„Kriegsrauschen“
 Der Drohnenkrieg und die Entgrenzung staatlicher Gewalt

von Joachim Maiworm

03-2014

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Auch die Unterhaltungsindustrie hat das Thema längst entdeckt. „Wenn wir schon wie die Götter handeln, können wir uns dann nicht wenigstens anständig benehmen?“, stöhnt der britische Premierminister auf, nachdem er auf Drängen hochrangiger Generäle den Befehl zu einem tödlichen Drohnenangriff auf betende islamistische Terroristen gegeben hat. In Echtzeit werden die Bilder vom bewaffneten unbemannten Flugkörper (Unmanned Combat Aerial Vehicle – UCAV) in die Londoner Kommandozentrale geschickt – die Attacke selbst erfolgt im pakistanisch-iranischen Grenzgebiet. So zumindest erzählt es die fiktive Miniserie Secret State, die Anfang Februar auf Arte lief. Die zynische Bemerkung des Politikers persifliert den Kern der öffentlichen Debatte über den weltweiten Einsatz der Killermaschinen. Denn im Zentrum der Auseinandersetzung steht die Frage nach der Legalität und der ethischen Rechtfertigung des Einsatzes von UCAV. Wenn es darauf ankommt, so die Antwort des TV-Premiers, hebt die Staatsmacht das „irdische“ Recht auf, inszeniert sich quasi als unbeschränkte göttliche Gewalt und exekutiert seine Feinde, ohne gegenüber irgendeiner Instanz rechenschaftspflichtig zu sein. Und achtet zukünftig vielleicht ein wenig mehr auf Pietät beim Vollzug dieser völlig neuen Form des Krieges – der Strategie des gezielten Tötens („targeted killing“).

Die Robotorisierung und Automatisierung der Waffensysteme, die die Soldaten immer mehr vom Schlachtfeld entfernen, stehen seit Jahren im Fokus militärischer Planungen, der Rüstungsforschung und der praktischen Anwendung. Das Aufspüren, Beobachten und Liquidieren so genannter gefährlicher Individuen bildet dabei einen zentralen Baustein der westlichen Kriegsstrategie. Verdeckte Operationen der Geheimdienste, der Einsatz von militärischen Spezialkräften und die Nutzung bewaffneter Drohnen sind die wesentlichen Methoden der individualisierten Kriegführung. Neben den klassischen Drohnenmächten USA, Großbritannien und Israel planen, entwickeln, beschaffen und produzieren inzwischen zahlreiche andere Staaten UCAV für ihre Streitkräfte. Fachleute registrieren einen deutlichen Trend seit etwa 2002, sie reden von einem wahren „Drohnenboom“.

Eine Reihe von publizistischen Neuerscheinungen aus den letzten ein, zwei Jahren beschreibt diese rasant verlaufende Entwicklung vor allem am Beispiel der US-amerikanischen Praxis.1 Das gezielte Töten, vorzugsweise durch Drohnen, ist mittlerweile geradezu zum Markenzeichen der amerikanischen Terrorismus- und Aufstandsbekämpfung in Afghanistan, Pakistan und darüber hinaus geworden. Im Rahmen dieser „Konflikte niedriger Intensität“ verwischen die Grenzen zwischen militärischer und ziviler Sphäre zunehmend. Während zum Beispiel in Afghanistan die Streitkräfte die auf ihren „Terrorlisten“ gesetzten Personen exekutieren, ist die CIA, also eine zivile Behörde, im pakistanischen Grenzgebiet mit einem eigenen Drohnenprogramm aktiv. Auf ihr Konto gehen nach Angaben des unabhängigen Londoner Bureau of investigative Journalism zwischen 2004 und 2014 bis zu 3.650 getötete vermeintliche Terroristen und Zivilisten (thebureauinvestigates.com; 20.2.2014). Die Drohne als Waffe sowohl von Militär und Geheimdienst löst die Grenze zwischen beiden Bereichen quasi auf. Die meisten Experten des internationalen Rechts halten diese Entwicklung für höchst problematisch. Denn die Existenz dieser „Grauzone zwischen Krieg und Frieden“ ist eine Voraussetzung für die Etablierung eines dauerhaften globalen Ausnahmezustandes durch die westlichen Führungsmächte, die sich der Substanz der völkerrechtlichen Regeln mehr und mehr entziehen. Die Drohnenkrieger bewegen sich insofern jenseits des Rechts und agieren dennoch im Rahmen des rechtlichen Diskurses.

