Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
KPD und SPD
Zwei Linien der Wohnungspolitik in den zwanziger Jahren

von Kurt Junghanns

03-2014

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Die vielen Siedlungen, die zwischen 1919 und 1931 in Deutschland entstanden sind, und die mit ihren Fortschritten im Wohnungsbau und in der Anlage von Wohngebieten den Beginn des modernen Städtebaues markieren, wirken heute wie das Werk einer intakten gesicherten Welt. Tatsächlich aber erwuchsen sie auf dem Boden schärfster Klassenkämpfe, wobei das Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse im Ergebnis des Weltkrieges und der Novemberrevolution in der Form des Weimarer parlamentarischen Systems der Arbeiterbewegung relativ günstige Möglichkeiten bot, ihre materielle Lage zu verbessern, das eigene geistig-kulturelle Leben zu entwickeln und dem fortschrittlich-demokratischen Flügel der bürgerlichen Intelligenz und seinem humanistischen Ideengut einen größeren Einfluß im Leben der Gesellschaft zu verschaffen. Ein Hauptgebiet solchen Wirkens wurde der Wohnungs- und Städtebau. Für die Nutzung der gegebenen Lage zum Wohl der werktätigen Bevölkerung, insbesondere für einen gesunden Städtebau und die größtmögliche Linderung der Wohnungsnot, stellten sowohl die Kommunistische Partei Deutschlands als auch die Sozialdemokratische Partei nach der Novemberrevolution wohnungspolitische Programme auf. Die Wirkungsgeschichte dieser Programme im politischen Tageskampf ist noch nicht geschrieben. Vor allem fehlen dafür eingehende spezielle Untersuchungen zur Kommunalpolitik der Arbeiterparteien. Jedoch vermag schon eine knappe grundsätzliche Betrachtung viele Hinweise für ihre Bewertung zu geben.

Schon während des ersten Weltkrieges war die Wohnungsfrage aus einem sozialen zu einem politischen Problem von besonderer Bedeutung geworden. Damals stagnierte der Wohnungsbau durch die Kriegsverhältnisse in allen europäischen Ländern. Die Wohnungsnot nahm überall sprunghaft zu und zog immer größere Teile des Bürgertums in Mitleidenschaft, so daß selbst in neutralen Staaten wie Holland und der Schweiz die Regierungen sich erstmals zu Eingriffen in die freie kapitalistische Wohnungswirtschaft und zur aktiven Förderung des Wohnungsbaues veranlaßt sahen. Sie entwickelten einerseits Maßnahmen gegen wucherische Erhöhung der Mieten und willkürliche Exmittierung, andererseits Methoden der Wohnraumlenkung und der finanziellen Unterstützung des Wohnungsbaues, um vor allem den Bau kleiner Wohnungen anzuregen. Aber während Frankreich schon kurz nach Kriegsausbruch den Mieterschutz für Soldatenfamilien einführte, und Länder wie England, Ungarn und selbst das zaristische Rußland 1915 folgten, wartete die deutsche Bourgeoisie bis 1917, als der Hausbesitz die Skrupello-sigkeit besaß, trotz ungeheurer Blutopfer an den Fronten und Verelendung der Bevölkerung die wachsende Wohnungsnot in gewinnbringende Mietsteigerungen umzumünzen.(1) Mit der Stabilisierung der Weltwirtschaft nach dem Krieg verschwanden die staatlichen Maßnahmen in den meisten Ländern. In Deutschland jedoch, das durch den Krieg am meisten geschwächt und im Ergebnis der Niederlage vom Weltmarkt weitgehend verdrängt war, das außerdem viele Flüchtlinge aus abgetretenen oder zeitweilig von Ententetruppen besetzten Gebieten aufnehmen mußte, war die Wohnungsnot am drückendsten und durch die Ereignisse der Novemberrevolution auch zu einem Schwerpunkt des politischen Kampfes geworden.

