Ein deutscher 68er, Beauftragter in Venezuela, und eine bloggende Vertretung der USA in Havanna

 von Peter Nowak

03/11

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Beruf 68er, für Ulrich Enzensberger, einen Schriftsteller, der immer im Windschatten seines bekannteren Bruders Magnus gestanden hat, ist der Traum Wirklichkeit geworden. Auf Einladung und auf Kosten der Deutschen Botschaft und des Goethe-Instituts reiste er kürzlich nach Venezuela. Müsste nicht ein solcher 68er, wenn er schon auf Staatskosten in dieses Land reist, warm uns Herz werden? Schließlich scheint in den letzten Jahren manches von dem wieder aktuell zu sein, wofür in den späten 60er Jahren in vielen lateinamerikanischen Ländern Millionen Menschen kämpften. Die 68er in Deutschland und aller Welt solidarisierten sich damals mit diesen Bewegungen. Doch damit will der Berufs-68er nichts zu tun haben. In der Taz vom 12.13. März schrieb er:

„In der außerhalb der Stadt gelegenen technischen ausgerichteten Universidad Simon Bolivar, der die Regierung den Geldhahn zudrehte, halte ich einen Vortrag über 1968 in Westberlin. Meine Zuhörer können sich die Begeisterung manch deutscher Venezuela-Besucher über den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" nicht erklären. Die unabhängige venezolanische Studentenbewegung ist jetzt vier Jahre alt. Sie hat Knüppeln, Gummigeschossen, Tränengasgranaten und Kugeln getrotzt.“

Was Enzensberger verschweigt, der Staatsbeauftragte in Sachen 68 referiert vor den Studierenden der Elite, die seit dem bolivarischen Prozess ihre Privilegien verloren haben und heute das junge moderne Gesicht der rechten Opposition in Venezuela sind. Dass es mittlerweile bolivarische Universitäten in Venezuela gibt, in denen das Bildungsprivileg der Reichen und Mächtigen durchbrochen wurde und auch Kinder aus den armen Barrios lernen, ist für Enzensberger nicht der Erwähnung wert. Natürlich besucht er solche Schulen ebenso wenig, wie die Missiones, mit denen in den Barrios mit beachtlichem Erfolg gegen den Analphabetismus zu Felde gezogen wurde. Aber wer im Auftrag der deutschen Botschaft die Lehren aus der 68er Bewegung in der Welt verbreiten will, darf sich damit nicht aufhalten.

Was macht er stattdessen? Vielleicht ein bisschen in Voyeurismus.

"Ich spähe durch eine bewachte Einfahrt des Präsidentenpalastes Miraflores, aber die vom "comandante presidente" dort einquartierten Obdachlosen, deren armselige Hütten sintflutartige Regengüsse weggeschwemmt haben, sind nicht zu sehen. Auch die aufgehängte Wäsche ist weg.“

Unser Reisender in Sachen 68 musste lernen, dass er in Caracas keine Gelegenheit hatte, Arme so richtig zu beglotzen und möglichst bis in die Toilette zu fotografieren, um sich zu Hause als ach so mutig präsentieren zu können. Also eine glatte Enttäuschung für unseren 68er, der natürlich auch nicht besonders erbaut ist, dass es tatsächlich eine Regierung, die Opfer von Naturkatastrophen im Präsidentenpalast und nicht in Elendshütten einquartieren lässt. Dafür hat er damals in Westberlin nicht gekämpft.

Dafür weiß er schreckliches aus dem Herzen der Bestie zu berichten.

„Ein bereits abgewähltes Parlament hat mit Hinweis auf die Wetterkatastrophe ein "Ley Habilitante" abgesegnet, ein Ermächtigungsgesetz, das dem Präsidenten bis zur nächsten Wahl das Regieren per Dekret gestattet.“

Damit spielt der deutsche 68er-Beauftrage wie schon vor ihm die Springerpresse und andere rechte Blätter mit einen spanischen Begriff, der mit Ermächtigungsgesetz übersetzt wird, aber ansonsten nichts mit den berüchtigten NS- Gesetzen zu tun hat. Die Maßnahme läuft im Rahmen der venezolanischen Verfassung ab, das „abgewählte Parlament“ hatte seinen routinemäßigen Sitzungen bis zur Konstituierung des neuen Parlaments, wie in allen bürgerlich-parlamentarischen Demokratien.

Der staatlich geprüfte 68er muss in Venezuela nicht darben.

„Im Goethe-Institut gibt es eine sehr leckere Gemüsesuppe in Fleischbrühe und herzhafte fleischgefüllte Empañadas. Ich spreche über mein Lieblingsthema "Wir Parasiten".

Und am Ende hat er doch noch etwas Exotik geschnuppert und konnte seinen Voyeurismus frönen.

„Bei einem Abstecher in das Orinocodelta treffe ich auf dem Río Buja auf zwei Indiokinder. Sie kommen in einem kleinen Einbaum heran gerudert. Das größere hat nichts, das kleinere eine zerrissene Hose an. Ratlos schenke ich ihnen mein Taschenmesser.“

Wenn schon keine Unterhosen vor dem Präsidentenpalast, dann doch noch zwei Indiokinder. Von den selbstbewussten Organisationen der Indigenen, die in der aktuellen venezolanischen Verfassung wichtige Rechte erkämpft haben, muss Enzensberger nichts wissen und es interessiert ihn auch nicht. Ja, wie tief ein 68er auf Staatskosten sinken kann.

„Die Lethargie ist vorbei“

In Kuba zumindest können Enzensberger und Co. noch nicht in dieser Mission reüssieren. Aber manche arbeiten daran, dass es anders wird. „Die Lethargie ist vorbei“, heißt die Überschrift über einen Artikel über eine Kubareise in derselben Taz. „Die kubanische Regierung hat die Gesetze gelockert und lässt inzwischen mehr Privatwirtschaft zu“, heißt es im Untertitel und jetzt wird auch die Überschrift klar. Privatwirtschaft ist leben, Sozialismus Lethargie, wird subtil im Reiseressort die politische Botschaft verbreitet.

Noch kurz erwähnt werden sollte, dass in der taz-Ausgabe auch die bloggende Vertretung der USA auf Kuba nicht vergessen wird. Yoani Sanchez, die regelmäßig die Feinde der kubanischen Revolution in aller Welt mit ihren Blogs aus Havanna versorgt, wurde zum Internationalen Frauentag mit dem Women Courage Award des US-Außenministeriums ausgezeichnet, weiß die Taz zu berichten. Allerdings habe sie den Preis nicht direkt von Hillary Clinton entgegennehmen können, weil sie nicht ausreisen konnte, so das Blatt. Was aber daran die Meldung sein soll, ist unklar. Schließlich ist es ja die Aufgabe der Außenminister der verschiedenen Länder, ihre Botschafter und Sprachrohre zu belohnen und zu ehren.

Quellenhinweise

Editorische Hinweise

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