Einige Zeit schien es so, als hätten die großen
Proteste in Griechenland gegen das neoliberale
Austeritätsprogramm dazu geführt, dass andere europäische
Regierungen, wie etwa in Portugal, etwas vorsichtiger
agieren und versuchen, soziale Proteste einzudämmen. Diese
Zeiten sind offenbar vorbei.
Im Winter 2010 beschloss die "sozialistische" Regierung in
Lissabon ein Spar- und Kürzungsprogramm, einschließlich
Preissteigerungen für Nahverkehr und Erhöhung der Mehrwertsteuer
bei gleichzeitigen Lohnkürzungen. Gegen diese Maßnahmen, die ab
dem 1.1.2011 gelten, gab es am 24. November 2011 einen
Generalstreik. Neben dem Gewerkschaftsverband CGTP, der der
Kommunistischen Partei Portugals näher steht, rief der
sozialdemokratische Verband UGT ebenfalls zum Generalstreik auf
- obwohl die UGT der regierenden Sozialistischen Partei näher
steht. Nach Gewerkschaftsangaben haben 3 Millionen Menschen
gestreikt. Allerdings war die öffentliche Wirksamkeit des
Streiks gering und außerhalb der Hauptstadt war der Streik kaum
spürbar. Dies schien darauf hinzudeuten, dass viele zwar
unzufrieden mit der Regierung sind, aber gleichzeitig wenig
Hoffnungen hatten, die Verschlechterung ihrer Lebensumstände
abwenden zu können.
Das nächste politische "Barometer" war die Präsidentschaftwahl
am 23. Januar 2011. Das staatliche Austeritätsprogramm war
bereits in Umsetzung und die Parteien, die dafür verantwortlich
sind, waren bekannt. Die soziale Unzufriedenheit führte aber
nicht zu einem Stimmenzuwachs für die linken Parteien. Der
Kandidat der Kommunistischen Partei kam auf 7,1 Prozent der
Stimmen und der linkssozialdemokratische "Bloco de Esquerda"
("Linksblock", vergleichbar mit der deutschen Linkspartei)
entschied sich dafür, den Kandidaten der regierenden Sozialisten
zu unterstützen - der dann gegen den konservativen Amtsinhaber
verlor. Auch dies war kein Vorzeichen dafür, dass soziale
Proteste zunehmen würden. Zwar deutete die niedrige
Wahlbeteiligung von etwa 46 Prozent (gegenüber ca. 60 Prozent
2006 und 2009) auf zunehmende Unzufriedenheit, daraus wuchs aber
weder eine Zustimmung für die linke Opposition, noch hatte es
dazu führte, dass soziale Proteste zunahmen. Zumindest dem
Anschein nach..
Im Bezug auf die sozialen Proteste wird die Bewertung seit dem
12. März 2011 anders ausfallen müssen. Die Initiatoren der
Proteste waren weder Parteien noch Gewerkschaften, sondern
prekarisierte Unorganisierte. Und trotzdem (oder gerade
deswegen) demonstrierten an diesem Tag mehr als 200.000 Menschen
in Portugal gegen die zunehmende Prekarisierung ihrer
Lebensumstände, sei es durch Arbeitslosigkeit oder
Lohnkürzungen. Allein in Porto waren etwa 80.000 Menschen auf
der Straße - bei einer Einwohnerzahl von 400.000. In Porto waren
Parteifahnen waren ebenso wenig zu sehen wie die
Gewerkschaftssymbole. Neben vielen selbstgebastelten Schildern
und einigen wenigen Portugalfahnen waren lediglich Transparente
der anarchosyndikalistischen AIT-SP erkennbar.
Noch ist offen, ob der 12. März lediglich ein kurzes Strohfeuer
ist oder weitere selbstorganisierte Proteste folgen. Ebenso
denkbar ist, dass die linken Oppositionsparteien und die
Gewerkschaften versuchen, die sichtbar gewordenene
Unzufriedenheit doch zu kanalisieren und daraus zu schöpfen.
Sicher ist aber: Die Zeit der schweigenden Unzufriedenheit ist
in Portugal vorbei.
Editorische
Hinweise
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