Kommentare zum Zeitgeschehen
Micha Prütz, der RSB und die NAO
Die Polit-Legende oder der Polit-Umfaller des Jahres 2014?

von Detlef Georgia Schulze

03-2014

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Am Sonntag, den 16.2. schrieb Micha Prütz stolz wie Bolle bei Facebook (Screen Shot):

Auf der Suche nach der Wahrheit

Daran ist nur soviel sicher: Der RSB beteiligte sich an der NAO-Gründung nicht, sondern führte zur gleichen Zeit seine DelegiertInnenkonferenz in einer anderen Stadt durch! Ziemlich wahrscheinlich ist auch, daß Micha Prütz’ Behauptung über den RSB

  • weder eine völlige freie Erfindung ist

  • noch, daß der RSB tatsächlich „einstimmig“ (so Micha Prütz) beschlossen hat, sich „voll“ (so Micha Prütz) am NaO-Prozeß zu beteiligen.

Denn die Leitung (Politische Kommission) des RSB hatte erst am 15. September des vergangenen Jahres beschlossen und den anderen am NaO-Prozeß Beteiligten mitgeteilt:

„Das PK des RSB bewertet den vorläufigen Manifest-Entwurf zusammen mit den eingebrachten Alternativentwürfen als eine Dokumentation des bisherigen Diskussionsstandes. Wir betrachten den Entwurf nicht als ein geeignetes Gründungsdokument, weder für einen Block bzw. eine Bündnis-Organisation, geschweige denn für eine Neue Antikapitalistische Organisation.“ (Seitdem sind, außer an der Überschrift, keine Änderungen des Manifest-Textes mehr vorgenommen worden.) Und zur (Berliner) NAO-Gründung: „SIB und GAM drücken hinsichtlich einer Gründung auf Tempo – ohne Notwendigkeit. Diesen Schritt werden wir nicht mitgehen.“

Nun ist zweifelsohne denkbar, daß eine Mehrheit (dem Hörensagen nach: sogar eine große Mehrheit) in der Politischen Kommission des RSB eine paar Monate später von einer Mehrheit einer DelegiertInnenkonferenz des RSB überstimmt wird und letztere ihrerseits beschließt, daß der RSB nunmehr das Manifest unterschreibt und sich nunmehr „voll“ (das heißt: einschließlich Gründung einer NAO Berlin) beteiligt.

Aber nach aller politischen Erfahrung kann mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, daß von einer Mehrheit eines Leitungsgremien ein paar Monate später auf einer DelegiertInnenkonferenz nichts mehr übrig bleibt und daß dort das Gegenteil des zuvor Beschlossenen „einstimmig“ (wie Micha Prütz behauptet) verabschiedet wird – es sei denn zahlreiche Leitungsmitglieder hätten die Organisation zwischenzeitlich verlassen und die verbliebenen Leitungsmitglieder inzwischen ihre Meinung geändert. – Dahingehendes ist aber über den RSB bisher nicht bekannt geworden.

Denkbar ist auch, daß sich in einer Organisation wie dem RSB zwei oder mehrere Strömungen herausbilden, die unterschiedliche Auffassungen zu so etwas wie dem NAO-Prozeß vertreten, und daß sie auf ihrer Delegiertenkonferenz – statt einen Mehrheitsbeschluß im Sinne der einen oder anderen Strömung zu fassen – irgendeinen Kompromiß vereinbaren, dem einstimmig zugestimmt wird.

Aber nach aller politischer Erfahrung kann mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, daß ein solcher Kompromiß vollständig im Sinne einer der eventuellen Strömungen (im vorliegenden Falle also: im Sinne einer „vollen“ Beteiligung am NAO-Prozeß, inklusive Manifest und Berliner NAO-Gründung – falls das überhaupt irgendwelche RSB-Mitglieder vertreten) ausfällt. Vielmehr dürfte ein solcher Beschluß dann mit tausenderlei Vorbehalten und Bedingungen verknüpft sein; vielleicht auch damit, daß sich die Organisation als Ganzes gerade nicht „voll“ beteiligt, sondern die einen Mitglieder dieses und die anderen jenes tun (‚dürfen’).