Drohnenangriffe und das internationale Recht: zur völkerrechtlichen Dimension

Das Völkerrecht kennt den Begriff des „gezielten Tötens“ nicht. Für die Mehrheit der Völkerrechtler bewegen sich die Einsätze der UCAV in bewaffneten Konflikten im Rahmen des geltenden Rechts. In Ländern dagegen, gegen die gar kein Krieg geführt wird, ist diese Praxis nach Auffassung der meisten Juristen rechtswidrig. Nicht zuletzt deshalb unterliegt die Umsetzung des US-amerikanischen Programms des „targeted killing“ strengster Geheimhaltung. Zur völkerrechtlichen Frage aber nahm die US-Regierung mehrmals öffentlich Stellung.

Die USA berufen sich vor allem auf das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta. Folgen wir den Ausführungen einer gängigen Einführung in das Völkerrecht, dann ist die Selbstverteidigung nach bisher herrschender Auffassung nur zulässig, wenn sie zeitlich unmittelbar auf einen bewaffneten Angriff erfolgt und verhältnismäßig ist.i Die Kriterien der Unmittelbarkeit und der Verhältnismäßigkeit sind jedoch einem stetigen „Erosionsprozess“ unterworfen. Keinesfalls darf es sich um Bestrafungsaktionen handeln. Jedenfalls wurde dieser Aspekt „bis vor kurzem“ als nicht vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gedeckt angesehen. Überhaupt ist hinsichtlich der Grenzen der staatlichen Selbstverteidigung derzeit „vieles im Flusse“. „Höchst umstritten und zweifelhaft“ ist die Frage, ob und in welchem Umfang eine so genannte präventive Selbstverteidigung, also vor dem Vorliegen eines aktuellen Angriffs, nach der UN-Charta und dem Gewohnheitsrecht möglich ist. Begrifflich wird davon der „präemptive“ Militärschlag unterschieden, der auf eine allgemeine Bedrohungslage (re)agiert. Der also zeitlich noch weiter vorverlagert wird, indem er anderen Staaten oder bewaffneten Gruppen überhaupt die Möglichkeit nimmt, einen Angriff zu starten.

Die vorsichtig abwägenden Formulierungen des Juristen bedeuten im Grunde: Das Völkerrecht erlaubt keine Präemptivkriege. Kriegshandlungen, die mögliche Gefahren bereits im Keim ersticken sollen, sind somit untersagt. Aber dieser Standpunkt scheint in Juristenkreisen bedenklich zu wackeln. Bekanntlich stellte G. W. Bushs „preemptive strike“ gegen den Irak einen solchen Normenbruch dar, eine demonstrative „Enthegung“ des Völkerrechts. Der Politologe Herfried Münkler sprach deshalb in seinem Buch Die neuen Kriege im Jahr 2002 davon, dass die USA bei einem – zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgten – Angriff auf den Irak dem jetzigen Völkerrecht den Todesstoß versetzen würden. Ein anderes Völkerrecht träte dann an seine Stelle. Und das wäre keines zwischen prinzipiell gleichen Staaten.

