Repression & Widerstand unter Hartz IV

Veranstaltungen von Teilhabe e.V. Berlin
März, April, Mai 2011 - Mehringhof / Gneisenaustr. 2 / Berlin-Kreuzberg

03/11

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18./19. März: Was tun, wenn ich kein Geld habe...- und zur Lebensmittelausgabe muß?
Freitag 19 Uhr
Diskussionsveranstaltung mit Stefan Selke: Grenzen der guten Tat - Kritik der Tafeln
1963 gab es die erste Tafel in den USA, 1993 wurde die erste in Berlin gegründet. Inzwischen existieren fast 900 Tafeln in Deutschland, die von einer Millionen Menschen genutzt werden. Stefan Selke hat die Tafeln in Deutschland untersucht und kommt zu folgendem Urteil: Die Tafeln stabilisieren die Gesellschaft, weil sie ganz offensichtlich eine Leerstelle füllen. Sie erzeugen damit aber auch Armut und ‘zementieren’ den Staus quo...Statt an einer Abschaffung der Armut mitzuwirken, beteiligen sich die Tafeln- sicher unintendiert- an einer Segmentierung der Gesellschaft in ‘Oben’ und ‘Unten’. Bedürftige Menschen werden durch ein gut funktionierendes Tafelsystem zwar nicht vom Staat, dafür aber umso effektiver von freiwilligen Hilfsorganisationen ‘ruhig gestellt’.
 
Samstag:
13 Uhr Zurück in den Almosenstaat? (Dieter Hartmann, Sozialforum Berlin)
Das Berliner Sozialforum hat sich kritisch mit der Vertafelung der Gesellschaft auseinandergesetzt. Das Sozialforum: Die ‘großzügigen’ Spender aus der Wirtschaft, die ja von der wachsenden sozialen Ungleichheit profitieren, können sich vor laufenden Kameras als Wohltäter darstellen, obwohl ihre Spenden lächerlich sind im Vergleich zu ihren Profiten – und die Besucher der Tafeln müssen sich als Almosen-Empfänger auf der Straße in die Schlange stellen. Und Politiker – wie etwa Sarrazin, der meint, dass man von Hartz IV ja toll leben kann - erhöhen die Regelsätze nicht, weil die Tafeln ja schon helfen werden...Den Ärmsten helfen und die Umwelt schützen- und dies kostenneutral für den klammen Vater Staat. Eine klassische Win-Win-Situation. Die Frage ist nur: Für wen?
 
15 Uhr Anders leben. Aber wie? (Anne Seeck)
Dieser Teil des Seminars ist die Fortsetzung der "Tipps für Erwerbslose" in dem Seminar "Was tun, wenn ich nicht gebraucht werde" vom 17./18. Dezember 2010. (www.teilhabe-berlin.de/aktuelles.html)
Was können wir tun, um nicht um Almosen betteln zu müssen. Und was nützen uns Forderungen an den Staat, die die Herrschenden ignorieren. Wir müssen in unserem Alltag beginnen, "anders zu leben". Wir werden gemeinsam erarbeiten, wie wir in den Bereichen Wohnen, Mobilität, Essen, Arbeiten, Wirtschaften etc. mit dem anderen Leben beginnen können. Tolle Ideen und konkrete Vorschläge für die Umsetzung sind herzlich willkommen
17-18 Uhr Abschlussdiskussion
 
WAS TUN? TEIL 2 – Ausblick der Seminarreihe
Umbrüche in der Arbeitswelt und die Zukunft des Sozialstaates

Freitag, d. 25.03.2011
19 Uhr Wo ist das Proletariat bloß abgeblieben? Aspekte einer marxistischen Klassentheorie

(Vortrag mit Diskussion Referent: Karl-Heinz Schubert ) 

Die zeitgenössische Soziologie spricht nicht mehr von sozialen Klassen, sondern von Schichten und sozialen Milieus, die sich vor allem über Geschmack, Vorlieben, Konsumgewohnheiten und Bildung aber auf keinen Fall durch den Verkauf der Ware Arbeitskraft unterscheiden. Doch der Marxsche Werkzeugkoffer zur Analyse der bürgerlichen Gesellschaft ist im Spätkapitalismus nach wie vor aktuell, weil sich das Grundverhältnis von Lohnarbeit und Kapital im seinem ökonomischen Kern überhaupt nicht verändert hat. Das aufzuzeigen wird Gegenstand des Vortrages sein. Daran anschließend soll der Frage nachgegangen werden, in welcher Weise diese ökonomische Kernstruktur die Oberfläche der bundesrepublikanischen Gesellschaft im Hinblick auf Produktions- und Reproduktionsverhältnisse formt. 

