Sozialpsychologie des Kapitalismus - heute
Bericht über den Kongreß vom 1.-4.3.2012 an der FU Berlin

von Anne Seeck

03/12

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Dahlem. Freie Universität. Clean. Keine politischen Plakate, es herrscht Sauberkeit. Dort wo früher die Cafeteria war, das Seminarzentrum, wo der Kongreß stattfindet. Die Eintrittspreise 150/170 Euro für Nichtmitglieder der NGFB, 70/90 Euro für Mitglieder und 25 Euro für Studenten und Hartz IV- Bezieher. Aber es wird nicht kontrolliert...

Der Kongreß "Sozialpsychologie des Kapitalismus- heute" gedachte der Aktualität Peter Brückners. Veranstalter war die Neue Gesellschaft für Psychologie (NGFB). Peter Brückner ist vor 30 Jahren gestorben.

Das Programmheft: http://www.ngfp.de/wp-content/uploads/2012/02/NGfP-Kongress-2012_Programm.pdf

Am Lehrstuhl des Sozialpsychologen Peter Brückner in Hannover ging es seit 1967 ausnahmsweise zur Sache. Fünf Jahre später war Brückner nicht nachzuweisen, daß er die steckbrieflich gesuchte Ulrike Meinhof versteckt hatte; seine Suspendierung mußte aufgehoben werden. Im »deutschen Herbst« 1977 wurde er dann mit einer Kampagne namens »Mescalero-Affäre« ordentlich vor die Tür befördert. In dieses Jahr fallen sein Todestag (11.3.) und sein 90. Geburtstag (13.5.).

Peter Brückner stehe für

  • reflexives Durchdringen von Herrschaftsstrukturen und gesellschaftlichen Konfliktlagen unter einer auf Emanzipation gerichteten Perspektive

  • das Insistieren auf der sozialen Frage und der Realität sozialer Klassen

  • die Verbindung von Psychologie und Gesellschaftskritik

  • eingreifendes Handeln aus dieser Verantwortung

"An Brückner zu erinnern, ist in Zeiten der 'Anschmiegung' vieler Psychologen an den neoliberalen Staat und die kapitalistischen Verhältnisse bzw. das Einrichten in postmoderne Diskus- "Theorien" ohne Herrschaftskritik notwendiger denn je."

Im Ankündigungstext zur "Massenloyalität" heißt es: "Die Aktualität der Sozialpsychologie Peter Brückners zeigt sich gerade in der gegenwärtigen Situation der Krise- weniger einer Krise des Staates oder der Ökonomie als einer Krise der Kritiker der gegenwärtigen Zustände von Staat und Ökonomie. Die ökonomische Erklärung der gegenwärtigen Krise ist zwar der psychologischen der Gier der Zocker und der ideologischen Verbohrtheit der politischen Klassen sicher überlegen, aber auch sie hilft nicht weiter, solange wir nicht verstehen, nicht zu erklären wissen, weshalb die Mehrheit der Bevölkerung, dieser unübersehbar und ungehemmt gegen ihre Interessen sich richtenden Politik regungslos, widerstandslos, apathisch gegenübersteht, nicht wissen zu wollen, den Anschein erweckt, was mit ihr geschieht. In dieser 'Loyalität' der Mehrheit der Bevölkerung sah Peter Brückner die entscheidende 'Ergänzung' der Machtbasis des Staates. Während Peter Brückner zu seiner Zeit eine Lockerung der 'Massenloyalität' diagnostizierte, scheint heute das Gegenteil der Fall...." Die Massenloyalität müsse immer wieder durch ergänzende außerökonomische Maßnahmen hergestellt und befördert werden.

Christoph Jünke über Peter Brückner: http://www.vsp-vernetzt.de/soz/020420.htm
Peter Brückner vorgestellt von Almuth Bruder-Bezzel und Klaus-Jürgen Bruder:
http://web.fu-berlin.de/postmoderne-psych/texte/peter_brueckner.htm

Ist Sozialismus mit "real-existierenden" Menschen möglich?

