Tage der Früchte des Zorns

Ein Veranstaltungsbericht von Helmut Höge

03/11

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Am 5.3.2011 hatten sich beim TREND TEACH IN Die Revolutionen in Nordafrika in der Schule für Erwachsenenbildung im Berliner Mehringhof gut hundert Leute eingefunden, um das Referat von Bernard Schmid zu hören. Helmut Höge (taz-Mitarbeiter) war unter Ihnen und verfasste den nachstehenden  Bericht für seinen "taz-Hausmeister-Blog".

Was wollen sie, was können sie (durchsetzen) – die Aufständischen in Arabien? Die “Demokratiebewegung in Tunesien und Ägypten ebenso wie der oppositionelle “Nationalrat” und die ihm unterstellten bewaffneten Einheiten in Libyen?

Dese Frage treibt derzeit die halbe – zuschauende – Welt um. Der Chefkommentator der FAZ meint z.B., dass die Festlegung auf die Wahlen im Juli in Tunesien “ein erster, wichtiger Schritt auf einem – noch sehr langen – Weg zu einem politischen System” sei, “wie es die Revolutionäre sich wünschen”. Woher weiß er, was sich “die Revolutionäre” in Tunesien wünschen – und wer sind dort “die Revolutionäre” überhaupt? Der Spiegel macht es sich leicht und redet einfach von der “Jahrhundert-Revolution der Araber”.

Das ist also erst einmal nur dummes interessegeleitetes Gerede. Sehr viel besser war da gestern Abend die Diskussionsveranstaltung zum selben Thema: “Die Revolutionen in Nordafrika” im Mehringhof, veranstaltet vom “Partisan-Net” bzw. von Karl-Heinz Schubert, der einen Aktivisten von den “Internationalen Kommunistinnen” als Diskussionsleiter und als Hauptredner Bernard Schmid aus Paris eingeladen hatte. Und das war auch ein “Hauptredner” – niemand von den etwa 100 anschließend begeisterten Zuhörern hatte je so einen Vortrag gehört: freihändig und schnell, zügig, aber nicht auswendig gelernt, sprach er über die Situation in Tunesien, Ägypten und Libyen, ihre Unterschiede, ihre Ökonomie und die Kräfteverhältnisse im Land. Er hatte zudem jeden Ort, jeden Namen und jedes Datum im Kopf, es war unglaublich. Wenn die arabischen Aufständen noch mehr von solchen Verbündeten haben, dann Gnade Gott allen Regimen dort. Aber, um sein Résümee schon mal vorwegzunehmen: “Die anarchistischen Züge des Aufstands – das ist Wunschdenken der deutschen Linken.” Er meinte damit: Die Aufständischen handeln zwar (noch)  strikt basisdemokratisch, aber ideologisch hat das wenig oder nichts mit Rätekommunismus oder Ähnlichem zu tun.

Der Reihe nach:

Ausgehend von der “zentralen Figur” der kapitalistischen Gesellschaft – dem doppelt freien Lohnarbeiter, behauptete Karl-Heinz Schubert in seinem Einleitungsreferat, dass die Bourgeoisie individuelle Freiheitsrechte und die  Demokratie, also die “Zivilgesellschaft” brauche. “Und genau das fehlt in den arabischen Staaten”.

Dazu existiere auch bereits ein “Aktionsplan Nordafrika” vom Bundesministerium für Wirtschaft (das vor dem Zusammenbruch des Ostblocks noch Broschüren an alle Unternehmer verteilte – mit genauen Angaben darüber, in welchem Land man mit wieviel Schmiergeld für Geschäftsabschlüsse rechnen müsse, um erfolgreich zu sein.) Schubert listete sodann anhand der Angaben des “Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft” auf, was die BRD in jedes arabische Land im- und exportiert. Zumeist steht die BRD bei dem, was sie importiert (Gas aus Algerien, Öl aus Libyen), an dritter Stelle unter den Hauptabnehmerländern. Im Falle Libyens lobte die BRD die “Transition”, den friedlichen Übergang, von der Autokratie zur Demokratie. Ähnliches gilt für Marokko, wo die deutschen Industrie sich an einem neuen großen Infrastruktur- und einem futuristischen Energie-Projekt beteiligt.

