Auch so kann man, wenn man als Kandidat zu
einer wichtigen Wahl antritt, um Sympathien für sich werben:
I’m not dangerous, erklärte der aussichtsreiche
französische Präsidentschaftskandidat François Hollande – der
Bewerber der Sozialdemokratie für das höchste Staatsamt – am
Mittwoch, den 29. Februar 12 in London demonstrativ vor
Kameras und Blitzlichtern. Ungefährlich, das wollte er dabei
betonen, sei er vor allem für die Kapitelvertreter. Darunter
jene der Finanzbranche, die seit den Weichenstellungen der
Regierung Margaret Thatchers in den achtziger Jahren eine
ihrer internationalen Hochburgen in der City of London
besitzt.
Es war im Übrigen schon das zweite Mal, dass
Hollande über London politische Signale im französischen
Wahlkampf setzte. 14 Tage zuvor hatte er in einem Interview mit
der britischen Tageszeitung The Guardian
versichert, Befürchtungen wie zur Zeit der Wahl des bislang
einzigen sozialistischen Präsidenten der Fünften Republik in
Frankreich – sie wurde 1958 eingerichtet – seien unbegründet.
François Mitterrand, bislang einziger Sozialist in diesem Amt
seit Bestehen der aktuellen Verfassung, war 1981 gewählt worden.
Damals hatte er auch die Französische kommunistische Partei für
drei Jahre als Juniorpartner in die Regierung genommen.
Allerdings nur, um sie einzubinden, zu diskreditieren und um
soziale Widerstände ihrer Arbeiterbasis sowie der ihr nahe
stehenden Gewerkschaft CGT zu neutralisieren. 1984 befand sich
die Partei in einem miserablen Zustand, als sie die Regierung
verlie. Auch die CGT geriet in den darauffolgenden Jahren in
die Krise. In damals konservativ regierten Hauptstädten wie
London oder Washington war man dennoch anfänglich über den
Einfluss der „Roten“ besorgt.
Nichts dergleichen sei heute zu befürchten,
erklärte Hollande der britischen Zeitung: „Heute gibt es
in Frankreich keine Kommunisten mehr.“ Nachdem der
Ausspruch in Frankreich einen kleinen Aufschrei erregt hatte –
die gleichnamige Partei ist inzwischen mit einer Linksabspaltung
der Sozialdemokratie verbündet, ihr gemeinsamer Kandidat
Jean-Luc Mélenchon kann auf zehn Prozent der Stimmen hoffen -,
lie Hollande das Interview auf der Webseite des Guardian
noch abändern. Am nächsten Tag wurden der Aussage noch die Worte
„Oder nicht mehr so viele“ hinzugefügt.
„Ungefährlich“ aus Sicht des transnational aktiven Kapitals
wollte François Hollande sich auch vergangene Woche zeigen,
nachdem er einige Stunden zuvor in Frankreich einen etwas
überraschend kommenden Coup gelandet hatte. Unerwartet hatte er,
erstmals, eine auf den ersten Blick beinahe klassenkämpferisch
klingende Ankündigung getätigt: Bei den höchsten Einkommen wolle
er einen neuen Spitzensteuersatz einführen, der bei 75 Prozent
liege. Allerdings soll der Satz erst oberhalb eines individuell
versteuerten Jahreseinkommens in Höhe von einer Million greifen.
Dies beträfe maximal 30.000 Personen in Frankreich, manche
Quellen sprechen auch nur von 7.000. Und natürlich würden nur
die obersten Zipfel des jeweiligen Einkommens so stark
besteuert, da auch die höchsten Jahreseinkünfte progressiv und
nicht nach einem einheitlichen Satz besteuert werden. Sein
linker Konkurrent Mélenchon möchte übrigens ab einer bestimmten
Maximalhöhe gleich zu 100 Prozent beisteuern, und generell über
gesellschaftlich vernünftige Mindest- ebenso wie über
Höchsteinkommen diskutieren.
Reale Auswirkungen hätte Hollandes
Ankündigung, würde er Anfang Mai dieses Jahres gewählt, wohl
kaum. Oder allenfalls für ein paar prominente Stars und Fußballer,
die sich nicht einen Wohnsitz im steuerlich günstigeren Ausland
gewählt haben. Firmeninhaber und andere Kapitaleigentümer sind
erfahren genug und hinreichend gut beraten, weder ein Vermögen
in dieser Höhe individuell versteuern zu lassen – es wird
tunlichst in den Angaben über Unternehmensvermögen oder hinter
anderen Investitionen versteckt -, oder aber eine der
zahlreichen Abschreibmöglichkeiten zu nutzen.
Aber Hollande benötigte dringend eine
spektakulär und irgendwie kämpferisch klingende Ankündigung,
nachdem seinem Wahlkampf in den letzten Wochen offenkundig die
Puste ausging. Sein Widersacher Nicolas Sarkozy hatte die
Dynamik an sich gezogen. Und der konservativ-wirtschaftsliberale
Kandidat hatte in einer Hinsicht Recht: Sarkozy hatte in seiner
Umgebung erklärt, Hollande habe einen taktischen Fehler
begangen, indem er sein ganzes Programm im Januar bei einer Großveranstaltung
im Pariser Vorort Le Bourget auf einen Streich verkündet habe.