Eine Ahnung von der Bedeutung des juristischen Erosionsprozesses vermitteln die Vorstellungen des renommierten Juristen Matthias Herdegen.ii Er erkennt in der Völkerrechtslehre eine wachsende Tendenz, gegen das allgemeine Gewaltverbot „in bestimmten Fällen der Gewaltanwendung gewaltsame Gegenmaßnahmen zuzulassen, obwohl das Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 UN-Charta nicht eingreift“. Auch unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs sollen, so stellt er zustimmend fest, „Abwehrmaßnahmen“ gerechtfertigt sein. Er wendet sich – „nach dem gegenwärtigen Zustand der Vereinten Nationen“ – gegen eine wörtliche Auslegung des Art. 51.iii Herdegen leitet aus dem Vertragstext ein der Charta selbst vorgehendes Recht für einzelne Staaten ab, bereits präventiv vorgehen zu können („naturgegebenes Recht“). Die Annahme, die Charta erlaube einen Präventivkrieg, stellt jedoch eine schliche semantische Verkehrung des Vertragstextes dar.

Der Direktor am Bonner Institut für Völkerrecht provozierte bereits im Jahr 2003 durch eine Neuinterpretation des Art. 1 GG („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“) im tonangebenden Grundgesetz-Kommentar Maunz-Dürig. Nachdem die maßgebliche Erstkommentierung des Staatsrechtlers Günter Dürig fast 45 Jahre gegolten hatte, zertrümmerte Herdegen die Fundamentalnorm in Art. 1 GG, in dem er es für möglich hielt, „dass die Androhung oder Zufügung körperlichen Übels“ unter bestimmten Umständen „eben nicht den Würdeanspruch verletzen“.iv Das Prinzip der Unantastbarkeit der Menschenwürde wurde zur Disposition gestellt, das absolute Folterverbot sollte durchbrochen werden können. Lediglich der „Kernbereich“ des Würdebegriffs sei einer Abwägung unzugänglich.

Hier wird deutlich, dass einflussreiche Juristen Umdeutungen von als bislang unumstößlich angesehenen Prinzipien vornehmen, um die herrschenden Diskurse zu prägen und einen Beitrag für eine Erweiterung der Handlungsräume des „präventiven Sicherheitsstaats“ zu leisten. Als eine juristische Stütze für diese Zielstellung dient auch das Völkergewohnheitsrecht, das faktisches staatliches Handeln als eine „allgemeine Übung“ und damit geltendes Recht anerkennen kann, sofern eine überwiegende Mehrheit der Staaten diesen „Rechtserzeugungsprozess“ mitträgt.

Der israelische Oberst a.D. Daniel Reisner äußerte sich dazu im Jahr 2009, als er gegenüber der Zeitung Haaretz von einer historischen Wende sprach, die sich im Völkerrecht ereignet. „Wenn man etwas lange genug tut, wird es eines Tages von der Welt akzeptiert. Das gesamte Völkerrecht basiert heutzutage auf dem Gedanken, dass etwas, das heute noch verboten ist, zulässig wird, wenn es von genügend Ländern gemacht wird. (...) Das Völkerrecht entwickelt sich dadurch, dass dagegen verstoßen wird.“ Nach Meinung der amerikanischen Antikriegsaktivistin Medea Benjamin werden schlicht „lästige juristische Anachronismen abgeschüttelt“, das einzige Gesetz, das noch eine Rolle spiele, sei das „Gesetz des 11. September“.v

Dreizehn Jahre nach 9/11 stützt sich die US-Regierung noch immer auf das Selbstverteidigungsrecht und weitet damit das Verständnis des von der UN-Charta geforderten Angriffstatbestandes auf absurde Weise aus. Der quasi permanente Zustand der Selbstverteidigung, als „Kampf gegen den Terror“ zeitlich und räumlich entgrenzt, wird von den USA und ihren Verbündeten zugleich als so genannter bewaffneter nicht-internationaler Konflikt gewertet (als Gegeneinander von Streitkräften einer Regierung und bewaffneten organisierten Gruppen). Dies ist eine weitere Voraussetzung dafür, im Sinne des Kriegsrechts militärisch und eben nicht nur auf Basis ziviler Strafrechtsverfolgung aktiv werden zu können.