Nun zu dem Referat von Bernard Schmid: Auslöser der Revolte war in Tunesien die Empörung junger Arbeitsloser über die Selbstverbrennung Mohammed Buazizis vor einer Polizeiwache am 17.12. 2010. Er war einer der ihren. Im tunesischen Bergbaugebiet war es aber schon seit 2008 laufend zu Streiks gekommen. Zuletzt schoß die Polizei mit scharfer Munition auf die revoltierenden Bergarbeiter, die “Rädelsführer” bekamen bis zu 10 Jahre Gefängnis. Daneben kämpfte auch eine Frauengewerkschaft für mehr Rechte. Aber all dies war zunächst lokal geblieben. Ökonomisch ist  Tunesien vom Tourismus und von Nischenproduktionen für die EU, vor allem in der Textilbranche abhängig. Die  tunesische Ökonomie könnte man als mafiöses Klientelsystem, basierende auf Clans und Familien, bezeichnen, es hat sich zunehmend als kontraproduktiv für die Gesellschaft erwiesen. Die Aufstiegsmöglichkeit über Bildung erwies sich als Chimäre. Die Revolte begann in der Unterschicht. Ende Dezember erreichte sie Tunis, am 10.1. wurden die Schulen und Universitäten geschlossen. An der Basis der Armee kam es zu “Verbrüderungen” mit den Aufständischen. Der Präsident stützte sich eher auf Polizei und Geheimdienst als auf das Militär, dem die herrschende Clique mißtraut. Am 8. und 9. 1. gab es Tote, die Armee ging zwischen Polizei und Demonstranten. Am Tag darauf signalisierte die USA der Armee: bleibt in euren Kasernen. Frankreich lieferte noch schnell tonnenweise Polizei-Waffen, diese blieben jedoch bereits am Flughafen hängen. Inzwischen streikt jeder zweite öffentliche Betrieb. Die Linke hatte sich schon seit längerem im dortigen  Gewerkschaftsbund zusammengefunden. Die politischen Spielregeln werden derzeit grundlegend überarbeitet. Die Verteilungsfrage wird sich also zuspitzen. Tunesien lieferte den Funken (Iskra) für Ägypten, wo man anfangs sogar den französischen Slogan aus Tunesien übernahm “Dégage!” (Hau ab!).

In Ägypten ist man mit der Privatisierung noch nicht so weit gewesen wie in Tunesien. Die Ökonomie bestreht zum Einen aus Geldüberweisungen von Ägyptern, die im Ausland arbeiten und zum anderen aus Agrarprodukten, Baumwolle vor allem.. Die größten Ländereien gehören der Armee, d.h. den Offizieren, sie lassen teilweise ihre Soldaten auf den Feldern arbeiten. Auch dieses System ist mafiös. Hier war es jedoch die gut ausgebildete  Mittelschichts-Jugend die den Anfang machte, nachdem ein Blogger im Internet-Café in Alexandria von der Polizei totgeschlagen worden war. Er bekam wenig später eine Facebook-Seite, auf der sich 450.000 “Friends” einschrieben. Merkwürdigerweise entfernte die US-Firma “Facebook” die Seite daraufhin vom Netz.

Nach diesen Facebookern schlossen sich zunächst die Unileute den Protesten an – am 25.1. auf dem Tahrirplatz. Drei Tage später kamen die organisierten Gewerkschafter, und Streikende aus dem Nildelta. Schließlich das Subproletariat und die Fußballfans.  Zwischen dem 25.1. und dem 8.2. schwollen die Proteste immer mehr an. Ab dem 8.2. kam eine Streikwelle hinzu. Ab dem 10.2. gab es politische Slogans, u.a.: “Das Volk will das Regime stürzen!” Das Militär ist direkt von US-Geldern abhängig. Es bildete sich ein Hoher Rat der Streitkräfte. Der Armee gelang so etwas wie eine kontrollierte Ablösung. Am 4.3., vorgestern,  sprach bereits der neue Premierminister auf dem Tahrirplatz von “Demokratie”. Es wird wohl eine kontrollierte Demokratisierung geben.

In Libyen will die Mehrheit der Bevölkerung Gaddafi weg haben. Der jetzt befreite Osten war die Hochburg der Monarchie und wurde ökonomisch vernachlässigt. In Benghasi gibt es Slums, in Tripolis sieht man so etwas nicht. Das Militär lief in Libyen zu den Aufständischen über. Sie bildeten einen “Nationalen Rat”, dem sich das Militär unterstellte. Es ist im übrigen auch für eine begrenzte Intervention des Auslands. Ob aus den Kämpfen demokratische Impulse hervorgehen, bleibt abzuwarten. Seit 2004 sind ausländische Investoren zugelassen, an der Ölförderung sind auch zwei deutsche Firmen beteiligt.

Zu den Perspektiven der arabischen Aufstände meinte Bernard Schmid später noch, es werde eher nicht etwas halbwegs Emanzipatorisches dabei herauskommen. “Wir werden keine Räterepubliken haben am Mittelmeer in einigen Jahren.” Dennoch kann man derzeit sagen: dass die Organisations- und Aktionsformen de fakto basisdemokratisch sind. Es gibt zwar einen regen Ideenaustausch, aber keine “Gegenmacht”, die bereit steht oder sich bildet. Die Lage in Libyen ist im Moment schwer einzuschätzen, was man den Nachrichten glauben kann, ist noch am ehesten der Frontverlauf.

Dafür fangen jetzt alle möglichen Menschen an zu bewerten, was da passiert, wo das alles hingeht. Es wird die Gefahr des Islamismus herbeigeredet. 1986 – anläßlich der Bombardierung von Tripolis und Benghazi durch die Amerikaner – protestierten noch 10.000 Linke in Westberlin, heute kämen gerade noch 50  zusammen. Ähnlich sieht es aus, wenn es um eine Demonstration zur Freilassung der politischen Gefangenen im Iran geht. So blieb nach der Diskussion erst einmal nicht viel mehr übrig, als sich darüber einig zu sein, regelmäßig über das, was in Nordafrika geschieht, zu reden. Die nächste größere Konferenz wird in Tunesien vorbereitet. Und am 7. und 8. Mai findet eine weitere in Marseille statt.

Editorische Hinweise

Wir spiegelten von http://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2011/03/