Bei einem Bestand von etwa 13.5 Millionen Wohnungen war der Fehlbetrag auf über eine Million Wohnungen angewachsen. Durch die abgesunkene Kaufkraft der Bevölkerung hatte diese riesige Nachfrage jedoch keinerlei anregende Wirkung auf die Bauwirtschaft. Erschwert wurde die Lage auch durch die Haltung der Industrie und des Handels, die den allgemeinen Mangel an Baustoffen zu fortlaufenden Preissteigerungen ausnutzten und damit die Baukosten noch erhöhten. Das flüssige Kapital fand daher für lange Zeit in der Industrie weit günstigere Anlagebedingungen als im Wohnungsbau. In der Weimarer Republik wagte es deshalb keine Regierung, den Mieterschutz und die sogenannte Wohnungszwangswirtschaft aufzuheben, weil sie damit eine Mietenexplosion riskierte. Auch die bürgerlichen Parteien traten aus Furcht vor Stimmenverlusten für deren Beibehaltung ein. Keine Regierung konnte auch die finanzielle Förderung des Wohnungsbaues einstellen, da die Erfahrungen selbst in den Siegerländern zeigten, daß der Wohnungsbau und ganz besonders der Bau kleiner Wohnungen ohne staatliche Beihilfe sofort stagnierte. Aber insgeheim leisteten die Interessenverbände der Wirtschaft, besonders des Haus- und Grundbesitzes, die Vertreter der Bauindustrie und des Bauhandwerks eine stille Maulwurfsarbeit in den Ministerien und Stadtverwaltungen, um die Zwangswirtschaft zu durchlöchern, den gemeinnützigen Baugesellschaften und damit dem Kleinwohnungsbau das Wasser abzugraben und auf die Mühlen der privaten Wirtschaft zu lenken. Die Banken hatten sich ohnehin durch laufende Erhöhung des Zinsfußes für Baugeld einen wachsenden Profit im Wohnungsbau gesichert, so daß nach Bruno Taut die gleiche Wohnung 1930 das Anderthalbfache an Miete bringen mußte wie drei Jahre zuvor.

Schon 1925 verschärfte sich die Lage, als staatliche Stellen die Wohnungsnot kurzerhand für beseitigt erklärten, und die Regierung Luther einen großen Teil der Hauszinssteuererträge, die ursprünglich allein der Förderung des Wohnungsbaues dienen sollten, für andere Zwecke verwendet. Auch einzelne Stadtverwaltungen begannen den Kleinwohnungsbau zu behindern wie Köln unter Konrad Adenauer durch Steigerung der Abgabepreise für Bauland und durch Erhöhung der Kosten für den Bau von Straßen und Versorgungsleitungen.(2) Aber erst die große Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 bot den Vorwand, um mit Hilfe von Notverordnungen, d. h. unter Ausschaltung von parlamentarischen Beschlüssen, eine endgültige Bereinigung der Lage im Sinne der freien kapitalistischen Wirtschaft zu beginnen. Mit dem Jahrzehnt zwischen der Novemberrevolution und der Weltwirtschaftskrise ist daher auch der Wirkungszeitraum der wohnungspolitischen Programme der beiden Arbeiterparteien abgesteckt.

Vor unserem sozialistischen Staat steht heute die endgültige Lösung der Wohnungsfrage als eine reale Aufgabe der achtziger Jahre. Für die Arbeiterparteien ging es damals um weit bescheidenere Dinge. Zunächst um die Erhöhung der Wohnbautätigkeit überhaupt, die trotz der staatlichen Stützungsmaßnahmen nur in den besten Jahren, d. h. zwischen 1928 und 1930, den Umfang der Vorkriegszeit erreichte oder leicht überschritt. Damit aber war an eine Milderung der Wohnungsnot nicht zu denken. Weiter um eine Vergrößerung des Anteils der Kleinwohnungen, die in besonderem Ausmaß fehlten und an deren Bau die private Bauwirtschaft von jeher aus vielen Gründen nicht interessiert war; schließlich um die Senkung der Baukosten und um niedrige Mieten vor allem bei Kleinwohnungen, nicht zuletzt, um deren hygienische Eigenschaften und überhaupt um die Sicherung eines möglichst hohen Wohnwertes.

Beide Parteien gingen von der gegebenen Lage im Wohnungswesen und der Bauwirtschaft aus. Die junge Kommunistische Partei, die ihre ganze Kraft für die Linderung der materiellen Not der Werktätigen einsetzte, war gleichzeitig bestrebt, die Ereignisse auch nach dem Scheitern der Revolution in revolutionärem Sinne weiterzutreiben. Sie griff eine spontan sich entwickelnde Bewegung zur Kommunalisierung lebenswichtiger Betriebe auf, die eine Antwort des revolutionären Teils der Arbeiterklasse auf die Sabotage der Wirtschaft und die Preistreiberei der Unternehmer war. Sie forderte, diese Kommunalisierung auch auf den Kleinwohnungsbau auszudehnen und die Städte und Gemeinden in den Stand zu versetzen, als Bauherren den Kleinwohnungsbau in ihre Hände zu nehmen.(3)

Ohnehin hatten viele Stadtverwaltungen, in denen der Einfluß der Arbeiterbewegung und bürgerlich-demokratischer Kräfte stark war, zur Abhilfe der dringendsten Not mit gemeindeeigenem Wohnungsbau begonnen wie Stuttgart, das auf diese Weise bis Ende 1919 über 1 000 Kleinwohnungen errichtete, oder Leipzig, das bis 1926 über 4 000 Wohnungen baute und damit fast die Hälfte des Wohnungsbaues jener Jahre in der Stadt bestritt(4).