Nach eigener Auffassung befinden sich die USA mit al Qaida und kooperierenden Gruppen im Krieg, und zwar nicht nur in Afghanistan, Pakistan und im Irak, sondern ebenso in zahlreichen anderen Staaten, die als Rückzugsräume der Terroristen definiert werden. Dazu gehören zurzeit vor allem der Jemen und Somalia. Zunehmend gerät dabei der afrikanische Kontinent ins Visier. Dass es sich bei al Qaida um eine solche organisierte bewaffnete Gruppe im völkerrechtlichen Sinne handelt, wird von vielen Juristen allerdings bestritten – vor allem nachdem Jahre seit deren Vertreibung aus Afghanistan vergangen sind. Als reine kriminelle Organisation müsste sie strafrechtlich, also mit „zivilen“ Mitteln, verfolgt werden. Unter dem Deckmantel des Völkerrechts, d.h. durch die Umdefinition einer Terrororganisation zu einer weltweit operierenden Kriegspartei, und auf Basis einer rasant entwickelten Drohnen-Technologie, die gezielte Angriffe in potenziell allen Teilen der Welt ermöglicht, folgt die Obama-Administration ihrer rechtswidrigen „Töten-statt-verhaften-Doktrin“. Diese stellt aber nicht einfach eine dauerhafte Missachtung der bestehenden rechtlichen Standards dar. Vielmehr ist absehbar, dass sich auch die Politik des „targeted killing“ gewohnheitsrechtlich Legitimität und damit einen legalen Status verschaffen wird. Denn zukünftig werden immer mehr Staaten bewaffnete Drohnen wegen ihrer militär-strategischen Vorzüge nutzen, während der rechtliche Rahmen nachträglich der veränderten Praxis angepasst wird: gleichbedeutend einer Aufhebung des (bislang geltenden) Rechts.

Das Beispiel des Irak-Krieges belegt diesen Vorgang. Die völkerrechtswidrige Besetzung durch die USA, Großbritannien und die „Koalition der Willigen“ wurde im Grunde nachträglich durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates von Juni 2004 anerkannt und auf eine legale Grundlage gestellt. Die Regelung zur Anerkennung der irakischen Übergangsregierung und dem begrenzten Mandat multinationaler Streitkräfte erfolgte dabei auf Basis eines Entwurfs der USA und Großbritanniens selbst (!). Auch Bundesaußenminister Josef Fischer, so ergibt die schnelle Internetrecherche, erklärte damals, dass die Beziehungen nun nicht mehr angespannt und die Probleme, die es gegeben habe, vergangen seien.

Das von Herfried Münkler im Vorfeld der Irak-Invasion prognostizierte „andere Völkerrecht“ kommt damit einem vom Hegemon USA dezisionistisch herbeigeführten globalen Ausnahmezustand gleich, der seine völkerrechtliche Normalisierung erfährt. Denn sowohl die Rechtfertigung des irregulären Irak-Kriegs als auch die nachträgliche „Bewältigung“ durch die UNO bewegten sich argumentativ und politisch in den Bahnen des Völkerrechts. Solange also trotz nachgewiesener gravierender Rechtsbrüche politische Konsequenzen ausbleiben und die juristischen Fachdiskurse weiterlaufen, setzt sich gefühlsmäßig alles irgendwie fort wie bisher – als dauerhafte normalisierte Ausnahmelage, die kaum noch Aufmerksamkeit erregt. „Krieg unterhalb der Wahrnehmungsschwelle westlicher Öffentlichkeiten“, meint der Friedensforscher Niklas Schörnig, „wird zum permanenten Krieg, zum Kriegsrauschen, das irgendwann nicht mehr hinterfragt wird.“vi

Dass sich unter anderen auch die Bundeswehr und der Wehrbeauftragte des Bundestages für bewaffnete Drohnen aussprechen und die Regierung über kurz oder lang beschließen wird, diese Systeme zu beschaffen und später im Alleingang oder als europäisches Gemeinschaftsprojekt selbst zu produzieren, erzeugt tatsächlich auch hierzulande nur einen schwachen öffentlich vernehmbaren Aufschrei. Vielleicht auch deshalb, weil der Glaube an den „körperlosen Krieg“, an eine Kriegsführung, die das Leben der eigenen Soldaten schont, den UCAV das Image von ethisch sauberen Waffen verschafft.