Eine spannende Frage, die aufgrund der Kompliziertheit des Vortrages wohl für viele Zuhörer unbeantwortet blieb. Prof. Morus Markard stellte psychologische Theorien vor. Oftmals wird behauptet, dass Sozialismus mit dem menschlichen Wesen unvereinbar sei. Mit psycholgischen Argumenten werde zudem das Ende der Geschichte herbeigeredet. Der Mensch sei ein antisoziales Wesen, eine repressionsfreie Gesellschaft sei daher nicht möglich. Erziehung sei immer Unterdrückung von spontanen Impulsen. Markard meinte aber, es gebe keinen Widerspruch zwischen menschlicher Natur und vernünftigen Lebensverhältnissen. Und es gehe theoretisch um einen Determinismus, der objektive Beschränkungen in (notwendige) subjektive Beschränktheiten umformuliert. Zudem um eine Naturalisierung von Eigenschaften. Herrschaft verschwindet in Eigenschaften von Menschen. Demokratische Entwicklungen im Sozialismus werden negiert. Es müssen strukturelle Unterschiede beseitigt werden, damit Menschen Entfaltungsmöglichkeiten haben. Gier wird als Erklärung der Finanzkrise herangezogen, Gier sei eine menschliche Schwäche. Dabei ist Gier das Rationale im kapitalistischen System, denn es muß immer mehr produziert werden. Markard meinte, dass nichts dagegen spreche, dass sich Menschen emanzipatorisch befreien.

In der Diskussion wurde betont, dass es auch neuere Entwicklungen in der Psychologie gebe, die die antiutopischen Fehler nicht machen. Aber es gebe auch die Hirnforschung und Genetik, die eine neue reaktionäre Utopie seien. Prof. Markard sagte abschließend, nicht die Menschen seien irrational (die Verhaltensweisen sind funktional), sondern die Verhältnisse sind irrational. Eine emanzipatorische Psychologie muß Möglichkeiten auf den Begriff bringen.

Kultur der Armut- die Psychologisierung sozialer Ungleichheit

Der Vortrag von Prof. Hans- Peter Michels gestaltete sich weniger kompliziert, was sich dann auch in einer lebhaften Diskussion auszahlte. In Zeiten der Krise sei die Suche nach Sündenböcken besonders stark. Michels stellte zunächst den underclass-Diskurs in den USA und Großbritannien vor. Dem Begriff underclass werden psychologische Eigenschaften zugeordnet. Arme Menschen seien nicht zielstrebig, hätten eine geringe Impulskontrolle, neigten zum Vandalismus, hätten keine Zukunftsplanung, seien fatalistisch etc. Die Unterschicht in den USA hätte nicht die amerikanischen Werte verinnerlicht. In Grossbritannien würde sich die underclass von der workingclass unterscheiden. Sie seien moralisch verkommen, hätten ein antisoziales Verhalten, seien arbeitsscheu, kriminell, hätten uneheliche Kinder, würden herumpöbeln, betteln, hätten einen übermäßigen Alkoholkonsum etc. Die Unruhen in London im Jahr 2011 wurden mit antisozialen Persönlichkeitsstörungen begründet. Persönlichkeitsmerkmale seien das Entscheidende, gesellschaftliche Verhältnisse werden ausgeblendet. In Deutschland seien Paul Nolte (Generation Reform) und Heinz Bude (Die Ausgeschlossenen)Vertreter der Unterschichtendebatte. Paul Nolte meinte, es fehle der Unterschicht an bürgerlichen Werten. Die Unterschicht konsumiere verblödete Massenkultur. Die Unterschiede zur Mittelschicht seien im Habitus, im Lebensstil und im Konsum begründet. Man müsse der Unterschicht Disziplin, Leistungsstreben, Höflichkeit, Toleranz etc. beibringen. Nolte hat einen pädagogischen Impuls, er möchte umerziehen. Heinz Bude beschreibt in abwertender Weise die Unterschicht. Armutslagen werden ausgeblendet, es bleibt Stigmatisierung übrig. Die Inklusion der Ausgeschlossenen ist nicht sein Ziel.

