Vom Äußerlichen her könnte er als eine Art älterer Bruder von
Inspektor Kojak durchgehen. Nur stand er gewiss noch nie auf
der Seite des Guten. Bekannt wurde er zuerst durch
glorifizierende Bücher über die „Organisation geheime Armee“
(OAS) – eine rechte Terrororganisation, die 1962 mit
Bombenanschlägen und Massakern gegen den französischen Rückzug
aus Algerien kämpfte. Und durch ein merkwürdiges Buch über
„1940-1945, Erotische Jahre“, das die deutsche
Besatzungszeit in Frankreich und die Ära des Vichy-Regimes
primär unter dem Gesichtspunkt der vorgeblichen erotischen
Erfahrung behandelt.
Patrick Buisson, der Mann mit dem glänzenden Schädel, der in
diesen Tagen im Mittelpunkt eines Skandals steht, galt in den
Amtsjahren Nicolas Sarkozys als Staatspräsident als dessen graue
Eminenz. Er war nur einer von dessen Beratern, neben der
katholisch-wirtschaftsliberalen Verwaltungsrichterin Emmanuelle
Mignon und dem in gaullistischen Mythen und patriotischem Pathos
schwelgenden Redenschreiber Henri Guaino. Aber Buisson hatte
eine strategische Stellung inne. Er war für die Auswertung der
öffentlichen Meinung zuständig – dafür gab er Umfragen in
Auftrag, bei denen er selbst rund anderthalb Millionen Euro im
Jahr verdiente, weshalb eine gerichtliche Überprüfung dazu läuft
-, für die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen und die
Festlegung einer ideologischen „Linie“. Und diese fiel immer
gleich aus: stramm rechts.
Der
in wenigen Wochen 65jährige Buisson war der Mann, der Sarkozy im
Jahr seiner Wahl 2007 die Schaffung eines „Ministeriums für
nationale Identität“ inspirierte. Auf ihn geht die landesweit
durchgeführte „Debatte zur nationalen Identität“ im Winter
2009/10 zurück, und er beeinflusste den Wahlkampf der
bürgerlichen Rechten in Frankreich von 2012 erheblich. Auf ihn
gehen Vorschläge zurück wie der Versuch, den damaligen 1. Mai
(2012) zu besetzen, und zwar mit einer Mobilisierung des
konservativen Lagers für einen „Feiertag der wahren Arbeit“, die
gegen die gewerkschaftlichen Maifeiern gerichtet war. Seine
Bilanz ist im konservativen Lager umstritten, für die Einen ist
das Glas mindestens halb leer, für Andere mindestens halb voll.
Zwar hat Sarkozy im zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahl
von 2012 verloren. Aber sein Ergebnis von 48,5 Prozent fiel noch
immer relativ stattlich aus, ein Jahr zuvor hätten viele
Beobachter dem Amtsinhaber mit seiner Bilanz vor allem auf
sozialem Gebiet keine vierzig Prozent zugetraut. Manche Stimmen
behaupten, dass Sarkozy doch noch ein stattliches Ergebnis
erreicht habe, liege daran, dass die nationalistischen und
rassistischen Töne Buissons seinem politischen Lager wieder
Auftrieb verschafft hätten.
Der
grundsätzliche politische Standort Buissons lässt wenig Zweifel
übrig. Er begann seine Karriere – nach einem längeren
Geschichtsstudium – bei der bekannten rechten Wochenzeitung
Minute, für welche er Parlamentskorrespondent und in
den Jahren 1986/87 dann auch Herausgeber war. 1988 saß er bei
der zentralen Wahlkampfveranstaltung des
Präsidentschaftskandidaten Jean-Marie Le Pen in der ersten
Reihe. Dessen Partei, dem Front National, arbeiteten Buisson und
seine Zeitung damals in jeglicher Hinsicht zu. Später wechselte
Buisson des Öfteren die Arbeit- und Auftraggeber. Als Journalist
ging er zum Kabelfernsehsender LCI, und inzwischen ist er der
Chef eines eigenen Fernsehsenders: Histoire. Der
Sender gehört zum TFA-Konzern, der größten privaten
Fernsehanstalt in Frankreich. Politisch kehrte er Le Pen im
vergangenen Jahrzehnt den Rücken. Damals weigerte „der Alte“
sich lange Jahr beharrlich, die Frage nach seiner Nachfolge in
der Partei zuzulassen – 2011 wurde er durch seine Tochter Marine
abgelöst –, konnte aber keine glaubwürdige Alternative in
Buissons und Anderer Augen mehr verkörpern. 2005 schloss er sich
zunächst dem Rechtskatholiken und Grafen Philippe de Villiers
an, der eine Scharnierposition zwischen Konservativen und
Rechtsextremen besetzte, kurz darauf dem damaligen aufstrebenden
Innenminister Sarkozy.