Samstag, d. 26.03.2011
13-17 Uhr Ein halbes Leben. Biographische Zeugnisse aus einer Arbeitswelt im Umbruch


Die Arbeitswelt im Sozialbereich und der Arbeitsagentur
(Input von Anne Seeck)
In dem Buch „Ein halbes Leben“ werden ein Arbeitsvermittler und eine Sozialarbeiterin interviewt, die berichten, wie ihre Arbeitsbereiche nach betriebswirtschaftlicher Logik umstrukturiert werden. Durch die Ökonomisierung des Sozialen verändert sich nicht nur ihre Arbeitsrealität, sondern auch die Beziehung zur Klientel bzw. den „Kunden“.

Typische Frauenerwerbsarbeit
(Input von Sarah Heselhaus)

Drängt die Hartz-Reform Frauen selbst aus den typischen weiblichen Berufen im Gesundheitswesen und im Dienstleistungsbereich heraus? Bleibt für die Frauen ohne Papiere nicht einmal der Reinigungs- und Haushaltsbereich übrig? Aus einzelnen Biographien ergeben sich Vermutungen für den Frauenerwerbsbereich, die weiter zahlenmäßig untersucht werden. 

Die Arbeitswelt bei Kreativen
(Input von Patricia Schwindkowski)

Anhand von drei ausgewählten Interviews mit Akteuren aus dem Bereich der Creativ-Industrie (Mediengestaltung, DTP Design und Neue-Medien-Kunst), entsteht der Eindruck, dass eine kritische Auseinandersetzung mit prekären Arbeitsverhältnissen, durch den steigenden Anteil der eigenen kreativen Tätigkeit abzunehmen scheint. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, wie fragil dieser kreative Anteil im Gesamtgefüge der Tätigkeiten ist. Neben der Anerkennung von außen – Ökonomie des langen Zyklus (Bourdieu), spielt die eigene Sichtweise auf die Tätigkeit eine wesentliche Rolle. 

15.30-16 Uhr Kaffeepause

Postmoderne und alternative Arbeitswelten
(Input von Wolfgang Ratzel) 

Der Vortrag zeigt die Enteignung der Arbeiter von ihrem Produktionswissen. Sie geschah im 20. Jh mittels der „Wissenschaftlichen Betriebsführung“ des Taylor-Systems. Dessen verhasstes Symbol war das Band. Waren die Arbeiter-Handwerker im 1 9.Jh noch die eigentlichen „Herren der Fabrik“, so degradierte sie der Taylorismus zu Marionetten eines hochgradig zerstückelten, rasenden und undurchschaubaren Produktionsprozesses. Heute beobachten wir ein Nebeneinander von vier Arbeitsweisen:

(1 ) Das Taylor-System lebt einerseits in roher Form weiter (Weltmarktfabriken), andererseits wird es vervollkommnet und roboterisiert (Just-in-time-Produktion).
(2) Gleichzeitig wird das Taylor-System ersetzt durch computergestützte flache, integrierte Arbeitsabläufe, die auf mentaler und technischer Selbststeuerung beruhen – genauer gesagt auf der Fähigkeit, Fremdanforderungen zu verinnerlichen.
(3) Und schließlich kehren vormoderne Arbeitsweisen wieder, die auf einer Vermischung von Subsistenz- und Lohnarbeit beruhen.
(4) Innerhalb und außerhalb dieser ausbeuterischen Produktionsweisen keimt schwach und im Verborgenen eine neue Produktionsweise, die sich „solidarische Ökonomie“ und „Peer Economy“ nennt.

Zeigen sich in diesem Nebeneinander Merkmale einer neuen post-kapitalistischen Produktionsweise? Oder geht es immer nur um die Vervollkommnung der Ausbeutung von Arbeitskraft? 

 17-18 Uhr Abschlussdiskussion 

15./16. April: Was tun, wenn aus einem Übermaß an Positivität
die Erschöpfungsmüdigkeit entsteht? 

Freitag 19 Uhr
„Zur Situation der Beschäftigten in der Weiterbildung“
(Vortrag mit Renate Singvogel, Verdi),

„Die Bildungsträger aus Sicht eines Teilnehmers“ (Vortrag von Joachim Maiworm)

Die radikalen Kürzungen im Kontext der Hartz-Gesetze sowie der aktuellen "Sparbeschlüsse" (u.a. bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik) haben nicht nur für Erwerbslose, sondern auch für die Beschäftigten in der Weiterbildungsbranche äußerst negative Folgen.

Im Rahmen des Termins sollen einerseits die Arbeitsbedingungen in der Weiterbildungsbranche thematisiert, andererseits - als Exkurs - ein kritischer Blick eines ehemaligen Teilnehmers (Erwerbsloser) von beruflichen Bildungsmaßnahmen auf die Bildungträger-Landschaft geworfen werden.