In der Diskussion wurde Bude von einigen verteidigt, er würde ja nur die Situation beschreiben. Andere betonten, es sei eine abwertende, arrogante Beschreibung. Es wurde betont, dass die Unterschichtendebatte mit Sloterdijk und Sarrazin weiterging und schließlich in die Ergebnisse der Heitmeyer- Studie "Deutsche Zustände" mündete. Diese sei inzwischen ein elitärer Diskurs, die Abwertung von Langzeitarbeitslosen hätte zum Beispiel zugenommen. Außerdem hätten die Argumentationen von Nolte und Bude in die Unterschichtendebatte um Kurt Beck und Henrico Frank gepasst, die in den Medien losgetreten wurde. Ein Augenmerk sei auch auf die zunehmende Psychologisierung, oder besser Psychiatrisierung von Langzeitarbeitslosen in den Jobcentern zu richten. Während die einen in den Niedriglohnsektor gedrängt werden, würde der Sockel (Suchtabhängige, Menschen mit psychischen Problemen etc.) zunehmend psychiatrisiert und ggf. sogar in Behindertenwerkstätten abgeschoben, wo sie extrem ausgebeutet werden.

Rekonstruktion des Gehorsams- Heimerziehung wie wir sie uns nicht vorgestellt hätten

Benjamin Lemke und Siiegie Piwowar erzählten die Geschichten von drei jungen Leuten, die zu unterschiedlichen Zeiten in einem geschlossenen Heim in Brandenburg untergebracht waren. Einer war auf einem Schrottplatz mit einem Auto herumgefahren, ein Mädchen war auf Trebe gewesen, eine gerade mal 12. Sie wurden zur geschlossenen Unterbringung verdammt.

Es wurde betont, dass es in den letzten zwanzig Jahren wieder eine stille Renaissance dieser Form der Heimerziehung gegeben hätte.

Die Haasenburg, die verhaltenstherapeutisch ausgerichtet ist, gibt sich auf ihrer Website harmlos. (www.haasenburg.de)

Dabei ist sie alles andere als harmlos. Bei der Ankunft muß alles abgegeben werden, man wird vom Begleiter getrennt. Man muß Haasenburg- Kleidung anziehen. Dann wird man für eine lange Zeit in ein leeres Zimmer mit Bett, Schrank und Schreibtisch (sonst nichts) gesperrt. Es gibt keinen Kontakt zur Familie und zu Freunden. Es ist der Verlust der greifbaren Lebensgeschichte. Die Jugendlichen mußten einen dicken Ordner Hausordnung abschreiben. Verhaltensregeln waren z.B.: Ich achte auf meine sozialen Gepflogenheiten (meine Miene, meine Gesten, meine Sprache). Ich erledige meine alltäglichen Aufgaben anständig und in der vorgegebenen Zeit. Ich halte meine Körperfunktionen unter Kontrolle. (Ein Furz bedeutet Bestrafung...) Ich darf niemanden mit dem Vornamen anreden. Ich darf nicht rauchen. Ich betrete kein Zimmer, ohne zu klopfen. Ich darf nicht widersprechen, keinen Körperkontakt mit anderen haben. Es gibt unterschiedliche Stufen: rot- gelb- grün. Bei Wohlverhalten kann man sich Wünsche erfüllen, bei Fehlverhalten werden die Punkte wieder abgezogen. Der Junge war fast die ganze Zeit bei rot, also im leeren Zimmer ohne Kontakt.

Die Jugendlichen mußten selbst Verhaltensanalysen schreiben: Was habe ich falsch gemacht. So wurde Wohlverhalten produziert, ohne sich selbst wohl zu verhalten.

