Peter Trotzig
Kommentare zum Zeitgeschehen
Abschalten!
Kernschmelzen – oder was Kapital und Atomenergie gemein haben

03/11

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Man erinnert sich: als die sogenannte Finanzkrise ihren Höhepunkt erreichte, sprachen viele von einer drohenden „Kernschmelze“ des Kapitals. Der Begriff kam nicht von ungefähr, erwiesen sich doch die Finanzmärkte als nicht mehr beherrschbar.

Den Begriff der Kernschmelze verdanken wir der „friedlichen“ Nutzung von Atomenergie. Bereits seit Harrisburg und Tschernobyl ist er allgemein bekannt und erfährt durch die Katastrophe in Japan eine bedrohliche Aktualität. Die außer Kontrolle geratene Spaltung von Atomkernen bedroht flächendeckend menschliche Existenz, wo sie doch der „allgemeinen Wohlfahrt“ dienen sollte. Billige Energie für alle meinte jedoch immer zunächst und vor allem profitable Anlagemöglichkeiten für Kapital. Die angeblich 100%ige  Sicherheit, von der Kanzlerin Merkel und unser heutiger Atomminister Röttgen noch immer schwafeln, war nie mehr als ein Verkaufsargument, das für Akzeptanz werben sollte.

Als 100% sicher wurden auch all jene Kapitalanlagen von smarten Bankern angepriesen, die in der „Finanzkrise“ von heute auf morgen „verbrannten“ und nichts mehr wert waren. 

Die Spaltung von Atomkernen zum Zweck der Energiegewinnung und kapitalistische Marktwirtschaft haben eines offensichtlich gemeinsam: es handelt sich um grundsätzlich unbeherrschbare, nicht kontrollierbare Prozesse. Werden auf der einen Seite Naturkräfte in Gang gesetzt, die sich technisch letztlich nicht beherrschen lassen, so auf der anderen Seite gesellschaftliche Kräfte (Privateigentum und Privatinteresse), die politisch letztlich nicht beherrschbar sind.

Die unkontrollierbar ablaufende Kettenreaktion bei der Kernspaltung ist prinzipiell nichts anderes  als unkontrollierbare Kettenreaktion auf Märkten von Privatproduzenten. Die im ersten Fall resultierende explosionsartige Freisetzung von radioaktivem Material ist prinzipiell – vom Prozess her - nichts anderes, als die explosionsartige Entwertung von Kapital. In seinen Auswirkungen ist beides verheerend und der „allgemeinen Wohlfahrt“ keinesfalls zuträglich. 

Kapitalistisches Management und bürgerliche Politik bekunden nicht nur ständig ihren Gestaltungswillen, sondern versprechen auch ihre Fähigkeit zur Kontrolle alles dessen, was sie ins Werk setzen. Ein Schmarn! Die ausufernde Ausübung dieser Kontrolle vermag wohl für die Wahrung privater Interessen zu sorgen, sie hat jedoch nichts zu tun mit sozialer Ein- und Vorsicht, die allein Technik und Gesellschaft kontrollierbar machen. 

Man sollte also nicht nur die Atomkraftwerke abschalten, sondern sich zugleich überlegen, wie man die kapitalistische Marktwirtschaft „herunterfahren“ könnte. 

März 2011

Editorische Hinweise

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.