Texte
zur antikapitalistischen
Organisations- und Programmdebatte

03/12

trend
onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011/12 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Neue revolutionäre Organisation und die Partei Die Linke
von Manuel Kellner (ISL) / 9. März 2012
 

Unter der Motto-Überschrift „Vereinigen statt spalten!“ haben Genossen des Politischen Komitees des RSB das Papier der Sozialistischen Initiative Berlin (SIB) für eine neue antikapitalistische Organisation begrüßt, positiv aufgegriffen und in einigen Punkten kritisiert.(1)

Im Vorfeld eines gemeinsamen Diskussionswochenendes von isl und RSB ist es sinnvoll, anhand dieses Beitrags unterschiedliche Sichtweisen deutlich zu machen, nachdem Angela Klein bereits schriftliche „Anmerkungen zum programmatischen Papier der SIB für eine ,neue antikapitalistische Organisation‘“ aus isl-Sicht gemacht hat.(2)
In diesem Beitrag spielt jedoch die Frage der Partei DIE LINKE eine untergeordnete Rolle. Im genannten Beitrag aus den Reihen der RSB wird aber deutlich, dass es gerade in Hinblick auf die Einschätzung der Partei Die Linke charakteristische Meinungsverschiedenheiten zwischen isl und RSB gibt.

Das ist nicht nur deshalb ein wichtiger Punkt, weil er zu unterschiedlichen Praxisfeldern führt (ein Teil der isl-Mitglieder arbeitet in der Partei Die Linke mit, teils in führenden Positionen; RSB-Mitglieder arbeiten in der Partei Die Linke nicht mit und der RSB wünscht eine solche Mitarbeit auch nicht), sondern auch, weil er die Art und Weise beeinflusst, wie an die Perspektive der Schaffung einer breiteren revolutionären Organisation herangegangen wird.

Reformismus

Im RSB-Text heißt es:

„Die Partei Die Linke ist eine reformistische Partei. Mit ihr ist der nötige Systemwandel nicht durchsetzbar, denn sie hat sich im Kapitalismus eingerichtet (und wir fügen hinzu: vor allem im Parlamentarismus, ihrem wesentlichen Lebenselixier).“

Mit dem Etikett „reformistisch“ ist wenig gesagt. Niemand behauptet, Die Linke sei eine „revolutionäre“ Partei, vor allem auch Die Linke selbst nicht. „Reformistisch“ im Sinne des RSB bedeutet offenbar „systemimmanent“, wie der Zusatz zeigt, mit dieser Partei sei „der nötige Systemwechsel nicht durchsetzbar“.

Das glaube ich auch. Aber warum ist das so? Wir Revolutionäre glauben, dass das kapitalistische System nur auf revolutionärem Weg überwunden werden kann. Denn eine Partei also „reformistisch“ ist, dann brauchen wir über sie weiter nichts zu wissen, um zu dem Urteil zu gelangen, dass sie im System befangen ist und bleiben wird.
Andere Leute glauben das aber nicht, sondern denken, der Kapitalismus ließe sich schrittweise überwinden. Ihre politische Konzeption zielt nicht auf die Konservierung, sondern auf die Überwindung des kapitalistischen Systems ab.
Die positive Bedeutung des Begriffs „reformistisch“ liegt darin, das eine „reformistische“ und eine „revolutionäre“ Konzeption das Ziel der Überwindung der kapitalistischen Klassengesellschaft gemeinsam haben.

Die Charakterisierung als „reformistisch“ ist heutzutage nach meinem Gefühl, um ehrlich zu sein, angesichts des bestehenden politischen Spektrums und des jeweiligen Einflusses der verschiedenen politischen Strömungen eher ein Kompliment denn eine Invektive.

Das Ziel der Überwindung des kapitalistischen Systems steht im neuen Programm der Partei Die Linke. Das ist ein Fortschritt gegenüber den früheren programmatischen Dokumenten.