Andererseits gerieten in Frankfurt am Main einige Kleinwohnungsbauvereine durch den Währungsverfall nach dem Krieg in finanzielle Schwierigkeiten, so daß die Stadt zur Unterstützung des Kleinwohnungsbaues deren Aktien übernehmen mußte und sie damit in kommunale Bauorganisationen verwandelte. Die Kommunistische Partei führte eine Bewegung fort, die aus der Not und der politischen Spannung der revolutionären Nachkriegskrise geboren war und versuchte, ihr eine breite und dauerhafte Basis zu geben. Ihr Ziel war, das für die Werktätigen lebenswichtige Teilgebiet des Kleinwohnungsbaues aus der profitorientierten privaten Bauwirtschaft herauszulösen und ihm einen gemeinnützigen Charakter zu geben, d. h. das Bauen durch Verzicht auf jeden Gewinn maximal zu verbilligen. Der Vorteil für die Werktätigen lag auf der Hand. Gemeindeeigene Wohnungen waren nicht nur wegen ihrer relativ niedrigen Mieten sehr begehrt. Sie boten auch die größte Sicherheit gegen Mietwucher und Exmittierung, und sie wurden als Gemeindeeigentum allgemein in gutem baulichen Zustand erhalten.

Mit der Beschränkung ihrer Forderung nach Kommunalisierung auf den Neubau von Kleinwohnungen unterschied sich die KPD grundlegend von den Vorschlägen zur Kommunalisierung bzw. zur Verstaatlichung des gesamten vorhandenen Wohnungsbestandes, die in der offiziellen Sozialisie-rungskommission bis 1921 wiederholt debattiert wurden.(5) Solche Absichten waren nach dem Scheitern der Revolution und der Sicherung der kapitalistischen Ordnung von vornherein utopisch und dienten lediglich der Vortäuschung revolutionärer Aktivität zur Beschwichtigung der Volksmassen und des linken Flügels der bürgerlichen Intelligenz, die einschneidende Änderungen erwarteten. Um den gemeindeeigenen Wohnungsbau gegen Störungen durch die in Kartellen und Wirtschaftsverbänden organisierte Bauindustrie zu sichern und Auswirkungen ihrer Preistreiberei auf den Kleinwohnungsbau zu verhindern, forderte die Kommunistische Partei auch den Aufbau kommunaler gemeinnützig arbeitender Baustoffbetriebe und Bauunternehmen. Auch auf diesem Gebiet hatten viele Gemeinden bereits Beispiele geschaffen. So kauften sie häufig Holzverarbeitungsbetriebe und Ziegeleien auf. Leipzig besaß einen Baubetrieb, der viele hundert Wohnungen errichtet hat. Um diese Produktionssphäre nicht in den Ablauf der städtischen Verwaltung mit ihrer Abhängigkeit von politischen Wendungen einzubeziehen, gaben die Städte solchen Betrieben meist die Form einer Aktiengesellschaft, in der sie die Aktienmehrheit besaßen und im Aufsichtsrat dominierten. Solche eigenen Baubetriebe hatten den Vorteil, daß die Gemeinde sie mit neuester Technik ausrüsten und mit der Erprobung neuer Bauweisen durch Experimentalbauten beauftragen konnte. Denn die Verbilligung durch eine effektive Bautechnik und Rationalisierung war zu einem Problem mit großem sozialem Hintergrund geworden. Alle progressiven Architekten sahen darin einen Schlüssel zur Überwindung der Wohnungsnot und setzten sich deshalb für die Industrialisierung des Wohnungsbaues ein. Viele forderten öffentliche Versuchsbauhöfe. Die private Bauwirtschaft war daran nicht interessiert, und unter ihrem Einfluß waren es auch die Reichs- und Länderregierungen nicht. Erst 1927 war die Bauindustrie zur Bildung der »Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bauwesen" bereit, die Experimentalsiedlungen wie Dessau-Törten finanziell unterstützt hat. Die Initiative im technischen Bereich lag von Anfang an bei verantwortungsbewußten Stadtverwaltungen. Leipzig wurde durch die Erprobung verschiedener neuer Bauweisen bekannt, besonders aber Frankfurt am Main durch seine .Häuserfabrik", die unter der Leitung des Stadtbaurates Ernst May ein Großblocksystem auf der Basis von Bimsbeton entwickelte. Auch Dessau-Törten wurde mit Zustimmung der Stadt von einer städtischen Siedlungsgesellschaft gebaut.