Damals kündigte er „60 Punkte“ an, und auch damals schon diente
diese Initiative dazu, eine ausbleibende Dynamik durch eine
spektakulär daherkommende Ankündigung anzukurbeln. „Nun
hat er nichts mehr zu sagen, nachdem er sein vollständiges
Programm schon angekündigt hat“, meine Sarkozy dazu.
Deswegen brauchte es wohl den leichten Überraschungscoup. Zudem
sollte die Ankündigung zum neuen Spitzensteuersatz auch andere
programmatische Leitsätze Hollandes, die am Tag zuvor und am
selben Tag verkündet wurden, relativieren. So spricht der
sozialdemokratische Kandidat sich auch für eine neue nicht
einkommensprogressive, sondern pauschale Sondersteuer aus.
Ähnlich, wie bürgerliche Regierungen seit 1995 zwei unpopuläre,
da Arme ebenso stark wie Reiche belastende, Sondersteuern zur
Refinanzierung der Sozialkassen eingeführt hatte. Bei François
Hollande sollen sie neben diesem Zweck auch zum Rückbau der
Staatsverschuldung dienen. Auch dass Hollande zu Anfang voriger
Woche verkündete, die Anfang 2009 durch Präsident beschlossene
Rückkehr Frankreichs ins Militärkommando der NATO beizubehalten,
war links durchaus unpopulär.
Vermeintlich spektakuläre daherkommende Reichensteuern hin oder
her: Generell vermag François Hollande nicht gerade
bahnbrechende Hoffnungen auf positive soziale Veränderungen zu
erwecken. Laut einer jüngsten Umfrage des Instituts Ipsos und
einer Consultingfirma erwarten sich 34 Prozent der befragten
Französinnen und Franzosen im Falle einer Wahl Hollandes eine
teilweise Verbesserung der Lebensverhältnisse, dagegen erwarten
37 Prozent eine Verschlechterung. Letztere Zahl hängt nicht
wirklich mit einer Angst der Bourgeoisie vor drohender
„Umverteilung“ zusammen, sondern eher mit den generell
pessimistischen Erwartungen über die weitere Entwicklung der
Krise. Bei einer Wahl Nicolas Sarkozys erhoffen sich übrigens
nur 20 Prozent bessere Lebensverhältnisse, und 49 Prozent
erwarten ihre Verschlechterung.
Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass François
Hollande einen bahnbrechenden Enthusiasmus rund um seine
Kandidatur entwickeln wird. Gleichzeitig erscheint sie in
breiten Kreisen als „kleineres Übel“, und die Wählerinnen und
Wähler werden voraussichtlich eher illusionslos, nüchtern und
ohne starke Erwartungen für ihn stimmen. Die französische
Sozialdemokratie erhofft sich davon wiederum, einen „Schock der
Enttäuschungen“ wie anlässlich der ersten Jahre von François
Mitterrand Präsidentschaft zu vermeiden. Damals hatten die
etablierten Linksparteien viele ihrer früheren Wähler und
Sympathisantinnen vor den Kopf gestoßen. Just in jenen Jahren
begann, 1983/84, der Aufstieg der extremen Rechten, deren
Wahlerfolg sich unter anderem aus diesen Frustrationen nährte.
Auch die Gewerkschaften agieren vor diesem
Hintergrund derzeit eher zurückhaltend. Seit ihrer schweren
Niederlage im Kampf um die „Rentenreform“ vom Herbst 2010 – die
auch auf die defensive Taktik der wichtigsten
Gewerkschaftsführungen von CGT und CFDT zurückging, die etwa den
Ausstand in den Raffinerien abwürgten, weil sie fürchteten,
„unpopulär“ zu werden – haben die französischen Gewerkschaften
ohnehin kaum noch mobilisieren können. Am 29. Februar 12
demonstrierten die französischen Gewerkschaften etwa auf den
Straen „gegen die Sparpolitik“ und die Abwälzung der
Krisenlasten auf die Lohnabhängigen. Eine Mobilisierung, wie sie
buchstäblich alle Schaltjahre stattfindet, könnte man unken. Die
Ergebnisse stimmen wenig zuversichtlich: Laut amtlichen Zahlen
kamen in ganz Frankreich nur 48.000 Leute, davon etwa 8.000 in
Paris, zusammen. Derart schmähliche Resultate waren in der
französischen Geschichte noch selten.
Und im Vorfeld hatten sich die
Gewerkschaftsverbände noch untereinander zerstritten. Der zweit-
und der drittstärkste Dachverband, also die früher
sozialdemokratische und heute zum Teil neoliberale CFDT sowie
die eher populistisch-schillernde Force Ouvrière, erhoben
öffentlich Vorwürfe gegen die „postkommunistische“ CGT: Diese
verletzte das Prinzip „parteipolitischer Neutralität“,
wurde bemängelt. Dabei gab es in der Geschichte der
französischen Gewerkschaftsbewegung – die Jahrzehnte lang vom
Nebeneinander politischer Richtungsgewerkschaften geprägt waren,
während heute ihre Prägung durch politische Idee stark erodiert
ist – ein solches Prinzip überhaupt nicht. Die CFDT gab bis in
die achtziger Jahre hinein offene Wahlempfehlungen für die
Sozialdemokratie ab, die CGT bis in den neunziger Jahre
zugunsten der Parteikommunisten. Dies ist in der alten Form zwar
definitiv vorbei, dennoch bleiben politische
Einschätzungsunterschiede zwischen den Verbänden bestehen.