Wenn die Praxis der Partei und ihrer Führung und die wirklichen Ansichten der großen Mehrheit ihrer Mitglieder dem entsprechen würden, dann würde die Partei – nach unserer revolutionären Ansicht – mit dieser Praxis auf die Erfahrung zusteuern, dass sie entweder zu einer systemimmanenten oder zu einer revolutionären Konzeption übergehen muss.
Aber weder die Praxis der Partei noch ihre Führung noch die wirklichen Ansichten der Mehrheit ihrer Mitglieder (oder auch ihrer Wählerinnen und Wähler) stimmen mit ihrem programmatischen Anspruch überein, den Kapitalismus überwinden zu wollen.

Im RSB-Text steht, Die Linke habe sich im Kapitalismus (und vor allem im Parlamentarismus) eingerichtet. Wenn das so ist – und Vieles spricht dafür, dass sich die Partei Die Linke mit dem Fortbestehen des kapitalistischen Systems abgefunden hat –, dann liegt das aber gerade nicht daran, dass diese Partei „reformistisch“ ist im Sinne ihres Programms. Denn wenn sie es wäre, würde sie ihre Politik auf die Überwindung dieses kapitalistischen Systems ausrichten – neue Erfahrungen mit einer solchen Politik würden unserer Meinung nach die Vorzüge einer revolutionären Strategie besser plausibel machen als der Rekurs auf Erfahrungen, die schon Jahrzehnte zurückliegen (1917 Russland, 1918-23 Deutschland, 1936 Katalonien, 1974/75 Portugal).

„Reformistisch“ in diesem Sinne ist nur der linke Flügel der Partei, zum Beispiel die Antikapitalistische Linke (obwohl sie auch Mitglieder hat, die revolutionär gesonnen sind) und die Sozialistische Linke (obwohl sie auch Mitglieder hat, die revolutionär gesonnen sind sowie aber auch solche, die rechts von „reformistischen“ Positionen stehen).
Der so genannte „Reformerflügel“ der Partei, der noch immer die Hegemonie hat (die nur ein wenig angekratzt worden ist seit den letzten NRW-Wahlen, seit den letzten Berlin-Wahlen und seit dem Programmparteitag), steht rechts von „reformistischen“ Positionen und setzt auf rein systemimmanente Politik.

Desto weniger verwunderlich ist, dass diese Partei dem kapitalistischen System verhaftet ist.

Parlamentarismus

Im RSB-Text heißt es, Die Linke habe sich vor allem im Parlamentarismus eingerichtet. Und der SIB wird in diesem Text vorgeworfen, die „Wahlebene“ zu überschätzen.

Ich halte es für nützlich, daran zu erinnern, warum wir eigentlich gegen die Verhaftung in den bürgerlichen Parlamentarismus und gegen die Fixierung auf parlamentarische Wahlen sind.

Aus revolutionär-marxistischer Sicht sind wir nicht einfach gegen Parlamente und Wahlen zu Parlamenten – eine bürgerlich-parlamentarische Demokratie ist uns zum Beispiel lieber als eine Militärdiktatur ohne Parlament –, sondern für eine sozialistische Rätedemokratie.

Solange die Mobilisierung und die Selbstorganisation von unten nicht zur massiven Entstehung von Räten oder räteähnlichen Strukturen führen, ist die sozialistische Räterepublik keine reale Option, sondern nur Gegenstand von Propaganda.

Ernest Mandel meinte einmal (1980 in Aachen), der Genosse Trotzki habe in diesem Zusammenhang zu sagen gepflegt: „Schön ist ein Zylinderhut, wenn man ihn nur haben tut.“ Zu erinnern ist auch an Rosa Luxemburgs Position auf dem Gründungsparteitag der KPD: Sie trat gegen die linksradikale Position des Boykotts der Wahlen zur Nationalversammlung auf.

In der Kritik am bürgerlichen Parlamentarismus und in der Analyse des Anpassungsdrucks, der von der Arbeit in diesen Institutionen ausgeht, dürfte es keine Meinungsverschiedenheiten zwischen dem RSB, der isl oder auch der SIB geben. Es gibt ja auch viele historische und zeitgenössische Erfahrungen, die das bestätigen.