Die Gesamtheit der von der Kommunistischen Partei vorgeschlagenen Maßnahmen hätte zu einer Umverteilung wesentlicher gesellschaftlicher Mittel zugunsten eines verbilligten Kleinwohnungsbaues für die werktätige Bevölkerung geführt. Sie hätte in vielen Städten durch das Gewicht der Arbeitervertreter eine sozialere Baupolitik ermöglicht, als sie tatsächlich durchgeführt worden ist. Denn eine Bilanz der Bautätigkeit der besten Jahre von 1927 bis 1930 ergibt, daß stets über die Hälfte aller Neubauwohnungen mehr als 4 Zimmer aufwiesen. Die staatlichen Wohnbauzuschüsse kamen also überwiegend dem Mittelstand zugute. Die große Masse der Werktätigen ging ziemlich leer aus. Außerdem hätte ein starker kommunaler Wohnungsbau sich reibungslos mit der jeweiligen städtebaulichen Planung abstimmen lassen. Welche Möglichkeiten dem Städtebau damit erschlossen worden wären, lehrt wieder ein Blick auf Frankfurt am Main, wo durch das Zusammenwirken der Arbeiterparteien mit der Demokratischen Partei der von der Stadt stark beeinflußte Wohnungsbau für eine planmäßige Stadterweiterung durch Vorstadttrabanten genutzt werden konnte und Frankfurt als das Beispiel einer neuen strukturellen Gliederung der Großstadt und eines landschaftsorientierten Städtebaues internationales Ansehen gewann.(6)

Auch Magdeburg ist zu nennen, das sich ebenfalls einen bestimmenden Einfluß in den Kleinwohnungsbauvereinen der Stadt sicherte und in Verbindung mit einer klugen Bodenpolitik den Wohnungsbau in den Dienst einer organischen Stadterweiterung gestellt hat. Selbst die architektonische Gestaltung lag dadurch weitgehend in den Händen des Stadtbauamtes, das noch von Bruno Taut geschaffen und ein Zentrum des Neuen Bauens war.(7)

Die Vorschläge der Kommunistischen Partei waren keineswegs global gedacht, obwohl eine Unterstützung der Kommunalisierung durch Reichs- und Länderregierungen eine entscheidende Förderung gewesen wäre. Sie zielten vor allem auf jene Städte, in denen die Arbeiterparteien größeren Einfluß hatten als im Reichstag oder in den Länderparlamenten. Hier lag die eigentliche Chance ihrer Verwirklichung. Eine Stärkung der gemeinnützigen kommunalen Wirtschaft in den Zentren der Arbeiterbewegung wäre schließlich ein Stoß gewesen gegen die traditionelle Haltung der meisten deutschen Gemeindeverwaltungen, die in Boden- und Baufragen gewohnt waren, sich wie Kapitalisten zu verhalten und der privaten Wirtschaft in die Hände zu spielen. Denn hier war die soziale Verantwortung auch nach der Novemberrevolution meist noch unterentwickelt und daher auch die Bereitschaft gering, sich mit dem Bau kleiner Wohnungen zu belasten.

Die deutsche Sozialdemokratie war zu so konsequenter Vertretung der Arbeiterinteressen von vornherein nicht bereit, obwohl sie vor 1914 noch unter der Führung von August Bebel in der Kommunalisierung des Kleinwohnungsbaues einen Hauptweg zur Linderung der Wohnungsnot gesehen hatte. Im Gegenteil, ihre rechten Führer paktierten bekanntlich noch während der Revolution mit der Bourgeoisie und retteten damit das kapitalistische System in Deutschland, und die Gewerkschaftsführer legten sich schon im November 1918 bei Geheimverhandlungen mit den Spitzen der kapitalistischen Wirtschaft auf die „Stinnesierung" fest. Sie unterstützten damit eine Gegenbewegung der Großindustrie unter Führung von Hugo Stinnes gegen die beginnende und von der KPD aufgegriffene Kommunalisierung mit dem Ziel einer Repriva-tisierung staatlicher und kommunaler Unternehmen. In der Folge stimmte die SPD, wo es nur angängig war, gegen die Kommunalisierung des Kleinwohnungsbaues. Statt dessen propagierte sie die Idee der sogenannten Gemeinwirtschaft und lenkte die ungeduldig gewordenen Werktätigen auf den Weg der Selbsthilfe. (8) Gemeinwirtschaft wurde das Schlagwort der aus der Revolution hervorgegangenen sozialdemokratischen Regierung Scheidemann. Ihr Wesen und ihr Inhalt wurden nie genau definiert. Allgemein verstand man darunter eine gezielte Abschwächung des Kapitalismus durch gemeinnützig wirkende Maßnahmen. Die Bourgeoisie selbst trat vorübergehend für regulierende Eingriffe in die Wirtschaft ein, um die rücksichtslose Preispolitik einzelner Monopolgruppen - z. B. des Kohlebergbaues und der Stahlproduzenten - in den Nachkriegsjahren im Interesse der anderen Wirtschaftszweige zu zügeln. Nachdem der Kapitalismus nicht gestürzt worden war, schien sich unter dem Einfluß der Sozialdemokratie und ihrer Gemeinwirtschaftsidee für viele Werktätige ein Weg wenigstens seiner schrittweisen Überwindung anzubahnen.