(Die Referentin Renate Singvogel arbeitet im Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung bei der Gewerkschaft ver.di. Sie ist unter anderem mitverantwortlich für die Informationsplattform Netzwerk-Weiterbildung (http://netzwerk-weiterbildung.info/>).

Samstag:

13 Uhr Vorstellung des Ehrenreich- Buches "Smile or die"(Anne Seeck)

Seit Jahrzehnten künden Ratgeber und Motivationstrainer von der grenzenlosen Macht des positiven Denkens. Erfolg sei mit einer positiven Grundhaltung für jeden jederzeit erreichbar. So entscheide der Ton einer Bewerbung eines Arbeitslosen über den Erfolg. Das Lob einer optimistischen Lebenseinstellung trägt allerdings zunehmend zwanghafte Züge. Besonders verbreitet ist das Ausblenden der Realität in der Wirtschaft. Die Weigerung, negative Entwicklungen überhaupt ins Auge zu fassen, habe zum jüngsten Chrash geführt.

15 Uhr "Die Müdigkeitsgesellschaft" –  Vorstellung des Buches Byung-Chul Han (Wolfgang Ratzel)  

Der in Seoul (Südkorea) geborene Philosoph und Medientheoretiker Byung-Chul Han verkündet eine irritierende Botschaft: Derzeit vollziehe sich unbemerkt ein Paradigmenwechsel, und dieser Wechsel zeige sich in einem Verschwinden der Andersheit und Fremdheit. An deren Stelle träte die Differenz im Gleichen. Wenn aber das Fremde zur Differenz werde, verlöre es seine Bedrohlichkeit und könne -z.B. als das Exotische (im Tourismus)- konsumiert werden.

Dieser Paradigmenwechsel habe aber auch fatale Folgen hinsichtlich der eigenen Immunreaktionsfähigkeit. Die setze nämlich die Andersheit voraus – unser aller Immunsysteme könnten nämlich die Differenz nicht erkennen.

Folgen auch für die Immigrationsdebatte: ImmigrantInnen würden nicht mehr als bedrohliche, angsterregende Fremde sondern nur noch als Last und Belastung wahrgenommen werden.

Im Ergebnis weiche die herkömmliche Gesellschaft der Negativität einer Gesellschaft, die von einem Übermaß an Positivität beherrscht sei, einem Zuviel von allem: Über-Infomation, Über-Kommunikation, Über- Produktion, Über-Leistung. Und die Spirale drehe sich immer weiter: von der Leistungsgesellschaft hinauf zur Dopinggesellschaft.

Dieses Gleiche herrsche genauso brutal wie ehedem das Fremde. Unterschied: Wir können uns gegen das Gleiche nicht schützen; die eigene Immunreaktion werde unmöglich. Krankheiten breiten sich aus. Schließlich kommt die Erschöpfungsmüdigkeit über uns und macht uns unfähig etwas zu tun. Und als „Alleinmüdigkeit“ lässt sie uns vereinsamen.

Han zeichnet eine pathologische Landschaft als Ergebnis wuchernder neuronaler Erkrankungen wie Depression, Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, Borderline oder Burnout, allesamt keine Infektionen sondern Infarkte.

Gegen diese Erschöpfungsmüdigkeit aus einem Zuviel an Positivität setzt Han –in Anlehnung an Peter Handkes >Versuch über die Müdigkeit<- den Horizont einer kommenden Müdigkeitsgesellschaft. Jene „fundamentale Müdigkeit“ (Handke) sei die Müdigkeit des Sabbat: Nach sechs Werktagen, in denen das Um-zu herrschte, folgte der heilige Tag, an dem das Nicht-zu regiert. Am Sabbat werde das Tun zum Nicht-Tun. Die „fundamentale Müdigkeit“ hebe die „egologische Vereinzelung“ auf und stifte eine „singuläre Gemeinschaft“ (Handke), „eine Gemeinschaft, die keiner Verwandtschaft bedarf.“

Der Workshop wird die Frage in den Mittelpunkt stellen, ob Han und Handkes „Müdigkeitsgesellschaft“ unsere einzelnen Nöte trifft, und ob es wünschenswert sein könnte, eine solche Daseinsweise des „Nicht-zu“ gesellschaftlich-politisch umzusetzen.

13./14.5.: Was tun, wenn der Sozialstaat abgeschafft werden soll?