Nach Foucault und Butler seien das wie folgt gekennzeichnet:

1. Anrufung: Es gibt Klopfregeln. Die Jugendlichen müssen den Namen rufen und klopfen. Dann zurücktreten in die Mitte des Raumes. Und dann sagen: Ja Herr Betreuer...Das sei totale Unterwerfung.

2. Disziplinierung: Es gibt ein Straf- und Belohnungssystem. Sie müssen Sport treiben und den Körper zurichten.

3. Normierung: Alle werden homogenisiert, Fehlverhalten soll reduziert werden.

4. Verhaftung: Die psychische Abhängigkeit wird verstärkt und verankert. Sie sind verhaftet mit der eigenen Unterwerfung.

In der Erziehung zu Gehorsam wird das Heimkind zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung. Nicht mehr nur das Heim sperrt den Zögling (physisch) ein, sondern seine Seele kerkert ihn (psychisch) ein. Und zwar auf eine Weise, die grundlegender ist, als der (bloße) Freiheitsentzug. Es entsteht in solch abgeschotteten Institutionen auf diese Weise ein Mikrokosmos des sozialen Raumes, ohne Absonderung und ohne Außen, der sich selbst ständig aktualisiert.

Die Empörung im Publikum war groß. Es wurde gemeinsam überlegt, wie man den Fall öffentlich machen kann. Die schwarze Pädagogik ist wieder auf dem Vormarsch, es wird nach neuen Abweichungsformen gesucht. So soll jetzt an Schulen schon am 1. Tag eine Krankmeldung beigebracht werden, sonst seien es Schulschwänzer.

Peter Brückners Versuch, uns und anderen die Neue Linke zu erklären

Im Ankündigungstext heißt es: "Von der antiautoritären Revolte der 1960er Jahre gleichsam wachgeküsst, wurde Peter Brückner zu einem der herausragenden Denker der 'Neuen Linken'...Wie kaum ein anderer hatte er sich zum Interpreten linker Erneuerung gemacht und musste deren widersprüchlichen und langsamen Zerfall in den 1970er Jahren beobachten und analysieren."

Christoph Jünke begann damit, dass wir nicht über Peter Brückners Werk nachdenken könnten, ohne über die Neue Linke zu reden. Sein Ausgangspunkt war die Krise des bürgerlichen Bewußtseins. Es gebe eine alles verschlingende Konformität. Dem müßte ein permanenter Nonkonformismus entgegengesetzt werden. Die Verweigerung von Gehorsam werde zur individuellen und gesellschaftlichen Pflicht. Mit der Politisierung der Studierenden 1966/67 gab es eine Renaissance des bürgerlichen Bewußtseins. Die demonstrierenden Bürger waren die Schwalben einer Emanzipationsbewegung gegen die autoritäre Herrschaft. 1967/68 sei eine bürgerliche Revolte gewesen. Es sei ein radikaldemokratisches und antiautoritäres Bewußtsein vorhanden gewesen. Aber auch die Arbeiterschaft und die marginalisierten MInderheiten sollten repolitisiert werden, die Passivität der Massen sollte durchbrochen werden. Die Studenten wollten die Grundlagen für eine klassische sozialistische Revolution schaffen. Aber das Happening hat eine Schwäche. Das anti-autoritäre Bewußtsein kann sich als Kraft der Negation verselbständigen. Die Gegengesellschaft wird zu einer Illusion, wenn man in seinem Ghetto auf eine gesamtgesellschaftliche Befreiung verzichtet. Es fand schließlich eine Re-Dogmatisierung durch die K-Gruppen statt. Zudem durch den Prager Frühling eine Re-Stalinisierung der kommunistischen Bewegung. Und durch die Sozialreformen von Brandt ein Einbinden in die herrschenden Strukturen. Jene, die sich den Reformen verweigerten, wurden repressiv behandelt.