Auf der anderen Seite ist die Präsenz linker Kräfte im Allgemeinen und revolutionärer Kräfte im Besonderen in Parlamenten in Zeiten, in denen nicht weit verbreitet räteähnliche Strukturen entstehen oder vorhanden sind, von großem Belang, um überhaupt Teil der öffentlich wahrnehmbaren Debatte werden zu können.

Aus diesem Grund fürchte ich eine Übertreibung der antiparlamentarischen Positionen und Warnungen wegen der damit einhergehenden Selbstbeschränkung und Selbstbehinderung linker und revolutionärer Kräfte, wobei der Verweis kleiner Grüppchen auf die Wichtigkeit der außerparlamentarischen Arbeit, der Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften usw. dann eher als Surrogat dient.

Es leuchtet mir nicht ein, wenn, wie im Text des RSB, gesagt wird, die Ergebnisse kommender Parlamentswahlen (z.B. Landtagswahlen; aber 2013 kommen ja auch Bundestagswahlen) seien viel weniger wichtig als die Entwicklung der „realen Kämpfe“. Da gibt es doch einen (sicherlich sehr komplexen) dialektischen Zusammenhang. Solange es keine neue Qualität von Massenkämpfen gibt – vertrauen wir doch unseren Gefühlen! – ist das Abschneiden der Linken bei Wahlen politisch ein sehr wichtiger Faktor. Ein katastrophaler Einbruch auf dieser Ebene würde entmutigend wirken – zum Beispiel. Zu sagen, dies sei mehr oder weniger egal, weil es sich ja nur um bürgerliche Wahlen handelt, grenzt an eine unpolitische Haltung.

Eine bessere Richtschnur und einen besseren Maßstab (des eigenen Handelns wie der Kritik am Handeln anderer) finde ich in folgender allgemeinen Faustregel: Alles, was Linke (und erst recht: alles, was Revolutionäre) in Parlamenten (wie auch außerhalb von Parlamenten) tun, sollte dazu dienen, die außerparlamentarische Mobilisierung und Selbstorganisation von unten zu begünstigen.

Das bedeutet nicht, dass es in Parlamenten mit verbalradikaler Propaganda getan wäre. Aber alle Stellungnahmen, Initiativen, Anträge sollten eingebettet sein in eine Strategie, die vom Bewusstsein ausgeht, dass Kräfte- und Machtverhältnisse zu Gunsten der Ausgebeuteten und Unterdrückten nur nachhaltig geändert werden können durch einen massiven Aufschwung der Mobilisierung, solidarischen Eigentätigkeit und Selbstorganisation der Beschäftigten, der Erwerbslosen, der Unterdrückten, der kapitalfreien Mehrheit der Gesellschaft.

Die Linke

Der RSB sieht in der Partei Die Linke nur „graduelle“ Unterschiede. Zum Landesverband der Partei Die Linke in NRW heißt es im Text:

„Selbst der linkeste unter den Landesverbänden im Westen (nämlich in NRW), der als stark von der Antikapitalistischen Linken beeinflusst gilt, betreibt doch eine immer peinlicher werdende Anbiederung an die SPD und tut alles, um Neuwahlen zu verhindern. Die Landtagsfraktion (und damit die faktische Führung der Partei) stimmt mit ihrer Enthaltung zum Haushalt der Regierungspolitik einer bürgerlichen Regierung zu.“

Aber in NRW ist die Landtagsfraktion keineswegs die „faktische Führung der Partei“ (wie in anderen, vor allem in den östlichen Landesverbänden)! Die Linke in NRW will das nicht, handelt nicht so und hat deshalb Regelungen, die dem entgegenstehen. Über das Abstimmungsverhalten zum Haushalt (Ablehnung oder Enthaltung) entscheidet der Landesrat. Die Zustimmung zu einem Haushalt, die Übernahme von politischer Verantwortung dafür und erst recht eine Koalition mit SPD und Grünen könnte faktisch nur von einem Parteitag, einer Delegiertenkonferenz und letztlich über einen Mitgliederentscheid beschlossen werden.

