Repression & Widerstand unter Hartz IV

Werner Braeuner sitzt seit 10 Jahren im Knast, weil er einen Arbeitsamtsdirektor tötete.
Anne Seeck führte ein Interview mit Thomas Bodenstein von der Solidaritätsinitiative Werner Braeuner
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03/11

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Kannst Du uns etwas über den biographischen Hintergrund von Werner Braeuner erzählen? 

Werner ist Jahrgang 1955. Er ist ein Kind des Ruhrpotts, in Gelsenkirchen aufgewachsen. Werner berichtet, dass er in seiner Kindheit mitkriegte, dass das Resultat des Faschismus für seine Umwelt hieß: Schnauze halten. In den 60er Jahren, in der von Werner sogenannten 'Ford Capri-Ära'  ( nach einem damals populären Automodell) wurden dann aus geselligen Untertanen einsame Konsumenten. Werner studierte schließlich an einer Fachhochschule in Hamburg Maschinenbau. Dann hat er als Maschinenbau- Ingenieur gearbeitet. In den 90er Jahren wurde er arbeitslos.  

Was hat er in der Zeit der Arbeitslosigkeit erlebt?  

Er wohnte in Verden bei Bremen und war dann mit der bremisch geprägten 'Arbeitslosenindustrie' konfrontiert, d.h. einem undurchdringlichen, filzigem Dschungel von SPD und Gewerkschaften. Er hat im Arbeiterbildungscentrum (ABC) Bremen, einem Träger des DGB, Maßnahmen absolviert. Das Kommen und Gehen mußte abgestempelt werden, dazwischen wurde die Zeit totgeschlagen. Das ABC ging in Insolvenz, der Leiter wurde 'dafür' in die Arbeitnehmerkammer Bremen befördert, die von SPD und DGB geführt wird und mafiaähnliche Strukturen aufweist. Werner versuchte sich bei Firmen vorzustellen. Schließlich schmiss er einen sinnlosen Computerkurs hin.  

Was geschah dann? 

Es setzten Sanktionen ein, die schließlich zur Total-Kürzung des Arbeitslosengeldes führten. Diese Maßnahmen waren auch nach den Vorschriften der Arbeitsverwaltung nicht rechtens.

Wie kam es dann zur Tötung des Arbeitsamtsdirektors? 

Zwei Tage vor der Tat erklärte jener “Jeder, der eine Maßnahme abbricht, erhält eine Sperre.” Werner hätte also eine Sperre von 12 Wochen bekommen. Er hätte dann  75% Sozialhilfe auf Darlehensbasis bekommen, die er zurückzahlen müßte. Werner schickte mehrere Mails an den Arbeitsamtsdirektor, die dieser nicht beantwortete, und bekam dessen Privatadresse heraus. Schließlich kundschaftete er ihn aus und tötete den Arbeitsamtsdirektor, der auch in seinem privaten Umfeld ein Stinkstiefel gewesen sein soll. Ein paar

Stunden nach der Tat stellte sich Werner, da eine Flucht in und durch Deutschland  sinnlos gewesen wäre. Seit dem 6.2.2001 sitzt er in Haft. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit Jagoda hielt dann die Trauerrede für den Arbeitsamtsdirektor. 

Wie erklärst Du dir diese Tat? Es soll ja auch in Amtsstuben immer mehr zu Gewaltausbrüchen kommen? 

Werners Tat war, wie ich oben schon ausgeführt habe, kein affektiver Gewaltausbruch. Obwohl ein solcher in den Amtsstuben nach meiner Bewertung auch immer noch besser ist als geduldiges Runterschlucken. 

Werner war ja auch in der Erwerbslosenbewegung aktiv, so hielt er Kontakt zu französischen Erwerbslosenaktivisten. Gab es denn Unterstützung im Knast von Seiten der Erwerbslosenbewegung? 