Dies war, was das Publikum bis dahin wusste. Neu war ihm, was am
16. Februar 14 erstmals das konservativ-wirtschaftsliberale
Wochenmagazin Le Point schrieb, damals noch ohne
Beweise zu präsentieren: Buisson habe seinen damaligen Chef
Sarkozy über Jahre hinweg abgehört, mit einem dictaphone,
also einem kleinen Aufnahmegerät, das er stets in der
Westentasche verborgen gehalten habe. Buisson dementierte
energisch und kündigte sogar eine Strafanzeige gegen das
Wochenmagazin an. Zwei bis drei Wochen später hörte er sich
bereits anders an. Am 05. März 14 publizierte erst die
satirische Wochenzeitung Le Canard enchaîné, und
kurz darauf die konservativ-wirtschaftsliberale Webseite
Atlantico Auszüge aus von Buisson mitgeschnittenen
Gesprächen in der Umgebung des damaligen Präsidenten Sarkozy.
Dieses Mal dementierten Buisson und sein Anwalt Gilles-William
Goldnadel (berüchtigter Rechtszionist, u.a. früherer Anwalt der
rassistischen Autorin Oriana Fallaci in Frankreich) nicht,
sondern bestätigten nacheinander die Authentizität der
Aufnahmen.
Die
Auszüge im Canard sind eher politischer Natur, die
im Atlantico betreffen dagegen eine private
Kommunikation zwischen Sarkozy und seiner Ehefrau Carla Bruni,
unter anderem über Immobiliengeschäfte und über Madames
Einkünfte als Sängerin. Beim Canard finden sich
Auszüge aus einer Beraterbesprechung kurz vor der letzten
Regierungsumbildung unter Sarkozy, im Februar 2011. Daraus geht
hervor, dass die Berater Sarkozys mehrere früher Minister –
Xavier Darcos, Michèle Alliot-Marie und Roselyne Bachelot – als
„Totalversager“ verspotteten. Buisson kommt ferner mit der
Anmerkung zu Wort, Hortefeux als Minister für nationale
Identität habe „Beißhemmung beim Thema Einwanderung“ bewiesen,
und „unsere Wählerschaft“ werde „ungeduldig“. Hortefeux war im
Juni 2010 erstinstanzlich wegen rassistischer Hetze zu einer
Geldstrafe verurteilt worden.
Die
Auszüge sind insgesamt noch relativ harmlos, aber – fast -
niemand kann wissen, welche als nächste publik werden könnten.
Das Ehepaar Sarkozy ist dem Vernehmen nach jedenfalls
„zornesentbrannt“ und kündigte mehrere Strafanzeigen an.
Atlantico, gegen das sich eine Anzeige richten sollte,
nahm am Montag, den 10. März 14 deswegen eine Audiodatei mit
privaten Mitschnitten zum Leben Carlo Brunis aus dem Netz.
Es
stellen sich mehrere Fragen dazu: Warum fertigte Buisson die
Aufzeichnungen an, wer machte sie publik, und warum? Am
einfachsten zu beantworten dürfte die Frage nach ihrer
Ankündigung durch Le Point sein. Das
Mitte-Rechts-Wochenmagazin griff des Öfteren in die
Strategiedebatten auf der bürgerlichen Rechten, indem es
bestimmte Akteure gezielt aus dem Weg räumte. 2006 versetzte
etwa Herausgeber Franz-Olivier Giesbert dem damaligen
Präsidenten Jacques Chirac, der noch über eine abermalige
Kandidatur nachdachte, durch eine Buchveröffentlichung den
politischen Todesstoß. Dies machte den Weg für Sarkozy mit frei.
In der derzeit heillos zerstrittenen UMP, der früheren Partei
Chiracs und Sarkozys, griff Le Point auch vor
kurzem wieder ins Innenleben ein: Am 28. Februar 14 publizierte
das Magazin Details darüber, wie der aktuelle, aber höchst
umstrittene Parteichef Jean-François Copé mit völlig überzogenen
Kosten für wahlkampfbezogene Dienstleistungen vor zwei Jahren
eigene Freunde auf Kosten des Kandidaten Sarkozy bereicherte. Es
geht um Beträge um die acht Millionen Euro. Copé, der sich an
die Hoffnung auf eine Präsidentschaftskandidatur 2017 klammert,
aber zu den eher unpopulären UMP-Granden zählt, dürfte seinem
politischen Tod damit ein Stück näher gerückt sein.
Patrick Buissons eigene Motivation ist dagegen nach wie vor
ungeklärt. Kenner der Persönlichkeit behaupten allerdings, es
sei gewissermaßen seine zweite Natur, chronisch misstrauisch zu
sein und alles kontrollieren zu wollen. (Bereits bei
,Minute‘ flog er hochkant hinaus, weil er
Tonband-Aufnahmen seiner rechtsradikalen Kollegen dort ohne ihr
Mitwissen angefertigt hatte…!) Sein einziger Sohn Georges
erklärte öffentlich, seit seiner Kindheit habe er Vater Patrick
Buisson stets mit Aufnahmegeräten herumhantieren sehen.
