Aktuelles aus Mali
Von der „neuen Front im Antiterrorkrieg“ in der Sahelzone / Stand: 28. Februar 13

von Bernard Schmid

03-2013

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Am letzten Wochenende (23./24. Februar 13) traten die Drohnen in Aktion. Im Nordosten von Mali, im Hinterland der Provinzhauptstadt Kidal, wurden die männlichen Killerbienen aus Metall erstmals im Kampf gegen die Djihadisten in dem Sahelzonenstaat eingesetzt. Es handelt sich um Drohnen US-amerikanischer Herkunft vom Fabrikat Predator. Seit kurzem sind die Geräte auf einer Basis in Niamey, der Hauptstadt des Niger – eines Nachbarlands von Mali – stationiert.

Niger & Mali

Gerechtfertigt wird dies mit dem Hinweis darauf, dass auch dem mittelafrikanischen Land eine Destabilisierung sei es durch Jihadisten, sei es durch Tuareg-Revolten droht. Auch wenn die Rückkehr von bewaffneten Tuareg- und anderen Söldnern aus Libyen nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes, 2011, bislang in Niger nicht dieselben Folgen zeitigte wie in Nordmali, wo ab Herbst jenes Jahres der Zentralstaat gegenüber bewaffneten Gruppierungen in immer weiteren Zonen nichts mehr zu melden hatte. Einer der Gründe dafür liegt in der unterschiedlichen Politik des jeweiligen Zentralstaats: In Mali machte sich bemerkbar, dass das Land an der Kokain-Route liegt, die sich in den letzten Jahren von Lateinamerika über die westafrikanischen Küstenstaaten Guinea und Guinea-Buissau und die Sahelzone bis in den Mittelmeerraum etabliert hat.

Die Tatsache, dass hoch platzierte Politiker und Beamte davon beträchtlich profitierten, erklärt mit, dass sie gegenüber der Ausbreitung jihadistischer Gruppen in der Wüste im Norden beide Augen kräftig zudrückten. Denn auch die Jihadisten-Gruppierungen, besonders AQMI (Al-Qaida im Land des islamischen Maghreb) und MUJAO (Bewegung für Monotheismus und Jihad in Westafrika), finanzieren sich zu guten Teilen aus dem Transithandel mit Drogenpaketen auf der Süd-Nord-Route durch die Sahara. Daneben bilden die Lösegelder aus Geiselnahmen, andere Schmuggelgeschäfte wie etwa mit Zigaretten sowie mutmaßliche Geldspritzen aus den Golfstaaten ihre wahrscheinlichen Haupteinnahmequellen. Aus dieser Situation resultierte der immer stärkere Kontrollverlust des Zentralstaats über den Norden Malis, wie auch die schwindende Legitimität der Regierenden in den Augen weiter Teile der Bevölkerung - obwohl die Regierung in Mali anders als in vielen Ländern der Region aus weitgehend unverfälschten Wahlen hervorging.

In Niger hat sich bislang keine vergleichbar dramatische Situation herausgebildet. Aber die militärische Zuspitzung im Norden Malis, die sich zuerst im Vorrücken der Jihadisten seit rund einem Jahr und ab Januar 2013 dann in der Intervention Frankreichs kristallisierte, lässt die ganze Region zum Einzugsraum für die Konfliktparteien werden. Überall gehen die wichtigsten politischen Akteure in Stellung und positionieren sich zu dem Konflikt.

Transnationalisierung des Konflikts?

Dies tun auch die radikal-islamistischen Gruppen in der gesamten Nordhälfte Afrikas, die auf ihre Weise nach einer Internationalisierung und Ausweitung des Konflikts streben. Zwar streben die konkreten Ziele und Strategie der Gruppierungen, die sich vordergründig alle auf das gemeinsame Grundziel – die Einführung der Scharia und die Bekämpfung von Ungläubigen – beziehen, zum Teil weit auseinander. Die gewalttätige islamistische Sekte Boko Haram („Westliche Erziehung ist Sünde“) im Norden von Nigeria etwa ist bei weitem nicht so stark in internationale Drogenkartelle und andere wirtschaftliche Unternehmungen verstrickt wie die Gruppierungen in Nordmali. Allerdings sollen sich Abgesandte von Boko Haram in der Zone in Nordmali, die unter jihadistischer Kontrolle stand, aufgehalten haben, sofern die Berichte französischer Nachrichtendienste zutreffen.

