Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

(Übler) Freund hört mit
Abhörskandal in der Umgebung von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy. Dessen rechtsextrem sozialisierter Ex-Berater Patrick Buisson scheint auf dem absteigenden Ast

03-2014

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Vom Äußerlichen her könnte er als eine Art älterer Bruder von Inspektor Kojak durchgehen. Nur stand er gewiss noch nie auf der Seite des Guten. Bekannt wurde er zuerst durch glorifizierende Bücher über die „Organisation geheime Armee“ (OAS) – eine rechte Terrororganisation, die 1962 mit Bombenanschlägen und Massakern gegen den französischen Rückzug aus Algerien kämpfte. Und durch ein merkwürdiges Buch über „1940-1945, Erotische Jahre“, das die deutsche Besatzungszeit in Frankreich und die Ära des Vichy-Regimes primär unter dem Gesichtspunkt der vorgeblichen erotischen Erfahrung behandelt.

Patrick Buisson, der Mann mit dem glänzenden Schädel, der in diesen Tagen im Mittelpunkt eines Skandals steht, galt in den Amtsjahren Nicolas Sarkozys als Staatspräsident als dessen graue Eminenz. Er war nur einer von dessen Beratern, neben der katholisch-wirtschaftsliberalen Verwaltungsrichterin Emmanuelle Mignon und dem in gaullistischen Mythen und patriotischem Pathos schwelgenden Redenschreiber Henri Guaino. Aber Buisson hatte eine strategische Stellung inne. Er war für die Auswertung der öffentlichen Meinung zuständig – dafür gab er Umfragen in Auftrag, bei denen er selbst rund anderthalb Millionen Euro im Jahr verdiente, weshalb eine gerichtliche Überprüfung dazu läuft -, für die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen und die Festlegung einer ideologischen „Linie“. Und diese fiel immer gleich aus: stramm rechts.

Der in wenigen Wochen 65jährige Buisson war der Mann, der Sarkozy im Jahr seiner Wahl 2007 die Schaffung eines „Ministeriums für nationale Identität“ inspirierte. Auf ihn geht die landesweit durchgeführte „Debatte zur nationalen Identität“ im Winter 2009/10 zurück, und er beeinflusste den Wahlkampf der bürgerlichen Rechten in Frankreich von 2012 erheblich. Auf ihn gehen Vorschläge zurück wie der Versuch, den damaligen 1. Mai (2012) zu besetzen, und zwar mit einer Mobilisierung des konservativen Lagers für einen „Feiertag der wahren Arbeit“, die gegen die gewerkschaftlichen Maifeiern gerichtet war. Seine Bilanz ist im konservativen Lager umstritten, für die Einen ist das Glas mindestens halb leer, für Andere mindestens halb voll. Zwar hat Sarkozy im zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahl von 2012 verloren. Aber sein Ergebnis von 48,5 Prozent fiel noch immer relativ stattlich aus, ein Jahr zuvor hätten viele Beobachter dem Amtsinhaber mit seiner Bilanz vor allem auf sozialem Gebiet keine vierzig Prozent zugetraut. Manche Stimmen behaupten, dass Sarkozy doch noch ein stattliches Ergebnis erreicht habe, liege daran, dass die nationalistischen und rassistischen Töne Buissons seinem politischen Lager wieder Auftrieb verschafft hätten.

Der grundsätzliche politische Standort Buissons lässt wenig Zweifel übrig. Er begann seine Karriere – nach einem längeren Geschichtsstudium – bei der bekannten rechten Wochenzeitung Minute, für welche er Parlamentskorrespondent und in den Jahren 1986/87 dann auch Herausgeber war. 1988 saß er bei der zentralen Wahlkampfveranstaltung des Präsidentschaftskandidaten Jean-Marie Le Pen in der ersten Reihe. Dessen Partei, dem Front National, arbeiteten Buisson und seine Zeitung damals in jeglicher Hinsicht zu. Später wechselte Buisson des Öfteren die Arbeit- und Auftraggeber. Als Journalist ging er zum Kabelfernsehsender LCI, und inzwischen ist er der Chef eines eigenen Fernsehsenders: Histoire. Der Sender gehört zum TFA-Konzern, der größten privaten Fernsehanstalt in Frankreich. Politisch kehrte er Le Pen im vergangenen Jahrzehnt den Rücken. Damals weigerte „der Alte“ sich lange Jahr beharrlich, die Frage nach seiner Nachfolge in der Partei zuzulassen – 2011 wurde er durch seine Tochter Marine abgelöst –, konnte aber keine glaubwürdige Alternative in Buissons und Anderer Augen mehr verkörpern. 2005 schloss er sich zunächst dem Rechtskatholiken und Grafen Philippe de Villiers an, der eine Scharnierposition zwischen Konservativen und Rechtsextremen besetzte, kurz darauf dem damaligen aufstrebenden Innenminister Sarkozy.