Ein Hauptanwendungsgebiet der Gemeinwirtschaft wurde unter dem Druck der Wohnungsnot die Bauwirtschaft. Die offensichtliche Sabotage des Wohnungsbaues durch die kapitalistischen Unternehmer hatte in der Arbeiterklasse nicht nur dem Gedanken der Kommunalisierung, sondern auch dem der Selbsthilfe einen mächtigen Auftrieb gegeben. Schon vor 1914 war die Zahl der Sozialdemokraten im Wachsen, die von Friedrich Engels' Forderung abgingen, die Kraft der Partei auf den Kampf um eine dauerhafte soziale Gesetzgebung im Bereich des Wohnungswesens und des Wohnungsbaues zu konzentrieren. Sie drängten wie viele bürgerliche Reformer auf eine Politik der Selbsthilfe durch Arbeiterbaugenossenschaften, die bekanntlich die Bourgeoisie nichts kostet und alle Lasten dem Arbeiter aufbürdet. Ein markantes Beispiel dafür ist die durch Bruno Taut bekannt gewordene Siedlung »Reform" in Magdeburg von 1912/14, die nur durch harte Arbeit und grenzenlose Opferbereitschaft der Genossenschaftler zustande gekommen ist. Bereits gegen Kriegsende waren als eine ganz spontane Form der Selbsthilfe Produktionsgenossenschaften des Bauhandwerks gebildet worden. Die von der Sozialdemokratie beherrschten Gewerkschaften führten diese Bewegung fort und gründeten seit 1919 sogenannte Bauhütten, zunächst Produktionsgenossenschaften für die Bauausführung, später in Form von Aktiengesellschaften mit Gewinnverzicht. Diese Bauhütten sollten im Zusammenwirken mit Baugenossenschaften und anderen gewerkschaftlich gestützten Wohnungsbauorganisationen als Dauerauftraggeber einen modernen großzügigen Wohnungsbau für die Werktätigen entwik-keln. Darüber hinaus wurde erwartet, daß sie anregend auf die gelähmte kapitalistische Bauwirtschaft und preisregulierend auf dem Baumarkt wirken werden. Deshalb beteiligten sich auch viele Gemeinden und staatliche Wohnungsfürsorgegesellschaften am Aktienkapital der Bauhütten. (9)

Die Bildung dieser Bauunternehmen und ihre ersten Wohnungsbauten wurden in großen Teilen der Arbeiterklasse mit Begeisterung aufgenommen. Das Gesetz des Handelns, das ihnen längst entglitten war, kehrte scheinbar wieder in ihre Hände zurück. 1921 waren über hundert Bauhütten entstanden, 1922 bereits 207 erreicht. Schon 1920 schufen sie sich mit dem .Verband sozialer Baubetriebe" ihre Dachorganisation. Viele der Bauhüttenleute glaubten ernsthaft, damit die kapitalistischen Betriebe vom Baumarkt verdrängen und Schritt für Schritt doch noch zum Sozialismus kommen zu können. Vor allem die jungen Bauarbeiter sahen sich in eine große politische Aufgabe eingespannt und hofften mit ihrer Arbeit noch unter kapitalistischen Bedingungen Inseln des Sozialismus zu schaffen. Als die amtliche Statistik 1928 nachwies, daß der genossenschaftliche Wohnungsbau rascher zugenommen hatte als der private, triumphierte der sozialdemokratische „Vorwärts": .Nur so wird die Wohnungsfrage ihrer Lösung entgegengetrieben", die Sozialdemokratie sei auf dem richtigen Weg.(10) Der Direktor der bedeutendsten gewerkschaftlichen Wohnungsbaugesellschaft, der "Gehag" in Berlin, behauptete sogar, im Kleinwohnungsbau habe die Spekulation, d.h. die kapitalistische Bauwirtschaft, "nichts mehr zu suchen".(11) Etwas Neues schien in die Welt gekommen. Eine Ausstellung der .Gehag" über ihre Bautätigkeit in Berlin verzeichnete einen solchen Besucherandrang, daß sie zeitweilig gesperrt werden mußte. Friedrich Engels' Artikel .Zur Wohnungsfrage" und seine Erkenntnis, daß die Wohnungsfrage im Kapitalismus nicht zu lösen ist, waren anscheinend widerlegt und die Kommunistische Partei auf diesem Sektor ausgepunktet.