Freitag: 19 Uhr

Geschichte und Kritik des Sozialstaates (Christian Frings)

Die Geschichte des Sozialstaates in Deutschland beginnt 1848. Er wurde nicht von den Arbeitern erkämpft und ist deshalb keine Errungenschaft. Der Sozialstaat war ein nationales Projekt, er hatte immer eine repressive Funktion. Er diente der Befriedung des Klassenkampfes. Die Durchsetzung von sozialstaatlichen Leistungen hat zur Verrechtlichung und Individualisierung/ Entkollektivierung geführt. Sich heute zu wehren, bedeutet vors Arbeits- oder Sozialgericht zu ziehen. Anhand des Buches „Aufstand der Armen“ wird Christian Frings nachweisen, dass nur durch die Unruhe auf der Straße, den Betrieben und Ämtern etwas erreicht wurde. Der Sozialstaat behindert eher die Kämpfe.

Hier Texte von Christian Frings:

http://www.akweb.de/ak_s/ak556/16.htm
http://www.wildcat-www.de/wildcat/35/wc35soz.htm

Samstag:  13 Uhr

Der abendländische Sozialstaat: Drei Formen und zwei Alternativen (Vortrag von Wolfgang Ratzel) 

Das Referat vergleicht drei Ausformungen des abendländischen Sozialstaats:

(1) der deutsche Sozialversicherungs-Staat (19.Jh);
(2) der Sozialstaat der sozialen Marktwirtschaft (20. Jh);
(3) der streng-subsidiäre US-Sozialstaat (nach der Clinton-Reform 1996/97).

Der Vergleich erfolgt unter drei Gesichtspunkten:

  • Wie wird der jeweilige Typus von Sozialstaat legitimiert? Welches Bild von Zusammenleben und welches Menschenbild liegt der jeweiligen ideologischen Rechtfertigung zu Grunde? Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Frage, ob und wie die Grundsätze „Geben-und-Nehmen“ und „Subsidiarität (d.h. Unterstützung von außen erst nach Ausschöpfung aller eigenen Möglichkeiten)“ gelten und wirken.
  • Welche Ziele verfolgen die jeweiligen Typen von sozialer Sicherung? Wie funktioniert Exklusion und Inklusion?
  • Wie funktioniert das Gesamtsystem und die Teilsysteme der sozialen Sicherung. Wer finanziert die soziale Sicherung?

Danach konfrontiere ich die Grundidee des herkömmlichen Sozialstaats mit der Idee des Grundeinkommens-Staates. Die Frage lautet:

Welche Perspektive von Sozialstaat entspräche den vielfältigen Interessen der Vielfalt randständiger Daseinsweisen im Hier-und-Jetzt:

  • Die Neufassung der Normen „Geben und Nehmen“ und „Subsidiarität“ – oder:
  • Die Ersetzung dieser „Spielregeln“ durch das Prinzip des Rechtsanspruchs aller auf eine staatliche Gabe - ohne Verpflichtung zur Gegengabe an die Gesellschaft?

 15 Uhr Grundeinkommen in Namibia (Vortrag von Susanne Laudahn)

Seit einigen Jahren kommt das bedingungslose Grundeinkommen als neue Sozialstaatskomponente immer mehr in die öffentliche Debatte. Die Argumente sind auf dem Tisch, die verschiedenen Diskussions-"Fronten" sind mehr oder weniger verhärtet. Was aber weniger bekannt ist: Einiges spricht dafür, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht zuerst in den Wohlstandsfestungen sondern in der Peripherie eingeführt werden wird. Susanne Laudahn hat an dem Grundeinkommensprojekt in Namibia mitgewirkt und berichtet von dem gesellschaftlichen Neubeginn, der mit einem Grundeinkommen ermöglicht wurde. Vormals bedrückt von extremer Armut, dem permanenten Zwang, als Tagelöhner für Großgrundbesittzer zu arbeiten, konnten sich viele Einwohner erstmals in Würde eine ökonomische Existenz aufbauen. 

17-18 Uhr Abschlussdiskussion 

Ausblick:

8./ 9.7.: Was tun, wenn ich nicht im Sinne des Systems funktionieren will?

Freitag 19 Uhr:  Anti-Zwangspsychiatrie und Widerstandsformen (Alice Halmi, Irrenoffensive)

Samstag:
13 Uhr: Armut und Psychiatrisierung (Anne Seeck)
15 Uhr: Keine/r geht allein zum Amtsarzt (Anne Allex)
Veranstalter: Teilhabe e.V.
Unterstützt von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt

Editorische Hinweise

Weitere Informationen über den Verein gibt es auf dessen Website: http://www.teilhabe-berlin.de

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Wer Anregungen oder/und Kritik zur Rubrik Repression & Widerstand unter Hartz IV "loswerden" oder mitarbeiten will, der wende sich per Email an Anne Seeck (anne.snk44[at]yahoo.de