Repression & Widerstand unter Hartz IV

Spätrömische Dekadenz vor Gericht
Westerwelles Gerede hat für Darmstädter Erwerbslose Spätfolgen.


von Peter Nowak

03/11

trend
onlinezeitung

„Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein". Dieser von dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle in einem Gastbeitrag für „Die Welt“ verfassten Satz beschäftigte im Frühjahr 2010 die Republik und sorgte vor allen bei Erwerbslosen für Aufregung. Auch die Aktivisten der Gewerkschaftlichen Arbeitsloseninitiative Darmstadt (Galida) waren empört und ließen ihrer Kreativität freien Verlauf. Als Römer verkleidet standen sie mit Trauben, Hühnchenbrust und Champagner in der Darmstädter FDP-Geschäftsstelle und wollten Westerwelle beim Wort nehmen. Doch der anwesende Geschäftsstellenleiter Günther Hartel verstand keinen Spaß. Er informierte die Polizei, ließ das Büro räumen und erstattete gegen die feiernden Erwerbslosen Anzeige wegen Hausfriedensbruch. Am vergangenen Montag (21.3.2011) war der erste Prozesstag, bei dem es auch sehr römisch zuging.

„Knapp eine Stunde vor Verhandlungsbeginn sammelten sich die ersten Unterstützer vor dem Justizgebäude in Darmstadt, unter ihnen Asterix, Obelix und Miraculix, die sich erstmalig in der Geschichte mit den "Römern solidarisierten“, berichtete Prozessbeobachter Thomas Rindt. Das große Interesse an dem Fall zeigte sich am regen Besucherantrag. Im größten Saal des Darmstädter Gerichtsgebäudes war kein Platz mehr frei. Auch eine Grußadresse aus dem Ausland wurde verlesen. Sie stammte von einer österreichischen Erwerbslosengruppe, die bereits am vergangenen Samstag vor der deutschen Botschaft in Wien eine satirische Unterstützungsaktion für Galida durchgeführt hatten

Zu Verhandlungsbeginn erklärte der Richter, dass es kein öffentliches Interesse an der Weiterverfolgung der Anklage gäbe, wenn die FDP die Anzeige zurückziehen sollte. Doch der Darmstädter FDP-Kreisvorsitzender und hessische Landtagsabgeordneter Leif Blum war dazu nicht bereit. Im Anschluss gingen die Angeklagten in kurzen Erklärungen auf den Ablauf der Ereignisse beim FDP-Besuch ein und thematisierten den politischen Kontext. Sie betonten, dass sie Westerwelles Äußerungen als beleidigend und menschenverachtend empfunden und mit der Satireaktion darauf reagiert hätten.


Als der Geschäftsstellenleiter der Darmstädter FDP Günther Hartel nach seiner Version der Ereignisse gefragt werden sollte, stelle sich heraus, dass er gar nicht anwesend war. Auch Leif Blum konnte seinen Parteifreund nicht auftreiben. Das Gericht beantragte daraufhin gegen den unentschuldigt fehlenden Zeugen ein Ordnungsgeld. Später wurde dem Gericht ein Attest zugeschickt. Der Zeuge wird erneut vorgeladen. Der Prozess wird am 4. April fortgesetzt.

Länderübergreifende Solidarität

Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens sind die Aktivisten auch auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Ein Administrator der Internetpräsenz von Galida hat einen Strafbefehl über 30 Tagessätzen à 13 Euro bekommen, weil er die Anklageschrift auf die Seite gestellt und damit eine nach Ansicht der Justiz verbotene Mitteilung über Strafverhandlungen gemacht hat. Dabei stützte sich das Gericht auf einen selten angewandten Paragraph des Strafgesetzbuchs.

Spendenkonto: Bunte Hilfe Darmstadt, Stichwort: GALIDA,
Konto: 11 00 33 54, Sparkasse Darmstadt, BLZ: 508 501 50
 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor.

Die Webnsite von Galida: http://galida.wordpress.com/

Wer Anregungen oder/und Kritik zur Rubrik Repression & Widerstand unter Hartz IV "loswerden" oder mitarbeiten will, der wende sich per Email an Anne Seeck (anne.snk44[at]yahoo.de