Unbestritten sind die Erfolge der sozialdemokratischen Politik. Viele, aber bei weitem nicht alle, der bekannten und heute noch hochgeschätzten Wohnanlagen der zwanziger Jahre gehen auf sie zurück. Sie ermöglichten nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen die Wohnungsnot und zur Artikulierung der Wohnbedürfnisse in der Arbeiterschaft, sondern auch zum allgemeinen Fortschritt im Wohnungs- und Städtebau. Unbestritten ist auch, daß die Tätigkeit in den Bauhütten und Arbeiterbauvereinen den Erfahrungsschatz der Arbeiterklasse bereichert und ihre Fähigkeit, die Produktion zu organisieren und zu leiten, gefördert hat. Nicht zuletzt stärkte sie die Solidarität. Zum ersten Mal lernte der Bauarbeiter soziale und kulturelle Betreuung in seinem Betrieb kennen. Führende Bauleute der DDR waren einst Mitglieder einer Bauhütte, so Walter Piesternik und Paul Sack. Obwohl die KPD die Ideen der Gemeinwirtschaft als ein demagogisches Manöver ablehnte, hat sie gemäß ihrer Generallinie, den Kleinwohnungsbau zu fördern, auch den gemeinwirtschaftlichen Wohnungsbau von Fall zu Fall in der parlamentarischen Ebene unterstützt.

Natürlich konnte der gemeinwirtschaftliche Wohnungsbau die großen wirtschaftlichen und politischen Hoffnungen, die die Sozialdemokratie damit erweckt hatte, am Ende nicht erfüllen. Obwohl die Bauhütten sich seit etwa 1923, dem Höhepunkt der Inflation, auch dem allgemeinen Hochbau und selbst dem Straßen- und Tiefbau zuwendeten, erreichten sie mit ihrem Umsatz nur ausnahmsweise 2% des Gesamtumsatzes der deutschen Bauwirtschaft. Selbst in Berlin, wo zwei Bauhütten nebeneinander tätig waren, betrug der Anteil kaum 5% der Aufträge.(12) Damit konnte man die im kapitalistischen System fest verankerte private Bauwirtschaft nicht erschüttern. Allerdings waren die Bauhütten anfangs durch eine bessere technische Ausrüstung und eine bewußte Orientierung auf die Rationalisierung ihrer Produktion im Vorteil gegenüber den meisten privaten Bauunternehmen, die rückständige Kleinbetriebe waren. So konnten sie vor allem in kleineren Städten die kapitalistische Profitmacherei etwas dämpfen. Es handelte sich immerhin um Gewinnzuschläge bis zu 70% der Baukosten, die die Unternehmer einzustreichen hofften, und für die sie unter sich geheime Preisabsprachen trafen. Mit der Rolle der Bauhütten als technische Schrittmacher im Wohnungsbau aber war es vorbei, als die großen international bekannten Baufirmen mit ihrer entwickelten Technik sich Abteilungen für Wohnungsbau angliederten, um sich die großen Siedlungsvorhaben nicht entgehen zu lassen. So ist die Friedrich-Ebert-Sicdlung in Berlin-Reinickendorf von 1929/30, die einzige der vielen Wohnanlagen, wo Bruno Taut von der herkömmlichen Bautechnik abwich und vorgefertigte Stahltreppen und Stahlbetondcckenplattcn verwendete, nicht von einer Bauhütte, sondern von der Philipp Holzmann AG errichtet worden.

Vor allem offenbarte die Weltwirtschaftskrise von 1929/33, daß die Bauhütten ihre Existenz weniger dem Wollen und dem Fleiß ihrer Mitglieder, sondern ganz entscheidend den niedrig verzinsten staatlichen Wohnungsbaukrediten verdankten. Als diese Kredite seit 1930 eingeschränkt wurden und 1932 mit der vierten Notverordnung der Regierung Brüning gänzlich ausfielen, begann der schöne Bau zu schwanken. Aus eigener Kraft konnten die Kleinwohnungsbauorganisationen keine Bauaufträge mehr erteilen. In Gegenteil, sie gerieten durch die Erwerbslosigkeit vieler ihrer Mieter bzw. Mitglieder in finanzielle Schwierigkeiten. Der Anhaltische Siedlerverband ging in Konkurs, so daß die Spargelder seiner 800 meist proletarischen Mitglieder verloren waren. Der Konkurrenzkampf verschärfte sich. Jetzt waren es die privaten Bauunternehmen, die die Preise unterboten wie früher die Bauhütten. Schon 1931 arbeitete die Hälfte aller Bauhütten mit Verlust, und viele Bauhüttenleute "gingen stempeln". Wie heute in der westlichen Welt, so mußten auch damals die Arbeiter die Erfahrung machen, daß alle ihre wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften im Kapitalismus höchst zerbrechlich sind. Die Zeitschrift der Bauhüttenbewegung verrät in den Heften jener Jahre das Ausmaß der Enttäuschung und die Ratlosigkeit bis zu der verzweifelten Frage: Ist denn alles umsonst gewesen?(13) Die sogenannte Gemeinwirtschaft als eine angeblich antikapitalistische Wirtschaftsweise erwies sich keinesfalls als der erwartete unerschütterliche Fels im Meer der Krise und sie verschwand sang- und klanglos aus der Diskussion.