Am Montag, den 31. Januar d.J. hatte die CGT
rund 6.000 Menschen an einem Werktag Nachmittag in einer Pariser
Halle zu einer stolzen Grokundgebung mobilisieren können.
Hauptthema war dabei die Rentenpolitik: Die Regierung hat bei
der letzten „Reform“ Ende 2010 die Zahl erforderlicher
Beitragsjahre für eine Rente zum vollen Satz von zuvor 40 auf
zunächst 41,5 angehoben – und 2018 wird man dann weitersehen.
Auch wurde das Recht, grundsätzlich mit 60 in Rente zu gehen,
abgeschafft. Das neue Mindestalter liegt bei 62. Die
Sozialdemokratie versprach zunächst, das frühere Altersminimum
wieder herzustellen, allerdings unter Beibehaltung der
Anforderungen bezüglich Beitragsjahren: Wem Beitragssätze
fehlen, der oder die bekommt eben Abzüge an der Rente. François
Hollande, der sich sogar, über die Regierungspolitik
hinausgehend, jüngst für 42 Beitragsjahre aussprach, möchte
allerdings nicht einmal mehr das gesichert garantieren. Im
Herbst 2011 erweckte er Zweifel an diesem Programmpunkt.
An der Kundgebung nahmen auch mehrere
Präsidentschaftskandidaten aus der Linken teil: Jean-Luc
Mélenchon, die – bei der Wahl in diesem Jahr voraussichtlich
marginalen – trotzkistischen Bewerber Philippe Poutou und
Nathalie Arthaud sowie die grün-linksliberale Bündniskandidatin
Eva Joly. François Hollande hatte zunächst seine Teilnahme
abgesagt, aber dann doch Vertreter geschickt, unter ihnen den
Europaparlamentarier Harlem Désir. CGT-Chef Bernard Thibault
zügelte deswegen auch seine offene Kritik an der
Sozialdemokratie bei der Kundgebung. Wie ein Star durch das
Publikum gefeiert wurde jedoch Jean-Muc Mélenchon, auch wenn die
CGT-Spitze sich jeglicher offenen parteipolitischen
Positionierung enthielt.
Schon dies ist jedoch in den Augen der „moderateren“ Verbände
wie CFDT und Force Ouvrière (FO) zu viel. „Neutral zu bleiben,
bedeutet Komplizenschaft“ konterte Bernard Thibault daraufhin
öffentlich.
Zwar wünschen sich auch die „moderaten“
Gewerkschaften tendenziell eine Ablösung der jetzigen Regierung
und vor allem des jetzigen Präsidenten, etwa zugunsten François
Hollandes. Und jüngste Beschlüsse wie die handstreichartige
Annahme der Mehrwertsteuererhöhung – sie wurde am Abend des 29.
Januar 12 durch Nicolas Sarkozy im Fernsehen angekündigt, und in
der Nacht vom 28. Zum 29. Februar 12 (also auf den Tag genau
einen Monat später) vom Parlament verabschiedet – sind auch bei
ihnen unbeliebt. Allerdings bestehen da durchaus Nuancen.
So sind alle Gewerkschaften im Prinzip gegen
eine weitere Ankündigung Sarkozys: Er hatte am 29. Januar 12
ebenfalls verkündet, künftig sollten Betriebsvereinbarungen in
der Krise, etwa für Lohnsenkungen „zur Rettung von bedrohten
Arbeitsplätzen“, auch individuelle Arbeitsverträge abändern
können. Bislang wäre dies streng rechtswidrig. Nach der Wahl
möchte Sarkozy schnell ein Gesetz dazu verabschieden, und bis
dahin haben nun „die Sozialpartner zwei Monate Zeit“, sich auf
einen entsprechenden Inhalt zu einigen, falls sie es denn
schaffen. Die rechtssozialdemokratische Gewerkschaftsführung der
CFDT kritisierte dies, allerdings eher wegen der Methode denn
wegen der ankündigten Möglichkeiten zur Lohnsenkung oder
Arbeitszeitausdehnung in der Krise. Am 31. Januar 12 gab Marcel
Grignard von der CFDT in Libération bekannt, man
lasse sich nicht durch eine verordnete Frist wie die
angekündigten zwei Monate die Pistole auf die Brust setzen. Um
hinzuzufügen, über betriebliche Vereinbarungen zur
Krisenbewältigung, ja, da lasse man ansonsten durchaus mit sich
reden.
Bei anderen Gewerkschaften wie der CGT wird man dies wohl anders
sehen, aber dies bleibt ein schwacher Trost.
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