Der „unheroische“ Krieg: zur ethischen Dimension

Präsident Obama, unter dessen Regierung die Zahl der Drohnenangriffe massiv erhöht wurde, befeuerte mit seiner Parole vom „Sieg der Gerechtigkeit“ gegen al Qaida den Zorn und die Rachegefühle vieler Muslime.vii Denn die Strategie des gezielten Tötens auf High-Tech-Basis widerspricht der Idee eines „gerechten Kampfes“, der von alters her auf die Symmetrie der Mittel setzt. Nach dem klassischen militärischen Ehrenkodex gilt es als unehrenhaft, den Feind anzugreifen oder zu töten, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Militärhistorisch zeigte sich immer Widerstand gegen Distanzwaffen. Von den Bogenschützen in der Antike und im Mittelalter bis zum modernen „Sniper“ und Drohnenpiloten (den „Scharfschützen von heute“) gilt, dass derjenige das Gebot der Reziprozität bricht, wer im Einsatz tötet, aber nicht getötet werden kann. Die UCAV repräsentieren insofern eine totale Asymmetrie.

Die Verfechter dieser Waffe vertreten die gegenteilige Sicht. Die Drohnen gleichen demnach viele Vorteile der Aufständischen in einer militärischen Auseinandersetzung aus. Denn, so heißt es, es sind die Insurgenten, die sich nicht an die Konventionen und Einsatzregeln halten. Sie greifen die Zivilbevölkerung gezielt an, sie verbreiten „Terror“. Nach Herfried Münkler haben die westlichen Staaten selbst auf diese Herausforderung des Terrorismus resymmetrisierend geantwortet. Indem Spezialeinheiten und UCAV Terroristen mit ihren eigenen Methoden bekämpfen: ganz plötzlich, überraschend und geheim. Er bezeichnet die bewaffneten Drohnen als eine Reaktion auf Selbstmordattentäter der Gegenseite. Sie seien die Waffe des „postheroischen“ Zeitalters einer Gesellschaft, die nicht mehr bereit sei, eigene Soldaten zu opfern, aber ein hohes Maß an Sicherheit verlangt. Tatsächlich wird mit diesem Instrument jedoch die ansonsten dem Gegner vorgeworfene „Irregularisierung“ der Kriegführung selbst forciert.

Ein wesentlicher Baustein dieser Strategie besteht darin, vorzugsweise den islamistischen Feind aus der Rechtsordnung herauszulösen, d.h. als Unperson außerhalb des Rechts zu stellen. Der Kölner Staatsrechtler Otto Depenheuer echauffierte sich beispielsweise in einem 2007 publizierten und vom damaligen Bundesinnenminister hochgelobten Buch darüber, dass islamische Terroristen selbst rechtlich ungebunden agieren könnten, die „Demokraten“ dagegen verfassungsrechtlich gebändigt seien.viii Rechtsstaatliche Normen sollten im Kontext des „Antiterrorkriegs“ mit Hilfe eines Feindrechts suspendiert werden können. Die Vorstellung einer ort- und zeitlosen terroristische Bedrohung resultiere in einer permanenten Ausnahmelage – im Grunde in einem unendlichen Kriegszustand. Dagegen betont der Philosoph Byung-Chul Han mit Verweis auf das berühmte Clausewitz’sche Diktum („Krieg ist Politik mit anderen Mitteln“) den politischen Charakter des klassischen Kriegs. Die zügellose Tötung jenseits eines „geordneten Zweikampfs“ vernichte den Raum des Politischen, damit auch die Möglichkeit zu einer Beendigung des Krieges, d.h. eines potenziellen Friedensschlusses. Als Reaktion auf die vermeintliche Irregularisierung des Krieges durch Aufständische sprengt der staatliche „Gegen“-Terror so jede zeitliche und räumliche Begrenzung.ix