Der Jubelruf des .Vorwärts" beruhte auf einer maßlosen Überschätzung der Anfangserfolge und auf einer irreführenden Auslegung der Statistik. Zwar bot der Wohnungsbau jener Jahre ein großartiges Bild durch die Konzentration vieler Bauvorhaben in sogenannten .Großsiedlungen" und .Wohnstädten", die bis zu tausend Wohnungen zählten und durch Umfang, Einheitlichkeit und eine neue städtebauliebe Erscheinung eine mächtige Bautätigkeit vortäuschten. Tatsächlich aber kam die Wohnungsfrage ihrer Lösung um keinen Schritt näher. Die Wohnungszählung von 1927 ergab, daß im Reichsdurchschnitt noch jeder fünfte Haushalt einen Untermieter beherbergte, davon die Hälfte sogar eine Untermieterfamilie.(14) Die Großstädte schnitten wesentlich ungünstiger ab. In Berlin nahm das Wohnen in Baracken und Gartenlauben ununterbrochen zu.(15) Vom Standpunkt der Sozialpolitik aus gab es daher trotz aller Verbesserungen der Wohnqualität noch keinen Anlaß zum Triumphieren.

Schließlich ist auf einen wesentlichen Mangel aller Siedlungen der zwanziger Jahre hinzuweisen, der durch die Beschränkung der staatlichen Kredite auf den reinen Wohnungsbau bedingt war; ihre Ausstattung mit gesellschaftlichen Einrichtungen blieb ein ungelöstes Problem. Die von sozialdemokratischen Bauorganisationen errichteten Siedlungen bildeten hier keine Ausnahme. Die eigenen finanziellen Kräfte reichten bestenfalls für eine zentrale Waschanlage und für einen Kindergarten aus. Nur mit Hilfe der Konsumgenossenschaften vermochte Bruno Taut mehrere seiner Siedlungen wenigstens mit einigen Läden auszustatten, wie an der Erich-Weinert-Straße in Berlin. Aber die die Hauptachse der Hufeisensiedlung in Berlin-Britz abschließende notwendige Schule kam damals nicht zustande. Bei einem starken kommunalen Wohnungsbau dagegen bestand die Möglichkeit, im Rahmen der abgestimmten Stadtentwicklung dafür öffentliche Gelder bereitzustellen, und durch den Bau von Schulen, Kindergärten, Läden usw. komplette Stadtteile zu schaffen. Als Beispiel kann Frankfurt am Main dienen, aber vor allem die Stadt Wien mit ihren zahlreichen Gemeindebauten, die zu den am besten mit gesellschaftlichen Einrichtungen ausgestatteten Wohnanlagen der zwanziger Jahre zählen. In Wien hatte die Sozialdemokratie die absolute Mehrheit und die deutschen Sozialdemokraten feierten den kommunalen Wiener Wohnungsbau wiederholt als Beweis für die Leistungsfähigkeit der sozial-demokratischen Bewegung. Für ihre eigene Wohnungspolitik zogen sie daraus jedoch keine Konsequenzen. Sie paßten sich in dieser Frage der Stellung der bürgerlichen Parteien und des Architektenverbandes an, für die kommunaler Wohnungsbau .grundsätzlich unerwünscht" war und blieb.

In den Wiener Gemeindebauten waren die Räume klein. Gesellschaftliche Einrichtungen wie Büchereien, Vortragsräume, Klub- und Spielzimmer dienten der Erweiterung der Wohnfunktion und die Mieten waren relativ niedrig. In Deutschland dagegen konnte sich die Mehrheit der Arbeiter selbst eine kleine Neubauwohnung nur leisten, indem sie zeitweilig einen Raum an einen Untermieter abgab.