Werner hatte schlechte Erfahrungen mit Teilen der Erwerbslosenbewegung gemacht. So hatte er z.B.  vorgeschlagen, die Kommunen zu schädigen, indem Damenstrümpfe in den Klos runtergespült werden sollen. Als Ingenieur kannte er sich aus. Das führt zu Schäden in den kommunalen Klärwerken. Ihm wurde jetzt von Seiten der Erwerbslosenbewegung der Vorwurf gemacht, er wolle das Trinkwasser vergiften. Insbesondere mit den DGB-orientierten Kräften machte er schlimme Erfahrungen, das ging bis zur Androhung körperlicher Gewalt. Werner vertritt eine überaus gewerkschafts-kritische Positionen und sieht gerade was Hartz-IV angeht, die  DGB-Gewerkschaften als Erfüllungsgehilfen des Kapitals.

Zu seinen Kontakten nach draußen: Es ist klar, dass im Laufe so langer Zeit, die Werner schon im Knast ist, Kontakte nach draußen spärlicher werde. Das ist aber auch als Aufforderung an 'uns draußen' zu verstehen, den Kontakt eben nicht abreißen zu lassen.

Was kam nach der Inhaftierung?  

Es wurde immer versucht, ihn zu psychiatrisieren. Wenn er nicht auf die Psychiatrie-Sache eingegangen wäre, hätte er lebenslänglich bekommen. So bekam er 12 Jahre. Der Prozeß war ein Schauspiel, er sollte unpolitisch gestaltet werden. Von Seiten des Staates wird das Tötungsdelikt mit psychischen Gründen gedeutet. Werner, der sich als Anarcho versteht, will das aber als politisch gewertet wissen. Da er das als politische Tat deutet, hat er auch die Therapien im Knast abgelehnt. Hätte er sich auf die Psycho-Schiene mit Therapien eingelassen, dann wäre er nach 2/3 der Haftzeit draußen gewesen.  

Werner verweigert aber nicht nur die Therapien, sondern auch die Arbeit? 

Daher ist er von einem Regime aus Zuckerbrot und Peitsche bedroht. Es herrscht Willkür, z.B. beim Einkaufen. Es kann immer wie aus heiterem Himmel ein Verbot geben. Willkür wegen Arbeitsverweigerung kann auch bedeuten: Telefon-Verbot, Postverbot, auch Isolationshaft (24 Std. Einschluß). Jede Stunde, die er die Arbeit verweigert, kann nach der Haft in Rechnung gestellt werden. Werner sieht die Arbeit im Knast als Fortsetzung des Zwangsarbeitssystems Hartz IV. 

Du besuchst Werner, was erlebst du als Besucher? 

Werner kann drei Stunden im Monat Besuch bekommen. Er muß einen Besucherschein beantragen, den bekommt der BesucherIn zugeschickt und dann muß er/sie sich   zum angegebenen Zeitpunkt an der Knastpforte einfinden. Man/frau wird durchsucht;  Als Besucher wird dir das Schlechteste unterstellt. 30 Euro in Münzen darf man/frau dabei haben, die müssen an Automaten mit überteuerten Preisen eingelöst werden. Natürlich sind dann bei den Besuchen immer Vollzugsbeamte dabei und immer sind Kameras da. Niemand soll sich aber abschrecken lassen, man kann es aushalten! 

War Werner mal draußen? 

Nein, er darf nicht raus. Seit 10 Jahren war er nicht draußen, er hat  eine Odysee durch viele Knäste hinter sich. Derzeit sitzt er in der JVA Sehnde bei Hannover. Die JVA ist ziemlich neu (seit 10/15 Jahren in Betrieb) und liegt in einer Industriebrache an einer Kali-Halde. Sein Vater ist gestorben. Um zur Beerdigung seines Vaters zu kommen, hätte er mehrere tausend Euro für den Ausgang, also das Auto und zwei Begleiter, bezahlen müssen. Dann hätte er mit Handschellen am Grab gestanden... 

Wann wird Werner entlassen? 

Eigentlich müßte er im Februar 2013 entlassen werden. Aber im Knast weiß man nie, was passiert. Außerdem gibt’s ja noch die nachträgliche Sicherungsverwahrung, aber an den Regelungen wird ja noch gebastelt. Den Gefangenen hier im  Unklaren zu lassen, scheint mir System zu haben.  