Ausweitung der Kampfzone“: zur strategischen Dimension

Seit 2002 wurde die These populär, „neue Kriege“ hätten die zuvor durch rechtliche Konventionen „gehegten“ kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Staaten abgelöst. Vor allem nicht-staatliche Akteure, wie terroristische Gruppen, seien für die „Irregularisierung“ und damit „Enthegung“ der Gewalt verantwortlich. Wie der Berliner Politikwissenschaftler Raul Zelik in seinen Studien aufzeigt, beschränkte der moderne Staat jedoch Kriege keineswegs, sondern durchbrach regelmäßig völkerrechtliche Vereinbarungen und totalisiert die Konflikte sogar. Trotz symmetrischer Kriegführung verwandelten sich Konventionen, die den Krieg „zähmen“ sollten, in eine Farce, wie die Weltkriege belegen. Staatliche Armeen haben immer schon alle Regelungen aufgehoben, wenn es funktional für sie war – unabhängig davon, ob Terrorgruppen zu den Konfliktparteien gehörten oder nicht. So gründeten und förderten die USA seit Anfang der 1960er Jahre auf Basis ihrer nationale Sicherheitsdoktrin paramilitärischer Strukturen in Lateinamerika und darüber hinaus.

Paramilitärische Einheiten, verstanden als informelle staatliche Akteure, autonom handelnd, aber doch staatlich angebunden, agieren auch in Pakistan. Während die Streitkräfte die gezielten Tötungsoperationen in Afghanistan durchführen, ist vor allem im pakistanischen Grenzgebiet die CIA mit einem eigenen Drohnenprogramm aktiv. Sie hat sich dort, so betont die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik in einer Publikation, seit einem Dutzend Jahren zu einer paramilitärischen Organisation entwickelt, auf die insbesondere die so genannten Signaturangriffe zurückzuführen sind. Bei den „signature strikes“ werden nicht eindeutig identifizierte Personen attackiert, sondern solche, die aufgrund eines bestimmten Verhaltensmusters als Verdächtige oder Risikofaktoren gelten – denen aber keine direkte Beteiligung an einem Terrorakt nachgewiesen wird. Der den Personen von der Geheimorganisation zugewiesene Status entscheidet über die Aufnahme in die „Kill lists“ und damit über ihr Leben oder ihren Tod.x

Der staatlich verordnete Terror liquidiert aber nicht nur Menschen, sondern soll auch eine lähmende Angst in der Bevölkerung erzeugen. Tieffliegende, für die regionalen Bewohner sicht- und hörbare Kampfdrohnen, ausgestattet mit Wärmebildkameras, Nachtsichtoptik und Boden-Luft-Raketen, können bei jedem Wetter länger als einen Tag in der Luft bleiben, stundenlang über eine Stelle kreisen, aus großer Höhe in Echtzeit scharfe Bilder an die Kontrollstationen senden und ahnungslose oder die Gefahr witternde Personen deutlich sichtbar heranzoomen. Und in jedem Moment den Tötungsauftrag erledigen. Vermeintliche Kämpfer und die Bewohner einer Region systematisch einzuschüchtern gehört zum staatlichen Kalkül.