Dies war, was das Publikum bis dahin wusste. Neu war ihm, was am 16. Februar 14 erstmals das konservativ-wirtschaftsliberale Wochenmagazin Le Point schrieb, damals noch ohne Beweise zu präsentieren: Buisson habe seinen damaligen Chef Sarkozy über Jahre hinweg abgehört, mit einem dictaphone, also einem kleinen Aufnahmegerät, das er stets in der Westentasche verborgen gehalten habe. Buisson dementierte energisch und kündigte sogar eine Strafanzeige gegen das Wochenmagazin an. Zwei bis drei Wochen später hörte er sich bereits anders an. Am 05. März 14 publizierte erst die satirische Wochenzeitung Le Canard enchaîné, und kurz darauf die konservativ-wirtschaftsliberale Webseite Atlantico Auszüge aus von Buisson mitgeschnittenen Gesprächen in der Umgebung des damaligen Präsidenten Sarkozy. Dieses Mal dementierten Buisson und sein Anwalt Gilles-William Goldnadel (berüchtigter Rechtszionist, u.a. früherer Anwalt der rassistischen Autorin Oriana Fallaci in Frankreich) nicht, sondern bestätigten nacheinander die Authentizität der Aufnahmen.

Die Auszüge im Canard sind eher politischer Natur, die im Atlantico betreffen dagegen eine private Kommunikation zwischen Sarkozy und seiner Ehefrau Carla Bruni, unter anderem über Immobiliengeschäfte und über Madames Einkünfte als Sängerin. Beim Canard finden sich Auszüge aus einer Beraterbesprechung kurz vor der letzten Regierungsumbildung unter Sarkozy, im Februar 2011. Daraus geht hervor, dass die Berater Sarkozys mehrere früher Minister – Xavier Darcos, Michèle Alliot-Marie und Roselyne Bachelot – als „Totalversager“ verspotteten. Buisson kommt ferner mit der Anmerkung zu Wort, Hortefeux als Minister für nationale Identität habe „Beißhemmung beim Thema Einwanderung“ bewiesen, und „unsere Wählerschaft“ werde „ungeduldig“. Hortefeux war im Juni 2010 erstinstanzlich wegen rassistischer Hetze zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Die Auszüge sind insgesamt noch relativ harmlos, aber – fast - niemand kann wissen, welche als nächste publik werden könnten. Das Ehepaar Sarkozy ist dem Vernehmen nach jedenfalls „zornesentbrannt“ und kündigte mehrere Strafanzeigen an. Atlantico, gegen das sich eine Anzeige richten sollte, nahm am Montag, den 10. März 14 deswegen eine Audiodatei mit privaten Mitschnitten zum Leben Carlo Brunis aus dem Netz.

Es stellen sich mehrere Fragen dazu: Warum fertigte Buisson die Aufzeichnungen an, wer machte sie publik, und warum? Am einfachsten zu beantworten dürfte die Frage nach ihrer Ankündigung durch Le Point sein. Das Mitte-Rechts-Wochenmagazin griff des Öfteren in die Strategiedebatten auf der bürgerlichen Rechten, indem es bestimmte Akteure gezielt aus dem Weg räumte. 2006 versetzte etwa Herausgeber Franz-Olivier Giesbert dem damaligen Präsidenten Jacques Chirac, der noch über eine abermalige Kandidatur nachdachte, durch eine Buchveröffentlichung den politischen Todesstoß. Dies machte den Weg für Sarkozy mit frei. In der derzeit heillos zerstrittenen UMP, der früheren Partei Chiracs und Sarkozys, griff Le Point auch vor kurzem wieder ins Innenleben ein: Am 28. Februar 14 publizierte das Magazin Details darüber, wie der aktuelle, aber höchst umstrittene Parteichef Jean-François Copé mit völlig überzogenen Kosten für wahlkampfbezogene Dienstleistungen vor zwei Jahren eigene Freunde auf Kosten des Kandidaten Sarkozy bereicherte. Es geht um Beträge um die acht Millionen Euro. Copé, der sich an die Hoffnung auf eine Präsidentschaftskandidatur 2017 klammert, aber zu den eher unpopulären UMP-Granden zählt, dürfte seinem politischen Tod damit ein Stück näher gerückt sein.

Patrick Buissons eigene Motivation ist dagegen nach wie vor ungeklärt. Kenner der Persönlichkeit behaupten allerdings, es sei gewissermaßen seine zweite Natur, chronisch misstrauisch zu sein und alles kontrollieren zu wollen. (Bereits bei ,Minute‘ flog er hochkant hinaus, weil er Tonband-Aufnahmen seiner rechtsradikalen Kollegen dort ohne ihr Mitwissen angefertigt hatte…!) Sein einziger Sohn Georges erklärte öffentlich, seit seiner Kindheit habe er Vater Patrick Buisson stets mit Aufnahmegeräten herumhantieren sehen. Letzterer hat inzwischen eine eigene Version gegenüber der Presse gegeben: Er habe sich gegen spätere Infragestellungen von Beschlüssen schützen, und ferner ein Buchprojekt über „die Sarkozy-Jahre“ vorbereiten wollen. Nur, dass die Mitgeschnittenen anscheinend alle oder überwiegend nichts von ihrem Glück wussten, so in die Geschichte einzugehen.