Das Ende der anti-autoritären Bewegung war eine Zersplitterung in ein Sekten- und Zirkelwesen. Es fand eine Entmischung statt, eine Trennung von Theorie und Praxis und von Legalismus und bewaffnetem Kampf. Und viele Anhänger der Neuen Linken wollten jetzt nicht mehr links noch rechts sein, sondern vorne.

Die spezifische Haltung linker Intellektueller sei das Denken in Zusammenhängen, ein ganzheitlicher Ansatz.

Sinnvoll zu leben, bedeute darauf hinzuwirken, dass Geschichte und Lebensgeschichte sich reimen. Man müsse Geschichte und Lebensgeschichte zusammenbringen.

Im Anschluß an diese Veranstaltung wurde eine Griechendland-Resolution verabschiedet, die die einseitige Darstellung der Griechenland-Krise und die verleumende Darstellung der Selbstverschuldung der Betroffenen anklagt.

Danach ging Markus Brunner auf das Thema "Psychologie und Geschichte" bei Brückner ein. Dieser würde zwischen einem Revolutionsparadigma, dem klassischen marxistischen Paradigma, und dem Aneignungsparadigma unterscheiden. Letzteres sei der Kampf der Abweichenden gegen und um Normalität. Es sei die Aneignung von Räumen, des Körpers, die Befreiung von institutionellen Zwängen. (Antipsychiatrie, Revolten gegen Heime und Gefängnisse) Heute gebe es zwei Subjekte, die Ausgebeuteten und die Ausgeschlossenen, die Abweichenden.

Was Psychologiestudierende über ihr Studium denken und warum sie nicht protestieren

Einen sehr gelungenen, weil vor allem satirischen Vortrag über dieses Thema hielt Josua Handerer, der eine Onlinebefragung mit 2000 TeilnehmerInnen durchgeführt hatte. Die Wissenschaftlichkeit des Studiums ließe sich an der Unzufriedenheit der Studierenden ablesen. Während die Universitäten sehr stark naturwissenschaftlich orientiert seien, liege das Interesse bei den Studierenden zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, sie halten an der Vielfalt der Psychologie fest. Insbesondere jene, die therapeutisch und pädagogisch arbeiten wollen, sind geisteswissenschaftlich orientiert. Nach der Darstellung der Ergebnisse kam er zu sich selbst. Er sei verstrickt und alles andere als neutral gewesen. (Objektivität!) Es sei ein Selbstversuch gewesen, eine Art Selbstbefreiung. In den literarischen Fußnoten schilderte er sein Kampf zwischen sich als wissenschaftlichem Autor (akademische Psychologie) und sich als Versuchsperson (Student, Psychologe). Seine Methode sei die Provokation gewesen. Alles was wichtig war, fasste er in die Fußnoten. Er hatte sich als Besessenen erlebt, konnte nicht schlafen, verlor den Überblick. Die Reaktion jener, die die Diplomarbeit beurteilten war: Es seien endlos lange Fußnoten, "nicht nach Regeln des Fachs", "trotzdem solide Leistung, in die viel Arbeit geflossen sei". Note 2. Der Autor wollte aber weder solide sein, es war auch keine "Fleißarbeit". Er selbst erlebte die Arbeit als sehr befreiend. Bei den meisten Studierenden war die Bereitschaft zu kritischem Engagement aber eher gering ausgeprägt.

Veranstaltungen, die ich nur zum Teil besucht habe:

Kann "Inklusion" eine kritische Kategorie der Gesellschaftsanalyse sein?

Martin Kronauer betonte, dass wir heute für den Selbstschutz der Gesellschaft kämpfen müssen, die vor sozialer Ausgrenzung und vor Marktabhängigkeiten schützen. Das sei keine Randgruppenpolitik, sondern die Politik setze im gesellschaftlichen Zentrum an. Für Peter Brückner sei soziale Integration immer Anpassung an den Status quo, also Konformismus, gewesen. Soziale Integration sei bei Brückner negativ gewesen. Der Begriff der sozialen Integration hätte heute einen anderen Sinn. Linke argumentieren oft, der Kapitalismus gefährde die soziale Integration. Darin steckt eine Herausforderung. Wollen wir den Kapitalismus retten?