Wie kann man ihm im Knast helfen? 

Ihm schreiben. Wenn man ihm schreibt, sollte man aber auch bereit sein, ihn zu besuchen. Mit Hilfe von Werner habe ich ein Info-Blatt zusammengestellt.

Infos zur Gefangenen-Unterstützung

Ohne Öffentlichkeit und Unterstützer sind politische Gefangene dem Terror der Staatsorgane völlig ausgeliefert und werden im Strafvollzug total isoliert und dominiert. Die entsprechenden Weichen werden in der Zeit zwischen Verhaftung und Gerichtsverfahren gestellt.

Was können wir draußen tun?

  • Leute für Soligruppe (Öffentlichkeitsarbeit) finden und organisieren

  •  einen Rechtsanwalt ausfindig machen, der die Rechte der Gefangenen gegenüber der U-Haftanstalt durchsetzt: EINZELUNTERBRINGUNG; Briefpapier, Umschläge, Briefmarken; Besuche; Geld für Gefangeneneinkauf

  • Das persönliche Umfeld des Gefangenen auf das Auskunftsverweigerungrecht hinweisen: NULL Infos an Polizei, Staatsanwaltschaft und Medien ( Anna und Arthur halten die Schnauze )!

  • die Justiz droht politischen Gefangenen fast immer mit Psychatrisierung, um sie zu nötigen, sich gerichtspsychatrisch 'begutachten' zu lassen. Wer da einwilligt, verliert dann auch IMMER, denn die Gutachter entpolitisieren die politischen Gefangenen durch Pathologisierung; das rächt sich in der anschließenden Strafhaft böse: Wer dann 'Resozialisierung' bzw. ' Therapiemaßnahmen' verweigert, wird bald auf Haftstationen mit schwer gestörten Mitgefangenen gebracht. Im Zusammenspiel mit politisch feindlichen und/oder verrückten Justizvollzugsbediensteten können Mitgefangene einen isolierten politischen Gefangenen nach und nach zerrütten und brechen.

  • Ungebrochene politische Gefangene sind im Knast allgemein sichtbare Bezugspunkte für politisch Unorganisierte/Desinteressierte! Deshalb werden solche politischen Gefangenen und ihre Unterstützer von den Herrschenden als erhebliche Bedrohung betrachtet; darum ist es wichtig, Verbindung zu kämpferischen Strukturen herzustellen wie z.B. zur Roten Hilfe, zu Anarchist Black Cross oder zur innergewerkschaftlichen Opposition und anderen Gruppen und Parteien.

(Politische) Gefangene, die bereits in Strafhaft sitzen, freuen sich meistens sehr über Briefkontakte. Am Anfang nicht zu viel schreiben! Briefmarken in den Brief legen und das im Brief mitteilen! Bietet einen Brief-Dialog an, aber drängt Euch nicht auf. Ihr solltet dann auch bereit sein, den Gefangenen - auf dessen Einladung hin - im Knast zu besuchen, wenn das 'entfernungsmäßig' irgendwie geht. Es gibt Knäste mit Post-Inhalts-Kontrolle und Text- Kontrolle. Versucht, im Laufe des Kontakts herauszubekommen, wie es im Knast 'Eures Gefangenen' ist. Legt keine Medien-Textausschnitte und keine Bilder bei! Aber eigene Zeichnungen/Malereien auf Eurem Briefpapier gehen! Vertraut nicht den web-sites der einzelnen Knäste, aber schaut sie Euch kritisch an!

Wenn Ihr Fragen dazu habt, kann ich die evtl. beantworten ( Thomas Bodenstein, Kuckuck 2, 31789 Hameln, Tel.: 05151-9 19 84 87, e-mail: la_taupe@gmx.de )

Editorische Hinweise

Wer Anregungen oder/und Kritik zur Rubrik Repression & Widerstand unter Hartz IV "loswerden" oder mitarbeiten will, der wende sich per Email an Anne Seeck (anne.snk44[at]yahoo.de