Georges Buisson wird im Übrigen auch verdächtigt, der Urheber der Veröffentlichung zu sein, die Presse also auf die Spur gebracht zu haben. Er selbst hat dies dementiert. Vater und Sohn unterhalten tatsächlich ein komplexes Verhältnis. Georges Buisson bracht vor nunmehr einem Jahr definitiv mit seinem Erzeuger, weil er befand, dessen extreme Position gegen die Homosexuellenehe gehe zu weit. Allerdings wurde über die diversen Presseorgane, die von den Aufzeichnungen sprachen, auch publik, Buissons habe Kopien von den Mitschnitten bei mehreren „Vertrauensleuten“ hinterlegt. Auch dort könnte also leicht eine undichte Stelle liegen.

Bereits nach dem ersten Artikel in Le Point vom 16.02.14 kommentierte die Presse, Buissons Stern sei im Sinken. Sarkozy wolle sich inzwischen von ihm freischwimmen, da er sein Image für sein geplantes Comeback vor dem Präsidentschaftswahlkampf 2016/17 zu einseitig prägen könne. Buisson erschien ihm allerdings auch deswegen seit einiger Zeit als Belastung, weil er sich Sarkozys Unterstützung für die Kandidatur von Ex-Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet („NKM“) als Rathauskandidatin in Paris widersetzte. „NKM“ zählt zum moderatesten Flügel ihrer gemeinsamen Partei. Sie soll in Paris linksliberale Stimmen ziehen, wird aber voraussichtlich als Kandidatin zur Kommunalwahl Ende März d.J. haushoch scheitern.

Auch wenn Buisson als Person seine politische Zukunft bei der UMP wohl hinter sich haben dürfte, keimen seine Ideen nach wie vor auf. Denn zwei Strömungen, die weitgehend von Buissons Ideen inspiriert und eher national-konservativ bis national-identitär ausgerichtet sind, bilden seit Herbst 2012 zusammen die stimmenstärkste Strömung im UMP-Vorstand: die Droite populaire und La Droite forte. Letztere (die den stärksten Block bildet) wird von zwei weit rechts stehenden Jungpolitikern geleitet, Guillaume Peltier und Geoffroy Didier. Peltier begann seine Karriere beim Front National.

Auch die politische Zukunft Nicolas Sarkozys als Person hat sich allerdings verdüstert. Mehrere Ermittlungsverfahren sorgen dafür, dass schwere Damoklesschwerter über seinem Haupt hängen. Es geht um den Verdacht einer illegalen Finanzierung seines 2007er Wahlkampfs durch das Gaddafi-Regime und durch die Milliardärin Liliane Bettencourt, um seine Verwicklung in den als Affaire Karachi bekannt gewordenen Waffenhandelsskandal – betroffen sind Saudi-Arabien und Pakistan -, um 400 Millionen Euro Vorteile für den Pleiteunternehmer Bernard Tapie auf Staatskosten sowie um die Staatsfinanzierung der Umfragen Buissons.

Am Freitag, den 07. März 2013 wurde bekannt, bereits seit April 2013 hörten Untersuchungsrichter die Kommunikation Sarkozys mit seinem Anwalt Thierry Herzog ab; das Datum wurde später auf Herbst 2013 korrigiert. Das Mitschneiden einer Anwaltskommunikation ist nur unter engen Bedingungen rechtlich zulässig, bei konkretem Verdacht auf das Vorliegen einer Straftat auch seitens des Anwalts. Dieser scheint zu existieren und bezieht sich auf den Verdacht, einen Richter am Obersten Gerichtshof korrumpiert zu haben. Es handelt sich um Gilbert Azibert, der seit langem zur bürgerlichen Rechten gehört. Ihm soll durch Herzog und Sarkozy ein lukrativer Altersposten in Monaco versprochen worden sein, im Austausch gegen Informationen über Sarkozy betreffenden Verfahren aus dem Intranet des Obersten Gerichtshofs. Am 10. März 13 wurde bekannt, Azibert habe einen Suizidversuch begangen und befinde sich seit dem Vortag in einem Krankenhaus in Bordeaux. Dessen Familie dementiert jedoch und spricht von einem unglücklichen Sturz.

Strauchelgefahr, auf politischem Gebiet, scheint allerdings auch für Sarkozy und einige konservative Spitzenpolitiker zu bestehen. Inzwischen hat die Internetzeitung ,Médiapart‘ am 18. März 14 Auszüge aus den Abhörprotokollen bei Sarkozy & Thierry Herzog publiziert. Diese bestätigen ausdrücklich den Verdacht, dass die beiden aktiv die Korrumpierung eines der höchsten Richter betrieben.

Editorische Hinweise
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