etwa so aus:
Man
nehme die gesetzliche Unfallversicherung als Vorbild. Sie wird
allein aus „Arbeitgeberbeiträgen“ bestritten. Ihre Leistungen
erhalten Lohnabhängige nach Arbeitsunfällen.
Arbeitslosigkeit ist auch eine Art von „Arbeitsunfall“, für den
Lohnabhängige nichts können. Also soll die
Arbeitslosenversicherung allein aus „Arbeitgeberbeiträgen“
finanziert und die jetzt vom Nettolohn abgezogenen
Sozialversicherungsbeiträge an die LohnarbeiterInnen ausbezahlt
werden.
Selbstverständlich müssten die „Arbeitgeberbeiträge“ in einer
Größenordnung angehoben werden, die den Wegfall der
Sozialversicherungsbeiträge von Lohnabhängigen kompensiert.
Gleiches sollte mit Krankenversicherung und Rentenversicherung
passieren.
So
hätten Lohnabhängige wirklich deutlich mehr Netto vom Brutto.
Die
Verwirklichung solcher Reformen erscheint selbstverständlich
ganz unrealistisch und illusorisch in Kapitalismus, weil es die
Möglichkeiten der Profitproduktion massiv einschränken würde. Es
wäre trotzdem eine ganz und gar „vernünftige“ Argumentation,
weil eigentlich allen klar sein müsste, dass in jeder
Gesellschaft soziale Leistungen für diejenigen, die – aus
welchen Gründen auch immer – nicht durch Arbeit zu ihrer
Reproduktion beitragen, nur aus den gesellschaftlich
produzierten Überschüssen bestritten werden können. Heute fallen
diese Überschüsse in Form des Profits der Unternehmen in die
Hände von Managern und vermögenden Geldbesitzer, Investoren. Sie
„verwalten“ diese Überschüsse als Privatpersonen und Funktionäre
des Kapitals angeblich „im Interesse der Allgemeinheit“. Sie
verwalten die Überschüsse tatsächlich ausschließlich in ihrem
eigenen Interesse, zur Vermehrung ihres Eigentums am
„Produktivvermögen“, wie ihrer teils riesigen privaten
Geldvermögen. Für die nicht arbeitenden Vermögenden ist es
sowieso Realität, dass ihre gesamten Einkommen aus den
Überschüssen der gesellschaftlichen Produktion bestritten
werden.
Würden
solche Reformen durchgeführt, dann bliebe sowohl für den Luxus
der Reichen wie für die Akkumulation von Kapital spürbar weniger
übrig. Den Interessen der Lohnabhängigen wäre in diesem System
soweit Rechnung getragen, als überhaupt nur möglich. Man könnte
meinen, der Grundsatz „arbeiten um zu leben und nicht leben, um
zu arbeiten“ sei dann weitgehend verwirklicht.
Allein
die Forderung nach solchen Reformen, würde jedoch die Interessen
der Lohnabhängigen denen des Kapitals schroff gegenüber stellen.
Würde eine große Zahl der LohnarbeiterInnen, womöglich ihre
Mehrheit, für solche sozialen Reformen jenseits aller
ökonomischen Vernunft, aber in vollem Bewusstsein einer sozialen
Vernunft, den Kampf beginnen, dann stellte sich die Systemfrage
sehr schnell. Sie würde sich stellen durch den entschiedenen
Widerstand der Sachwalter des Kapitals und sie würde sich vor
allem stellen, weil entschieden werden müsste, ob die Menschen
sich weiterhin den ökonomischen Sachzwängen des Kapitals
unterwerfen, oder ob sie ihre sozialen Interessen durchsetzen
wollen … notfalls auch durch den Beginn einer sozialen
Revolution.
Editorische Anmerkungen
Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen
Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.
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