Wie gesagt: Zwischen den beiden Extremen, daß Micha Prütz seine Behauptung über den RSB völlig frei erfunden hat oder aber daß diese Behauptung vollständig zutrifft, ist vieles möglich. Und sehr wahrscheinlich ist in der Tat, daß Micha Prütz eine halb-wahre oder sogar völlig zutreffende Information über die Delegiertenkonferenz des RSB erhalten und diese dann in seinem eigenen Sinne mächtig aufgebauscht und ausgeschmückt hat.

So etwas haben alle, die Micha Prütz kennen, sicherlich schon mehr als einmal erlebt. Und es wäre ziemlich fehl am Platz Micha wegen seiner Mentalität, wegen seines notorischen Hangs zum Optimismus, einen persönlichen Vorwurf zu machen.

Allerdings dürfte es nicht nur im Interesse des RSB, sondern aller bisher am NAO-Prozeß Beteiligten wie auch der – allerdings wenigen – anderen Linken, die sich für den NAO-Prozeß noch interessieren, sein, daß der RSB alsbald klarstellt, was er denn nun bei seiner DelegiertInnenkonferenz beschlossen hat, bzw. das, was er beschlossen hat, durch einen weiteren Beschluß präzisiert. – Auf der Homepage des RSB (http://rsb4.de/) sind allerdings bis jetzt – eine Woche nach dem Konferenz-Wochenende – noch kein Beschluß und kein Bericht von der Delegiertenkonferenz veröffentlicht worden…

Auf der Suche nach dem Richtigen

Warum dürfte es im Interesse des RSB selbst sein, klarzustellen, was er denn nun beschlossen hat? – Sicherlich nicht deshalb, weil die Berliner NAO-Gründung am Samstag ein ‚historisches’ Ereignis wurde, wie Genosse systemcrash in seinem blog im Vorfeld ironisch mutmaßte (http://systemcrash.wordpress.com), sondern weil mit Micha Prütz’ Facebook-Posting die politische Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit des RSB auf dem Spiel steht.

Denn es war ja nicht nur die Leitung des RSB, die im vergangenen September beschlossen hatte, das Manifest nicht zu unterzeichnen und eine Berliner NAO-Gründung für voreilig zu halten. Vielmehr waren sich ja alle drei RSB-Mitglieder, die das NAO-Prozeß-Engagement des RSB vor allem getragen haben, in dieser Frage völlig einig.

Am 22. August vergangenen Jahres erklärten die RSB-Mitglieder Jakob und Georg gemeinsam:

„wir [sehen] vier wesentliche Elemente […], die für einen qualitativen Schritt zur Bildung einer zukünftigen neuen Organisation unerlässlich sind:

• belastungsfähige programmatische Grundlagen zur Analyse der sich ändernden politischen Lagen und als Anleitung zum Handeln;
• eine reflektierte Praxiserfahrung, die über den Eventcharakter von Veranstaltungen hinausgeht;
• Organisationsstrukturen, die den Grad des Wachsens der Organisation widerspiegeln und keine ‚Karteimitglieder’, sondern aktive Mitglieder auf dem Boden des Programms wollen;
• eine zumindest marginale Verankerung in Teilbereichen der Klasse besitzt.

Bisher ist keines der o. g. Kriterien für den NaO-Prozess in ausreichendem Maß vorhanden“ (http://www.nao-prozess.de).

Ich würde gerne erfahren: Gibt es im RSB Mitglieder, die diese Einschätzung am 22. August vergangenen Jahres nicht geteilt haben? Gab es damals RSB-Mitglieder, die

  • das NAO-Manifest für eine „belastungsfähige programmatische Grundlagen“ für eine Organisationsgründung hielten?

  • die der Ansicht waren, daß der NaO-Prozeß über eine „reflektierte Praxiserfahrung“ verfügt?

  • daß es im NaO-Prozeß einen relevanten Zuwachs an AktivistInnen gab?

  • daß der NAO-Prozeß eine Verankerung zumindest in Teilbereichen der Lohnabhängigen hatte?!

Und falls „nein“: Gibt es RSB-Mitglieder, die meinen, daß der NaO-Prozeß von Ende Aug. 2013 bis Mitte Feb. 2014 auch nur hinsichtlich EINES dieser Kriterien Fortschritte gemacht hat, sodaß es nunmehr richtig ist, das Manifest zu unterschreiben und eine – zunächst Berliner – NAO-Gründung zu befürworten?

War also die DelegiertInnenkonferenz des RSB 2012 zu pessimistisch – oder macht der Unterschied zwischen Dezember 2013 und Mitte Februar 2014 den Kohl fett? – Die DelegiertInnenkonferenz des RSB hatte 2012 beschlossen:

„Es darf mittlerweile als sehr unwahrscheinlich gelten, dass wir 2013 bereits eine NAO in der einen oder anderen Form in Deutschland (mit)gründen werden, wie dies letztes Jahr noch am optimistischen Anfang der Diskussion von einigen erhofft wurde.“ (http://www.nao-prozess.de)


Hat sich der NaO-Prozeß seit dem Frühjahr 2012 so toll entwickelt, daß die Zeit für die Berliner NAO-Gründung am 15. Februar 2014 reif war?

Ist eine NAO-Gründung durch 40 Personen, so Stefan Godau (einer der Gründer)1 – also durch zwei bis drei Dutzend Mitglieder der GAM und ihrer Jugendorganisation Revolution, durch jeweils ca. eine handvoll SIB- und Berliner isl-Mitglieder und vielleicht nochmals eine handvoll von Mitgliedern der im politischen Leben Berlins völlig unbekannten Formation „SYKP“ und durch ein wenig Laufkundschaft das, was mit dem NaO-Prozeß angestrebt war2, oder zumindest in irgendeiner Weise angemessener Ersatz, für das, was ursprünglich angestrebt war?

Hat sich der NAO-Prozeß also so toll entwickelt, daß im Februar 2014 auch das falsch wurde, was die RSB-Mitglieder Linus und Jakob Ende 2012 schrieben:

„Wann wir in der BRD soweit sein werden, dass sich die Bildung einer neuen Organisation stellt, wissen wir heute nicht. Auf dem Weg dorthin streben wir (das ist sicher Gemeingut innerhalb des NaO-Prozesses) ein Organisationenbündnis an, nicht programmatisch aber organisatorisch vergleichbar mit dem Antarsya-Modell in Griechenland (so sinngemäß M. Schilwa).

Wir betonen es deswegen, weil wir als RSB uns sehr wohl eine größere gemeinsame revolutionäre Organisation wünschen, aber wir sehen gegenwärtig zu große Differenzen zwischen den einzelnen beteiligten Organisationen und Gruppen. Wir betrachten alle bisher beteiligten Gruppen als revolutionär, aber die strategischen Vorstellungen weichen zum Teil sehr erheblich von einander ab.“ (http://www.nao-prozess.de/)

Hat sich seitdem irgendetwas an den strategischen Differenzen zwischen RSB und GAM, selbst zwischen den beiden Teilen der deutschen Sektion der IV. Internationale (zwischen RSB und isl), geändert? Sind sich denn auch nur die vier Gruppen, von denen Mitglieder jetzt die Berliner NAO gegründet haben, – sind sich also auch nur GAM, isl, SIB und SYKP3 „strategisch“ einig? Oder ist die NAO-Gründung vom 15. Februar vielmehr Organisationsfetischismus ohne gemeinsame politische Substanz?

Wie lautet die Antwort des RSB auf diese Fragen? – Das würde ich gerne erfahren.


Anmerkungen

2 Was ist aus der ursprünglich angestrebten Breite von „‚Marxismus’ und ‚Autonomie’, Links-Sozialisten / Links-Kommunisten und Bewegungslinke[r]“ („Na endlich“-Papier) geworden? Was ist aus der ursprünglich angestrebten Quantität geworden: „1000 ernsthaft Interessierte / Beteiligte […] sind ein anspruchsvolles, aber realistisches Ziel.“ (ebd.)?

3 Die SYKP hatte sich bis einschließlich zu dem abschließenden NaO-Prozeß-Treffen im Sept. 2013 in keiner Weise (weder schriftlich noch durch Mitglieder noch pro forma) am NaO-Prozeß beteiligt. Sie ist vielmehr in letzter Minute für das Manifest und die Berliner NAO-Gründung hinzugeholt worden – allein schon wegen dieser Verfahrensweise muß inhaltliche und strategische Einigkeit zwischen der SYKP und den anderen Beteiligten als wenig wahrscheinlich gelten.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Kommentar vom Autor für diese Ausgabe.
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