In der Diskussion wurde gesagt, dass Kronauers Rede vom Selbstschutz defensiv sei. Zudem schaffe die Situation Angst, Angst setze auch chaotische Impulse frei. Chaotik schaffe die Möglichkeit, das etwas anders wird. Wir müssten heute Integration anders denken. Das Klassenbewußtsein hätte anarchische Widerstandspotentiale ausgeschlossen. Es gebe eine destruktive und subversive Anomie. Jemand meinte, dass Anarchie (Herrschaftsfreiheit) ein besserer Begriff als Anomie (Regellosigkeit) sei. Auch die Selbstsorgegeschichten müsse man durchbrechen. Die Menschen wollen nicht nur für sich sorgen, sie wollen auch für andere sorgen und sie wollen, dass auch für sie gesorgt werden. Selbstsorge sei Disziplinierung.

Individuum und Freiheit

Timo K. Werkhöfer plädierte für die Bedeutung des Individuums. Paolo Flores D`Arcais hatte 1983 erklärt, die Linke verkenne das Individuum, es spiele in ihrem Denken keine Rolle. Die Freiheits-Ansprüche des Individiums seien aber ernst zu nehmen. "Rechte Theorie verkennt den Status dieser Begriffe indem sie so tut, als seien sie in liberalistischer ÖKonomie und formaler Demokratie bereits realisiert, linke Theorie verkennt dieselben Begriffe, weil sie sie einseitig nur in ihrer reaktionären Bedeutung wahrnimmt oder ganz ignoriert..." (Anm. Wer die DDR von links kritisiert, muß sich immer für Freiheit und Individualität stark machen. Gegen Zwangskollektivität und Unfreiheit) Werkhöfer sagte, die Masse seien nicht nur Opfer und Unterdrückte, wir müssen die Potentiale sehen. Es muß auch über die Empörung hinausgehen. Es muß diskutiert werden: Wir wollen eine andere Zukunft und die soll so aussehen.

Weitere Veranstaltungen, die u.a. stattfanden:

Was ist notwendig falsches Bewußtsein?
"Der Sozialisationsprozeß in seinen repressiven Aspekten, Erziehung, Aufzucht, Enkulturation sind das wahre Apriori des falschen Bewußtseins." Peter Brückner

Das komplizierte Verhältnis zwischen objektivem Zwang und subjektivem Wahn in der kapitalistischen Geldvermehrungsspirale: Der objektive Geldvermehrungszwang bedürfe eines subjektiven Wahns, beiden bedingen sich.

Subjektivität in der Selbstverwirklichungsgesellschaft: Die Abwehr der narzistischen Kränkung führe in die freiwillige Unterwerfung unter das zum eigenen Lebensziel erhobene Dogma der Selbstverwirklichung.

Ein Plädoyer für Selbstbefreiung im Konsumismus:

"Im Zeitalter der Globalisierung ist der Konsumismus nicht nur ein bestimmendes Merkmal der heutigen Lebensstile, sondern wirkt weltweit als Destruktionskraft, indem er die Kulturen der sog. Dritten Welt zerstört und eine extreme Nivellierung kultureller Alternativen nach sich zieht. Der für heutige Lebensstile typische Konsumismus gilt als eine Grundlage für die Formierung und Disziplinierung der Menschen unter Bedingungen repressiver Sozialisation im neoliberalen Kapitalismus."

Peter Nowak über den Kongreß:
http://www.heise.de/tp/blogs/8/print/151550
http://www.taz.de/Kongress-an-der-Freien-Uni/!88935/

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel für diese Ausgabe von der Autorin.