Da spätestens seit 9/11 die Grenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit immer mehr verschwimmen, richtet das Angst-Regime des autoritären Sicherheitsstaats seine Macht auch zunehmend gegen die eigene Bevölkerung. Nicht nur, indem er dazu beiträgt, dass eigene Staatsbürger in fremden Staaten von US-Kampfdrohnen exekutiert werden, sondern auch, weil Polizeibehörden unbemannte Flugzeuge zu Überwachungszwecken einsetzen. So auch seit einigen Jahren in Deutschland. Entgegen dem Recht der Bürger auf informationeller Selbstbestimmung ist damit zu rechnen, dass zukünftig immer mehr „fliegende Polizeiaugen“ die Menschen verunsichern. Die Zeitschrift Europäische Sicherheit + Technik (4/2013: 76) berichtet beispielsweise über eine Minidrohne, die einen Einblick in die mögliche künftige zivile Nutzung der Technik liefert, auch wenn sie von einer norwegischen Firma für die britischen Streitkräfte entwickelt wurde. Der Kleinsthubschrauber „Black Hornet“ ist 10 cm kurz, 16 g leicht, verfügt über eine Reichweite von 800 m, eine maximale Geschwindigkeit von 35 km/h und eine Flugdauer von 30 min, kann auf vorprogrammierten Routen fliegen oder frei gesteuert werden und eine High-Tech-Kamera nutzen, die in Echtzeit Bilder liefert. Auf dem abgedruckten Foto ist ein Soldat in Kampfmontur zu sehen, in der einen Hand ein kleines Notebook, auf der anderen offenen Handfläche die Drohne. Es braucht nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass solche Geräte zu miniaturisierten Killerwaffen ummontiert und nicht nur zur Beobachtung, sondern auch zur Bekämpfung von verdächtigen Kriminellen oder aufrührerischen Menschenmassen eingesetzt werden könnten. Medea Benjamin führt in ihrem Buch beispielsweise die amerikanische Firma Taser International an, die für die Polizei Drohnen mit nicht-letalen Waffen baut, damit die bei Bedarf die eigene Bevölkerung mit Elektroschocks aus luftiger Höhe disziplinieren kann.

Eine wahrhaft dystopische Gesellschaft nimmt deutliche Konturen an. Erich Vad, Brigadegeneral a.D. und bis Mai 2013 als Gruppenleiter im Bundeskanzleramt tätig, beschreibt aus Sicht eines Regierungsberaters die Herausforderungen des Sicherheitsstaats:

„Der Prävention kommt in der Bekämpfung des irregulären Kriegs und des Terrorismus eine Schlüsselrolle zu (...) Irreguläre Gewalt und ihre Anwendung sowie rechtsfreie Räume gehören auch in vielen westlichen Großstädten und Metropolen der Welt längst zum Alltag und erzeugen auch in kleinem Maßstab und im unteren Bereich der Gewalteskalation lokalisiert, bürgerkriegsähnliche Situationen. Wenn gesellschaftliche und staatliche Institutionen nicht mehr greifen, entwickeln sich in den staatsfreien Räumen neue irreguläre Ausdrucksformen und Gewalt. Das Spektrum ist dabei weit: Es beginnt bei den privaten Waffennarren, erstreckt sich über gewaltbereite Autonome und Skinheads bis hin zu organisierten Banden und Todesschwadronen.“xi Der Gedankenschritt hin zur Idee einer heimlichen selektiven Tötung von Feinden im Innern, von oppositionellen und renitent-lästigen Systemkritikern, scheint da nicht mehr allzu weit zu sein. Die Definitionsmacht über die „gefährlichen“ Individuen aber liegt allein in den Händen von Regierungen und Geheimdiensten.

Fazit

Ein unter Fachjuristen kursierender zynischer Spruch lautet: „Das humanitäre Völkerrecht kommt immer einen Krieg zu spät.“ Eine treffende Sentenz, richtig und falsch zugleich. Richtig, weil die Annahme, die Akteure der neuen Kriegsführung ließen sich durch die Anwendung rechtlicher Mittel wirksam einschränken, unrealistisch ist. Falsch, weil gerade die Versuche von Vertretern des internationalen Rechts, die neuen Militärtechnologien und -strategien immer wieder juristisch „einzufangen“, letztlich selbst dazu beitragen, die Substanz des Völkerrechts zu suspendieren. Anders gesagt: Die Paradoxie ist, dass die Institution Völkerrecht versagt, indem sie formal funktioniert. Denn die vom Staat herbeigeführte Ausnahmesituation verstetigt sich und wird unter anderem mittels der Konstruktion des Gewohnheitsrechts normalisiert. Das Recht wird der kriegerischen Realität tendenziell angepasst und nicht umgekehrt. Der Begriff des permanenten Ausnahmezustandes greift diesen Punkt kritisch auf. Für Carl Schmitt hat er „für die Jurisprudenz eine analoge Bedeutung wie das Wunder für die Theologie“.xii Zeige sich im Wunder die Omnipotenz Gottes, so werde in der Ausnahmesituation, d.h. im unmittelbaren Eingriff des Souveräns in die geltende Rechtsordnung, die Omnipotenz des Souveräns deutlich.