Die Enthaltung zum Nachtragshaushalt 2010 und zum Haushalt 2011 ist nicht von der Fraktion im Alleingang beschlossen worden. Man mag die Entscheidung für falsch halten, aber es gab Argumente dafür, die eine Mehrheit überzeugt hatten. Immerhin hatten SPD und Grüne eine vorsichtige Korrektur (gemessen an der Schröder-Fischer-Politik) vorgenommen, um wahlpolitisch Terrain gutzumachen und viele Forderungen der Partei Die Linke (wenn auch unzureichend natürlich) aufgegriffen. Nicht umsonst sind CDU und FDP gegen diese Haushalte Amok gelaufen und auch vor die Gerichte gezogen.

Jetzt steht der Haushalt 2012 an, und in Partei wie Fraktion zeichnet sich sehr deutlich das „Nein“ zu diesem Haushalt ab, weil SPD und Grüne inzwischen der so genannten „Konsolidierung“ erste Priorität einräumen und nicht mehr den Forderungen der Fraktion der Linken, sondern denjenigen der CDU und der FDP entgegenkommen.

Jedenfalls kann man aus dieser Entwicklung nicht herauslesen, Die Linke NRW würde sich „immer mehr der SPD anbiedern“. Das Gegenteil ist der Fall.

Außerdem wird die Angst vor Neuwahlen nicht nur bei den Linken der Linken in NRW durchaus überlagert von der Sorge, auch wahlpolitisch auf Niederlagenkurs zu gehen mit einem Anbiederungskurs – man muss nicht besonders links und nicht besonders scharfsinnig sein, um diese Gefahr aus der Berliner Erfahrung herauszulesen.

Im Text des RSB sind in Hinblick auf die Partei Die Linke alle Katzen grau, und wichtige Differenzierungen werden nicht gesehen. Es wäre falsch von mir zu behaupten, die Anpassungstendenzen würden in NRW nicht wirken. Sie wirken durchaus, und die Partei ist auch in Schwierigkeiten und kennt krisenhafte Entwicklungen. Gleichwohl ist das Verständnis der führenden Kräfte der Partei, die sich bislang zumindest noch durchsetzen, keineswegs parlamentaristisch borniert. Die Linke in NRW will Parlamentsarbeit und außerparlamentarische Arbeit und Mobilisierung eng verzahnen und handelt – sicher nicht immer ausreichend, aber doch recht weitgehend – in diesem Sinne. Bei aller Kritik an der Unzulänglichkeit der außerparlamentarischen Arbeit der Partei an vielen Orten: Auch als Mobilisierungsmittel ist Die Linke NRW ein Faktor, der von kleinen revolutionären Gruppen und Strömungen nicht sinnvoll für unbedeutend erklärt werden kann.

In der Partei Die Linke in NRW arbeiten Genossinnen und Genossen mit revolutionär-sozialistischem Selbstverständnis mit und haben nicht unerheblichen Einfluss. Hinzu kommen Kräfte, die vielleicht eher als linksradikal und andere, die mit gutem Recht als linksreformistisch charakterisiert werden können.

Man täuscht sich selbst, wenn man davon ausgeht, das wäre mehr oder weniger dasselbe wie in Landesverbänden, in denen das Forum Demokratischer Sozialismus (FDS) und die millerandistische Grundhaltung (Hauptsache regierungsfähig werden als Juniorpartner der SPD) die Hegemonie haben.

Sicherlich haben die letztgenannten Kräfte erheblichen Einfluss in der Partei Die Linke. Ich glaube, wir kritisieren sie zu recht nicht nur inhaltlich, sondern auch dafür, dass sie mit ihrer Politik die Partei Die Linke zu ruinieren drohen. Und ich halte es für wichtig, ihnen in der Partei Die Linke eine Alternative entgegenzusetzen – nicht nur argumentativ, sondern auch mit dem Versuch, eine andere Orientierung zu praktizieren.

Ist die Differenz der Einschätzung der Partei Die Linke zwischen RSB und isl so zu sehen, dass für die isl die weitere Entwicklung der Partei Die Linke ein wichtiger Faktor für die künftige Herausbildung einer revolutionären Partei ist, während für den RSB die Entwicklung der Partei Die Linke dafür von recht geringem Belang ist? Oder vielleicht eher, dass der RSB es für sinnvoll hält, von außen auf künftige Entwicklungen in der Partei Die Linke Einfluss zu nehmen, während die isl dafür ist, sowohl von innen wie von außen darauf Einfluss zu nehmen?