Vergangene Woche trat nun Boko Haram, in den Konflikt mit Frankreich ein. Am Dienstag, den 19. Februar 13 verschleppte sie sieben Franzosen im Nationalpark Waza in Nordkamerun, in nur zehn Kilometern Entfernung von der nigerianischen Grenze, und brachte die Geiseln ins nahe gelegene Nachbarland. Es handelt sich um das Ehepaar Albane und Tanguy Moulin-Fournier, das in der kamerunischen Hauptstadt Yaoundé lebte und eine Ausflugstour in die Nähe des Tschadsees unternommen hatte, seine vier minderjährigen Kinder und ein weiteres Familienmitglied. Seitdem werden Spuren der Entführten oder ihrer Geiselnehmer im weitläufigen Norden Nigerias fieberhaft gesucht. Am Dienstag früh (26. Februar 13) wurde ein Bekennervideo bekannt, in dem die Entführer damit drohen, die Geiseln zu töten. Als Bedingung dafür, dass sie es nicht tun, fordern sie die Freilassung von Mitgliedern ihrer Sekte in Nigeria und Kamerun. Die Operation Frankreichs in Mali wird nicht direkt beim Namen genannt. Allerdings wird ausdrücklich erklärt: „Der französische Präsident hat dem Islam den Krieg erklärt, und wir bekämpfen ihn überall.“ Eine Abspaltung von Boko Haram, die Gruppierung Ansaru (vom arabischen Ausdruck al-ansar, ungefähr „Partisanen“), hatte bereits im Jahr 2010 das damals verabschiedete französische Gesetz zum Burqa-Verbot verbalradikal kritisiert, und sich damit selbst in den Rahmen eines vermeintlichen weltweiten Einsatzes für „unsere bedrohte Religion“ gestellt.

Derzeit ist noch fraglich, ob damit nun eine regionale Ausweitung des militärisch ausgetragenen, „asymmetrischen“ Konflikts der Neokolonialmacht Frankreich (nebst ihrer Verbündeten) einerseits und der Jihadisten andererseits droht.

Auch an der französischen Staatsspitze stellte man die Mali-Intervention schon zu ihrem Beginn in einen multinationalen Rahmen. In den Medien ging etwa weitgehend unter, dass am Tag ihres Beginns – dem 11. Januar 13 – zeitgleich ein militärischer Befreiungsversuch für den entführten Franzosen Denis Allex unternommen wurde. Er war nicht erst im Zusammenhang mit den Kämpfen im Sahel, sondern seit dem 14. Juli 2009 in Somalia festgehalten worden. Alsbaldsickerte die nie dementierte Information durch, dass Allex sich dort als Verbindungsmann des französischen Auslandsgeheimdiensts DGSE aufhielt, und Militärs für die Präsidentengarde der von den Großmächten anerkannten Übergangsregierung rekrutieren sollte. Am Abend des 11. Januar 13 landete ein französisches Sonderkommando an seinem vermuteten Aufenthaltsort, rund 110 Kilometer von der Hauptstadt Mogadischu entfernt. In diesem Fall solidarisierten sich Einwohner der Örtlichkeit allerdings nicht mit der Eingreiftruppe, sondern mit den Islamisten. Acht Zivilisten und zwei französische Militärs wurden bei dem Befreiungsversuch getötet. Kurz darauf gaben die Islamisten der Schabab, die noch vor zwei Jahren weite Teile Südsomalias kontrollierten, sich jedoch auf dem Rückzug befinden und die Kontrolle über ihre letzte Stadt – Kisimayo – verloren haben, die Hinrichtung ihrer Geisel bekannt.

Die Rolle des Tschad

Internationale Auswirkungen in der Region wird der militärische Konflikt in Mali aber auch für mehrere Regimes in West- und Zentralafrika haben. Als Gegenleistung für ihre aktive Unterstützung der französischen Intervention wurde ihnen zweifellos eine Stabilisierung, und Zurückhaltung seitens Frankreichs bei Fragen nach der Menschenrechtssituation oder nach der Abhaltung von Wahlen, garantiert. Dies gilt etwa für das Regime des Tschad unter Idriss Déby Itno, eine der übelsten Diktatur in der Region, unter anderem ein großer „Verbraucher“ von Kindersoldaten. Derzeit ist der Wüstenstaat Tschad mit 2.000 Soldaten, dem nach der französischen Truppe mit derzeit 4.000 Militärs stärksten Kontingent, in Nordmali engagiert. Am vergangenen Wochenende gab die tschadische Armee bekannt, sie habe 65 Jihadisten getötet, aber auch 13 Mann aus den eigenen Reihen verloren. Auf französischer Seite starben bislang zwei Soldaten, während Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian bezüglich der getöteten Jihadisten von „Hunderten“ sprach. Über eventuelle Tote oder Verletzte unter der Zivilbevölkerung wurde bislang schlichtweg nichts bekannt.