Letzterer hat inzwischen eine eigene Version gegenüber der
Presse gegeben: Er habe sich gegen spätere Infragestellungen von
Beschlüssen schützen, und ferner ein Buchprojekt über „die
Sarkozy-Jahre“ vorbereiten wollen. Nur, dass die
Mitgeschnittenen anscheinend alle oder überwiegend nichts von
ihrem Glück wussten, so in die Geschichte einzugehen.
Georges Buisson wird im Übrigen auch verdächtigt, der Urheber
der Veröffentlichung zu sein, die Presse also auf die Spur
gebracht zu haben. Er selbst hat dies dementiert. Vater und Sohn
unterhalten tatsächlich ein komplexes Verhältnis. Georges
Buisson bracht vor nunmehr einem Jahr definitiv mit seinem
Erzeuger, weil er befand, dessen extreme Position gegen die
Homosexuellenehe gehe zu weit. Allerdings wurde über die
diversen Presseorgane, die von den Aufzeichnungen sprachen, auch
publik, Buissons habe Kopien von den Mitschnitten bei mehreren
„Vertrauensleuten“ hinterlegt. Auch dort könnte also leicht eine
undichte Stelle liegen.
Bereits nach dem ersten Artikel in Le Point vom
16.02.14 kommentierte die Presse, Buissons Stern sei im Sinken.
Sarkozy wolle sich inzwischen von ihm freischwimmen, da er sein
Image für sein geplantes Comeback vor dem
Präsidentschaftswahlkampf 2016/17 zu einseitig prägen könne.
Buisson erschien ihm allerdings auch deswegen seit einiger Zeit
als Belastung, weil er sich Sarkozys Unterstützung für die
Kandidatur von Ex-Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet
(„NKM“) als Rathauskandidatin in Paris widersetzte. „NKM“ zählt
zum moderatesten Flügel ihrer gemeinsamen Partei. Sie soll in
Paris linksliberale Stimmen ziehen, wird aber voraussichtlich
als Kandidatin zur Kommunalwahl Ende März d.J. haushoch
scheitern.
Auch wenn Buisson als Person seine politische Zukunft bei der
UMP wohl hinter sich haben dürfte, keimen seine Ideen nach wie
vor auf. Denn zwei Strömungen, die weitgehend von Buissons Ideen
inspiriert und eher national-konservativ bis national-identitär
ausgerichtet sind, bilden seit Herbst 2012 zusammen die
stimmenstärkste Strömung im UMP-Vorstand: die Droite
populaire und La Droite forte. Letztere
(die den stärksten Block bildet) wird von zwei weit rechts
stehenden Jungpolitikern geleitet, Guillaume Peltier und
Geoffroy Didier. Peltier begann seine Karriere beim Front
National.
Auch die politische Zukunft Nicolas Sarkozys als Person hat sich
allerdings verdüstert. Mehrere Ermittlungsverfahren sorgen
dafür, dass schwere Damoklesschwerter über seinem Haupt hängen.
Es geht um den Verdacht einer illegalen Finanzierung seines
2007er Wahlkampfs durch das Gaddafi-Regime und durch die
Milliardärin Liliane Bettencourt, um seine Verwicklung in den
als Affaire Karachi bekannt gewordenen
Waffenhandelsskandal – betroffen sind Saudi-Arabien und Pakistan
-, um 400 Millionen Euro Vorteile für den Pleiteunternehmer
Bernard Tapie auf Staatskosten sowie um die Staatsfinanzierung
der Umfragen Buissons.
Am
Freitag, den 07. März 2013 wurde bekannt, bereits seit April
2013 hörten Untersuchungsrichter die Kommunikation Sarkozys mit
seinem Anwalt Thierry Herzog ab; das Datum wurde später auf
Herbst 2013 korrigiert. Das Mitschneiden einer
Anwaltskommunikation ist nur unter engen Bedingungen rechtlich
zulässig, bei konkretem Verdacht auf das Vorliegen einer
Straftat auch seitens des Anwalts. Dieser scheint zu existieren
und bezieht sich auf den Verdacht, einen Richter am Obersten
Gerichtshof korrumpiert zu haben. Es handelt sich um Gilbert
Azibert, der seit langem zur bürgerlichen Rechten gehört. Ihm
soll durch Herzog und Sarkozy ein lukrativer Altersposten in
Monaco versprochen worden sein, im Austausch gegen Informationen
über Sarkozy betreffenden Verfahren aus dem Intranet des
Obersten Gerichtshofs. Am 10. März 13 wurde bekannt, Azibert
habe einen Suizidversuch begangen und befinde sich seit dem
Vortag in einem Krankenhaus in Bordeaux. Dessen Familie
dementiert jedoch und spricht von einem unglücklichen Sturz.
Strauchelgefahr, auf politischem Gebiet, scheint allerdings auch
für Sarkozy und einige konservative Spitzenpolitiker zu
bestehen. Inzwischen hat die Internetzeitung ,Médiapart‘ am 18.
März 14 Auszüge aus den Abhörprotokollen bei Sarkozy & Thierry
Herzog publiziert. Diese bestätigen ausdrücklich den Verdacht,
dass die beiden aktiv die Korrumpierung eines der höchsten
Richter betrieben.
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