20 Jahre deutsche Politik mit anderen Mitteln
Maybritt Brehm / Christian Koch / Werner Ruf / Peter Strutynski: Armee im Einsatz - 20 Jahre Auslandseinsätze der Bundeswehr

besprochen von
Christian Stache

03-2013

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onlinezeitung

Trotz der demonstrativen Zurückhaltung im Krieg gegen den Irak (2003), Libyen (2011) und Mali (2013) sind alle Bundesregierungen seit der Annexion der DDR konsequent den Weg der Remilitarisierung des deutschen Imperialismus gegangen. Die vorliegende Studie zeigt, wie dies politisch ermöglicht wurde.

„Armee im Einsatz. 20 Jahre Auslandseinsätze der Bundeswehr“ ist eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS). Sie schließt an eine Vorgängeruntersuchung mit dem Titel „Militärinterventionen: verheerend und völkerrechtswidrig. Möglichkeiten friedlicher Konfliktlösung“ aus dem Jahre 2009 an, an der unter anderem auch die beiden Co-Autoren des vorliegenden Buchs, Werner Ruf und Peter Strutynski, mitgewirkt haben. Gegenstand der politologischen Nachfolgestudie ist, wie der Titel nur eingeschränkt verrät, die Verschiebung der politischen Koordinaten der bundesrepublikanischen Außen- und Verteidigungspolitik in den zwanzig Jahren von 1990 bis 2010. Die jüngsten Entwicklungen auf diesem Feld, wie die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) aus dem Jahr 2011 oder die aktuelle Bundeswehrreform, sind dementsprechend nicht berücksichtigt worden. Anhand der Bündnispolitik der Bundesregierung, insbesondere gegenüber und in der Europäischen Union (EU) und den Vereinten Nationen (UNO), des politischen und rechtlichen Rahmens von Bundeswehreinsätzen sowie der Analyse der Geschichte deutscher Militäroperationen seit 1990 können die AutorInnen ihre These überzeugend untermauern, dass seit der Annexion der DDR durch die Bundesrepublik Deutschland (BRD) „sukzessive eine Verschärfung beziehungsweise Militarisierung deutscher Außenpolitik stattgefunden“ (S. 185) hat. Diese vollzogen die verschiedenen Regierungskoalitionen an der Spitze der BRD nicht im Alleingang, sondern erstens immer an der Seite anderer westlich-imperialistischer Staaten in der EU und in der NATO und zweitens im Fahrwasser ihrer politisch-militärischen Strategien. Konnte Helmut Kohl noch 1992 behaupten, dass es die „erklärte Politik der Bundesrepublik Deutschland, auch meiner Bundesregierung“ sei, „dass wir außerhalb des Nato-Bereichs keine deutschen Soldaten einsetzen“, vertrat der jüngst verstorbene und in zahlreichen Nachrufen gepriesene Ex-Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) 2004, dass „unsere Sicherheit“ „nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt“ werde.

Die sogenannte Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik seit 1989/91 gliedern Ruf et al. grob in drei Phasen, die historisch fließend ineinander übergegangen sind, aufeinander aufbauen und peu à peu zur „Wiedererlangung der vollen Souveränität“ (S. 7) der BRD als bürgerlicher Nationalstaat führten. Dieser vom ehemaligen Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU) als „Salamitaktik“ (S. 54) charakterisierte Prozess begann Anfang der 1990er Jahre mit den ersten Auslandseinsätzen deutscher Soldaten nach 1945 in Kambodscha 1991 und 1993 in Somalia noch unter „humanitären“ Vorzeichen. Die zweite Phase des Prozesses begann Mitte der 1990er Jahre. Zwischen 1994 und 2001 zeichnete sich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik vor allem durch die allmähliche Ausweitung der Auslandseinsätze deutscher SoldatInnen im Rahmen von sogenannten Systemen kollektiver Sicherheit aus, zu denen neben der UNO vor allem die NATO und die EU zählen. In diese Periode fällt die womöglich größte „Zäsur“ (S. 78), die dem Prozess der Wiederbewaffnung der deutschen Außenpolitik und ihrer Exterritorialisierung auf das Gebiet von Staaten außerhalb der Grenzen westlicher Bündnisse explosionsartig beschleunigt hat: der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Jahr 1999. Dieser NATO-Krieg, für dessen Rechtfertigung die damaligen Regierungsparteien SPD und Bündnis '90/Die Grünen sogar die Erinnerung an den Holocaust instrumentalisierten, war der Dammbruch. Seitdem „sind Auslandsmissionen für deutsche Soldaten zur Normalität geworden“ (S. 106). Mit dem Afghanistankrieg 2001 läutete ebenfalls Rot-Grün die dritte Phase der Remilitarisierung der deutschen Politik im Ausland ein, die bis zum Ende des Untersuchungszeitraums 2010 reicht. Ihr zentrales Merkmal ist die Ausweitung und Zunahme der deutschen Auslandseinsätze der Bundeswehr unter dem Dach der EU und der Aufbau, die Erprobung und Konsolidierung eines militärischen Arms der EU unter deutsch-französischer Führung.

Maybritt Brehm / Christian Koch / Werner Ruf / Peter Strutynski
Armee im Einsatz
20 Jahre Auslandseinsätze der Bundeswehr


VSA Hamburg
ISBN 978-3-89965-546-9

256 Seiten. 16,80 €

Editorische Hinweise

Die Rezension erschien bei http://www.kritisch-lesen.de

Nähere Infos zum Rezensenten gibt es dort unter:
http://www.kritisch-lesen.de/autor_in/christian-stache