Revolutionäre Partei

Im Text des RSB heißt es:

„Wenn vor dem Hintergrund ansteigender Klassentätigkeit sich eine revolutionäre (oder sagen wir vorläufig mal: konsequente antikapitalistische) Organisation herausbildet, dann besteht auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich eine nennenswerte (oder größere) Zahl von Menschen von der Partei Die Linke abwendet und sich einer kämpferischen Organisation mit einer radikaleren politischen Perspektive anschließt.“

Und:

„Die überwältigende Zahl von Mitgliedern einer neuen revolutionären Organisation wird zunächst (auf absehbare Zeit) aus dem Spektrum der vorhandenen linksradikalen Kräfte (Organisationen und Einzelpersonen) kommen.“

An diese neue Art von „Etappentheorie“ glaube ich nicht. Mal abgesehen davon, dass ich wichtige Unterschiede sehe zwischen „linksradikalen“ und „revolutionären“ bzw. „revolutionär-marxistischen“ Kräften: In der Partei Die Linke tummeln sich ja auch Kräfte mit revolutionär-sozialistischem Selbstverständnis, die sich in der Partei wie auch eigenständig artikulieren und die insgesamt deutlich mehr Mitglieder und Einfluss haben als RSB, SIB, SoKo und noch allerlei kleinere Gruppen zusammen. Kann man sie einfach übergehen, wenn man eine breitere revolutionäre Organisation schaffen will? Ich glaube das nicht. Übrigens hat auch die DKP trotz aller Erosionserscheinungen noch mehr Mitglieder als alle genannten zusammen.

Warum spricht die SIB, warum spricht auch der RSB nicht von der Schaffung einer revolutionären Partei? Das liegt an den gegebenen Proportionen, und das liegt an der Partei Die Linke, ihrem wahlpolitischen Einfluss und ihrer Präsenz in Parlamenten.

Eine politische Kraft links von der Partei Die Linke, die sie nicht auch wahlpolitisch herausfordern würde, würde sich unter gegebenen Bedingungen mit der Selbstbezeichnung „Partei“ keinen Gefallen tun. Das würde nach politischer Hochstapelei oder nach Folklore aussehen (es gibt ja auch diverse „KPDen“).

Man müsste Bilanz ziehen: zuallererst die Bilanz der (übrigens von der isl unterstützten) gescheiterten Rebellen-WASG-Kandidatur in Berlin und die Bilanz dessen, was davon übrig geblieben ist (nämlich buchstäblich nichts).

Vielleicht auch die Bilanz der Wahlantritte der MLPD. Und inzwischen ist die politische Konjunktur für solche Herausforderungen unkomfortabler geworden: Die Berliner Mitregiererei hat ein unrühmliches Ende gefunden; es gibt sie nur noch in Brandenburg; niemand kann mit einer Perspektive des Mitregierens mit dem Ausgang der Bundestagswahlen 2013 rechnen; zumindest das offizielle Programm der Partei steht links von den bisherigen programmatischen Grundlagen; es gibt zumindest in NRW einen Landesverband, der dem Weg der Anpassung bislang widersteht.

Also, man spürt: Sogar bei einem wirklichen Qualitätsschritt der Organisierung, bei Zusammenführen vieler Gruppen und Einzelpersonen mit einem Teil des IL-Spektrums, wäre es vorsichtiger, von „revolutionärer Organisation“ zu sprechen und nicht von „revolutionärer Partei“.

Aber egal, ob ein größerer oder kleinerer solcher Zusammenschluss entsteht, auch wenn zum Beispiel nur SIB, RSB, isl und ein paar kleinere Kräfte sowie einige Individuen sich zusammentun würden – und das wäre ja unzweifelhaft schon ein Fortschritt gegenüber dem Ist-Zustand –, in jedem Falle würde sich die Frage nach dem Verhältnis zur Arbeit in der Partei Die Linke stellen.