Die malische Armee wird bislang vor allem aus der Nordostecke des Landes, dem Hinterland von Kidal bis zur algerischen Grenze – unter Einschluss des Berglands der Ifoghars, das den Jihadisten als Rückzugsraum dient -, bislang herausgehalten. Dort intervenieren derzeit allein die französische und die tschadische Armee sowie Einheiten der Tuaregbewegung MNLA („Nationale Bewegung für die Befreiung von Azawad“) gemeinsam. Dies lässt viele Malier befürchten, dass Frankreich für die Nachkriegsordnung darauf setze, dem MNLA erneut zu Einfluss zu verhelfen, was bei ihnen Angst vor einer anhaltenden „Balkanisierung“ des Landes auslöst. Der MLNA hatte Anfang Februar 2012 die „Unabhängigkeit“ der Region in Nordmali von einem Pariser Hotel aus verkündet. Doch das taktische Bündnis mit den Jihadisten entzweite die Anführer der Bewegung mit Frankreich – bevor die Jihadisten die Allianz zerbrachen und die MNLA-Führung am 28. Juni 2012 bei Frankreichs engem Verbündeten, dem Präsidenten Blaise Compaoré in Burkina Faso, Zuflucht suchte. Heute versuchen die Anführer des MNLA nun ein Comeback und bieten sich Frankreich als Waffenbrüder an.

Und die malische Opposition?

In Südmali dagegen setzen sowohl Frankreich als auch die USA, die die Intervention unterstützen, aber vordergründig ein direktes Eingreifen vermeiden möchten, auf eine Wiedereinsetzung der alten politischen Kräfte. Allerdings sollen sie durch formell einwandfreie Wahlen neu legitimiert werden, worauf besonders die US-Administration insistierte – sie machte es explizit zur Bedingung für logistische Hilfe für Frankreich in Mali. Dort wurde nun ein allgemeiner Wahltermin für sowohl Präsidentschafts- als auch Parlamentswahlen am 07. Juli 2013 angesetzt. Die Bevölkerung wartet jedoch ab und hegt eine starke Skepsis gegenüber der alten Oligarchie. Aber auch die Opposition ist seher chlecht aufgestellt.

Die ex-maoistische Partei SADI führt die linksnationalistischen Oppositionskräfte an, die für eine Vertreibung der Jihadisten aus Nordmali, aber gegen eine internationale Intervention eintreten. Ihr Parteichef Oumar Mariko wurde Mitte Februar 2013 für circa zwei Tage festgenommen, und danach freigelassen. (Vgl. dazu http://www.scoop.it und http://maliactu.net und http://blogs.mediapart.fr oder http://www.lepartidegauche.f), und danach freigelassen (vgl. http://www.malijet.com/ ). Er hat sich jedoch in Teilen der Gesellschaft politisch desavouiert oder jedenfalls in die Linie von Kritik gebracht. Einige Monate vor dem libyschen Bürgerkrieg und der NATO-Intervention (von Februar/März 2011 bis August 2011) etwa hatte er in einer Rede in Tripolis den Umgang Mu’ammar Al-Qadhafis (Gaddafis) mit schwarzafrikanischen Migranten sehr scharf kritisiert, was viele Malier zur Ausreise aus Libyen motivierte. Seine Partei SADI kritisierte etwa 2009 scharf die libysche Abschiebepolitik gegenüber subsaharischen Afrikaner/inne/n (vgl. etwa http://www.malijet.com/ ; und http://www.malijet.com/a_la_une_du_mali/) Aber im Krieg 2011 schlug er sich, scheinbar unkritisch, auf die Seite Al-Qadhafis (Gaddafis), vgl. u.a. http://www.partisadi.net// sowie http://www.partisadi.net/2011/ Diese und andere Kurswechsel haben ihm politisch geschadet. Auch seine Unterstützung für den, von den unteren – und weniger in die strukturelle Korruption eingebundenen – Rängen der Armee ausgehenden, Putsch junger Offiziere vom 22. März 2012 blieb in der malischen Gesellschaft umstritten. (Vgl. dazu http://www.infosud.org/)

Die Opposition dürfte derzeit deutlich zu schwach, um die Oligarchie politisch zu gefährden. Wahrscheinlicher ist, dass der Einfluss des „Hohen Islamrats“ HCI – der die Gewalt der Jihadisten ablehnt, aber eine Islamisierung der Innenpolitik mit anderen Mitteln anstrebt – künftig wachsen wird.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe