Der zum
„Marschall“ ernannte prominenteste Repräsentant der
Militärmachthaber, ’Abdelfattah Al-Sitti, glaubte bis vor
kurzem, er könnte sich in aller Ruhe – wie in einer Sänfte –
in den Präsidentensessel tragen lassen. Besonders, nachdem die
amtierende Militärregierung das Verfassungsreferendum vom 14.
und 15. Januar 14 laut eigener Darstellung haushoch gewann.
Doch da beginnen die Dinge sich in den letzten Tagen zu
verkomplizieren: Eine Welle von Streiks rollt derzeit über
Ägypten...
Kommt nach der Kaiserin Sissi nun der Imperator Al-Sissi? Solche
ironischen Wortspiele werden nun in der internationalen Presse
des Öfteren an die ägyptische Politik gerichtet. Ihr neuer
starker Mann ist der frühere General – und seit dem 27. Januar
14 nun zum Marschall beförderte – 59jährige Berufsmilitär
’Abdelfattah Al-Sissi. Seine Kandidatur für die
Präsidentschaftswahl, die voraussichtlich im April dieses Jahres
stattfinden soll, ist, gelinde ausgedrückt, ein offenes
Geheimnis. Auch wenn er entsprechende Äußerungen
im Interview mit einer kuwaitischen Zeitung – Al-Siyassa
(„Die Politik“) vom 06. Februar 14 – kurz danach dementiert hat,
weil er seine Ankündigung „dem ägyptischen Volk
vorbehalten“ wolle.
Am 27. Januar 2014
versammelte sich die ägyptische Armeeführung und erteilte
Al-Sissi das „Mandat“ dazu, sich bei der Präsidentschaftswahl zu
bewerben. Am Vortag hatte der amtierende Übergangspräsident
’Adly Mansour, ein in Wirklichkeit weitgehend machtloser
Strohmann der Militärs, einen anderen wichtigen Beschluss
bekanntgegeben. Der frühere Richter und Interimspräsident
verkündete am 26. Januar, der geplante Ablauf der kommenden
Wahlgänge werde umgedreht: Die Direktwahl des künftigen
Staatschefs wird vor die Parlamentswahlen gezogen, die erst
danach stattfinden sollen. Dies stellt die Weichen für eine
betont auf den zukünftigen „starken Mann“ zugeschnittene
Präsidialherrschaft. Am Ausgang der Wahl bestehenden relativ
wenige Zweifel, auch wenn der Linksnationalist und Nasserist
(sowie Kandidat von 2012) Hamdine Sabbahi inzwischen ebenfalls
seine Bewerbung ankündigte.
Den Weg für diese
Schritte der Machthaber hatten die Ergebnisse der
Volksabstimmung vom 14. und 15. Januar 2014 geöffnet. Bei dem
Referendum war über die Vorlage für eine künftige Verfassung,
welche den im Jahr 2012 von der damaligen Muslimbrüder-Regierung
ausgearbeiteten Verfassungstext ersetzen soll, abgestimmt
worden. Auf dem Spiel stand für die seit Juli 2013 – und der
Absetzung von Präsident Mohammed Mursi und seiner Regierung –
regierenden Militärs dabei vor allem, dass sie um jeden Preis
ein höheres, besseres Ergebnis vorweisen wollten als die
Muslimbrüder ein gutes Jahr zuvor. Deren Präsident Mursi hatte
damals den von den Islamisten vorgelegten Verfassungstext
ebenfalls per Volksabstimmung absegnen lassen. Diese hatte am
15. und 22. Dezember 2012 stattgefunden und war von heftigen
Protesten und Auseinandersetzungen begleitet. Am Ende lautete
das offizielle Ergebnis damals: 63,8 Prozent Zustimmung zum
Verfassungsentwurf der Muslimbrüder-Regierung, bei einer
Stimmbeteiligung von 32,9 Prozent.
Dieses Mal ging es für die Militärs also darum, das damalige
Resultat zu überflügeln. Das diesjährige Referendum wurde
dementsprechend durch eine vorausgehende intensive
Propagandaschlacht von offizieller Seite eingeleitet. Und ihre
Wünsche wurden erfüllt. Laut offiziellen Angaben stimmten 98,1
Prozent der am Referendum Teilnehmenden mit „Ja“ zum neuen
Verfassungstext – was sogar wahrscheinlich zutreffen könnte, da
niemand zum „Nein“-Votieren aufrief, sondern die GegnerInnen
ausschließlich den Stimmboykott für
eine sinnvolle Antwort hielten. Die Stimmbeteiligung betrug,
wiederum laut offiziellen Angaben, dieses Mal 38,6 Prozent.
Damit läge sie höher als beim Referendum der
Muslimbrüder-Regierung, allerdings kann in dieser Höhe
sicherlich nicht von einem Triumph gesprochen werden. Junge
ÄgypterInnen und Menschen aus den sozialen Unterklassen
enthielten sich überdurchschnittlich stark der Stimme. Vor
Bekanntgebe der offiziellen Zahlen hatten die in die Opposition
verbannten Muslimbrüder von einer Beteiligung am Referendum in
Höhe von „10 bis 15 Prozent“ gesprochen. Unabhängige NGOs
hingegen von „rund 37 Prozent“, was ja auch näherungsweise dem
amtlichen Ergebnis spricht.
Es
ist sogar wahrscheinlich, dass eine deutliche Mehrheit der
Abstimmenden den Verfassungstext „durchwinken“ wollte, und dass
ein starkes Drittel der Bevölkerung teilgenommen hat. Im Vorfeld
hatten nur sehr wenige Stimmen sich enthusiastisch zustimmend
über den Inhalt des Verfassungstexts geäußert:
Die allermeisten Ägypter/innen dürften der Überzeugung gewesen
sein, dass der Text kein guter sei, dass es aber auch keinen
besseren geben werde und dass der „Parteienstreit“ darum endlich
vorübergehen solle. Um sich dann wichtigeren Dingen, wie der
desolaten ökonomischen Lage, zuwenden zu können. Bei dem
positiven Ausgang des Referendums aus Sicht der Militärs handelt
es sich allerdings weniger um einen Vertrauensvorschuss für
dieselben. Sondern vor allem eine Absage an die nun wieder
oppositionellen Muslimbrüder und andere Islamistenfraktionen,
die Opposition oder „Widerstand“ üben möchten. (Während ein Teil
der auf mehrere Parteien aufgesplitterten Salafisten allerdings
für die Annahme des Regierungsentwurfs eintrat; besonders auch,
weil Saudi-Arabien seit dem Sturz Mohammed Mursis deutlich die
Militärregierung und nicht die Muslimbrüder unterstützt.)
Die Muslimbrüder, die seit Juli/August 2013 permanent den
Widerspruch und Widerstand gegen die neuen Machthaber
anzustacheln versuchen, ziehen sich den Hass bedeutender
Bevölkerungsteile auf sich. Dabei kommen mehrere Ursachen
zusammen, neben dem Einfluss der mit nationalistischer Demagogie
– welche die Muslimbrüder mitunter als „Agenten der USA und des
Zionismus“ hinstellt – vermengten Anti-Terrorismus-Rhetorik der
regierenden Militärs. Zum Einen haben die Muslimbrüder sich in
ihrer nur einjährigen Regierungszeit viele Feinde gemacht: Ihre
Vertreter handelt oft auf politisch irrationale Weise, stellten
ihre Ideologie allzu sichtbar über Sachentscheidungen,
versuchten in Kultur- und Alltagsleben der ÄgypterInnen
einzugreifen. Im Nachhinein erscheint da der Autoritarismus der
regierenden Militärs, die sich fest an die Staatsmacht klammern,
aber die Menschen in ihrem Privatleben tendenziell in Ruhe
lassen, da Vielen als „kleineres Übel“. Hinzu kommt eine
wirklich abgrundtiefe Enttäuschung. Nach achtzigjähriger Zeit in
der Opposition (und deswegen scheinbar „unverbraucht“) und mit
vermeintlich „göttlicher Hilfe“ ausgestattet, hinterließen
die Muslimbrüder in ihrer relativ kurzen Regierungszeit
jämmerliche Resultate. Die von manchen ÄgypterInnen zuvor in sie
gesetzten Erwartungen waren teilweise so hoch, dass ihr Fall nur
schmerzlich tief ausfallen konnte.
Am
25. Januar d.J., dem dritten Jahrestag des Anfangs der
Massenproteste im Januar und Februar 2011, die zum Abgang von
Ex-Präsident Hosni Mubarak führten, kam es auf den Plätzen im
Zentrum von Kairo zu heftigen Zusammenstößen.
Diese forderten 49 Tote. Dieses Mal besetzten allerdings nicht
die Oppositions-, sondern die Regierungsanhänger den inzwischen
berühmten Tahrir-Platz. Die Repression gegen die in der Nähe
protestierenden Muslimbrüder führten nicht nur Polizei und
Militärs, sondern auch an ihrer Seite agierende bewaffnete
Zivilistenmobs durch. Die Revolutionäre von 2011, oder
jedenfalls ihre progressiven Fraktionen, drohen nach wie vor
zwischen den beiden Blöcken zerrieben zu werden. Auch wenn sie
sich etwa mit der „Front des revolutionären Weges“, die im
September 2013 gegründet wurde, intensiv um die Herausbildung
einer dritten Kraft bemühen.
Heftige potenzielle
Sprengkraft beweist allerdings nach wie vor die soziale Frage,
wie nicht zuletzt der Streik von 12.000 Textilarbeiter/inne/n am
09. Februar 14 in der riesigen (staatlichen) Textilfabrik von
Mahalla al-Kubra und an einigen anderen Orten im Nildelta zeigt.
Diese forderten die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns,
nachdem das Regime ihn im September 2013 für die öffentlich
Bediensteten von zuvor umgerechnet 80 auf 150 Euro angehoben
hatte, um „die Wogen zu glätten“ und sich einen vorläufigen
sozialen Frieden zu erkaufen. Dafür und für die Einbindung von
Widerstandspotenzialen sollte auch die Persönlichkeit des
amtierenden Arbeitsministers Kamal Abu ’Aita sorgen, der
ursprünglich aus der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung (welche
eine wichtige Rolle beim Sturz Mubaraks und seiner Vorbereitung
spielte) kam. Im Sommer 2013 erzielte er noch einige
Zugeständnisse zugunsten der abhängig Beschäftigten. Anfang 2014
ist er jedoch mit der Ausarbeitung einer neuen
Arbeitsgesetzgebung beschäftigt, die laut Aussagen der
prominenten unabhängigen Gewerkschafterin Fatma Ramadan
„schlimmer als die alte“ ausfällt. Der 61jährige Minister und
frühere unabhängige Gewerkschafter erklärte bezüglich der
jüngsten Streiks: „Ich bin kein Anhänger des Streikens bis zum
Jüngsten Gericht, und ich bin auch kein Anhänger der Idee vom
schöpferischen Chaos.“
Editorische Hinweise
Wir
erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
Stand des Artikels:
Ende Februar 2014 -
Eine aktuelle Fortsetzung, unter besonderer Berücksichtigung
der augenblicklich anhaltenden Streikwelle sowie der
Regierungsumbildung nach dem Rücktritt von Ex-Premierminister
Beblawi (vom 24. Februar 14), folgt in Kürze.
|