Ein Teil der Mitglieder der neuen Organisation würde in der Partei Die Linke arbeiten, und ihre Arbeit sollte in der Organisation diskutiert werden – würde der RSB, der das heute als RSB für seine Mitglieder nicht duldet, damit einverstanden sein? Gegenüber Mitgliedern und Strömungen in der Partei Die Linke mit „konsequent antikapitalistischem“ Selbstverständnis und erst recht gegenüber denen mit revolutionär-sozialistischem Selbstverständnis müsste dafür geworben werden, dass sie Teil dieses neuen Zusammenschlusses würden – das wäre eine revolutionäre Organisierung „innerhalb und außerhalb“ der Partei Die Linke. Könnte sich der RSB mit einer solchen Idee anfreunden? Das sind wichtige Diskussionspunkte zwischen uns.

Im Übrigen gilt es auch zu diskutieren, was wir unter einer „revolutionären Partei“ verstehen, denn alles, was wir heute tun oder tun wollen, soll ja der Herausbildung einer solchen Partei dienen.

In diesem Zusammenhang scheint mir neben der inhaltlich-programmatischen Charakterisierung einer solchen Partei wichtig klar zu haben, dass eine revolutionäre Partei (im Gegensatz zu organisierten Zusammenhängen unterhalb dieser Schwelle) die wirkliche Vorhut eines gegebenen Landes organisiert, oder zumindest einen erheblichen Teil dieser Vorhut – definiert als diejenigen, die kontinuierlich, unabhängig vom Auf und Ab der Bewegungen, im Sinne emanzipatorischer Ziele tätig sind. Bei weitem nicht alle, aber ein nicht unerheblicher Teil davon ist Mitglied der Partei Die Linke.

Eine eigene Diskussion erfordert die bisherige Bilanz des Aufbaus der NPA, auf die sich die SIB wie der RSB beziehen. Wie erklären wir uns, dass die NPA inzwischen wahlpolitisch vom Front de Gauche bei weitem überflügelt worden ist, während vor der Lancierung der NPA Olivier Besancenot als der wichtigste Kandidat links von der Sozialdemokratie erschien? Oder glauben welche, der wahlpolitische Niedergang der NPA ginge einher mit einer mächtigen Erstarkung auf dem Felde der Organisationskraft und der außerparlamentarischen Mobilisierung? War das Scheitern der gerade gegründeten NPA bei der Europaparlamentswahl vom Juni 2009 nicht ein schwerer Rückschlag (knapp 5 %, aber keine Abgeordneten), obwohl das doch „bloß“ bürgerliche Wahlen waren? Hat der Verlust des Images – was eines der Markenzeichen der LCR war – für eine breitere linke Einheit zu stehen, der NPA nicht sehr geschadet? Oder gibt es welche, die ernstlich glauben, das Problem der NPA bestünde darin, dass sie nicht so revolutionär ist, wie die LCR es war?

Als letzten Punkt möchte ich noch anführen, dass die politischen Bewusstwerdungsprozesse, die wir anstreben, meiner Meinung nach nicht nach dem Muster des Nürnberger Trichters oder der einbahnstraßenartigen Kommunikation funktionieren werden.

Die Herausbildung einer revolutionären Partei wird nicht bloß – wahrscheinlich nicht einmal in erster Linie – dadurch zustande kommen, dass andere Leute unsere Ansichten übernehmen. Vorstellbar ist das für mich nur als ein wechselseitiger Prozess des Lernens und der Organisierung und Auswertung gemeinsamer Erfahrungen, wobei wir einiges einzubringen und noch viel mehr zu lernen haben.

Manuel Kellner, Anfang März 2012

1) http://arschhoch.blogsport.de/2011/06/23/vereinigen-statt-spalten/ ; http://www.rsb4.de/content/view/4336/84/

2) http://arschhoch.blogsport.de/2012/02/14/anmerkungen-von-angela-klein-isl-zum-papier-der-sib-fuer-eine-neue-antikapitalistische-organisation/

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Artikel vom SIB-Blog, wo er breit diskutiert wurde.