Und das durchaus nicht nur im nationalen Interesse der USA, denn die treten als eine imperiale Garantiemacht auf, um den globalen Ressourcenzugang und die weltweiten Finanz- und Warenströme für den „Westen“ insgesamt sicherzustellen – unter anderem mit Hilfe der Drohne als „Waffe des 21. Jahrhunderts“.

Auch wenn die Bundesregierung offensichtlich noch keine eigene Politik gezielter Tötungen durch unbemannte Flugkörper verfolgt, wird früher oder später der Hinweis auf die ethische Notwendigkeit erfolgen, zur Durchsetzung des „Supergrundrechts Sicherheit“ auf UCAV zurückgreifen zu müssen. Denn der „Krieg der Zukunft“ setzt unweigerlich auf eine Weiterentwicklung militärischer Robotik, und Deutschland gestaltet diesen Prozess aktiv mit. Dass die regelmäßig vorgetragene strikte Ablehnung automatisierter Tötungsprogramme irgendwann ebenfalls bröckelt, ist bereits absehbar. Auch die Bundesregierung wird ihrer heiligen Pflicht, „einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen“, entschieden nachkommen (Verteidigungspolitische Richtlinien vom Mai 2011). Mit allen unethischen Mitteln. Moralische und rechtliche Argumente haben dagegen wohl keine Chance.

Ein globaler Aktionstag gegen bewaffnete Drohnen ist für den 4. Oktober 2014 angekündigt!

Anmerkungen

11.Zum Beispiel: Armin Krishnan, Gezielte Tötungen: Die Zukunft des Krieges, Berlin, 2012; Peter Strutynski (Hg.), Töten per Fernbedienung: Kampfdrohnen im weltweiten Schattenkrieg, Wien, 2013; Medea Benjamin, Drohnen-Krieg: Tod aus heiterem Himmel – Morden per Fernbedienung, Hamburg 2013; Christian Fuchs/John Goetz, Geheimer Krieg: Wie von Deutschland aus der Kampf gegen den Terror gesteuert wird, Reinbek bei Hamburg, 2013.

i Stefan Hobe, Einführung in das Völkerrecht, Tübingen, 2008, S. 334f.

ii Matthias Herdegen, Völkerrecht, München, 2012, S. 250f.

iii Art. 51 UN-Charta: „Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.“

iv Maunz-Dürig, Komm. z. GG Art. 1, Rdn. 45, Ergänzungslieferung, 2003.

v Medea Benjamin, S. 107f.

vi Marc von Boemcken et al. (Hg.), Friedensgutachten 2013, Berlin, 2013, S. 51.

vii „Justice has been done!“: Mit diesen Worten verkündete Präsident Obama Anfang Mai 2011 in einer live übertragenen Rede an die Nation das Ende Osama bin Ladens, dessen Tötung einer zielgerichteten Hinrichtung ohne Gerichtsurteil gleichgekommen war.

viii Otto Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaats, Paderborn, 2007.

ix Byung-Chul Han, Die Ethik des Drohnenkrieges (http://www.matthes-seitz-berlin.de/artikel/byung-chul-han-die-ethik-des-drohnenkriegs.html).

x SWP-Studie „Targeted Killing“, Berlin, 2012, S. 9.

xi Erich Vad, „Asymmetrischer Krieg als Mittel der Politik“, in: Thomas Jäger/Rasmus Beckmann (Hg.), Handbuch Kriegstheorien, Wiesbaden, 2011, S. 587.

xii Carl Schmitt, Politische Theologie, Berlin, 2004, S. 43.

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