Vor diesem Hintergrund wird der gewaltige soziale Fortschritt deutlich, den das Bauen der sozialistischen Länder gebracht hat, indem es eine Wohnungsqualität, die damals nur wenigen und oft nur unter großen Opfern zugänglich war, für alle ohne Unterschied erschließt. Den wohnungspolitischen Grundsätzen der Kommunistischen Partei blieb damals ein Erfolg versagt Jedoch kann man mit Bestimmtheit sagen, di sie bei einiger Unterstützung durch die Sozialdemokratie tiefgreifender auf den Wohnungsbau und vorteilhafter für die Masse der Werktätigen gewirkt hätten als der sozialdemokratische Weg der Selbsthilfe. Es wäre auch unter damaligen Bedingungen mehr für eine organische Weiterentwicklung der Städte und weniger städtebauliches Stückwerk geleistet worden.

Anmerkungen

1) Die Wohnungsprobleme Europas nach dem Krieg. Studien und Berichte des Internationalen Arbeitsamtes, Reihe G (Wohnungs- und Wohlfahrtswesen) Nr. t. Genf 1924; Zusammenfassung in: Der Neubau 7 (1925), H. 3. S. 40-42

2) Wohnungswirtschaft 2 (1925), H. 22, S. 176

3) Das Kommunalprogramm der Kommunistischen Partei Deutschlands, Berlin 1925; Die Kommunisten und die Wohnungsfrage. In: Richtlinien für die Kommunalpolitik der KPD in den Ländern und Gemeinden. Hrsg. Zentralkomitee der KPD. Bertin 1928, S. 26—31; Die Kommune, Ztschr. für kommunistische Kommunalpolitik. Hrsg. Kommunistische Partei Deutschlands. 1921-1926.

4) Die Volkswohnung 1 (1919), H. 24, S. 311; H. Rittet; Wohnung, Wirtschaft, Gestaltung. Berlin/Leipzig 1928, S. 56

5) Verhandlungen der Sozialisierungskommission über die Neuregelung des Wohnungswesens. 2 Bde. Berlin 1921; W. Weiß: Die Sozialiisierung des Wohnungswesens. Heidelberg 1930, S. 15-18, 23-25.

6) W. Bangert: Baupolitik und Stadtgestaltung in Frankfurt a. M. Würzburg 1937. S, 86 ff..- selbst die Einrichtung zentra-ler, maschinell auagerüsteter Waschanlagen in den Wohngebieten wurde unter den fadenscheinigsten Vorwänden bekämpft (Entpersönlichung der Familie, marxistische Methoden). In; Bericht über die Verhandlungen der Stadtverordnetenvers, der Stadt Frankfurt/M.. Bd. 61, Sitzung vom 18.12. 1928, § 1628, S. 1519

7) K-H. Hüter: Neues Bauen in Magdeburg. In: Form & Zweck 15 (1983), H.2, S. 25-39

8) Das Programm der Sozialdemokratie, Vorschläge zu seiner Erneuerung. Berlin 1920; P. Hirsch; Kommentar zu den kommunalpolitischen Richtlinien der SPD. Berlin 1929: Protokoll der Verhandlungen des 11. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands. Berlin 1922. S. 359; Protokoll der Verhandlungen des 12. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands, Berlin 1923, S. 23/24

9) Dr. Hirtsieter,- Die Wohnungswirtschaft in Preußen. Eberswalde 1929, S. 519/520; A. Ellinger: Die Sozialisierung des Bau- und Wohnungswesens, Hamburg 1920

10) Vom Berliner Wohnungsbau im Jahre 1927. In: Vorwärts vom 4. 5. 1928

11) R.Linnecke, Und im neuen Jahr? In; Wohnungswirtschaft 4 (1927), S 1/2, S.4

12) Bauen, Siedeln, Wohnen 12 (1932). H. 3, S. 55 u. H. 18, S. 262, Hirtsieter S. 501

13) Bauen, Siedeln, Wohnen 12 (1932). II. 18, S. 2oo

14) Handwörterbuch des Wohnungswesens. Jena 1930, S. Öl 1/612

15) Deutsche Bauzeitung 68 (1934), H. 41. S.801; Tatsachen. In: Wohnungswirtschaft 8 (1931), H. 5, S. 92-94

 

Editorische Hinweise

Der Vortrag wurde gehalten auf dem wissenschaftliches Kolloquium vom 5. bis 7. Juli 1983 in Weimar an der Hochschule für Architektur und Bauwesen zum Thema: 'Das Bauhauserbe und die gegenwärtige Entwicklung der Architektur : zum 100. Geburtstag von Walter Gropius'.

Er erschien in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar, Jg.: 29, Nr.5/6, 1983, Seite 376-380