Algerien
Riesige Demonstration von Arbeitslosen aus verschiedenen Landesteilen in Ouargla

von Bernard Schmid

03-2013

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Es ist die mit Abstand größte soziale Bewegung in Algerien seit den massiven Riots im Januar 2011 und dem – letztendlich gescheiterten – Versuch im Februar 2011, mittels Demonstrationen eine Oppositionsdynamik (ähnlich jener in Tunesien und Ägypten zur selben Zeit) zu initiieren. Schon seit Ende Februar dieses Jahres mobilisieren in dem nordafrikanischen Land Erwerbslose ganz massiv zu Protesten; vgl. unseren ersten Artikel zum Thema: Soziale Unruhen– Aufruhr und Repression.

Von massiven Protesten betroffen sind insbesondere Städte in Südalgerien – d.h. südlich der Grenze der Sahara-Ausdehnung – wie Ouargla, Laghouat oder Hassi R’Mel. Dort haben die Menschen den Sektor der Erdöl- und Erdgasförderung, der den Löwenanteil der algerischen Staatseinnahmen erwirtschaftet, in unmittelbarer Nachbarschaft. Gleichzeitig verfügen sie, sofern überhaupt, meist nur über „Jobchancen“ bei Sub-Sub-Unternehmen, die zum Teil sklavenähnliche Arbeitsbedingungen anbieten. Vgl. dazu einen jüngst in der algerischen Tagespresse erschienenen Artikel: http://www.elwatan.com/

Am vergangenen Donnerstag, den 14. März 13 nun fand eine Demonstration von (laut einhelligen Berichten von Beobachter/inne/n) mindestens 10.000 Arbeitslosen aus unterschiedlichen Landesteilen in Ouargla statt. Dazu rief zunächst das „Nationale Komitee für die Verteidigung der Rechte der Arbeitslosen“ (CNDDC) auf; es folgte die Mobilisierung vieler lokaler Gruppen. Die Stadt in der Sahara-Region selbst zählt insgesamt rund 133.000 Einwohner/innen. Doch Aktivisten waren zum Teil mit Bussen und Flugzeugen, zu Land und zur Luft (zu Wasser wäre es schwierig geworden), aus dem übrigen Algerien angereist. Auf dem Weg nach Ouargla waren jedoch Delegierte aus Algerien und aus den östlich davon gelegenen Städten Sétif und M’sila auf den Straßen angehalten und vorübergehend festgenommen worden, wie sie den Organisatoren telefonisch mitteilen konnten.

Am Vortag des Protestzugs waren noch in aller Öffentlichkeit „Differenzen um den Marsch“ laut geworden (vgl. etwa http://www.elwatan.com/actualite/ ). Einige der vorgeblichen Veranstalter oder Mitorganisatoren machten die Ankündigung einer bzw. Forderung nach einer (ersatzlosen) Absage des angekündigten Marschs publik. Der Hintergrund dazu ist folgender: Wie es zu seinen üblichen Gepflogenheit gehört, hatte das algerische Regime selbst „Aktivistengruppen“ bilden lassen, die als die einzig wahren und berechtigten Sprecher de Bewegung auftraten – um ihr die Spitze abzubrechen, und die ganz Sache alsdann fehlzuleiten oder notfalls zu spalten. Diese Praktiken kennt man allzu gut: So sind viele „autonome“ (d.h. staatsunabhängige und nicht dem Dachverband UGTA angehörende) Gewerkschaften in Algerien damit konfrontiert, dass neben ihnen ein „Klon“ ähnlichen Namens, aber mit wesentlich engerer Staatsanbindung existiert.

Der „harte Kern“ der Aktivisten um den Sprecher Tahar Belabès (vgl. hier ein Interview mit ihm: http://www.tsa-algerie.com/) ließ sich jedoch nicht irre machen, sondern behielt ihren Protesttermin bei. Zwar hatten sie vielleicht mit der vorab getätigten Ankündigung, „eine Million“ Menschen werden protestieren, den Mund ein bisschen voll genommen. Vor dem Hintergrund eingeschränkter politischer Betätigungsmöglichkeiten und fehlenden wirklichen politischen Pluralismus geben sich (schon seit den ersten Phasen der Demokratisierung 1990/91) manche Veranstalter/innen gerne dem Rausch beeindruckender aber unrealistischer Zahlen hin. Nichtsdestotrotz kann und muss von einem sehr realen Erfolg der Mobilisierung gesprochen werden.

Im Vorfeld hatten diverse Sprecher der Machthaber, aber auch vorgeblicher Oppositionsparteien – wie der linksnationalistischen Partei und traurigen Trotzkisten-Karikatur unter dem Namen „Werktätigenpartei“ (PT, Parti des travailleurs), die im Parlament vertreten und seit etwa 2000 eng in das Spiel der Machthaber eingeflochten ist – mit Ver- und Beschwörungen wild um sich geworfen. Also mit der ständigen Beschwörung, eine „ausländische Hand“ stecke verschwörerisch hinter den Protesten. Die traurigen Witzfiguren vom PT etwa beschworen (mal wieder) eine angebliche Hand des Auslands, um, so erklärten diese Spinner weiter, auch in Algerien einen durch die USA gelenkten und gesteuerten „arabischen Frühling“ à la Tunesien und Ägypten einzuläuten. (Sic!) Da bleibt, folgt man diesen Figuren, dann doch lieber alles beim Alten... Auch ein Abgeordneter der Regierungspartei FLN sprach von einer bewussten Strategie, die darauf ziele, Algerien in „den Schlammpfuhl des Chaos“ zu zerren. (Vgl. etwa http://maghrebemergent.com)

Trotz solcher Schmutzkampagnen, aber auch der einschüchternden Drohung mit massiver Polizeipräsenz konnte der Marsch von über 10.000 Arbeitslosen reibungslos stattfinden. Die Polizei hielt sich weitestgehend zurück und trat zwar massiv mit Zivilbeamten, doch wenig sichtbar in Erscheinung.

Die soziale Opposition kann rundheraus von einem Erfolg sprechen, während man darauf hoffen muss, dass die Anführer/innen des IWF wissen, wo sie sich ihre erst jüngst erteilten guten Ratschläge an Algerien (vgl. http://www.tsa-algerie.com ) getrost hinstecken dürfen. IWF-Direktorin Christine Lagarade hielt sich soeben zu einem dreitägigen Besuch in Algerien auf. Ausgehend von der durchaus richtigen Feststellung, dass die Machthaber nahezu Alles auf den 97 % der Deviseneinnahmen bringenden – aber nur 2 Prozent der Bevölkerung einen Lebensunterhalt verschaffenden – Öl –und Gassektor verschaffen, forderte sie als Alternative eine Begünstigung privater Investoren, um „einen parallelen Wirtschaftssektor“ dazu aufzubauen.

Vgl. dazu auch Videofilme von dem Ereignis:

Etwa hier http://www.youtube.com/watch?v=pqWB3-KdnbI
Und hier 
http://www.youtube.com/watch?v=EuaL-n9soZg
Und hier
http://www.youtube.com/watch?v=7ARIiYqq83

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.